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Mobilität teilen – Ressourcen sparen

Trotz aller Bemühungen stellt uns der Verkehrssektor weiterhin vor ökologische Herausforderungen. Befürworter*innen der E-Mobilität versprechen sich nun von der Elektrifizierung des Verkehrs die Problemlösung. Doch ist ein „weiter so“ die Lösung oder braucht es ein grundsätzliches Umdenken? Eines, das nicht nur die rurale Mobilität stärkt, sondern zugleich den sozialen Zusammenhalt fördert. Wie dies gelingen kann, zeigt ein Projekt der Deutschen Umweltstiftung in Partnerschaft mit der Universität Kassel. Über eine digitale Mobilitätstafel können Bürger*innen Fahrgemeinschaften bilden und Hilfsangebote organisieren.

Projektleiter Michael Golze der Deutschen Umweltstiftung bei der Eröffnung der Mobilitätstafel in Kahl am Main.

In den vergangenen zehn Jahren wuchs die Anzahl zugelassener PKWs in Deutschland stetig. 2021 besaßen von 1000 Einwohner*innen im Schnitt 580 ein Auto, 2011 hatte die Pkw-Dichte bundesweit noch bei 517 gelegen. 

Trotz der öffentlichen Debatte über die Verkehrswende wird die Anzahl der PKWs auch zukünftig steigen. Sicherlich: Mit dem absehbaren Ende des Verbrennungsmotors werden diese zukünftig mit anderen Energiequellen – insb. elektrisch – betrieben werden (müssen). In der ersten Jahreshälfte 2022 betrug der Anteil von Autos mit ausschließlichem Elektroantrieb bei den Zulassungen bereits 13,6 Prozent oder in absoluten Zahlen ausgedrückt: 356.000 [7, 8]. 

Um das Ziel der Dekarbonisierung des Verkehrs zu erreichen, wird aus Sicht der Politik diese Zahl schnell ansteigen müssen. Immerhin sollen bis 2030 16 Millionen Verbrenner durch Elektroautos ersetzt werden [10]. 

Sind Elektroautos wirklich die Lösung?

Aber lösen Elektroautos wirklich die derzeitigen Probleme der Infrastruktur und die ökologischen Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht? Durch eine Substitution von Verbrennern mit Elektroautos wird es weder weniger Staus in der Rush Hour geben, noch wird der Platzmangel in den Städten und Gemeinden verringert, denn auch Elektroautos benötigen Parkplätze. Einen Betrag zur Verminderung der Nutzungskonkurrenz verschiedener Verkehrsteilnehmer*innen leisten sie nicht. Vielmehr droht auch weiterhin eine Überlastung der Straßen.

Außerdem, wenn bis 2030 16 Mio. E-Autos auf deutschen Straßen rollen sollen, bedeutet es auch, dass diese produziert werden müssen. Die Herstellung elektrobetriebener Pkws verbraucht große Mengen an Ressourcen. Diverse seltene Erden werden u. a. für den Bau der Akkus gebraucht. Ihr Abbau findet zumeist unter menschenrechtlich kritischen Bedingungen statt und stellt eine ökologische Belastung dar [1, 2].

Out of the box gedacht

Dieser kurze Exkurs zeigt, dass unsere Probleme im Verkehrsbereich mitnichten nur durch einen Wechsel von Benzin zu Strom gelöst werden. Erfolgversprechender scheint es, individuell und gemeinsam als Gesellschaft umzudenken und neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen. Diese sollten nicht nur die Mobilität der Menschen sicherstellen, sondern auch vereinbar mit den ökologischen Grenzen unseres Planeten sein. Die Idee der Suffizienz, also die kritische Auseinandersetzung mit der Frage, welche Güter und Lebensweisen ein erfülltes und sinnstiftendes Leben ermöglichen, bietet an dieser Stelle wertvolle Anregungen.  

Sie lädt uns nicht nur dazu ein, die Notwendigkeit etablierter Verhaltensweisen oder den Mehrwert vermeintlich essenzieller Dinge kritisch zu hinterfragen, sondern betont zugleich auch die bisweilen vergessenen Vorzüge von Alternativen. 

Suffizienz – nur eine Möglichkeit in der Stadt?

Dies gilt grundsätzlich sowohl in den Städten als auch auf dem Land. Allerdings besteht ein wichtiger Unterschied: In vielen urbanen Räumen gibt es bereits heute eine Reihe alternativer Angebote, um die eigene Mobilität nachhaltiger und suffizienter zu gestalten. Aufgrund der vielfach kurzen Wege spielen Fahrräder dabei eine zentrale Rolle. Der Wechsel vom PKW auf das Bike schont nicht nur Ressourcen, sondern fördert die Gesundheit und – zugegebenermaßen an sonnigen und warmen Tagen stärker – das persönliche Wohlbefinden. Gemeinsam von der Hausgemeinschaft angeschaffte Sharing-Räder entrümpeln überfüllte Keller und gemeinsame Reparaturwochenenden fördern den sozialen Zusammenhalt. Größere Distanzen lassen sich problemlos mit Bus und Bahn in regelmäßiger Taktung erreichen und falls es doch mal ein Auto sein muss, stehen diverse Sharing-Anbieter schon bereit. 

