Suffizienzorientierung – ein Interview mit Josephine Tröger

Suffizienz stellt eine grundsätzliche Verhaltensänderung der Menschen und ein stärkeres Bewusstsein für unseren Konsum in den Mittelpunkt. Für viele ist sie deswegen immer noch die unbeliebteste Nachhaltigkeitsstategie. Wir haben mit der Umweltpsychologin Josephine Tröger über Suffizienz gesprochen und wie ein Paradigmenwechsel durch kollektive Wirksamkeit und Einzelleistungen funktionieren kann.

Deutsche Umweltstiftung: Sie promovieren an der Universität Koblenz-Landau im Bereich der Umweltpsychologie zu Suffizienzorientierung. Was ist eigentlich Umweltpsychologie und was können wir uns unter Suffizienzorientierung vorstellen?

Josephine Tröger: Umweltpsychologie ist eine Teildisziplin der Psychologie, die sich mit Mensch-Umwelt- Interaktionen beschäftigt. Das heißt, sie versucht zu analysieren, wie die Umwelt auf den Menschen wirkt und wie wir Menschen auf die Umwelt wirken, welche Auswirkungen das auf psychische Aspekte wie Kognition, Emotion, und Verhalten hat. Sie ist eine sehr anwendungsorientierte Teildisziplin der Psychologie, in der eigentlich jede Form von Mensch-Umwelt-Interaktionen behandelt werden kann – von Architekturpsychologie bis Mensch-Maschine-Interaktion und der zentralen Frage nach dem Schutz und den Umgang mit unseren Lebensgrundlagen. Was die Umweltpsychologie sehr besonders macht, ist die große Interdisziplinarität. Sie nutzt Erkenntnisse und Methoden anderer Wissenschaftsdisziplinen und vernetzt, um einen Beitrag etwa zur Lösung der Klimakrise zu leisten. Das ist teilweise sehr herausfordernd, bietet aber auch reichlich Chancen. Ein Projekt wie die sozial-ökologische Transformation ist nur zu bewerkstelligen, wenn viele Disziplinen zusammenarbeiten und -denken

Suffizienzorientierung beschreibt suffizientes Verhalten als „Änderungen in Konsummustern, die helfen, innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit der Erde zu bleiben, wobei sich Nutzenaspekte des Konsums ändern“ (Heyen et al. 2013, S. 7)[1]. Die Suffizienz ist die Nachhaltigkeitsstrategie, welche die Endlichkeit der Ressourcen der Erde (auch „planetare Grenzen“ genannt) als oberstes Gut anerkennt und hier eine absolute Grenze, an dem sich z.B. wirtschaftliche Prozesse ausrichten sollen, respektiert. Die Suffizienz hat damit eine große Verwandtschaft mit dem Konzept der starken Nachhaltigkeit.

Als Suffizienzorientierung würde ich die Einstellung und Bereitschaft beschreiben, den Lebensstil an den eben diesen planetaren Grenzen auszurichten. Dabei spielt die Erkenntnis eine Rolle, dass Konsumreduktion einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der sozial-ökologischen Krise liefert.

Eine Abgrenzung zu den anderen Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz und Konsistenz ist wissenschaftlich sinnvoll. In der Praxis und im tatsächlichen Handeln spielen natürlich Wechselwirkungen und Interdependenzen eine Rolle. 

Deutsche Umweltstiftung: Für viele Menschen ist Suffizienz die anstrengendste und unbeliebteste Nachhaltigkeitsstrategie. Warum fällt suffizientes Handeln so schwer?

