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Mobilitätssuffizienz: Möglichkeiten zur Treibhausgasreduktion – ein Gastbeitrag von Markus Profijt

Foto: Timelynx / Pixabay

Laut Klimaschutzplan will die deutsche Bundesregierung die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 80-95 % bezogen auf 1990 senken (BMUB, 2016, S. 7). Als wesentlicher Verursacher mit einem Anteil von 18,4 % emittiert der Verkehrssektor, diesem Plan konträr, im Jahr 2016 sogar 2 Mio. t Treibhausgase mehr als 1990 (UBA, 2017, S. 1 u. 4). Da technische Errungenschaften der letzten 26 Jahre hier keine Minderung herbeiführen konnten, stellt sich die Frage, ob ein geändertes Konsumverhalten dieses erreichen kann.

Als Nachhaltigkeitsstrategie kann die Suffizienz durch verändertes oder reduziertes Konsumverhalten und einen daraus resultierenden verringerten konsuminduzierten Ressourcen- und Umweltverbrauch die Schädigung der Umwelt vermindern. Als Lösungsbeitrag bisher wenig betrachtet wurde die Anwendung der Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz auf das Mobilitätsverhalten. Eine Literaturrecherche ergab drei Möglichkeiten des suffizienten Mobilitätskonsums, die Inhalt der folgenden Arbeitsdefinition wurden.

Mobilitätssuffizienz ist eine Nachhaltigkeitsstrategie, die durch individuell genügsamen Mobilitätskonsum zu einer reduzierten Schädigung der Umwelt in Form von Ressourcen- und Energieverbrauch führt. Dafür stehen drei Handlungsoptionen zur Verfügung:

  • Wege mit verhaltensbedingt geringerem Emissionsfaktor zurücklegen
  • Wegelänge verkürzen
  • Wegeanzahl verringern

Treibhausgasreduktionspotenzial

Was kann Mobilitätssuffizienz zur Treibhausgasreduktion beitragen? Abbildung 1 zeigt das in der Fallstudie ermittelte Reduktionspotenzial. Im Durchschnitt erreichten die Proband*innen eine Minderung der Treibhausgase um 63,2 % im Vergleich zu Personen gleichen Geschlechts und gleicher Lebensphase. Selbst die sieben Teilnehmer*innen, die als Hauptverkehrsmittel (HV) ein Auto benutzten, schafften im Schnitt eine 41 %-ige Reduktion. Darüber hinaus zeigte das zum Vergleichsmaßstab emissionsniedrigste Proband*innendrittel, dass die Anforderung des Klimaschutzplans der deutschen Bundesregierung für 2050 im Bereich der Mobilität bereits heute zu erreichen ist. Ohne den Einsatz innovativer Effizienz– und Konsistenztechnik verursachten diese elf Proband*innen um 89,9 % geringere CO2eq Emissionen allein durch ihr individuelles Konsumverhalten.

Abb. 1: Mögliche CO2eq Reduktion durch Mobilitätssuffizienz

Quelle: Daten aus MiD 2008 für Kernstädte ohne Flüge (Follmer et al., 2010, TREMOD 5.62 (UBA, 2016) und o.g. Fallstudie; eigene Berechnung und Darstellung

Dass die Proband*innen zur Realisierung der Treibhausgasreduktionen nicht etwa zu Hause geblieben sind und auf Mobilität verzichtet haben, zeigt eine detaillierte Betrachtung der drei Handlungsoptionen aus der obigen Definition. In Abbildung 2 bilden die drei Umweltwirkungsparameter zur Berechnung der Treibhausgasemission gleichzeitig die drei Möglichkeiten zum suffizienten Mobilitätskonsum ab. Da diese in der Formel als Multiplikatoren verbunden sind, multipliziert sich die Wirkung bei kombinierter Nutzung.

Abb. 2: Formel zur Berechnung der Umweltwirkung der Mobilität

Quelle: Formel (Lambrecht et al., 2013, S. 65); eigene Auslegung und Darstellung




Abbildung 3 konkretisiert die Berechnung mit den für eine Probandin erfassten Werten. Der Vergleich mit den Durchschnittswerten von Personen gleichen Geschlechts und gleicher Lebensphase in Deutschland zeigt, dass selbst bei fast doppelt so hohen Mobilitätsaktivitäten (183,7 %) der für 2050 geplante Zielkorridor des Klimaschutzplanes erreicht wird, wenn die Wege mit verhaltensbedingt geringeren Treibhausgasemissionen (17,6 %) zurückgelegt werden und kurz genug sind (18,3 %).

