Wie können wir die Klimakrise auf demokratischem Wege lösen, und welche Verantwortung fällt dabei auf Deutschland? Was verbindet die Klimakrise mit sozialer Gerechtigkeit? Was sind realistische Maßnahmen in Klima- und Sozialpolitik und welche Auswirkungen könnten diese global haben? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das 2024 vom Club of Rome und dem Wuppertal Institut veröffentlichte Buch „Earth for All – Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“.
Hintergrund
Earth 4 All ist eine internationale Initiative, beauftragt durch den Club of Rome, mit dem Anspruch, ganzheitliche Lösungsansätze zu fördern, welche die Klimakrise, Ressourcenknappheit, soziale Ungleichheiten und vor allem die Verknüpfungen zwischen diesen Herausforderungen betrachten. Mithilfe von Computermodellen werden potenzielle Zukunftsszenarien errechnet. Die 2022 in dem Buch „Earth for All – A Survival Guide for Humanity“ veröffentlichten Ergebnisse stellten zwei mögliche Handlungsvorgehen und deren globale Auswirkungen vor. Der „Giant Leap (GL)“ und „Too Little Too Late (TLTL)“ sind zwei konträre Zukunftsszenarien. Eine radikale Kehrtwende in kurzer Zeit (GL), die zu einem Abschwächen der Klimakrise und Steigern des Wohlergehens führt, oder ein Weiterführen des bisherigen Kurses (TLTL), wodurch Fortschritte zu langsam erzielt werden, um zu einer globalen Transformation zu führen.
Szenarien für Deutschland
Der Bericht „Earth for All – Deutschland“ wendet diese Modellierungen nun auf Deutschland an und will praktische Lösungen spezifisch für den deutschen Kontext liefern. Für ein Gelingen des Giant Leap hin zur „Wohlergehensgesellschaft für alle“ benennt das Buch zunächst grundsätzlich fünf ausschlaggebende und sich beeinflussende Ansatzpunkte: Überwindung der Armut, Abbau von Ungleichheit, Empowerment von Frauen, Gewährleistung von Ernährungs- und Energiesicherheit. Diese werden anschließend nacheinander erörtert und anhand der deutschen Gegebenheiten in den nationalen Kontext überführt. Es wird umfassend erläutert, wieso im deutschen Fall die Überwindung der wachsenden sozialen Ungleichheit [inkl. wachsender (Energie-)Armut] von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Politik gegen den Klimawandel ist und welche Bedeutung einem fehlinterpretierten Freiheitsverständnis an dieser Stelle zukommt, das lediglich egoistische Verhaltensmuster begünstigt.
Wiederkehrende und zentrale Themen sind sodann die globale Verantwortung Deutschlands und seine potentielle Vorbildrolle in der Welt, die Notwendigkeit eines systemischen Wandels anstatt unkoordinierter Einzelmaßnahmen, die Gefahr einer Erosion der politischen Stabilität, die Berücksichtigung von sozialer Gerechtigkeit und Ressourcenverteilung bei klimapolitischen Maßnahmen sowie Möglichkeiten und Grenzen einer nachhaltigen Wirtschaft. Anhand typischer Momente im alltäglichen Leben von fünf Menschen im Jahr 2045 beschreibt das Buch außerdem in kurzen fiktiven Storys an mehreren Stellen die Auswirkungen der Szenarien TLTL und GL. Dies trägt dazu bei, die möglichen Auswirkungen auf der Mikroebene zu versinnbildlichen und fördert die Anschaulichkeit.
Blick auf das Buch durch die Suffizienzbrille
Das Buch verzichtet dabei auf eine dezidierte Unterteilung und separate Betrachtung der drei Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Die entwickelten Ansätze lassen sich jedoch erkennbar den jeweiligen Ansätzen zuordnen bzw. kombinieren diese. Die bisweilen stiefmütterlich behandelte Suffizienz findet dabei erfreulicherweise ebenfalls Beachtung. So wird kontinuierlich die Verantwortung Deutschlands im globalen Kontext hervorgehoben. Da Deutschland als ein Land des globalen Nordens einen entscheidenden Anteil der globalen CO2-Emissionen verursache, sei dementsprechend die Pflicht, zu einer Reduktion dieser beizutragen, höher. Doch auch innerhalb Deutschlands sei nicht jeder gleich verantwortlich.