Das hat aus meiner Sicht vor allem zwei wesentliche Gründe: Zum einen lassen wir uns gern von außen leiten und erzählen, was wichtig ist und was zu einem scheinbar glücklichem Leben gehöre: vom persönlichen Umfeld, von vorherrschenden Normen und Werten, vermittelt durch so etwas wie Werbung. Konsum und Statussymbole spielen gegenwärtig eine große Rolle in unserer Gesellschaft. Andere Formen von Wohlstand, wie Zeit, Sozialleben, Familie, Selbstverwirklichung oder sonstige immaterielle Güter spielen kaum eine Rolle. Sie sind zwar privat wichtig, aber es gibt wenige öffentliche und sichtbare Strukturen, die diesen Bereichen eine hohe Bedeutung zuweisen. In der Wertschätzung und Belohnung von Care-Arbeit wird so etwas ersichtlich. Oder man zeigt seinen beruflichen Erfolg vielleicht lieber mit einem teuren Auto als mit viel Freizeit. Dabei würde ein Verzicht auf ein Auto viel Freizeit bringen, weil man für das dafür nötige Geld auch nicht mehr arbeiten müsste. Die Frage was wirklich wichtig ist, welche individuellen Bedürfnisse im nicht materiellen Sinne vorhanden sind und befriedigt werden müssen, ist ein wichtiger Aspekt von Suffizienz.

Zum anderen sind viele Infrastrukturen in unserer Gesellschaft so geschaffen dass sie suffizienzorientiertes Verhalten nicht belohnen. Nehmen wir das Beispiel Lebensmittelkonsum: Konventionelle Lebensmittel im Supermarkt sind gerade deswegen billiger als die ökologischen Biolebensmittel, weil in konventionellen Lebensmitteln der ökologische Schaden, den diese verursachen, nicht eingepreist ist. Kaufe ich die ökologischen Lebensmittel spüre ich vor allem erst einmal, dass ich mehr Geld ausgebe als die meisten anderen. Das kann sich oft nach einem kurzfristigen Verlust anfühlen – zwar zugunsten eines großen Ganzen, aber für den Industrie und Verbraucher nicht gleichmäßig in die Pflicht genommen werden. Industrie und Verbraucher zahlen für die ökologischen Kosten der Produkte nicht – der Schaden wird ausgelagert. Zukünftige Generationen – und auch wir selbst – werden dafür auf die eine oder andere Art in den nächsten Jahren aufkommen müssen.

Deutsche Umweltstiftung: Kann ein Paradigmenwechsel hin zu Suffizienz funktionieren? Wenn ja, wie wäre dies möglich?

Davon bin ich überzeugt! Die Klimakrise zwingt jetzt schon viele Menschen vor allem auf der Südhalbkugel zu einem unfreiwilligen und ungerechten Konsumverzicht. Und auch wir werden mit dem Fortschreiten der ökologischen Probleme immer größere Einschnitte erleben. Das ist die fatalistische Sichtweise: wer die Natur abschafft wird von der Natur abgeschafft. Es gibt aber auch Grund zum Optimismus. Beispielsweise zeigt gerade die Corona-Krise dass viele Menschen bereit sind, ihr Verhalten zu ändern und auch tatsächlich zu verzichten, wenn ihnen ein guter Grund und größere Zusammenhänge aufgezeigt werden, und Änderung vor allem nicht nur an der Eigenverantwortung hängt, sondern Strukturen verändert werden, auf die ein*e Einzelne*r nur wenig Einfluss hat. 

Außerdem sehe ich, dass sich Suffizienz-Praktiken langsam in Lebenswelten einschleichen. Über Suffizienz wird mehr gesprochen als noch vor wenigen Jahren. Der Druck auf die Gesellschaft, sich zu verändern wächst, da die Folgen der Klimakrise auch stärker vor Ort sichtbar werden. Die Frage ist, ob Veränderung in den nächsten Jahren mehr durch Evolution oder Eruption entsteht, und welche Einflüsse eben von außen notwendig sind. 

Deutsche Umweltstiftung: Welche Tipps können Sie geben, um suffizientes Verhalten mehr in den eigenen Alltag zu integrieren?

