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Mobilität neu denken

Das Auto ist immer noch das beliebteste Fortbewegungsmittel – mal eben zum Bäcker, schnell zur Post und das zu jeder Tageszeit, wann immer es einem verlangt. Es überrascht daher nicht, dass es in Deutschland über 65 Millionen Autos gibt. 

Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamts im Jahr 2020 gaben 68 Prozent der Berufspendler*innen an, bei der Wahl des Beförderungsmittels zuerst auf das Auto zurückzugreifen – auch bei einem kürzeren Arbeitsweg. In einer Umfrage des Verbandes der Automobilindustrie gaben 76 Prozent der Befragten allerdings an, primär das Auto als Transportmittel zu nutzen. Es ist einfach am bequemsten und am schnellsten [6]. Die öffentlichen Verkehrsmittel nutzten hingegen nur 13 Prozent der Erwerbstätigen. Ähnlich sieht es beim Fahrrad als umweltfreundliche Alternative aus: Viele Wege ließen sich auch damit zurücklegen, jedoch fuhr nur jede*r zehnte Erwerbstätige regelmäßig mit dem Zweirad damit zur Arbeit [3,4]. Viele Bürger*innen greifen weiterhin in der Hoffnung auf das Auto zurück, die negativen Aspekte der Fortbewegung zu vermeiden, beispielsweise überfüllte Züge, häufiges Umsteigen oder unnötig längere Fahrtzeiten.

Verkehr einer Großstadt

Eine grundlegende Veränderung dieser Situation ist nicht zu erkennen: Vielmehr gab es bei den privaten Haushalten in den vergangenen zehn Jahre einen Trend zum Zweit- oder Drittwagen: Im Jahr 2010 kamen auf 100 Haushalte noch 102 Autos – im Jahr 2020 waren es ca. 108 Autos [3,4,5]. Verbrennermotoren machen den überwiegenden Anteil des Individualverkehrs aus. Demgegenüber mehren sich Stimmen, die mit Blick auf die deutschen Klimaschutzziele auf den großen Anteil von Kohlenstoffdioxidemissionen aus dem Verkehrssektor verweisen. 

Um die sich verschärfende Klimakrise einzudämmen, braucht es ein radikales, nachhaltiges Umdenken in der Bevölkerung und veränderte Mobilitätsstrukturen. Die Verwendung fossilbetriebener Verkehrsmittel trägt nicht nur dazu bei, die Klimakrise zu verschärfen, sondern verstärkt auch Gesundheitsrisiken, die durch die Emissionen von Stickoxiden, Feinstaub oder Kohlenstoffmonoxid im Straßenverkehr entstehen.

Weniger, ist mehr – auch in der Mobilität?

Eine weitere Herausforderung für eine nachhaltige Zukunft  in einer globalisierten Welt ist der anhaltend starke Konsum. Allerdings haben in den letzten Jahren erfreulicherweise viele Menschen angefangen, ihr Verhalten in dieser Hinsicht zu verändern. Sie achten nicht nur darauf, Ressourcen effektiver zu nutzen und sparsam einzusetzen, sondern auch weniger zu konsumieren.

Dieser Wandel auf der persönlichen Ebene, bei dem ein neues positives Gefühl der Genügsamkeit im Mittelpunkt steht, wird als Suffizienz bezeichnet. Übertragen wir das Konzept auf das Thema Mobilität, sollten wir darüber nachdenken, welcher Mobilitätsbedarf überhaupt nötig ist – und ggf. mit welchen Verkehrsmitteln er am besten gedeckt werden kann. 

Einer Veränderung der Mobilitätsmuster wohnen dabei ebenso positive Seiteneffekte inne, wie die starke Verwendung des PKW negative Implikationen mit sich bringt. Ein Spaziergang an der frischen Luft zum Supermarkt oder die Nutzung des eigenen Fahrrads zur Arbeit reduziert nicht nur die Treibhausgasemissionen, sondern fördert zusätzlich auch noch die eigene Gesundheit. Hinzukommt die voranschreitende Digitalisierung, die es ermöglicht, so manchen Weg überflüssig zu machen. So können nicht nur berufliche Meetings und Events, sondern auch gemeinsame Lerngruppen in der Schule oder Universität virtuell stattfinden. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, was digital möglich ist und welche Chancen sich daraus ergeben können. 

