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Suffizienzorientierung – ein Interview mit Josephine Tröger

Suffizienz stellt eine grundsätzliche Verhaltensänderung der Menschen und ein stärkeres Bewusstsein für unseren Konsum in den Mittelpunkt. Für viele ist sie deswegen immer noch die unbeliebteste Nachhaltigkeitsstategie. Wir haben mit der Umweltpsychologin Josephine Tröger über Suffizienz gesprochen und wie ein Paradigmenwechsel durch kollektive Wirksamkeit und Einzelleistungen funktionieren kann.

Deutsche Umweltstiftung: Sie promovieren an der Universität Koblenz-Landau im Bereich der Umweltpsychologie zu Suffizienzorientierung. Was ist eigentlich Umweltpsychologie und was können wir uns unter Suffizienzorientierung vorstellen?

Josephine Tröger: Umweltpsychologie ist eine Teildisziplin der Psychologie, die sich mit Mensch-Umwelt- Interaktionen beschäftigt. Das heißt, sie versucht zu analysieren, wie die Umwelt auf den Menschen wirkt und wie wir Menschen auf die Umwelt wirken, welche Auswirkungen das auf psychische Aspekte wie Kognition, Emotion, und Verhalten hat. Sie ist eine sehr anwendungsorientierte Teildisziplin der Psychologie, in der eigentlich jede Form von Mensch-Umwelt-Interaktionen behandelt werden kann – von Architekturpsychologie bis Mensch-Maschine-Interaktion und der zentralen Frage nach dem Schutz und den Umgang mit unseren Lebensgrundlagen. Was die Umweltpsychologie sehr besonders macht, ist die große Interdisziplinarität. Sie nutzt Erkenntnisse und Methoden anderer Wissenschaftsdisziplinen und vernetzt, um einen Beitrag etwa zur Lösung der Klimakrise zu leisten. Das ist teilweise sehr herausfordernd, bietet aber auch reichlich Chancen. Ein Projekt wie die sozial-ökologische Transformation ist nur zu bewerkstelligen, wenn viele Disziplinen zusammenarbeiten und -denken

Suffizienzorientierung beschreibt suffizientes Verhalten als „Änderungen in Konsummustern, die helfen, innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit der Erde zu bleiben, wobei sich Nutzenaspekte des Konsums ändern“ (Heyen et al. 2013, S. 7)[1]. Die Suffizienz ist die Nachhaltigkeitsstrategie, welche die Endlichkeit der Ressourcen der Erde (auch „planetare Grenzen“ genannt) als oberstes Gut anerkennt und hier eine absolute Grenze, an dem sich z.B. wirtschaftliche Prozesse ausrichten sollen, respektiert. Die Suffizienz hat damit eine große Verwandtschaft mit dem Konzept der starken Nachhaltigkeit.

Als Suffizienzorientierung würde ich die Einstellung und Bereitschaft beschreiben, den Lebensstil an den eben diesen planetaren Grenzen auszurichten. Dabei spielt die Erkenntnis eine Rolle, dass Konsumreduktion einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der sozial-ökologischen Krise liefert.

Eine Abgrenzung zu den anderen Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz und Konsistenz ist wissenschaftlich sinnvoll. In der Praxis und im tatsächlichen Handeln spielen natürlich Wechselwirkungen und Interdependenzen eine Rolle. 

Deutsche Umweltstiftung: Für viele Menschen ist Suffizienz die anstrengendste und unbeliebteste Nachhaltigkeitsstrategie. Warum fällt suffizientes Handeln so schwer?

