Die meisten von uns kennen es: Der Kleiderschrank platzt wieder einmal aus allen Nähten, obwohl wir viele Teile darin oft nur selten tragen. Zudem steht besonders die Modeindustrie häufig in der Kritik, wenn es um nachhaltige Ressourcennutzung, Umweltverschmutzung oder die oft kurze Lebenszeit der Kleidungsstücke geht. Das 2019 gegründete Start-up UNOWN will mit einem Leasingmodel das System Mode revolutionieren. Wir haben eine der beiden Gründerinnen Linda Ahrens zum Thema suffiziente Mode interviewt.
Deutsche Umweltstiftung (DUS): Auf Ihrer Webseite „UNOWN“ werben Sie mit nachhaltigem Fashion-Leasing. Was genau ist das? Und wie funktioniert das Prinzip?
Linda Ahrens (LA): Wir glauben, dass wir nicht alles kaufen und besitzen müssen, was wir tragen. Unser Leasing-Prinzip macht es möglich, Kleidung wochen- und monatsweise zu leihen. Am Ende schickt man sie in unseren wiederverwendbaren Versandtaschen zurück, wir bereiten sie auf und die nächste Person kann sie leasen.
DUS: Wie sind Sie auf diese suffiziente Idee gekommen?
LA: Wir wollten in der Mode endlich eine Lösung für Kopf und Bauch. Der Kopf sagt doch: Ich will weniger und bewusster konsumieren. Und der Bauch sagt: Ich will was Neues und mich inspirieren lassen. Nachhaltige Modelabels sind deshalb nur ein Teil der Lösung. Für uns ist es entscheidend, dass wir auch das Nutzungskonzept überdenken!
DUS: Nach Ihrer Beschreibung ist Ihr Geschäftsmodell auf die Verlängerung der Lebensdauer von Kleidungsstücken ausgerichtet. Haben Sie hierzu schon Erfahrungswerte wie häufig Kleidung bei Ihnen geliehen wird und wie sich dies tatsächlich auf die Lebensdauer auswirkt?
LA: Ja, wir sammeln permanent Daten zu unserem Modell und messen daran nicht zuletzt den Erfolg. Und glücklicherweise konnten wir auf Grundlage dieser Daten unsere ersten Annahmen über die Lebensdauer schon deutlich erhöhen. Es gibt viele Stücke, die seit Herbst 2019 in unserem System verleast werden und noch immer in einem guten Zustand sind! Von Umfragen wissen wir, dass sie geleaste Kleidungsstücke mind. 1-2 Mal pro Woche tragen. Nach 20 Leasing-Zyklen kann ein Stück also locker 150 Mal getragen worden sein. Statistiken zeigen, dass uns das mit den aller wenigsten Kleidungsstücken in unserem Schrank gelingt! Greenpeace 1 hat bspw. geschätzt, dass bis zu 40% eines Kleidungsschranks nur zwei bis drei Mal getragen werden !
DUS: Sie sagen, dabei geht es Ihnen um Nachhaltigkeit. Für viele ist der Begriff immer noch schwammig. Was bedeutet Nachhaltigkeit konkret für Sie?
LA: Für uns ist ein Baustein für nachhaltigen Modekonsum, Kleidung so lange wie möglich im Umlauf zu halten und möglichst viel „Leben“ aus ihnen zu holen. Ein sehr großer Anteil der Emissionen entstehen nämlich bereits in der Produktion. Tragen wir ein Kleidungsstück lange, dann holen wir aus dem bereits produzierten Kleidungsstück mehr „Leben“ raus. Die Realität ist, wie eben beschrieben, aber komplett anders: Viele Kleidungsstücke werden extrem wenig getragen und schnell vergessen oder weggeschmissen. Genau da setzen wir an!
DUS: Wie stellen Sie sicher, dass die Brands auf Ihrer Plattform wirklich nachhaltig sind und bleiben?
LA: Wir messen uns an der Nutzungsdauer, hier machen wir den Unterschied. Unsere Aufgabe ist es deshalb nicht, permanent die Nachhaltigkeitsstandards unserer Partnermarken zu überprüfen. Ein nachhaltig und fair produziertes Kleidungsstück ist auch nur dann sinnvoll, wenn es lange getragen wird.
