Was macht uns glücklich? Diese Frage beschäftigt Menschen seit Ewigkeiten. Hinweise auf die Antwort gibt Prof. Dr. Ingo Hamm von der Hochschule Darmstadt im Interview. Der Wirtschaftspsychologe unterscheidet dazu unterschiedliche Motive, die beim Konsum wirken und spricht über die magische Wirkung des Prozentzeichens.
Deutsche Umweltstiftung (DUS): Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Hamm, dass Sie heute für ein Interview zur Verfügung stehen. Sie haben sich mit einer Studiengruppe der Hochschule Darmstadt den Zusammenhang von Glück und Konsum erforscht. Was können wir von ihrer Forschung lernen?
Prof. Dr. Hamm: Ich muss vorwegschicken, dass es ein echt großes Thema ist. Was wir aber in diesen konkreten Projekten und darüber hinaus an interessanten Zusammenhängen aufdecken konnten, ist nicht wirklich überraschend. Aber es ist eine Bestätigung für das, was viele Menschen denken. Und zwar, dass Soziales im Leben einen deutlich positiveren Einfluss wie das Materielle hat, zumindest bei vielen Menschen. Es ist kein universelles Gesetz – es gilt aber für viele Menschen in unserer Gesellschaft, vielleicht auch in Deutschland. Ich habe wenige Erkenntnisse, die über unseren deutschen Sprachraum hinausgehen. Die Studie von 2019 ergab, dass Menschen sich unheimlich gerne mit anderen Menschen treffen, diese unkomplizierten Momente mit anderen Menschen unter anderem in der Familie schätzen und dass sie diese tatsächlich als Glück begreifen. Vielleicht nicht unbedingt in dem Moment als ein euphorisches Glück, aber gerade auch in Rückblick und in der Lebensplanung als etwas, was am meisten glücklich sein verspricht, und das finde ich ganz interessant.
DUS: In der öffentlichen Wahrnehmung wird doch häufig Glück assoziiert mit Häusern, neuen Autos oder Reisen. Wie kommt es zu dieser Wahrnehmung und gibt es letztendlich die Formel für ein glückliches Leben?
Also DIE FORMEL gibt es nicht. Ich fange noch einmal mit den teilweisen materiellen Aspekten von Glück an. Wir haben Möglichkeiten des Konsums, die uns zumindest häufig Glück versprechen. Es gibt da sehr viele Arten von Motiven, die beim Konsum wirken. Man kann unterscheiden zwischen den positiven Wirkungen von Kaufen – im aller weitesten Sinne das Kaufen von Dingen, von Dienstleistungen und von Erlebnissen. Es handelt sich dabei nicht nur um Luxusprodukte. Was hier eher glücklich macht, ist der Umstand, dass es zur Selbsterweiterung beiträgt. Also, dass ich mehr aus mir und meinen Fähigkeiten machen kann.
Produkte, die meine Individualität unterstreichen, mit denen ich meine Einzigartigkeit beispielsweise durch Mode zum Ausdruck bringen kann oder auch der Konsum und das Kaufen als moralischer Ausdruck. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht nur ein beliebiges Produkt kaufe, sondern mit diesem Produkt etwas Gutes tue, oder etwas Schlechtes vermeide. Damit fördere ich eine Denke in der Gesellschaft oder überhaupt ein gesellschaftliches oder wirtschaftliches Leben, das meinen moralischen Überzeugungen folgt. Im Konsumkontext sind dies positiv wahrgenommene Käufe, die ich tätigen kann. (Ich fördere eine Denke in der Gesellschaft oder überhaupt ein gesellschaftliches oder wirtschaftliches Leben was meinen moralischen Überzeugungen folgt.. Wie gesagt nicht nur von Produkten, auch Dienstleistungen und Erlebnisse fallen darunter. Was häufig nicht nachhaltig glücklich macht, sondern nach kurzer Zeit wieder verschwindet an Glücksgefühl, ist das, was wir so üblicherweise kaufen um uns im sozialen Vergleich mit anderen zu messen) Um uns auf einer Art von Statusleiter nach oben zu bewegen und anderen – unter anderem durch den Kauf von teureren Produkten – zu demonstrieren, ich kann mir das leisten, ich kann mir vielleicht auch mehr leisten als andere Menschen. Alle Menschen tun dies. Niemand ist grundsätzlich dagegen gefeit.
Viele Menschen erleben oder erleben eben nicht diese sehr kurzfristig wirkenden Facetten des Konsums, die vielleicht schon im eigentlichen Augenblick oder nur für Minuten oder Stunden wirken. Nach Tagen, nach Monaten fördert dieses Verhalten aber auch dieses noch mehr, noch weiter, noch höher. Das ist letztlich psychologisch nicht förderlich oder gesund.
DUS: Und die Formel für ein glückliches Leben?
Ich würde gerne auf einen anderen Aspekt eingehen, den ich durch meine jüngere Forschung im Arbeitskontext „New Work“ gefunden habe. Und dazu passt dann zufällig diese Frage, die Sie stellen. Ich habe festgestellt, dass heutzutage in der Arbeitswelt häufig von Menschen die Frage nach dem Sinn gestellt wird. Was soll das alles? Macht mich mein Job glücklich oder nicht? Da wird eigentlich dieselbe Frage gestellt, vielleicht noch viel fundamentaler als beim Kaufen oder beim Einkaufen.