Das Buch betont, dass die Verantwortung hier eindeutig auf der „Seite des Reichtums“ liege, da weniger Einkommen oft bereits zur sogenannten „Zwangssuffizienz“ führe. Die Autor*innen rufen zu einer deutlichen Reduktion des Konsums in Industrieländern wie Deutschland und in Privathaushalten der Besserverdienenden auf. Hier kommt das Konzept der Suffizienz zum Tragen: Anstatt unendlich zu wachsen und immer mehr zu konsumieren, wird ein Fokus auf „Genug“ und „Weniger“ gelegt. Das Buch betont, dass ein GL nicht ohne Verzicht machbar sei. Ansatzpunkte können laut der Autor*innen in der Vermeidung übermäßig vieler Flüge, dem Konsum billigen Fleischs und der vorrangigen Gestaltung autogerechter Städte liegen. Hierzu brauche es zugleich neue Modelle der Ressourcennutzung und eine Förderung alternativer Lebensstile. Um eine Reduktion des Überkonsums und eine nachhaltige Umverteilung der Ressourcen zu erreichen, schlägt das Buch verschiedene Werkzeuge wie bspw. ein KlimageldPlus vor. Dieses Konzept sieht vor, einen Teil der durch CO2-Steuern eingenommenen Gelder, wieder an alle Bürger*innen zurückzuzahlen, um die sich erhöhenden Kosten, besonders für einkommensschwächere Haushalte, auszugleichen. Obwohl alle den gleichen Betrag erhalten, finde gleichzeitig eine Umverteilung statt, da „Reiche“ aufgrund ihres höheren ökologischen Fußabdruckes tendenziell mehr einzahlen würden, als sie möglicherweise ausgezahlt bekämen. Ärmere Haushalte hingegen würden wegen ihres geringeren Verbrauchs weniger einzahlen, erhielten also anteilig mehr zurück.
Auch bei der Erörterung des Themas einer notwendigen Ernährungswende findet sich der Leitgedanke der Suffizienz. Hier wird erläutert, dass es wichtig sei, sich wieder zu entfernen von dem Konzept der vollen Supermärkte, in welchen alles zu jeder Zeit verfügbar ist. Stattdessen solle ein saisonales und regionales Angebot die Norm sein, worin sich Anschlusspunkte an die Suffizienzforderung einer Entflechtung erkennen lassen.
Eine besondere Rolle spiele Suffizienz schließlich bei der Energiewende. Diese könne nur mit drei zugleich durchgeführten Lösungsstrategien gelingen: einer Steigerung der Energieeffizienz, dem Ausbau erneuerbarer Energien sowie der Förderung suffizienter Lebensstile. Obwohl das Buch die ersten beiden Lösungsstrategien erkennbar höher priorisiert, wird die Unabdingbarkeit von Suffizienz betont. Technisch fokussierte Konsistenz- und Effizienzstrategien allein seien nicht ausreichend, vor allem dann nicht, wenn der Energieverbrauch nicht sinke und weiterhin Energie verschwendet werde.
Doch wie lässt sich Suffizienz erreichen? Auch hierfür bietet das Buch nur indirekt Lösungen an. So brauche es zur Veränderung der gesellschaftlichen Konsummuster nicht nur individueller Verhaltensänderungen, sondern entsprechender politischer Weichenstellungen. Da nicht-nachhaltige Entscheidungen oftmals die bequemeren seien, müsse es die Politik durch gezielte Anreize und Gebote erleichtern, suffiziente Entscheidungen zu treffen (Ermöglichungskultur). Umgekehrt sollten ökologisch nachteilige Entwicklungen, wie etwa ressourcenverschwendender Luxuskonsum, bspw. mittels gezielter Besteuerung unattraktiv gemacht werden. Solche Suffizienzstrategien würden im Kleinen bereits umgesetzt, seien jedoch laut den Autor*innen flächendeckend in allen Themenbereichen notwendig und müssten sich in ein kohärentes Gesamtdesign fügen.
Fazit
Das Buch „Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“ ist definitiv eine lesenswerte Publikation. Mit ausführlichen Erklärungen, vielen Beispielen und zahlreichen Belegen wird überzeugend argumentiert, dass wir vor großen ökologischen und sozialen Herausforderungen stehen, ohne jedoch das Gefühl einer Ausweglosigkeit zu nähren. Vielmehr entsteht bei der Lektüre des Buchs trotz der klaren Darstellung der akuten Probleme insgesamt ein positiver Eindruck von Machbarkeit. Es wird jedoch eines raschen und tiefgreifenden Umdenkens in Politik und Gesellschaft brauchen – angefangen bei Beiträgen eines jeden Einzelnen. Die Autor*innen machen dazu am Ende Vorschläge, wie diese aussehen können und schließen mit den passenden Worten: „Wir können gemeinsam handeln, für eine Welt für alle.“
Buchinformationen
Autor*innen: Manfred Fischedick, Peter Hennicke, Till Kellerhoff, Monika Dittrich, Hans Haake, Lena Hennes, Jacqueline Klingen, Nathalie Spittler, Oliver Wagner sowie Ilona Koglin und Marek Rohde
Titel: Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle
Herausgeber*innen: Club of Rome, Wuppertal Institut
Verlag: oekom
ISBN: 978-3-98726-111-4
Softcover, 320 Seiten
Erscheinungstermin: 14.10.2024