Das hat aus meiner Sicht vor allem zwei wesentliche Gründe: Zum einen lassen wir uns gern von außen leiten und erzählen, was wichtig ist und was zu einem scheinbar glücklichem Leben gehöre: vom persönlichen Umfeld, von vorherrschenden Normen und Werten, vermittelt durch so etwas wie Werbung. Konsum und Statussymbole spielen gegenwärtig eine große Rolle in unserer Gesellschaft. Andere Formen von Wohlstand, wie Zeit, Sozialleben, Familie, Selbstverwirklichung oder sonstige immaterielle Güter spielen kaum eine Rolle. Sie sind zwar privat wichtig, aber es gibt wenige öffentliche und sichtbare Strukturen, die diesen Bereichen eine hohe Bedeutung zuweisen. In der Wertschätzung und Belohnung von Care-Arbeit wird so etwas ersichtlich. Oder man zeigt seinen beruflichen Erfolg vielleicht lieber mit einem teuren Auto als mit viel Freizeit. Dabei würde ein Verzicht auf ein Auto viel Freizeit bringen, weil man für das dafür nötige Geld auch nicht mehr arbeiten müsste. Die Frage was wirklich wichtig ist, welche individuellen Bedürfnisse im nicht materiellen Sinne vorhanden sind und befriedigt werden müssen, ist ein wichtiger Aspekt von Suffizienz.

Zum anderen sind viele Infrastrukturen in unserer Gesellschaft so geschaffen dass sie suffizienzorientiertes Verhalten nicht belohnen. Nehmen wir das Beispiel Lebensmittelkonsum: Konventionelle Lebensmittel im Supermarkt sind gerade deswegen billiger als die ökologischen Biolebensmittel, weil in konventionellen Lebensmitteln der ökologische Schaden, den diese verursachen, nicht eingepreist ist. Kaufe ich die ökologischen Lebensmittel spüre ich vor allem erst einmal, dass ich mehr Geld ausgebe als die meisten anderen. Das kann sich oft nach einem kurzfristigen Verlust anfühlen – zwar zugunsten eines großen Ganzen, aber für den Industrie und Verbraucher nicht gleichmäßig in die Pflicht genommen werden. Industrie und Verbraucher zahlen für die ökologischen Kosten der Produkte nicht – der Schaden wird ausgelagert. Zukünftige Generationen – und auch wir selbst – werden dafür auf die eine oder andere Art in den nächsten Jahren aufkommen müssen.

Deutsche Umweltstiftung: Kann ein Paradigmenwechsel hin zu Suffizienz funktionieren? Wenn ja, wie wäre dies möglich?

Davon bin ich überzeugt! Die Klimakrise zwingt jetzt schon viele Menschen vor allem auf der Südhalbkugel zu einem unfreiwilligen und ungerechten Konsumverzicht. Und auch wir werden mit dem Fortschreiten der ökologischen Probleme immer größere Einschnitte erleben. Das ist die fatalistische Sichtweise: wer die Natur abschafft wird von der Natur abgeschafft. Es gibt aber auch Grund zum Optimismus. Beispielsweise zeigt gerade die Corona-Krise dass viele Menschen bereit sind, ihr Verhalten zu ändern und auch tatsächlich zu verzichten, wenn ihnen ein guter Grund und größere Zusammenhänge aufgezeigt werden, und Änderung vor allem nicht nur an der Eigenverantwortung hängt, sondern Strukturen verändert werden, auf die ein*e Einzelne*r nur wenig Einfluss hat. 

Außerdem sehe ich, dass sich Suffizienz-Praktiken langsam in Lebenswelten einschleichen. Über Suffizienz wird mehr gesprochen als noch vor wenigen Jahren. Der Druck auf die Gesellschaft, sich zu verändern wächst, da die Folgen der Klimakrise auch stärker vor Ort sichtbar werden. Die Frage ist, ob Veränderung in den nächsten Jahren mehr durch Evolution oder Eruption entsteht, und welche Einflüsse eben von außen notwendig sind. 

Deutsche Umweltstiftung: Welche Tipps können Sie geben, um suffizientes Verhalten mehr in den eigenen Alltag zu integrieren?