Abbildung 3: Rechenbeispiel Handlungsoptionen der Mobilitätssuffizienz

Quelle: Formel  (Lambrecht et al., 2013, S. 65); eigene Auslegung, eigene Erfassung, Auswertung und Darstellung; Ungenauigkeiten resultieren aus Rundungsdifferenzen; Probandin_06

Handlungsoptionen

Insgesamt machen die Proband*innen von der Handlungsoption weniger Wege kaum Gebrauch, so dass sie die dargestellten Treibhausgasreduktionen ohne Minderung der Mobilitätsaktivitäten erreichen. Wie Abbildung 4 zeigt, war der durchschnittliche Weg der Proband*innen mit 6,3 km um 30 % kürzer als sonst in Wuppertal üblich. Das ist kein Zufall. Knapp die Hälfte der Proband*innen integriert gezielt Einkäufe oder Erledigungen in Wegeketten oder in einen Arbeits- oder Freizeitweg. Über ein Drittel der Proband*innen haben Wohn- oder Arbeitsort bewusst für einen kurzen Weg zur Arbeit und/oder zum Einkaufen gewählt. Von einigen Proband*innen wird der Zeitgewinn als Argument für kurze Wege hervorgehoben.

Abbildung 4: Durchschnittliche Wegelänge nach Wegezwecken

Quelle: (Hoppe & Woschei, 2012, S. 7 u. 32), Daten wurden nur für Normalwerktage erhoben; Suffizienzprobanden [Mo.-Fr.] eigene Erfassung, gerundete Werte und gesamt eigene Darstellung

Die Nutzung der Handlungsoption Wege mit verhaltensbedingt geringerem Emissionsfaktor zurücklegen zeigt Abbildung 5. Die Proband*innen sind 2,6 Mal seltener im Kfz unterwegs als der durchschnittliche Wuppertaler, dafür aber 2,7 Mal so häufig im Umweltverbund. Ein Drittel der Studienteilnehmer*innen gibt die Umweltfreundlichkeit des Verkehrsmittels als wesentliches Entscheidungskriterium an.

Abbildung 5: Modal-Split nach Verkehrsaufwand

Quelle: (Hoppe und Woschei 2012, S. 7 u. 29); Daten wurden nur für Normalwerktage erhoben; Kfz Fahrer Wuppertal beinhaltet 0,8 % motorisiertes Zweirad, Fahrrad Suffizienzprobanden beinhaltet 4,1 % Pedelec; Suffizienzprobanden [Mo.-Fr.] eigene Erfassung, gerundete Werte und gesamt eigene Darstellung

Motive

Welche Motivation führt zur Mobilitätssuffizienz? Nur eine Probandin sagt, sie besitze aus Kostengründen kein Auto, 27 Proband*innen haben ein ÖPNV-Abo. Konsumverweigerung und Geldmangel waren nicht als ausschlaggebende Gründe festzustellen. Stattdessen sagen zwei Drittel der Proband*innen, dass sie mit ihrer Art der Mobilität Lebensqualität gewinnen. Knapp ein Drittel der Proband*innen sagt, dass ihnen das Auto nicht fehlt oder sie es gar als Ballast sehen und die Autofreiheit genießen. Zwei Dritteln der Studienteilnehmer*innen bringt dieNutzung des Umweltverbundes Lebensqualität, sie resultiert entweder aus der Bewegung beim Radfahren und Zufußgehen oder aus der Freizeitqualität der Wege bei der ÖPNV Nutzung. Dort werden die Proband*innen chauffiert und können die Zeit nutzen zum Lesen, für Sozialkontakte, Landschaftsbeobachtung und sich „baumeln lassen“.