Die gerade angesprochenen Strukturen sind ein wichtiger Treiber suffizienten Verhaltens. Als einzelner hat man vermeintlich wenig Einfluss auf diese. Allerdings werden diese auch nur von einzelnen Menschen geschaffen. Ist man durch seinen Beruf beispielsweise in der Lage Entscheidungen zu treffen, die dazu führen, dass sich am besten mehrere Menschen suffizienter verhalten können? Oder kann man Prozesse so verändern, dass sie dann zu einem Weniger an tatsächlichem Ressourcenverbrauch führen? Kann man der Chefin oder dem Chef vorschlagen, dass Pendler*innen die mit dem Rad oder den ÖPNV zur Arbeit kommen, einen Zuschuss bekommen? Oder kann man seiner Gemeinde vor Ort vorschlagen, die Radwege auszubauen? Politisches Engagement ist meines Erachtens ein Schlüssel für Veränderung, weil es Druck ausübt und potentiell neue Strukturen schafft, in denen sich Menschen leichter umweltgerecht verhalten können. Und wir alle sind mal mehr mal weniger an der Schaffung solcher Umstände und Strukturen beteiligt. Diese Macht der Mitgestaltung zu erkennen und einzusetzen, ist sehr wichtig. Am Besten schließt man sich noch mit Freund*innen, die ein ähnliches Interesse haben, zusammen. Das gibt das Gefühl kollektiver Wirksamkeit und hat große Erfolgsaussichten, weil eben bereits mehr Menschen für eine Sache einstehen.

Das andere ist und bleibt das individuelle Verhalten in den verschiedenen Alltagssituationen – am Regal im Supermarkt, zu Hause vorm PC wenn der nächste Einkauf auf einer Online-Plattform lockt, oder bei der Urlaubsplanung. Auch hier gilt es, die eigenen Bedürfnisse zu überdenken und sich von äußeren Einflüssen, die zum Konsum animieren, ein Stück weit zu befreien. – Und sich selbst Fragen zu stellen, wie: Muss ich meinen Kollegen wirklich (m)einen neuen SUV vorführen? Oder um was geht es mir eigentlich, wenn ich Anerkennung von meinen Kolleg*innen haben möchte? Würden diese mich tatsächlich belächeln, wenn ich mit dem Rad zur Arbeit käme – oder sehen sie mich dann vielleicht sogar als Vorbild und lassen sich anstecken? Ein anderer Aspekt ist auch, dass es bei vielen Konsumgewohnheiten ja gar nicht nur um die ökologischen Kosten alleine geht, sondern auch die privaten und monetären. Will ich wirklich so viel Geld für einen Flug nach Übersee ausgeben? Brauche ich wirklich einen neuen Laptop oder tut es nicht auch ein gebrauchter für weniger Geld? Viele Menschen nehmen Schulden auf sich, um den ganzen Konsum überhaupt erst zu ermöglichen. Das zwingt wiederum an Arbeitsverhältnissen festzuhalten, die nicht erfüllend sind. Das Gefühl zu wenig Geld zu haben, oder unfrei zu sein weil man sich darauf angewiesen fühlt, Einkommen von gewissen Höhen erzielen zu müssen, sind Dinge die unglücklich und auf lange Sicht sogar krank machen. Das hat Forschung zu Themen wie Zeitwohlstand und Wohlbefinden zeigen können. An der Aussage „Weniger ist Mehr“ scheint also schon etwas Wahres dran zu sein – auch wenn Suffizienz genauso heißt: Weniger ist weniger. Punkt.

Und zuletzt ist es wichtig, sich konkrete Pläne zu machen, sich Zeit zu nehmen, zu überlegen, wann, wie, wo, mit welchen Hilfsmittelnkann ich mich suffizienter verhalten. Wie sieht diese konkrete Handlungsalternative aus und was brauche ich, damit ich nicht in alte Muster zurück falle? Das ist wie mit allen Zielen im Leben: Wenn man sie wirklich erreichen will, muss man sich einen Plan dafür machen. 

