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Rezension: „Lust auf Verzicht“

Der Wirtschaftswissenschaftler und Konsumforscher Ingo Balderjahn erkundet in seinem neuen Sachbuch „Lust auf Verzicht“ die gesellschaftliche und wirtschaftliche Rolle von Konsum bzw. Konsumverzicht. Frisch im Oekom Verlag  am 11. Januar 2024 erschienen, bietet es ein aktuelles Portrait des polarisierenden Themas ‚Verzicht‘ als Bestandteil von Klimaschutz. 

Meinungsumfragen zu Umwelteinstellungen zeigen in Deutschland hohe Zustimmungswerte zu Umwelt- und Klimaschutz auf. In der Praxis klafft jedoch häufig eine Lücke zwischen sozial erwünschten Lippenbekenntnissen über das eigene umweltbewusste Konsumverhalten und dem, was am Ende im Einkaufswagen landet – digital oder analog. In diesem Spannungsfeld beleuchtet der Autor, wie Konsumentscheidungen getroffen werden und warum ein sparsam gefüllter Einkaufswagen ein Gewinn für das Gemeinwohl sowie das persönliche Wohlbefinden sein kann.

Der rote Faden

Ausgangspunkt des 216 Seiten starken Buches ist der globale Klimawandel – eine existenzielle Bedrohung für das Leben, wie wir es kennen. Es wird das Dilemma beschrieben, zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum entscheiden zu müssen ­– laut dem Autor ist aktuell nicht beides gleichzeitig möglich. Wenn wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten möchten, ergibt sich daraus, dass eine Reduktion des mit Konsum einhergehenden Umweltverbrauchs unumgänglich ist. Das ist leichter gesagt als getan, findet Balderjahn und skizziert die Entstehung und persönliche Bedeutung von Konsummustern sowie die resultierende gesellschaftliche Verantwortung.

Im Anschluss schlüpft der Konsumforscher in die Rolle eines Ökonomen sowie eines Politikers und beschreibt ein aus seiner Sicht bisweilen verzerrtes Bild der beiden Akteursgruppen von Konsument*innen. Aber wie verhalten sich Konsument*innen wirklich? Was bewegt sie? Und was bedeutet dies für nachhaltigen Konsum? Die Ergründung dieser Fragen führt auf das große Thema des Konsumverzichts hin. Balderjahn beschreibt mögliche Motivatoren, selbstbestimmt auf Konsum zu verzichten und erkundet darunterliegende Werte und Einstellungen. Der Bedeutung des ‚Empowerments‘ auf dem Weg zum Konsumverzicht wird hierbei viel Platz eingeräumt. Doch auch ermächtigte Konsument*innen sind von zahlreichen Barrieren betroffen, die einem nachhaltigen Lebensstil im Weg stehen. Der Autor beschreibt diese Hindernisse ausführlich und liefert im abschließenden Teil des Buches einige Lösungsansätze zu deren Bewältigung.

Die mit aussagekräftigen Titeln untergliederte Kapitelstruktur bietet eine hilfreiche Orientierung, um sich in den Inhalten zurechtzufinden. Der rote Faden führt klar von einer Problemlage und deren Beschreibung hin zu Lösungsansätzen. Dabei zieht sich ein kritischer Tenor gegenüber dem immer noch vorherrschenden normativen Verständnis in der Wissenschaft vollständig rationalen Verhaltens ökonomisch denkender Individuen durch das gesamte Buch.

Perspektiven auf Konsum

Durch seine langjährige Forschungspraxis gelingt es dem Autor, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Konsumentenverhalten in ein größeres Gesamtbild einzubetten. Stilistisch greift er hierbei vielfach auf Wiederholungen inhaltlicher Aspekte in unterschiedlichen Kontexten zurück. Dadurch entsteht einerseits eine Art nuancierter Rundumblick über die verhaltenswissenschaftlichen Hintergründe von Konsum, andererseits liest sich das Buch dadurch streckenweise etwas langatmiger. Sprachlich ist das Buch dennoch gut verständlich, da es keine Fachausdrücke voraussetzt, sondern sie als bewusstes Extra ergänzt und erklärt. Gelegentlich bringt die vereinfachte Ausdrucksart auch zunächst plakativ erscheinende Aussagen hervor, die jedoch anschließend erläutert werden:

„Nur ist die Quelle für Lebensglück nicht der Konsum, sondern der bewusste Verzicht darauf“ (Ingo Balderjahn, S. 137).

Ob Konsumverzicht nun in erster Linie mit persönlichen Vorzügen oder Entbehrungen einhergeht, wird im Buch der individuellen Situation und Wahrnehmung zugeschrieben. Jedoch wird die bereits im Titel erkennbare Einschätzung des Autors, dass ein bewusster Konsum nachhaltig glücklicher machen kann, ausführlich beschrieben und wissenschaftlich untermauert. Trotzdem wird nicht verkannt, dass bewusster Konsum auch seine Schattenseiten im persönlichen Komfort beinhalten kann. Mal stellen Aussagen die Vorzüge, mal die Kosten in den Vordergrund. Mit Lesen des Buches ergibt sich so trotz des lenkenden Titels ein differenziertes Gesamtbild.

Balderjahn legt dar, dass Bürger*innen verstärkt von der Politik gefordert und gefördert werden sollen. Eine politische Kommunikation, die Selbstverantwortung und Selbstbestimmung ermutigt, ist daher gefragt. Das Buch regt seine Leser*innen an, sich der Macht und Verantwortung des eigenen Konsums bewusst zu werden und ihre Dosierung zu reflektieren.

Fazit

„Lust auf Verzicht“ richtet sich an alle Menschen, die offen sind, sich dem Thema Konsum aus einer kritischen, konsumwissenschaftlichen Perspektive zu nähern. Wer sich konkrete Hands-on Inspirationen für einen persönlich bewussteren Konsum erhofft, ist hier an der falschen Adresse. Die Umsetzung des Titels bleibt vorwiegend im abstrakten Bereich. Angehende Leser*innen sollten also Interesse an theoretischen Konzepten und den Erkenntnissen empirischer Studien mitbringen. Verzichtet wird dabei auf sprachlich hochtrabende Abstraktionen im Sinne eines niedrigschwelligen Einstiegs in komplexe Sachverhalte. Wer sich inspirieren lassen möchte, positive Betrachtungsweisen für das unbeliebte Thema Verzicht zu gewinnen, ist hier genau richtig.

Buchinformationen

Autor: Ingo Balderjahn
Titel: Lust auf Verzicht. Warum bewusster Konsum glücklich macht und dem Klima hilft.
Verlag: Oekom
ISBN: 978-3-98726-081-0
Softcover, 216 Seiten
Erscheinungstermin: 11.01.2024