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Ist Suffizienpolitik auf EU-Ebene möglich? – ein Gastbeitrag von Leon Leuser

Suffizienz politisch fördern – kann dies auch durch die Europäische Union gelingen?

Foto: hpgruesen/Pixabay

In der Debatte um Suffizienzpolitik wird immer wieder ein Argument laut: Politik dürfe nicht in die individuellen Lebensentscheidungen der Menschen hineinregieren. Dabei gibt es in Europa bereits gute Beispiele dafür, wie erfolgreich Politik suffizientes Konsumverhalten ermöglichen kann.

Kann man suffizientes Handeln politisch fördern? Und: Darf man das überhaupt? Könnte gar eine liberale Wirtschaftsgemeinschaft wie die Europäische Union dies fördern? Schließlich gilt Suffizienz als eine Frage des individuellen Lebensstils. Ein politischer Eingriff in das persönliche Leben, das scheint dem liberalen Gebot der Selbstbestimmung zu widersprechen. Unsere liberale Grundordnung verbietet es, den Menschen Vorschriften zu machen, wie man zu leben habe oder was ein „gutes Leben“ bedeute. Und in der EU stehen der freie Warenverkehr und der Binnenmarkt an erster Stelle. Selbstverständlich: Wie tief die Eingriffe gehen dürfen und wie viel Freiheit der Einzelne hat, das wird insbesondere in den Diskussionen um Suffizienz(-politik) immer eine Gradwanderung bleiben. Liberalismus und Suffizienzpolitik schließen sich jedoch weniger aus, als es in den Diskussionen oft den Eindruck erweckt.

Auch ganz praktisch zeigt sich: Heutige Rahmenbedingungen geben in vielen Situationen zumindest starke Anreize in Richtung bestimmter – heute meist nicht-nachhaltiger – Handlungen. Natürlich kann jede und jeder Einzelne versuchen, nach seinen Überzeugungen zu handeln. Doch niemand kann sich den Einflüssen von Werbung, Preisanreizen und Infrastrukturen entziehen – sie wirken teilweise fast wie Gebote und Verbote.

Hinzu kommt eine unüberschaubare Menge an Einflussfaktoren, die mit (Konsum-)Entscheidungen verbunden ist. Wer eigentlich bewusst und nachhaltig konsumieren will, hat oftmals aufgrund der Informationsfülle nicht die Gewissheit, es richtig zu machen. Ist nun der Fairtrade- oder der Bio-Kaffee besser? Oder doch jener der direkt gehandelt und ganz ohne Label auskommt? Nicht umsonst gibt es Expertinnen und Experten, die versuchen wissenschaftlich mit Öko-Bilanzen diese komplexen Fragen zu untersuchen. Sie erforschen welche Umweltwirkungen mit dem Lebenszyklus eines Produkts verbunden sind. Dies oder auch nur ihre Ergebnisse zu kennen, kann niemand im Supermarkt für alle Produkte und auf die Schnelle eines Einkaufs leisten.

Häufig führt diese Mischung aus äußeren, meist politisch gesetzten Einflüssen und der Komplexität bei Entscheidungen zu Frustration. Durch zu starke Anreize wird häufig doch gegen die eigenen Überzeugungen nicht-nachhaltig gehandelt – etwa wenn der Flug nicht nur schneller sondern auch günstiger ist als der Zug. Einige versuchen sich auf wenige, abgrenzbare Handlungsbereiche zu konzentrieren. Doch am Ende des Tages ist das (zu) große, kaum gedämmte Einfamilienhaus mit Ölheizung für die Umwelt schädlicher als das alltäglich praktizierte Stromsparen. Viele, ja vielleicht die meisten geben so vermutlich früher oder später gar ganz auf  – im schlimmsten Fall finden sie sich frustriert mit diesen Rahmenbedingungen ab. Doch sind es gerade die Gesetze und Standards, die sich ändern müssen.