Wie kann man  den Studienteilnehmer*innen die Mobilitätssuffizienz erleichtern? Während nur 37 % der Deutschen 2010 innerhalb einer Woche mit wechselnden Verkehrsmitteln (Rad, öffentlicher Verkehr und/oder motorisierter Individualverkehr) unterwegs waren (Zumkeller et al., 2011, S. 57), waren dies bei den Proband*innen 81 %. Sie entschieden sich situationsspezifisch je nach Ziel, Wetter, Entfernung, zur Verfügung stehender Zeit oder Transportbedarf für das jeweils passende Verkehrsmittel oder deren Kombination. Zur Reduktion des dabei entstehenden Organisationsaufwandes wünscht sich die Hälfte der Proband*innen ein Verkehrsmittel übergreifendes Mobilitätssystem, das vorhandene Angebote räumlich (Umstiegspunkte) und digital (eine App für alles) zu einer integrierten Dienstleistung (Information, Buchung und Abrechnung) verknüpft. Dazu gehören nach Probandenwunsch auch Carsharing mit Standorten, die ca. 400 m vom Wohnort liegen, sowie ein System, das Mitfahrgelegenheiten vermittelt. Erst dadurch entsteht eine lückenlose Alternative zum eigenen Auto, welches meist die höchste Treibhausgasemission verursacht.

Mobilitätssuffizienz benötigt Angebote, sei es das beschriebene Mobilitätssystem, einen ausgeprägten ÖPNV oder die Infrastruktur von Rad- und Fußwegen. Als positives Beispiel schafft die Nordbahntrasse, eine im Jahr 2014 eröffnete 23 km lange Strecke, die abseits des Autoverkehrs für Radfahrer und Fußgänger quer durch Wuppertal führt, Möglichkeiten zur Mobilitätssuffizienz. Auf Grundlage einer repräsentativen Zählung wurde die Nutzung der Nordbahntrasse durch über 2 Mio. Menschen bereits für das Jahr nach ihrer Eröffnung prognostiziert (Behrens, ohne Jahr), und die Hälfte der Studienteilnehmer*innen schätzt ihren Wert für die eigene Selbstbeweglichkeit.

Fazit

Wie das Vorstehende zeigt, kann Konsumreduktion oder -verlagerung auch im Bereich der Mobilität sofort – ohne weiteres Warten auf technische Innovationen – zur Reduktion des Umweltverbrauches führen. Dabei benötigt suffizientes Verhalten im untersuchten Bereich der Alltagsmobilität keinen Aktivitätsverzicht und kann einen Zuwachs an Lebensqualität mit sich bringen, der nach Linz (2002, S. 13) einen gesellschaftlichen Wandel zu mehr Suffizienz erst ermöglicht.

Es ist an der Zeit, als Beitrag zur Lösung von Umweltproblemen mehr Suffizienz zu nutzen. Dazu benötigt es weitergehende Forschung, die den nicht repräsentativen Geltungsbereich der o.g. Ergebnisse auf breiterer Datengrundlage absichert und weitere Konsumbereiche betrachtet.

Design der Fallstudie

Mit einer gemischt quantitativen und qualitativen explorativen empirischen Forschung mit Fragebogen, Wegetagebuch und Interview wurden das spezifische Mobilitätsverhalten und der Bedarf suffizienz-orientierter Konsument*innen an für sie hilfreicher Infrastruktur und zusätzlichen Mobilitätsangeboten ermittelt. Als mobilitätssuffizient galten die 32 Proband*innen aufgrund ihrer – mit einem einwöchigen Wegetagebuch ermittelten – Alltagsmobilität, die zu unterdurchschnittlichen Treibhausgasemissionen im Vergleich zu Personen gleichen Geschlechts und gleicher Lebensphase führte. Die Vergleichsdaten entstammen der Verkehrsbefragung Wuppertal 2011 (Hoppe & Woschei, 2012) und MiD 2008 für Kernstädte >100.000 Einwohner*innen (Follmer et al., 2010). Ausgewählt wurden nur Proband*innen, die angaben, hauptsächlich Verkehrsmittel des Umweltverbundes zu nutzen. Sie wohnten in Wuppertal mit guter Nahversorgung und einem guten ÖPNV-Angebot. Trotzdem unterschieden sich die Proband*innen im jeweils genutzten Hauptverkehrsmittel: Fuß [7 Teilnehmer], Fahrrad [8 TN], ÖPNV [10 TN] und PKW [7 TN]. Dabei verfügten 27 Studienteilnehmer*innen über ein  ÖPNV-Abo und 20 hatten mindestens einen Pkw im Haushalt zur Verfügung. Auf Nachfrage gab nur eine Teilnehmerin an, aus Kostengründen kein Auto zu besitzen.

