Die richtige Antwort auf Klimawandel und endliche Ressourcen ist noch nicht gefunden. Statt Effizienz und Suffizienz gegeneinander auszubalancieren, brauchen wir möglichst viel von beidem. Und vor allem eine breite gesellschaftliche Debatte, der sich auch die Entscheider*innen in Politik und Wirtschaft stellen.
Es vergeht kein Tag, in dem wir nicht von neuen Innovationen lesen oder hören, die unsere Welt besser machen sollen. Effizientere Technologien, intelligentere Netze, nachwachsende Kunststoffe. Technologie scheint die Probleme unserer Welt zu lösen.
Aber ist das wirklich so? Trägt die neue App, mit der wir in Echtzeit die Stromproduktion unserer hauseigenen Solaranlage ablesen können, wirklich dazu bei, unsere Gesellschaft ökologischer zu machen? Oder sind die unter unsäglichen ökologischen und sozialen Bedingungen aus der Oberfläche des Planeten gekratzten Seltenen Erden, ohne die es keine Smartphones gäbe, weitaus schädlicher als der Nutzen der darauf laufenden App?
Es ist eine Grundfrage unserer Zukunft, der wir uns stellen müssen – und vor der sich Politik, Wirtschaft und auch viele von uns nach wie vor scheuen: Bekommen wir die Zukunft unseres Planeten mit Technologie in den Griff?
Wettlauf zwischen Hase und Igel
Als die ersten E-Bikes erschwinglich wurden, war der Hype sensationell: Die Mobilität der Zukunft schien erfunden. Smart, praktisch, kostengünstig und regenerativ. Eine echte Alternative zum erdölgetriebenen Pkw.
Wenige Jahre später sieht das Ergebnis ernüchternd aus: Rund 500.000 Elektrofahrräder werden pro Jahr in Deutschland verkauft. Nach vorsichtigen Schätzungen ersetzt nicht einmal eines von tausend tatsächlich einen Pkw. Im Gegenteil: Der Anteil der SUV-Besitzer*innen unter E-Bike Fahrer*innen ist hoch. Am Sonntag die Bikes in den Audi Q5 gepackt, raus ins Grüne und sich eine Stunde lang mit RWE-Kohlestrom durchs Gelände schieben lassen: So sieht manch eine E-Bike-Nutzung in der Praxis aus. Die hohen Herstellungskosten und die nach wie vor wenig umweltfreundliche Batterieherstellung (und Entsorgung!) tun ein Übriges zur problematischen Ökobilanz.
Ja, es gibt auch Menschen, die ihr Auto stehen lassen, um ihr E-Bike zu nutzen. Doch besitzen sie beides. Die Autos werden immer effizienter – aber immer größer und immer mehr. Die Elektrogeräte werden immer effizienter, aber zugleich lösen wir immer mehr Arbeiten elektrisch. Die Heizungen und Dämmungen werden immer effizienter – und die zu beheizenden Wohnflächen immer größer.
Dieser Rebound-Effekt ist wie der Wettlauf zwischen Hase und Igel. Das bestätigen auch alle Statistiken: Wir werden immer effizienter, aber der Verbrauch an Ressourcen und Energie bleibt unverändert hoch. Zu hoch. Und vor allem: Unser Gesellschaftsmodell erzeugt im Rest der Welt einen Sog, dem sich kaum ein Land entziehen kann.
Global gerecht kann aber nur eine Gesellschaft sein, deren Standards sich für alle Menschen weltweit reproduzieren ließen – ohne unser Ökosystem zu überfordern. Und das wäre, bezogen auf unser heutiges Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, schlicht absurd.
Ein Gedankenspiel: Den Status quo retten
Manchmal hilft eine sogenannte Milchmädchenrechnung, also eine eigentlich absurde Kalkulation, durchaus. In unserem Fall sähe sie so aus:
Die globale Wirtschaftsleistung frieren wir auf dem Stand von heute ein. Also kein „Wachstum“ mehr. Nirgendwo. Das würde zwar unser Sozialsystem an die Wand fahren und so ziemlich jeden Regierungschef weltweit in tiefste Depressionen treiben. Aber wir lassen das mal so stehen.