Nicht alle unsere Partnermarken sind Fair Fashion und das behaupten wir auch nicht. Wir setzen auf qualitativ hochwertige Marken, die entweder bereits etablierte Nachhaltigkeits-Zertifizierungen haben oder auf dem Weg dorthin sind.
DUS: Es ist nicht neu, dass Kleidung viel Wasser in der Produktion verbraucht. Auf Ihrer Webseite machen Sie Angaben dazu, wie viel Wasser durch das Leihen gespart werden konnte. Wie werden die Wasser- oder CO2-Ersparnisse errechnet?
LA: Eine Beispielrechnung: Eine typische Kund:in bleibt bei uns sechs Monate und hat unsere mittlere Membership „Extended“. Damit kann sie vier Teile gleichzeitig zum Festpreis von 69 € leasen. In der Zeit spart sie gegenüber dem Neukauf 83 % an Wasserverbrauch und 76 % an CO2e-Emissionen ein. Wir rechnen dabei immer den Vergleich von Leasing versus Kauf. Die häufigeren Versandwege im Leasing sind natürlich schon einkalkuliert.
DUS: Sie sprechen gerade den Versand an. Dieser steht ja oft in der Kritik, wenn es um die Nachhaltigkeit geht. Welche Konzepte haben Sie, um den Versand so ökologisch wie möglich zu gestalten? Lohnt es sich z.B. im Vergleich zum Kauf im regionalen Einzelhandel eine Krawatte bei Ihnen zu leihen, wenn wir die Klimabilanz betrachten? Um es konkret zu machen, wie stellen Sie sicher, dass der CO2-Fußabdruck tatsächlich kleiner ist als bei der Neuanschaffung?
LA: Wenn die Krawatte nicht häufig getragen wird, dann ist das Leihen bei uns sicher sinnvoller! Mir ist es wichtig mit einer falschen Annahme zu brechen: Regionale Einzelhandel sind nicht grundsätzlich emissionsärmer als der Onlinehandel! Es fallen ganz andere Fahrtwege, Strom- und Heizkosten, Umschlagzentren etc. ins Gewicht. Das Öko-Institut hat in einer Studie 2 gezeigt: Ein mit dem Auto in der Stadt getätigter Kauf kann einen 3x höheren Fußabdruck haben als ein Online-Kauf inklusive Retoure. Unabhängig von dieser grundsätzlichen Betrachtung setzen wir bei UNOWN aber auch wieder verwendbare Versandtaschen ein, verzichten komplett auf Plastik-Umverpackungen und kompensieren unvermeidbare CO2-Ausstöße. Das spart mindestens 80% an Verpackungsmüll ein!
DUS: Zum Schluss noch eine Frage zur Zukunft der Mode. Wie soll die Modeindustrie Ihrer Meinung nach in 30 Jahren aussehen? Wird es noch endlos Kleidung zu kaufen geben?
LA: Ich erinnere mich an eine Statistik die besagt, dass wir genug Kleidung für die nächsten 50 Jahre hätten, wenn wir ab sofort nichts mehr produzieren würden. So viel Ware liegt nämlich ungenutzt in Lagerhallen und ist auf den Secondhand-Märkten verfügbar. Trotzdem wachsen die Produktionsraten Jahr für Jahr! Ich bin mir sicher, dass die Modeindustrie in den nächsten Jahren stärker klimabesteuert und reglementiert wird, weil sie einen so großen Fußabdruck hat. Und in 30 Jahren werden Zugangsmodelle wie unseres, aber auch andere Kreislaufmodelle (Cradle-to-Cradle) sowieso Normalität sein.
[1] Greenpeace: Wegwerfware Kleidung – Repräsentative Greenpeace-Umfrage zu Kaufverhalten,
Tragedauer und der Entsorgung von Mode: https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20151123_greenpeace_modekonsum_flyer.pdf (Abruf am 26.11.2021)
[2] Süddeutsche Zeitung: Wie klimaschädlich ist der Onlinehandel?: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/online-shopping-co2-klima-laden-1.4429396 (Abruf am 26.11.2021)
ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN
Linda Ahrens ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von UNOWN und dort verantwortlich für die Partnerschaften mit Marken und Marketing. Sie studierte an der University of Oxford und Zeppelin Universität Wirtschaft und Soziologie und leitete zuvor als Strategin Innovationsprojekte für die Beauty-, Mode- und Mobilitätsindustrie.