Die gerade angesprochenen Strukturen sind ein wichtiger Treiber suffizienten Verhaltens. Als einzelner hat man vermeintlich wenig Einfluss auf diese. Allerdings werden diese auch nur von einzelnen Menschen geschaffen. Ist man durch seinen Beruf beispielsweise in der Lage Entscheidungen zu treffen, die dazu führen, dass sich am besten mehrere Menschen suffizienter verhalten können? Oder kann man Prozesse so verändern, dass sie dann zu einem Weniger an tatsächlichem Ressourcenverbrauch führen? Kann man der Chefin oder dem Chef vorschlagen, dass Pendler*innen die mit dem Rad oder den ÖPNV zur Arbeit kommen, einen Zuschuss bekommen? Oder kann man seiner Gemeinde vor Ort vorschlagen, die Radwege auszubauen? Politisches Engagement ist meines Erachtens ein Schlüssel für Veränderung, weil es Druck ausübt und potentiell neue Strukturen schafft, in denen sich Menschen leichter umweltgerecht verhalten können. Und wir alle sind mal mehr mal weniger an der Schaffung solcher Umstände und Strukturen beteiligt. Diese Macht der Mitgestaltung zu erkennen und einzusetzen, ist sehr wichtig. Am Besten schließt man sich noch mit Freund*innen, die ein ähnliches Interesse haben, zusammen. Das gibt das Gefühl kollektiver Wirksamkeit und hat große Erfolgsaussichten, weil eben bereits mehr Menschen für eine Sache einstehen.

Das andere ist und bleibt das individuelle Verhalten in den verschiedenen Alltagssituationen – am Regal im Supermarkt, zu Hause vorm PC wenn der nächste Einkauf auf einer Online-Plattform lockt, oder bei der Urlaubsplanung. Auch hier gilt es, die eigenen Bedürfnisse zu überdenken und sich von äußeren Einflüssen, die zum Konsum animieren, ein Stück weit zu befreien. – Und sich selbst Fragen zu stellen, wie: Muss ich meinen Kollegen wirklich (m)einen neuen SUV vorführen? Oder um was geht es mir eigentlich, wenn ich Anerkennung von meinen Kolleg*innen haben möchte? Würden diese mich tatsächlich belächeln, wenn ich mit dem Rad zur Arbeit käme – oder sehen sie mich dann vielleicht sogar als Vorbild und lassen sich anstecken? Ein anderer Aspekt ist auch, dass es bei vielen Konsumgewohnheiten ja gar nicht nur um die ökologischen Kosten alleine geht, sondern auch die privaten und monetären. Will ich wirklich so viel Geld für einen Flug nach Übersee ausgeben? Brauche ich wirklich einen neuen Laptop oder tut es nicht auch ein gebrauchter für weniger Geld? Viele Menschen nehmen Schulden auf sich, um den ganzen Konsum überhaupt erst zu ermöglichen. Das zwingt wiederum an Arbeitsverhältnissen festzuhalten, die nicht erfüllend sind. Das Gefühl zu wenig Geld zu haben, oder unfrei zu sein weil man sich darauf angewiesen fühlt, Einkommen von gewissen Höhen erzielen zu müssen, sind Dinge die unglücklich und auf lange Sicht sogar krank machen. Das hat Forschung zu Themen wie Zeitwohlstand und Wohlbefinden zeigen können. An der Aussage „Weniger ist Mehr“ scheint also schon etwas Wahres dran zu sein – auch wenn Suffizienz genauso heißt: Weniger ist weniger. Punkt.

Und zuletzt ist es wichtig, sich konkrete Pläne zu machen, sich Zeit zu nehmen, zu überlegen, wann, wie, wo, mit welchen Hilfsmittelnkann ich mich suffizienter verhalten. Wie sieht diese konkrete Handlungsalternative aus und was brauche ich, damit ich nicht in alte Muster zurück falle? Das ist wie mit allen Zielen im Leben: Wenn man sie wirklich erreichen will, muss man sich einen Plan dafür machen. 