Zweitens halten wir die Weltbevölkerung präzise auf dem Stand von heute. Das ist zwar noch absurder als die erste Bedingung, aber auch hier gilt: Wir glauben einfach daran.
Unter diesen beiden Bedingungen müssten wir die CO2–Emission pro Kopf in den nächsten 40 Jahren mindestens um den Faktor drei reduzieren. In den Industriestaaten bräuchte es den Faktor zehn.
Nehmen wir jetzt die Erfahrungen aus dem Rebound-Effekt hinzu, wird klar, dass Effizienz allein unsere Probleme nicht wird lösen können. Schon gar nicht, wenn wir Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum ebenso in Rechnung stellen wie den wachsenden Wunsch in der Welt nach Wohlstand auf unserem Niveau.
Ohne Zweifel: In der Effizienz steckt viel Potenzial. Allerdings wird sie, rein technologisch betrachtet, keinen Jota zur Lösung unserer Zukunftsprobleme beitragen. Lassen wir Rebound-Effekte zu, hat Effizienz keinen Sinn. Das hat schon Ernst Ulrich von Weizsäcker in seinem Buch „Faktor Fünf“ deutlich formuliert. Das Buch ist ein eindringliches Plädoyer für mehr Effizienz – eingebettet in ein gesellschaftliches Konzept. Leider wird es viel zu oft nur technologisch interpretiert, denn von Weizsäcker sagt deutlich: Ohne gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie zum Beispiel ein Steuersystem, dass Ressourcenverbrauch reguliert, und eine Verteuerung der Energie im Kontext der Effizienzsteigerung geht es nicht.
Die Alternative: Zurück zur Scholle?
Doch dieses Konzept überzeugt längst nicht alle. Viele bezweifeln, dass uns selbst eine Ausreizung aller technologischer Möglichkeiten und eine konsequente Reform unserer Steuer- und Steuerungssysteme den heutigen Lebensstandard halten lässt.
Das „Immer mehr, immer schneller, immer effizienter“ steht zunehmend in der Kritik. Ist Wachstum überhaupt ein Zukunftskonzept angesichts einer aus allen Fugen platzenden Welt? Aus der Natur kennt man den Wachstumsdrang von und in Ökosystemen. Ein Teil der Population wächst immer, häufig so weit, bis er völlig kollabiert. Dieses Schicksal von der Menschheit abzuwenden ist eine Motivation der Postwachstumsbewegung. Niko Paech zum Beispiel wirbt in dieser movum-Ausgabe für einen konsequenten Abschied vom Effizienzdenken. Hier kommt der Begriff der Suffizienz ins Spiel.
Der Begriff wurde im deutschsprachigen Raum 1993 erstmals von Wolfgang Sachs verwendet. Der Soziologe und Entwicklungsökonom erklärte: „Einer naturverträglichen Gesellschaft kann man in der Tat nur auf zwei Beinen näherkommen: durch eine intelligente Rationalisierung der Mittel wie durch eine kluge Beschränkung der Ziele. Mit anderen Worten: die ‚Effizienzrevolution‘ bleibt richtungsblind, wenn sie nicht von einer ‚Suffizienzrevolution‘ begleitet wird.“
Suffizienz wird oft als Gegenteil von Wachstum verstanden. Viele verbinden damit Selbstbegrenzung, Konsumverzicht, Entschleunigung und das Abwerfen von Ballast.
In der Tat hat das Konzept seinen Reiz. Wir wissen heute, dass in den Industriegesellschaften mehr Sozialprodukt kaum mehr Glück und Zufriedenheit auslöst. Mehr ist hier nicht die Frage, eher geht es um die Verteilung des Wohlstands und die Befreiung von Konsumzwängen und Statusdruck.
Wohin würde sich eine Gesellschaft entwickeln, die dem Wachstumskonzept vollständig abschwören würde? Zurück zur Scholle? In ein technologiefreies, idealisiertes, ökologisches Mittelalter?