Literaturverzeichnis

  • Behrens, D. (econex verkehrsconsult gmbh, Hrsg.). (ohne Jahr). Nordbahntrasse Wuppertal: Rund 90 Millionen Nutzer in 30 Jahren. Zugriff am 16.04.2019. Verfügbar unter https://www.econex.de/index.php/aktuelles-leser/nordbahntrasse-wuppertal-rund-90-millionen-nutzer-in-30-jahren.html
  • BMU. (November 2016). Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung. Zugriff am 16.04.1019. Verfügbar unter https://ec.europa.eu/clima/sites/lts/lts_de_de.pdf
  • Follmer, R., Gruschwitz, D., Jesske, B., Quandt, S., Lenz, B., Nobis, C. et al. (2010). Mobilität in Deutschland 2008 [MiD 2008]. Ergebnisbericht Struktur – Aufkommen – Emissionen – Trends (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Hrsg.). : Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH; Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. Zugriff am 16.04.2019. Verfügbar unter http://www.mobilitaet-in-deutschland.de/pdf/MiD2008_Abschlussbericht_I.pdf
  • Hoppe, R. & Woschei, K. (2012). Verkehrsbefragung 2011. Stadt Wuppertal – Bericht. Verkehrsbefragung zum werktäglichen Verkehrsverhalten der Bevölkerung in Wuppertal 2011 (Stadt Wuppertal, Hrsg.). : Planungsgesellschaft Verkehr Köln. Zugriff am 19.01.2018. Verfügbar unter https://www.wuppertal.de/rathaus/onlinedienste/ris/vo0050.php?__kvonr=14290&voselect=8464
  • Lambrecht, U., Helms, H. & Dünnebeil, F. (2013). Steigende Umweltanforderungen – Was bedeutet dies für den Verkehr? In K. J. Beckmann & A. Klein-Hitpaß (Hrsg.), Nicht weniger unterwegs, sondern intelligenter? Neue Mobilitätskonzepte (S. 59–77). Berlin: Dt. Inst. für Urbanistik.
  • Linz, M. (2002) Warum Suffizienz unentbehrlich ist. In Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH (Hrsg.), Von nichts zu viel: Suffizienz gehört zur Zukunftsfähigkeit (S. 7–14).
  • UBA. (2016, 18. März). Vergleich der Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Personenverkehr – Bezugsjahr: 2014. TREMOD 5.62. Zugriff am 21.03.2016. Verfügbar unter http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/bilder/dateien/vergleich_der_emissionen_einzelner_verkehrsmittel_im_personenverkehr_bezugsjahr_2014.pdf
  • UBA. (2017). Klimabilanz 2016: Verkehr und kühle Witterung lassen Emissionen steigen. Zugriff am 16.04.2019. Verfügbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/dokumente/pm-2017-09_thg-nahzeitprognose_2016.pdf
  • Zumkeller, D., Kagerbauer, M., Streit, T., Vortisch, P., Chlond, B. & Wirtz, M. (2011, 02. Dezember). Deutsches Mobilitätspanel (MOP) wissenschaftliche Begleitung und erste Auswertung. Bericht 2011: Alltagsmobilität & Tankbuch. Zugriff am 16.04.2019. Verfügbar unter http://mobilitaetspanel.ifv.kit.edu/downloads/Bericht_MOP_10_11.pdf
Über den Autor
© Markus Profijt

Markus Profijt studierte Betriebswirtschaftslehre und Umweltwissenschaften und promovierte als externer Doktorand im Forschungsverbund des Wuppertal Instituts mit der Bergischen Universität Wuppertal am Fachzentrum Verkehr zum Doktor der Ingenieurwissenschaften.

Beim vorliegenden Text handelt es sich um Ergebnisse der Dissertation des Autors, die im oekom verlag unter dem Titel „Mobilitätssuffizienz. Grundlagen – Messung – Förderung” erschienen ist.

Das Buch ist als kostenlose PDF-Version auch hier erhältlich.