Deutsche Umweltstiftung: In unserem Schulwettbewerb “Einfach machen – Die Suffizienzdetektive” haben wir Schüler*innen der Sekundarstufe 1 dazu aufgefordert, ein eigenes Konzept für eine ressourcensparsamere Lebens- und Freizeitgestaltung zu entwerfen. Inwieweit schätzen Sie, sind Kinder im Alter von 10 bis 16 Jahren (fünfte bis zehnte Klasse) bereit, ihr Verhalten anzupassen und damit auf Konsum bzw. Komfort zu verzichten? 

Grundsätzlich sehe ich es so: Junge Menschen sind kreativ und einfallsreich. Wenn ich mir die FridaysforFuture anschaue, sind Kinder um einiges revolutionärer als wir denken und ihnen lange zugetraut haben. Sie sind bereit, die notwendigen Veränderungen selbst mitzutragen (Koos et al, 2019)[1]. Das ist etwas Beeindruckendes und sollte ein Apell an die Erwachsenen sein, die Maßnahmen umzusetzen, die es für eine lebenswerte Zukunft braucht!

Meine Haltung zu Wettbewerben ist allerdings etwas kritisch: Sie bieten zwar die Möglichkeit, sich mit einem Thema auseinander zu setzen, bergen aber die Gefahr durch kurzfristige Anreize, die langfristigere intrinsische Motivation zu unterbinden. Das heißt: Für die Belohnung strengen sich die Kids an, sie fokussieren sich auf das Produkt, aber setzen sich beispielsweise nicht mit den individuellen Hürden in ihrem persönlichen Umfeld auseinander. Das ist aber wichtig, damit die Kinder ihre Ideen zum suffizienteren Leben erfolgreich umsetzen und sich wirksam fühlen. Wichtig wäre es deshalb, Projekte so zu gestalten, dass vorhandenes Interesse und die intrinsische Motivation auch langfristig gestärkt werden.

Ein anderer Aspekt ist, dass Kinder leider oft einen begrenzteren Handlungsspielraum haben. Sie kaufen nicht für die Familie ein oder entscheiden über den Stromanbieter. In Bezug auf umweltgerechtes Leben hat sich im Kontext von Familie gezeigt, dass Rollenmodelle und Vorbilder sehr wichtig sind. Das heißt, Kinder werden die Ideen, die sie – etwa in so einem Wettbewerb – gewonnen haben, leichter umsetzen können, wenn die Eltern beim genügsameren Leben mitmachen. Es kann aber auch sein, dass die Kinder viel Überzeugungsarbeit in ihrem sozialen Umfeld leisten müssen. Sie können ihre Eltern dann herausfordern und anstecken, gemeinsam etwas zu verändern. – Den Mut der Kinder hierfür zu stärken und Ideen zu entwickeln, wie das gehen könnte, sollte Teil eines solchen Projekts sein.


[1]Heyen, D. ; Fischer, C.; Grießhammer, R.; Wolff, F.; Brunn, C.; Keimeyer, F.; Barth, R. (2013), Für eine Politik der Suffizienz, Politische Steuerung als notwendiger Baustein einer suffizienten Gesellschaft. Freiburg, Öko-Institut. Online abrufbar unter: https://www.oeko.de/oekodoc/1837/2013-506-de.pdf

[2]Sebastian Koos und Elias Naumann (2019): Vom Klimastreik zur Klimapolitik. Die gesellschaftliche Unterstützung der „Fridays for Future“-Bewegung und ihrer Ziele. Forschungsbericht. Konstanz: Universität Konstanz. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-2-1jdetkrk6b9yl4.

Über die Interviewpartnerin

Josephine Tröger ist seit Dezember 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der AG Sozial, Wirtschafts- und Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Seit März 2019 ist sie zudem Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt “Überprüfung des NBS- Gesellschaftsindikators zum Bewusstsein für Biologische Vielfalt sowie Entwicklung eines alternativen Messverfahrens“ am Steinbeis-Transferzentrum Interventions- und Evaluationsforschung.