Spätestens wenn in einer Nation von glücklichen Biobauern ein ernsthaft erkrankter Bürger auf moderne Medizin zurückgreifen muss, stellt sich die Frage nach dem Gesamtkonzept. Ob Handy, E-Bike oder Kernspintomograf – alles ist nicht auf einem Ökohof herzustellen. Dafür braucht es Hochtechnologie, die ohne Gewinnung Seltener Erden, ohne Schwerindustrie, ohne Fabriken, ohne Forschungseinrichtungen, ohne Warentransport, ohne Konzernorganisationen nicht produzierbar ist. Eine Gesellschaft, die – aus guten ökologischen Gründen – auf diese Elemente verzichten (und sie nicht nur an Drittländer auslagern) will, muss sich also der Debatte stellen, ob sie auch auf deren segensreiche Produkte verzichten kann und möchte.
Effizienz kontra Suffizienz: Ein neuer Glaubenskrieg?
Gibt es also nur die Alternative zwischen einer hochindustrialisierten Zukunft im hocheffizienten Wachstumswahn und einer Rückkehr zu einer entindustrialisierten Gesellschaft des Mangels? Gibt es vor dem Hintergrund einer weiter ansteigenden Weltbevölkerung diese Alternative überhaupt? Oder ist der Weg nicht längst vorgezeichnet?
Sicher ist: Wenn wir tatsächlich einen Einfluss auf die Zukunft nehmen wollen, müssen wir die Debatte heute führen. Und wir müssen erkennen, dass weder das Konzept der radikalen Effizienzsteigerung noch die totale Suffizienz die Probleme der Zukunft alleine lösen können. Zudem erscheinen beide Konzepte nur einem winzigen Teil der Menschheit wirklich attraktiv.
Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass die meisten Menschen vor einem solchen Diskurs zurückschrecken. Das aber ermöglicht den Verantwortlichen in Wirtschaft und Gesellschaft, sich dieser Debatte wider besseres Wissen nicht stellen zu müssen. Denn sie haben keine Lösung anzubieten.
Radikale Effizienz und radikale Suffizienz
Mit einer solchen Lösung kann bisher auch niemand überzeugend aufwarten. Es gibt zahlreiche Ansätze. Das Konzept des „Decoupling“ zum Beispiel, also der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch, versucht das Wachstumskonzept zukunftsfähig zu machen. Es ist offizielle EU-Politik. Die praktischen Auswirkungen sind bis dato marginal. Wenig überzeugend sind auch Versuche, Effizienz und Suffizienz gegeneinander auszubalancieren: Wir bräuchten beides. Und beides in seiner radikalst denkbaren Ausprägung. Das aber wäre ein bis heute nicht wirklich überbrückbarer Widerspruch, über den Elmar Altvater in dieser movum-Ausgabe schreibt: „Was mathematisch trivial ist, kann nur gemacht werden, wenn wir Produktions- und Lebensweise nachhaltig und daher radikal verändern.“
Was wir also vor allem brauchen: eine breite gesellschaftliche Debatte, der sich auch die Entscheider in Politik und Wirtschaft stellen. Diese Debatte muss von Anfang an ehrlich und tabufrei sein. Sie muss akzeptieren, dass ein wachtsumsorientiertes „Weiter so!“ geradewegs in den Untergang führt.
Mit dieser Debatte sollten wir beginnen. Heute. Die vorliegende Ausgabe will dazu wichtige Impulse liefern.
Über den Autor
Jörg Sommer ist Publizist, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung und Mitherausgeber des Jahrbuchs Ökologie und der Zeitschrift movum – Briefe zur Transformation.
Die Zeitschrift
movum -Das Debattenmagazin der Umweltbewegung erscheint vier Mal im Jahr, wird vom KlimaJournalistenBüro verlegt und vom Deutschen Naturschutzring (DNR) gefördert. Das gedruckte Heft kann kostenlos bestellt werden. Der Zeitschrift taz.Futurzwei liegt es gratis bei.