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#BAUNIX: Suffizientes Bauen und Wohnen – ein Gastbeitrag von Patrick Zimmermann

Die kürzlich entflammte Debatte um Einfamilienhäuser samt Verbots- und Enteignungsvorwürfen ist ein Paradebeispiel für die Ignoranz gegenüber einer bisher oftmals vergessenen Nachhaltigkeitsstrategie: der Suffizienz. Wenn wir die Klima- und Nachhaltigkeitsziele ernst nehmen wollen, müssen wir unsere Konsum- und Verhaltensweisen auch in unserer gebauten Umwelt hinterfragen und endlich die Frage nach dem rechten Maß ins Spiel bringen.

Nachhaltigkeit in Architektur und Bauwesen

Der Gebäudesektor ist in Deutschland für etwa ein Viertel der Treibhausgasemissionen [1], etwa ein Fünftel des Rohstoffverbrauchs [2] und für 32 Hektar Flächeninanspruchnahme pro Tag verantwortlich [3]. Der Handlungsdruck ist also dementsprechend groß. Bisher lag der Fokus jeglicher Bemühungen in Politik, Forschung und Praxis auf besserer Wärmedämmung (Effizienz) und dem Einsatz von erneuerbaren Energien sowie nachwachsenden Rohstoffen (Konsistenz). Diese technologischen Strategien allein reichen jedoch nicht aus, was u. a. an Rebound-Effekten liegt. Bestes Beispiel hierfür ist die seit Jahrzehnten, aufgrund kleiner werdender Haushalte, mehr Eigentum und dem Remanenz-Effekt, steigende Pro-Kopf-Wohnfläche [4], wodurch Einsparungen durch Effizienz und Konsistenz maßgeblich geschmälert werden [5]. Gleichzeitig stieg die Wohnzufriedenheit nicht [6], was verdeutlicht, dass mehr Wohnungsfläche allein nicht zu mehr Lebensqualität führt.

Abbildung 1: Raumwärmebedarf in KWh pro Kopf und Jahr [4]

Suffizienz in Architektur und Bauwesen

Konträr zu den beiden technischen Nachhaltigkeitsstrategien setzt Suffizienz auf Verhaltensänderungen, „die helfen, innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit der Erde zu bleiben, wobei sich Nutzenaspekte des Konsums ändern“ [7]. Sie zielt auf eine absolute, Reduktion der ökologischen Auswirkungen unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebensqualität. Übersetzt auf das Themenfeld Bauen und Wohnen bedeutet dies einen Planungsprozess, der die ökologischen Limits sowie die Befriedigung der persönlichen Wohnbedürfnisse in den Vordergrund stellt. Obgleich sie in der gebauten Praxis bisher kaum eine Rolle spielt, ist die Suffizienz-Debatte in einer Speerspitze der Fachöffentlichkeit bereits im Gange. Das verdeutlichen z. B. die Suffizienz-Kongresse der db bauzeitung [8] oder des BUND und der HCU [9], Veröffentlichungen, wie die Streitschrift „Verbietet das Bauen“ [10], oder die Neubau-kritischen Positionierungen des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) [11] und der Architects for Future [12], sowie diverse Forschungsprojekte [13].

Suffizienz planen

Entscheidende Stellschrauben suffizienten Bauens und Betreibens von Gebäuden werden bereits in der Planungsphase gestellt. Deshalb braucht es, um den Suffizienzbegriff dort greifbarer zu machen, handhabbare Kriterien und konkret anwendbare Maßnahmen. Einen Vorschlag hierzu liefert die „Suffizienz-Bewertungsmethodik für Wohngebäude“ [14], woraus im Folgenden die wichtigsten Aspekte kurz vorgestellt werden sollen.

Projektentwicklung und Planungsprozess

Schon vor der eigentlichen Planungsphase gilt es die Bedürfnisse der Bewohner:innen durch umfangreiche Bedarfsplanungen und möglichst partizipative Einbindungsprozesse mit einzubeziehen. Schon die Standortwahl hat durch die Verkehrsanbindung und alltäglich zurückzulegende Wege zentralen Einfluss auf ein suffizientes Mobilitätsverhalten.