© Josephine Tröger

Suffizienz an Hochschulen – Eine Good-Practice-Sammlung

Wie wird Suffizienz an Hochschulen bereits umgesetzt? Was lässt sich aus existierenden Projekten lernen und wie könnte man diese noch weiterführen? Diesen Fragen gehen Dr. Michael Flohr und Lucas Markus in ihrer Good-Practice-Sammlung „Suffizienz an Hochschulen im ländlichen Raum“ nach. Indem sie untersuchen, wie Suffizienz an Hochschulen gelingen kann, setzen sie einen Gegenpunkt zur bequemen aber zugleich riskanten Wette auf eine alleinig effiziente Zukunft. 

Übersichtskarte suffizienter Initiativen an Hochschulen, die in der Good-Practice-Sammlung aufgeführt werden, © Dr. Michael Flohr

Suffizienz im ländlichen Raum

In Deutschland ist grundsätzlich auffällig, dass vor allem kleinere und mittlere Hochschulen nachhaltige Maßnahmen umsetzen. Ländliche Räume haben gewisse Merkmale, die Suffizienz befördern können. Überschaubare Sozialgefüge und enge Netzwerke führen beispielsweise dazu, dass solidarische Aktivitäten wie Tauschen leichter umgesetzt werden können, als das in der Anonymität von Großstädten der Fall ist. Außerdem können gerade ländliche Räume zu Reallaboren werden, um gewohnte Wachstumspfade zu verlassen und neue, suffiziente Wege zu erproben. Das geschieht, indem neue Lebens-, Lern- und Arbeitsformen gewagt werden. Ländliche Hochschulen haben daher häufig eine Innovations- und Vorbildfunktion inne.

Suffizienz – Orientierung am rechten Maß

Suffizienz meint, das „richtige“ und „notwendige“ Maß von Ressourcenverbrauch anzustreben, sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene. Häufig werden die 4 E’s nach Wolfgang Sachs genutzt – Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung – um sich am richtigen Maß zu orientieren. 

Bei der Entschleunigung geht es um das richtige Maß an Zeit. Der Rhythmus soll angepasst und damit langsamer und zuverlässiger werden – im Verkehrsbereich, in der Arbeitswelt und in den Produktzyklen von Gütern. So werden Qualität und Langlebigkeit erzielt. Entflechtung meint das richtige Maß für den Raum. Globales und regionales Wirtschaften soll neu aufgeteilt werden, zum Beispiel durch eine Regionalisierung der Lebensmittelproduktion und der Energieversorgung. Entrümpelung bezeichnet das richtige Maß an Besitz hin zu „einfacher“ und „weniger“. Dabei geht es vor allem darum, Gerümpel gar nicht erst entstehen zu lassen, indem zum Beispiel Güter langlebig und reparierbar produziert werden. Das vierte E, die Entkommerzialisierung, betrifft das richtige Maß für den Markt. Der zunehmenden Kommerzialisierung soll entgegengewirkt werden, indem Menschen zu Glück jenseits von Konsum befähigt werden. 

Die vier E‘s wurden im Paper genutzt, um Ansätze und Projekte nach ihrem primären Fokus geordnet darzustellen. Im Folgenden wird zu jedem „E“ ein Beispiel einer Hochschule vorgestellt, welche ein suffizientes Projekt im jeweiligen Bereich umsetzt. 

Entschleunigung

Lebenswelt Campus der Leuphana Universität Lüneburg © Leuphana Universität Lüneburg