Dennoch sind persönliche Treffen immer noch die schönsten und um dorthin zu gelangen, bieten Sharing-Unternehmen eine gute Alternative zur Anschaffung eines eigenen Autos, Mofa, Motorrads, Fahrrads, Tret- oder E-Rollers. Diese können zeitgemäß und unkompliziert per App genutzt werden können. Stets bedeutet die gemeinsame Nutzung („Sharing“) eine bessere Auslastung vorhandener Güter und schont Ressourcen. 

Die Angebote werden dabei immer vielfältiger und besser verfügbar: Laut den aktuellen Angaben des Bundesverbands Carsharing stehen den Kund*innen dieser Dienste derzeit 26.220 Carsharing-Fahrzeuge zur Verfügung, welche auch immer häufiger genutzt werden [1]. Aber auch die Möglichkeit, sich bei Freund*innen, Bekannten oder der Familie ein Fahrzeug auszuleihen trägt zur Suffizienz bei. Und ist übrigens auch deutlich kostengünstiger.
Für nicht-motorisierte Fortbewegungsmittel wächst das Angebot und wurde jüngst auch um Möglichkeiten erweitert, mit denen auch größere Mengen transportiert werden können, wie das Beispiel der Lastenräder zeigt. Auch hier haben sich gerade in städtischen Regionen diverse Verleihdienste etabliert. 

Aber: Häufig haben vermeintlich ressourcenschonende Aktivitäten einen sogenannten Reboundeffekt. So erscheint beispielsweise das Streamen von Serien umweltfreundlicher als der Kauf von DVDs. Durch die Möglichkeit jederzeit Filme und Serien anzusehen, hat sich jedoch der durchschnittliche Filmkonsum pro Person erhöht – was zu einer Erhöhung im Stromverbrauch führte.

Dieser Effekt lässt sich aber auch in der Mobilität beobachten: Die Anschaffung eines energieeffizienteren Fahrzeugs kann beispielsweise dazu führen, dass Nutzer*innen längere Fahrstrecken zurücklegen (direkter Rebound-Effekt) oder die Ersparnisse für CO₂-intensive Flugreisen verwenden (indirekter Rebound-Effekt).

Effizienzsteigerungen können also bei Menschen zu Nutzungsveränderungen führen und bewirken, dass mögliche Einsparungen beim Einsatz von Ressourcen nicht voll ausgeschöpft werden. [7]

Mobilität im ländlichen Raum – große Hürden aber viele Lösungen

In städtischen Gebieten gehören diese Möglichkeiten mittlerweile zum alltäglichen Leben der Menschen dazu. Im ländlichen Raum ist der eigene PKW oftmals aber weiterhin unabdingbar, da es an Alternativen mangelt. Dort stößt der suffiziente Mobilitätsgedanke ganz schnell an seine praktischen Grenzen: Öffentliche Nahverkehrsangebote wurden ausgedünnt, sind häufig unzuverlässig und wenig attraktiv für jüngere Menschen. Fahrradwege sind, wenn überhaupt vorhanden, schlecht ausgebaut und die Wege sind lang. Als Konsequenz dieser Infrastruktur wird, neben dem ggf. elektrisch unterstützten Fahrrad, das Auto weiterhin die erste Wahl bleiben. Fahrgemeinschaften und der Ausbau des ÖPNV können hier Lösungen darstellen, um die Emissionen im Straßenverkehr zu reduzieren und darüber hinaus den Geldbeutel aufgrund geringerer Benzinkosten zu schonen. 

GREEN – eine Möbilitätstafel für den ländlichen Raum

Dieser Gedanke wird gegenwärtig auch im Projekt GREEN verfolgt. Das Vorhaben wird in Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Umweltstiftung und der Universität Kassel realisiert und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Das Fördervorhaben legt seinen Schwerpunkt auf die Erprobung neuer digitaler Technologien auf der kommunalen Ebene zur Veränderung des Mobilitätsbewusstseins/-verhaltens bei gleichzeitiger Sicherung der individuellen Mobilität. Ziel ist es hierbei, u. a. Instrumente zu entwickeln, die Anreize für die Nutzung emissionsarmer Verkehrsmodi schaffen. Hierzu werden in den teilnehmenden bayrischen Kommunen Schöllkrippen, Mömbris, Kahl am Main und dem sächsischen Netzschkau digital gestützte Mobilitätsplattformen implementiert. Zusammen mit verantwortlichen Entscheider*innen wird ein zentraler Knotenpunkt bestimmt (z. B. ein Marktplatz oder eine örtliche Bushaltestelle), an dem eine digitale Mobilitätstafel angebracht wird.