Gebäudestruktur

Nicht zu bauen bzw. nicht neu zu bauen, ist immer noch die ökologischste Form, weshalb aus Suffizienz-Perspektive ganz klar die Nutzung bestehender Gebäude Priorität hat. Zugleich verändern sich Bedürfnisse, sodass (Um-)Bauten zukünftige Anpassungen ermöglichen müssen, auch um die Akzeptanz experimentellerer Wohnformen zu erhöhen.

Architektur

Wie eingangs erwähnt, ist die Pro-Kopf-Wohnfläche ein maßgeblicher Parameter. Aus Suffizienz-Perspektive sollte diese möglichst nicht 35 m2 pro Person überschreiten. Wichtigste Strategie zum Erreichen dieses Ziels sind flächeneffiziente Grundrisse und gemeinschaftliche Wohnformen, wie z. B. Co-Housing oder klassische Wohngemeinschaften.

Baukonstruktion und Gebäudetechnik

Auch auf baukonstruktiver Ebene und bei der technischen Gebäudeausrüstung (TGA) muss das Prinzip der Einfachheit umgesetzt werden. Dies kann baukonstruktiv z. B. durch monolithische Bauweisen oder einen reduzierten Ausbaustandard erfolgen. Minimalistische und robuste Technikkonzepte, die passive Maßnahmen, Selbstregelungsmechanismen und marginale Komforteinbußen gegenüber Redundanz und maßgenauen Temperaturspektren priorisieren, ermöglichen einen wartungsarmen, unkomplizierten und somit suffizienten Gebäudebetrieb.

Mobilitäts-Infrastruktur

Nicht nur der Gebäudestandort, auch dessen Angebote bei der Mobilitäts-Infrastruktur können ein suffizientes Mobilitätsverhalten der Bewohner:innen fördern. Fahrradfreundliche Mobilitätskonzepte erhöhen die Attraktivität dieses suffizienten Fortbewegungsmittels und durch geminderte Stellplatzschlüssel kann der Individualverkehr weiter reduziert werden.

Gebäudemanagement

Schlussendlich muss sichergestellt werden, dass die Suffizienz-Ansätze aus der Planung auch in der Nutzungsphase beibehalten werden. Solche Maßnahmen reichen von Leerstand-Vermeidungs-Strategien bis hin zu Shared Spaces, zum Beispiel Hobby-Werkstätten oder Bibliotheken, welche die geteilte Nutzung von Gütern als Suffizienzpraktik fördern.

Beitrag der Suffizienz zur ökologischen Nachhaltigkeit

Schlussendlich stellt sich die Frage, welchen Beitrag Gebäude-Suffizienz für die Einhaltung der Klima- und anderer Nachhaltigkeitsziele leisten kann. Eine der wenigen Studien zu dieser Frage kommt zu dem Ergebnis, dass eine reduzierte Pro-Kopf-Wohnfläche und suffizientes Nutzer:innen-Verhalten in Betrieb und bei der Mobilität die Treibhausgasemissionen um 45 % reduzieren [15]. Alleine durch das Weglassen von Tiefgaragen lassen sich enorme Einsparungen erzielen, denn je PKW-Stellplatz wird so viel CO2 emittiert, wie ein:e durchschnittliche:r Deutsche:r pro Jahr verursacht [16]. Auch die Nutzung von bestehenden Gebäuden macht sich in den meisten Fällen bezahlt. Unterschiedliche Studien beziffern die Einsparungen auf bis zu 20 % der THG-Emissionen verglichen mit Abriss und Ersatzneubau [14].

Aussichten

Für einen zielkonformen Fortschritt, hinsichtlich Klimaneutralität und Ressourcenschutz, ist in Architektur und Bauwesen endlich auch die Suffizienz in der Planungs- und Baupraxis zu berücksichtigen. Es gilt durch kritisches Hinterfragen von Konventionen u. a. flächenreduzierte, gemeinschaftliche Wohnformen zu entwickeln und damit Neubau überflüssig(er) zu machen. Neben einem Umdenken der Planer:innen bedarf es politisches Handeln, um solche Konzepte im Mainstream zu verankern. Dazu gehört es z. B. endlich die graue Energie der verbauten Materialien in den gesetzlichen Rahmenbedingungen des Gebäudeenergiegesetzes zu berücksichtigen, Umbau bzw. Sanierungen gegenüber Abriss und Neubau zu priorisieren, Umzüge in bedarfsgerechte(re) Wohnungen zu erleichtern und Leerstand effektiv zu verhindern.