Vergleichbares ist aufgrund der weiteren Distanzen auf dem Land trotz der rasanten Zunahme von E-Bikes nach wie vor schwierig umsetzbar. Zudem ist mit dem ÖPNV auch die zweite Alternative zum eigenen PKW in vielen ruralen Gebieten keine brauchbare Alternative (mehr), da sie schlicht unzureichend verfügbar ist. Häufig verbleibt das Auto somit als letzte Option [4, 5, 6]. 

Fahrgemeinschaften zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts

Wie man aus dieser vermeintlichen Not eine Tugend macht, zeigt eindrucksvoll die gemeinsam von der Deutschen Umweltstiftung und der Universität Kassel entwickelte Mobilitätstafel.

Sie wird aktuell in den drei bayrischen Gemeinden Schöllkrippen, Mömbris, Kahl am Main sowie dem sächsischen Netzschkau erprobt und erlaubt es Bürger*innen kostenlos Mitfahrangebote einzustellen und/oder wahrzunehmen. Dank der privaten Initiative der Bürger*innen entsteht auf diese Weise nicht nur eine bessere Anbindung an den ÖPNV in größeren Ortschaften und ein dichteres Mobilitätsnetz. Es werden außerdem doppelte, ressourcenintensive Wege und unnötige Alleinfahrten eingespart. Dies ist im Einklang mit der Forschung, die gerade in ländlich geprägten Räumen in der Bündelung von Autofahrten einen wirksamen Hebel zur Senkung von umwelt- und klimaschädlichen Emissionen sieht [4,9]. 

Weitere Funktionen auf der Mobilitätstafel unterstützen diese Stärkung des sozialen Zusammenhalts: So können Kulturschaffende auf aktuelle Veranstaltungen hinweisen und Fahrgemeinschaften organisiert werden, Mitbringangebote und -gesuche inseriert werden und Bürger*innen kostenlose Hilfsangebote auf der Plattform einstellen. 

Autos und Kompetenzen auf freiwilliger Basis teilen und einander helfen – auf diese Weise fördert die Mobitafel die Lebensqualität im ländlichen Raum. Sind Sie nun neugierig geworden, wie sie im Detail funktioniert? Dann schauen Sie sich doch einfach einmal an: Zur Mobitafel.

Quellen

[1] BGR (2021): Seltene Erden. Informationen zur Nachhaltigkeit. In: https://www.bgr.bund.de/DE/Gemeinsames/Produkte/Downloads/Informationen_Nachhaltigkeit/seltene_erden.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt aufgerufen am 09.12.2022). 

[2] BMUV (2020): Ressourcenbilanz: Welchen Rohstoffbedarf haben Elektroautos?. In: https://www.bmuv.de/themen/luft-laerm-mobilitaet/verkehr/elektromobilitaet/ressourcenbilanz (zuletzt aufgerufen am 09.12.2022).

[3] Europäisches Parlament (2019): CO₂-Emissionen von Pkw: Zahlen und Fakten (Infografik), in: https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20190313STO31218/co2-emissionen-von-pkw-zahlen-und-fakten-infografik (zuletzt aufgerufen am 07.12.2022).

[4] Kühl, Jana (2020): Gemeinsam fahren als Beitrag zur Mobilitätswende in ländlichen Räumen? Empirische Hinweise auf Potenziale und Grenzen, in: Tagungsband MobilEr 2020, Melanie Herget (Hrsg.), Braunschweig. 

[5] Schering, Johannes/Sandau, Alexander/Jahns, Martina/Samland, Ute/Theesen, Cedrik 2020: Mitfahren als Schlüssel zur Lösung von Mobilitätsproblemen im ländlichen Raum, in: Tagungsband MobilEr 2020, Melanie Herget (Hrsg.), Braunschweig. 

[6] Schröder, Annika (2021): Fahrradstraßen 2.0: Mehr Raum und Aufmerksamkeit für den Radverkehr in Münster. In: Deutscher Verband für Angewandte Geographie (DVAG), 2021, 45, 77-82.

[7] Statistisches Bundesamt (2022a): Presse. Pkw-Dichte im Jahr 2021 auf Rekordhoch, in: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N058_51.html (zuletzt aufgerufen am 07.12.2022).

[8] Statistisches Bundesamt (2022b): Presse. Produktion von Elektroautos 2021 um 86 % gegenüber Vorjahr gestiegen, in: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/05/PD22_N030_51.html (zuletzt aufgerufen am 09.12.2022).

[9] Umweltbundesamt (2019): Fahrgemeinschaften verringern die Kosten und den CO2-Ausstoß, in: https://www.umweltbundesamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/mobilitaet/fahrgemeinschaften#gewusst-wie (zuletzt aufgerufen, am 07.12.2022). 

[10] Umweltbundesamt (2022): Klimaschutz im Verkehr, in: https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/klimaschutz-im-verkehr#pkw (zuletzt aufgerufen, am 09.12.2022).