Verkürzt dargestellt habe ich herausgefunden, dass vor allem die Selbstwirksamkeit ein wichtiger Faktor ist. Also, wenn ich in einer Arbeit oder durch meine Arbeit, aber auch beim privaten Engagement (Ehrenamt, Hobbys etc.) die Möglichkeit habe, Kompetenzen und Neigungen zu zeigen, zu verwirklichen, und ich dazu auch ein gewisses positives Feedback bekomme, dann ist das ungemein befriedigend. Viele Leute sagen sogar, das macht glücklich. Es macht vielmehr glücklich, als wenn ich mir bestimmte Dinge oder Dienstleistungen kaufe. Ich glaube, das ist der Punkt, wo wir Selbstverwirklichung erfahren können, wenn wir diesen gewissen Fokus auf die Arbeit, Alternativen zur Arbeit im Privatleben oder im Engagement setzten und mit diesem Fokus überlegen, wo wir denn Kompetenzen verwirklichen könnten oder ausleben könnten.
Ganz nebenbei, es zählt auch das Helfen dazu. Anderen Menschen ganz selbstlos mit guten Taten zu helfen, ist eine ungemein und universell wirksame SelbstwirksamkeitserfahrungWir haben dies bei großen Katastrophen, wie z.B. letztes Jahr im Ahrtal festgestellt. Ich war fast überrascht, dass so viele Menschen selbstlos geholfen haben, hingefahren sind, angepackt haben und alle waren unheimlich glücklich und zufrieden dadurch, dass sie einfach nur helfen konnten. Ich glaube, die Selbstwirksamkeitserfahrung des Helfens zählt wahrscheinlich viel mehr als jede Art von käuflichem Konsum.
DUS: Am 25. November ist Black Friday. Wie würden Sie es psychologisch erklären, dass Menschen von diesem Event so angezogen werden?
Ja, das ist vielleicht nicht einmal wahnsinnig psychologisch, sondern teilweise auch ein ökonomisches Verhalten. Und das zählt heute mehr denn je, dass Menschen sparen wollen. Und wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, die schon vorab bekannt ist, und weitestgehend kommuniziert ist, sodass man bestimmte Dinge stark rabattiert bekommt, kann fast niemand dazu nein sagen. Derartige Vorteile – ja mit dieser fast magischen Wirkung eines Prozentzeichens – ergreift man im Alltag fast immer. Das hat eine wahnsinnige symbolische Bedeutung bekommen. Man realisiert kaum noch, was eigentlich die wahren Wertigkeiten sind, oder welche Vergleichspreise es gibt, die ich anderswo auch so bekäme. Sondern da wirkt ja das Prozentzeichen an sich fast schon überzeugend. Das ist dann die Dimension, dass man hier ein Schnäppchen machen will.
DUS: Wir von der Deutschen Umweltstiftung betonen in unserer Arbeit immer wieder den Suffizienzgedanken. „Suffizienz“ steht für ein „Weniger“. Es zielt auf den bewussten Umgang unserer begrenzten natürlichen Ressourcen ab – auf das, was wirklich notwendig ist – ohne auf das gute Leben zu verzichten. Wie sehen sie die Strategie, vielleicht auch in Verbindung mit dem Konsum?
Aus Sicht der Wirtschaftspsychologie kann ich das in einem kurzen Satz zusammenfassen. Es geht nicht um weniger, sondern um weniger mehr.
Das ist das, was in der Psychologie eigentlich eine Rolle spielt. Wir Menschen haben nämlich eine Art Verlustaversion. Alle Menschen – davor kann sich niemand ernsthaft schützen – haben diese fast schon Angst davor oder diese Reflexe etwas abzugeben, von dem, was sie haben. Und Programme zu fahren, um den Konsum zu reduzieren, die sind vielleicht gut gemeint, aber ich glaube, jeder kann sicherlich von sich sagen: in gewissen Punkten des Lebens oder des Alltags habe ich in den eigenen vier Wänden das oder jenes Mal weggeschmissen oder auf ein bisschen verzichtet. Auf Dauer und im großen Stil fällt uns das als Menschen unheimlich schwer. Das ist einfach Psychologie.
Aber zu sagen, ich versuche nicht noch etwas darauf zu packen, diesen Wachstumsgedanken in den Griff bekommen und zu verstehen, dass diese Formen von Wachstum immer mit bestimmten Investitionen psychologischer Art, aber auch von Ressourcenseite her verbunden sind, das muss mal erstmal verinnerlichen. Dann fällt es aber auch leicht zu sagen: Ok, ich kann einen hohen Lebensstandard behalten und ich kann bestimmte Dinge weiter machen. Ich muss sie nicht abgeben und ich muss mein Leben nicht komplett umkrempeln, sondern ich vermeide einfach ein „immer mehr“ und „immer weiter“ und somit auch in mancher Hinsicht nicht nur diesen stetigen oder wachsenden Konsum, sondern vielleicht auch den Wettbewerb. Einen Leistungsgedanken, den ich vielleicht ein bisschen reduziere, der aus einer Mühe heraus kommt, die viele an sich in der Arbeit auch nur noch ungern mitmachen. Das ist so der Kerngedanke von dem, was Sie Suffizienz nennen.
DUS: Zum Abschluss noch eine etwas süffisante Frage. Werden Sie auch bei dem einen oder anderen Angebot am Back Friday zuschlagen?
Nein, eigentlich nicht, ich hätte aber nichts dagegen, wenn ich für die ein oder anderen Weihnachtseinkäufe, die ich schon fest geplant habe, also ich weiß genau wen ich was schenke, wenn ich da das ein oder andere auch günstiger erwerben könnte, dann würde ich auch zuschlagen.
ÜBER DEN INTERVIEWPARTNER
Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie, war McKinsey-Berater, arbeitete in einem internationalen Konzern und folgte schließlich seinem forscherischen Freiheitsdrang. Er hat seitdem zahlreiche Bücher publiziert und unterstützt Menschen und Organisationen beim Wandel der Arbeitswelt.