Foto: witwiccan/Pixabay

So zeigt sich, es muss heute vor allem politisch gehandelt werden, damit die Suffizienzstrategie zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele zum Tragen kommt – und zwar auf allen Ebenen[1]. Das heißt natürlich nicht, dass wir nun das Handeln allein den Politiker*innen überlassen sollten. Aber zeigt etwa die Bedeutung politischen Engagements. Die zurückliegenden Wahlen zum Europaparlament und der Erfolg der Partei Bündnis90 / Die Grünen sind ein guter Anlass um zu beschreiben, was die EU als liberale Wirtschaftsgemeinschaft tun kann, um Suffizienz zu fördern. Denn entgegen landläufiger Vorstellungen kann die EU nicht nur Suffizienz fördern, sie macht dies in einigen Bereichen sogar schon.

Ein Beispiel ist die Produktpolitik. Sie wurde zwar insbesondere zur Stimulierung der Energieeffizienz eingeführt. Doch wurden in einigen Punkten auch Anreize zur Suffizienz gegeben. So führten Anforderungen an den Stromverbrauch von Staubsaugern schon vor einigen Jahren dazu, dass der Wettbewerb, um den Staubsauger mit dem höchsten Stromverbrauch, gestoppt wurde. Sparsame Produkte können meist genauso gut saugen wie jene mit hohem Verbrauch. Und mit der Angabe der Saugleistung auf dem Energie-Label kann sich nun jeder über das für den Kauf ausschlaggebende Maß informieren. Zudem wurden zu Beginn des Jahres Anforderungen zur Reparierbarkeit und Verfügbarkeit von Ersatzteilen für Produkte wie Kühlschränke eingeführt. So kann die Lebensdauer der Produkte verlängert und damit die Notwendigkeit eines Neukaufs reduziert werden.

Auch in der Mobilität erleichterte das Europäische Parlament im vergangenen Jahr bei der Novellierung der Fahrgastrechte von Bahnreisenden suffizientes Reisen. Seitdem haben Reisende ein Anrecht darauf, ihre Fahrräder im Zug mitzunehmen, auch in Hochgeschwindigkeitszügen. Dadurch wird multimodale Mobilität, das heißt die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel und somit der Verzicht auf den PKW ein weiteres Stück erleichtert.

Diese Beispiele zeigen, dass es auf Ebene der EU durchaus einige Möglichkeiten zur Förderung der Suffizienzstrategie gibt – trotz der (wirtschafts-)liberalen Ausrichtung. Was also könnte oder sollte in Zukunft passieren, damit die Entscheidungen für umweltfreundliches Handeln noch leichter werden?

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Voraussetzung dafür ist eine Änderung der Anreize in der Wirtschaft. Das bedeutet: Preise müssen die „wahren“ Kosten darstellen. Eine Bepreisung durch eine Steuer oder auch eine Mengenbegrenzung mit einem Zertifikatsystem ist eine übergreifende Maßnahme. Durch sie werden nicht nur Suffizienz, sondern auch Anreize zur Steigerung der Energieeffizienz und zum Ausbau der Erneuerbaren Energien gegeben. Sie bildet also einen förderlichen Rahmen innerhalb dessen alle drei Nachhaltigkeitsstrategien zum Tragen kommen können.

Es wird somit zuallererst ein funktionierender Emissionshandel und eine CO2-Abgabe in jenen Bereichen benötigt, die nicht vom Emissionshandel abgedeckt sind. In einem weiteren Schritt könnte geprüft werden auf welche weiteren Rohstoffe eine Abgabe oder ein Zertifikathandelssystem eingeführt werden sollten. Betreffen könnte dies insbesondere solche Rohstoffe, die besonders stark zu aktuellen Umweltproblemen wie dem Biodiversitätsverlust oder Klimawandel beitragen. Mit den staatlichen Einnahmen aus diesen Maßnahmen könnten daraufhin die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Dies gäbe beispielsweise gleich in zweifacher Hinsicht einen Anreiz zur Reparatur: ein Neugerät mit alle den notwendigen Rohstoffen würden sich durch die Abgaben vermutlich verteuern und die arbeitsintensivere, aber ressourcenschonende Reparatur würde günstiger.