Deutsche Umweltstiftung: In unserem Schulwettbewerb „Einfach machen – Die Suffizienzdetektive“ haben wir Schüler*innen der Sekundarstufe 1 dazu aufgefordert, ein eigenes Konzept für eine ressourcensparsamere Lebens- und Freizeitgestaltung zu entwerfen. Inwieweit schätzen Sie, sind Kinder im Alter von 10 bis 16 Jahren (fünfte bis zehnte Klasse) bereit, ihr Verhalten anzupassen und damit auf Konsum bzw. Komfort zu verzichten? 

Grundsätzlich sehe ich es so: Junge Menschen sind kreativ und einfallsreich. Wenn ich mir die FridaysforFuture anschaue, sind Kinder um einiges revolutionärer als wir denken und ihnen lange zugetraut haben. Sie sind bereit, die notwendigen Veränderungen selbst mitzutragen (Koos et al, 2019)[1]. Das ist etwas Beeindruckendes und sollte ein Apell an die Erwachsenen sein, die Maßnahmen umzusetzen, die es für eine lebenswerte Zukunft braucht!

Meine Haltung zu Wettbewerben ist allerdings etwas kritisch: Sie bieten zwar die Möglichkeit, sich mit einem Thema auseinander zu setzen, bergen aber die Gefahr durch kurzfristige Anreize, die langfristigere intrinsische Motivation zu unterbinden. Das heißt: Für die Belohnung strengen sich die Kids an, sie fokussieren sich auf das Produkt, aber setzen sich beispielsweise nicht mit den individuellen Hürden in ihrem persönlichen Umfeld auseinander. Das ist aber wichtig, damit die Kinder ihre Ideen zum suffizienteren Leben erfolgreich umsetzen und sich wirksam fühlen. Wichtig wäre es deshalb, Projekte so zu gestalten, dass vorhandenes Interesse und die intrinsische Motivation auch langfristig gestärkt werden.

Ein anderer Aspekt ist, dass Kinder leider oft einen begrenzteren Handlungsspielraum haben. Sie kaufen nicht für die Familie ein oder entscheiden über den Stromanbieter. In Bezug auf umweltgerechtes Leben hat sich im Kontext von Familie gezeigt, dass Rollenmodelle und Vorbilder sehr wichtig sind. Das heißt, Kinder werden die Ideen, die sie – etwa in so einem Wettbewerb – gewonnen haben, leichter umsetzen können, wenn die Eltern beim genügsameren Leben mitmachen. Es kann aber auch sein, dass die Kinder viel Überzeugungsarbeit in ihrem sozialen Umfeld leisten müssen. Sie können ihre Eltern dann herausfordern und anstecken, gemeinsam etwas zu verändern. – Den Mut der Kinder hierfür zu stärken und Ideen zu entwickeln, wie das gehen könnte, sollte Teil eines solchen Projekts sein.


[1]Heyen, D. ; Fischer, C.; Grießhammer, R.; Wolff, F.; Brunn, C.; Keimeyer, F.; Barth, R. (2013), Für eine Politik der Suffizienz, Politische Steuerung als notwendiger Baustein einer suffizienten Gesellschaft. Freiburg, Öko-Institut. Online abrufbar unter: https://www.oeko.de/oekodoc/1837/2013-506-de.pdf

[2]Sebastian Koos und Elias Naumann (2019): Vom Klimastreik zur Klimapolitik. Die gesellschaftliche Unterstützung der „Fridays for Future“-Bewegung und ihrer Ziele. Forschungsbericht. Konstanz: Universität Konstanz. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-2-1jdetkrk6b9yl4.

Über die Interviewpartnerin

Josephine Tröger ist seit Dezember 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der AG Sozial, Wirtschafts- und Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Seit März 2019 ist sie zudem Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Überprüfung des NBS- Gesellschaftsindikators zum Bewusstsein für Biologische Vielfalt sowie Entwicklung eines alternativen Messverfahrens“ am Steinbeis-Transferzentrum Interventions- und Evaluationsforschung.

© Josephine Tröger