Mitfahrtafel in einer Pilotkommune in Brandenburg

Sie ist mit einer Online-Anwendung verknüpft, in der Anwohner*innen einmalige und/oder regelmäßige private Mitfahrangebote eingeben können. Diese werden nicht nur in einem Online-Kalender angezeigt, sondern auch auf dem örtlichen Display selbst. Zum angegebenen Zeitpunkt fahren die Inserent*innen zur Mobilitätstafel und sammeln interessierte Mitfahrer*innen ein. So wird zukünftig die Bildung spontaner Fahrgemeinschaften erleichtert. In Kooperation mit lokalen Kulturstätten sollen auf dem Display zudem privat organisierte sowie arrangierte Fahrten zu den teilnehmenden Kulturstätten ermöglicht werden. Ziel ist es, den örtlichen Anwohner*innen einen verbesserten Zugang zu regionalen Kulturangeboten zu ermöglichen.

Technik allein löst das Problem nicht!

Suffizienz lädt uns ein, über unsere Bedürfnisse nachzudenken und diese auf kreative Weise zu befriedigen. Bezogen auf das Thema Mobilität bedeutet das, grundsätzlich über unsere Fortbewegung nachzudenken und zu hinterfragen, welche Wege notwendig sind. Dabei sollte auch betrachtet werden, welchen Mehrwert Entschleunigung bringen kann. Die voranschreitende Digitalisierung hat bspw. neue Möglichkeiten des Austauschs ermöglicht und macht so manche Fahrt überflüssig. 

Ob sich Konzepte wie die Mobilitätstafel im ländlichen Raum bewähren, wird sich zeigen. Es ist noch ein langer Weg, um etablierte Verhaltensroutinen zu ändern und die Mobilität nachhaltiger zu gestalten. Die vielerorts aufkeimenden innovativen Ideen und engagierten Menschen stimmen jedoch hoffnungsvoll, dass dies gelingen kann.

Quellenangaben 

[1] Bundesverband CarSharing, 2021: Aktuelle Zahlen und Fakten zum CarSharing in Deutschland. https://carsharing.de/alles-ueber-carsharing/carsharing-zahlen/aktuelle-zahlen-fakten-zum-carsharing-deutschland

[2] Deutschlandfunk, 2021: Steigende Benzinpreise: Es braucht einen Kulturwandel im Verkehrsbereich. https://www.deutschlandfunk.de/steigende-benzinpreise-es-braucht-einen-kulturwandel-im-100.html

[3] Statistisches Bundesamt, 2021: Pressemitteilung vom 15. September 2021: 68 % der Erwerbstätigen fuhren 2020 mit dem Auto. Abgerufen am 23.11.2021 von https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/09/PD21_N054_13.html

[4] Statistisches Bundesamt (2), 2021: Straßenverkehr: Dominanz des Autos ungebrochen. Abgerufen am 23.11.2021 von https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Verkehr/Auto.html 

[5] Tagesschau, 2021: Zahl der Autos pro Haushalt nimmt zu. Abgerufen am 23.11.2011 von https://www.tagesschau.de/wirtschaft/pkw-zulassung-zunahme-101.html

[6] Verband der Automobilindustrie, 2021: Mobilität und Verkehr – So denkt Deutschland. Abgerufen am 23.11.2021 von https://en.vda.de/de/services/Publikationen/mobilit-t-und-verkehr-%E2%80%93-so-denkt-deutschland.html

[7] Das Umweltbundesamt, 2014: Rebound-Effekte: Ihre Bedeutung für die Umweltpolitik. Abgerufen am 23.11.2021 von https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Forschungsdatenbank/fkz_3711_14_104_rebound_effekte_bf.pdf