Abseits dessen kann die EU aber auch auf „bewährte“ Weise weitere Anreize zur Lebensdauerverlängerung von Produkten geben. Smartphones etwa zählen zu den am kürzesten genutzten elektronischen Geräten. Gleichzeitig werden sehr viele Rohstoffe, deren Abbau häufig mit Umweltproblemen einhergeht, darin verbaut. Zur Verlängerung der Lebensdauer könnte die EU daher etwa Anforderungen an die Displays von Smartphones stellen, damit diese weniger leicht brechen. Zudem sollte durchgesetzt werden, dass die Akkus der Geräte schnell und einfach getauscht werden können. Wichtig wäre auch eine Verpflichtung zu Software-, insbesondere Sicherheitsupdates für eine bestimmte Zeitspanne nach Produktionsstopp. Nur so kann ein Gerät auch möglichst lange sicher genutzt werden und  funktionieren Apps bis zum Ende der Lebensdauer.

Im Bereich der Mobilität geht es darum, möglichst nachhaltige Mobilitätsformen zu fördern. Wichtig dafür ist ihre Verknüpfung zu erleichtern. Eine Möglichkeit dafür sind Mobilitätsplattformen über die nicht nur Tickets für den Nahverkehr gekauft, sondern auch Leihfahrräder, Carsharing-Autos oder Tickets für den Fernverkehr gebucht werden können. Erste Ansätze dazu gibt es schon in einzelnen Städten. In Vilnius gibt es schon seit Herbst 2017 die App Trafi, und in Berlin geht die BVG mit der Plattform-App Jelbi an den Start. Damit man in Zukunft aber auch die komplette Strecke von Zuhause bis zum Haus von Freund*innen in Frankreich buchen kann, müssen noch einige Schritte gegangen werden. Wichtig dafür ist die Verpflichtung der Mobilitätsdienstleister zu offenen Schnittstellen. Diese ermöglicht externen Plattformanbietern die Verbindungsauskunft und Buchungsprozesse. Zudem muss durch Fahrgastrechte sichergestellt sein, dass bei einem verpassten Anschlusszug zwischen zwei Bahnunternehmen die Weiterfahrt mit dem nächsten Zug möglich ist.

Foto: minka2507/Pixabay

Diese Vorschläge sind erste Ideen dafür wie Suffizienzpolitik auf der EU-Ebene aussehen könnte. Sicherlich gibt es noch viele weitere Möglichkeiten, die es gilt in Zukunft zu entwickeln. Denn die aktuellen Berichte zur Klima- und Biodiversitätskrise zeigen deutlich, dass eine sozial-ökologische Transformation unserer Wirtschaft und unseres Lebens notwendig ist. Eine Förderung der Suffizienz steht dabei nicht zwangsläufig im Widerspruch zu unserer liberalen Ordnung, sondern ist sogar durch die liberale Wirtschaftsunion EU möglich und nötig.

[1] Ausführlicher zu den Möglichkeiten der kommunalen Suffizienzpolitik: Leuser, Leon; Lars-Arvid Brischke: „Suffizienz im kommunalen Klimaschutz.“ In: Knoblauch, D., Rupp, J. .Hrsg. Klimaschutz kommunal umsetzen. Wie Klimahandeln in Städten und Gemeinden gelingen kann. Oekom: München

Über den Autor
© Leon Leuser

Leon Leuser arbeitet aktuell bei adelphi als Projektmanger für Grundsatzfragen der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Zuvor beschäftigte er sich mit Fragen der Suffizienz im Rahmen von Forschungsprojekten an der Universität Flensburg und dem Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu). Er studierte Energie- und Umwelttechnik (B.Sc.) an der TU Hamburg-Harburg und Socio-Ecological Economics and Policy (M.Sc.) an der Wirtschaftsuniversität Wien.