Quellen

[1] Bundesregierung (2020): Klimaschutzbericht 2019 zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 der Bundesregierung. https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klimaschutzbericht_2019_kabinettsfassung_bf.pdf

[2] Umweltbundesamt (2018): Die Nutzung natürlicher Ressourcen. Bericht für Deutschland 2018. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/3521/publikationen/deuress18_de_bericht_web_f.pdf

[3] Destatis (2021a): Online-Plattform der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS), Flächeninanspruch-nahme – Indikator 11.1.a: Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche. https://sustainabledevelopment-deutschland.github.io/11-1-a/

[4] Bierwirth, A. (2015): Strategische Entwicklung eines zukunftsfähigen Wohnraumangebots – ein Suffizienz-Szenario. uwf 23, 49–58 (2015). https://doi.org/10.1007/s00550-015-0355-6

[5] Wuppertal Institut (2016): Kommunale Suffizienzpolitik – Ressourcenschutz vor Ort stärken. https://wupperinst.org/a/wi/a/s/ad/3448

[6] DIW SOEP (2015): SOEP 2013 – SOEPmonitor Household 1984-2013 (SOEP v30), S. 33.

[7] Fischer, C., & Grießhammer, R. (2013): Mehr als nur weniger. Suffizienz: Begriff, Begründung und Potentiale. Öko-Institut Working Paper 2/2013, S. 10.

[8] https://www.db-bauzeitung.de/suffizienz/

[9] Seegelke, K. (2019): Suffizientes Wohnen statt Flachenverbrauch – Wege zu einem nachhaltigen Wohnflachenmanagement [Tagungsband]. BUND, HafenCity Universität Hamburg. https://www.bund-hamburg.de/fileadmin/hamburg/Themen/Flaechenschutz/Fachtagung_Flaechenschutz_2019/2019-03-29_Tagungsbericht_Suffizientes_Wohnen.pdf

[10] Fuhrhop, D. (2020): Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß.

[11] BDA (2019): Das Haus der Erde – politisch handeln. Politische Aufforderungen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land. BDA. https://www.bda-bund.de/2019/08/das-haus-der-erde_bda-position/

[12] Architects for Future Deutschland e.V. (2020). Umfrage der Architects for Future an planende Kolleg*innen zu den Hindernissen beim Bauen im Bestand [Bericht über die Ergebnisse]. https://www.architects4future.de/news/a4f-umfrage-bauen-im-bestand

[13] https://www.ifeu.de/projekt/suprastadt/; https://www.wohnen-optimieren.de

[14] Zimmermann, P. (2018): Bewertbarkeit und ökobilanzieller Einfluss von Suffizienz im Gebäudebereich. Masterarbeit, Technische Universität München.

[15] Pfäffli, K., Nipkow, J., Schneider, S., & Hänger, M. (2012). Grundlagen zu einem Suffizienzpfad Energie Das Beispiel Wohnen. Stadt Zürich Amt für Hochbauten Fachstelle nachhaltiges Bauen.

[16] Lang, W., & Schneider, P. (2017): Gemeinschaftlich nachhaltig bauen – Forschungsbericht der ökologischen Untersuchung des genossenschaftlichen Wohnungsbauprojektes wagnisART.

Über den Autor

Patrick Zimmermann studierte “Gebäudeklimatik“ (B. Eng.) und “Energieeffizientes & Nachhaltiges Bauen” (M. Sc.) an der OTH Regensburg bzw. der TU München. Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Studium arbeitete er als Referent für Klimaschutz & Energiepolitik beim WWF Deutschland. Seit September 2020 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der BTU Cottbus-Senftenberg am Fachgebiet „Entwerfen und Energieeffizientes Bauen“. Dort setzt er sich dafür ein, dass Nachhaltigkeit noch viel stärker in die Architektur-Lehre und Planungspraxis einfließt und promoviert zu Suffizienz-Praktiken, -Potentialen und -Barrieren im Gebäudebereich.