Einen Fokus auf Entschleunigung setzt das Projekt „Lebenswelt Campus“ der Leuphana Universität Lüneburg. Studierende, Lehrende, Verwaltungsmitarbeitende und die Hochschulleitung versuchen in diesem Projekt, den Campus so zu gestalten, dass alle sich wohlfühlen, miteinander ins Gespräch kommen und sich unterstützen können. Zunächst wurde dafür der Campus zu einem verkehrsberuhigten Raum gemacht. Nachfolgend sollen die Straßen entsiegelt werden, um einen Campuspark zu gestalten. Diverse Nutzungsanforderungen an den Campus sollen in das neu entwickelte Konzept einbezogen werden. Dazu gehören unter anderem Orte zum Verweilen, Repräsentativität, Biodiversität, Lehre, Lernen, Bewegungen, essbarer Campus und Barrierefreiheit. Der partizipative Prozess und ein langfristiger Blick auf die Gestaltung des Campus zeigen neben dem gemeinsam genutzten Raum, der reduzierten Abgasbelastung und angebautem Obst, Gemüse und Kräutern auf dem Campus die deutlichen Bezüge zur Suffizienz. Das Projekt könnte gut an andere Hochschulen übertragen werden, wobei Themen und Schwerpunkte von der jeweiligen Hochschule selbst gesetzt werden können. Aber auch für die Universität Lüneburg geht es noch weiter mit der Entschleunigung: „Das Projekt Lebenswelt Campus lebt davon, dass sich die Ideen weiterentwickeln und mit allen Stakeholdern abgestimmt realisiert werden. So sind wir gespannt und offen, was in den nächsten Jahren noch kommt.“

Entflechtung

Klimaschutz-Mensa des Studentenwerks Schleswig-Holstein © Studentenwerk Schleswig-Holstein

Das Studentenwerk Schleswig-Holstein wirkt mit einer „Klimaschutz-Mensa“ auf dem Campus Flensburg im Bereich der Entflechtung. Ein wachsendes Angebot an vegetarischen und veganen Gerichten und Maßnahmen zur Energieeinsparung und Müllvermeidung wurden seit 2018 erfolgreich umgesetzt. Auch in diesem Projekt arbeiten Studierende, Hochschulleitung, Lehrende und Verwaltungsmitarbeitende zusammen für eine suffizientere Hochschule. Mitarbeitende der Mensa werden regelmäßig geschult, sodass sich Auswahl und Qualität an vegetarischen und veganen Gerichten vergrößert. Regionale Produkte und kurze Transportwege werden bevorzugt. Außerdem werden mit einem Stand in der Mensa Studierende für das Thema Klimaschutzmanagement sensibilisiert. Durch gute Öffentlichkeitsarbeit rund um das Thema Nachhaltigkeit und ein attraktives Angebot klimagerechter Speisen konnte auf dem Campus Flensburg Genuss verbunden mit Klimaschutz zu moderaten Preisen in die Mensa gebracht werden. Übertragen werden kann das Konzept der Klimamensa auf jede Hochschule mit Mensabetrieb.

Entrümpelung

CREAPOLIS Makerspace der Hochschule Coburg © CREAPOLIS Makerspace

An der Hochschule Coburg wurde von Lehrenden der „CREAPOLIS Makerspace“ geschaffen, eine offene Werkstatt, wo sowohl digitale als auch anaolge Werkzeuge geteilt werden. Dem ganzen liegt die Idee zugrunde eine neue Art von Begegnungsplattform für die Hochschule und Region Coburg zu schaffen. Ein Erfolg zeichnet das Repair Café, welches zweimal im Monat angeboten wird und sich großer Beliebtheit erfreut. Darüber hinaus bietet das Projekt Bürger*innen, Initiativen und Unternehmen Infrastruktur in Form von Räumlichkeiten, um Vorhaben umzusetzen und (in Kooperation) nachhaltige Innovationen entstehen zu lassen. Für die Entwicklung ähnlicher Projekte an anderen Orten wird das Wissen zum Makerspace bereits genutzt. Darüber hinaus ist in Planung, einen Arbeitsbericht zu veröffentlichen, der es neuen Projektstarter*innen noch einfacher macht. 

Entkommerzialisierung

Klimamap der Europa-Universität Flensburg, Quelle: Screenshot KlimaMap Flensburg,  https://klimaschutz.campus-flensburg.de/?page_id=3210

Vom Klimaschutzmanagement der Universität Flensburg wurde die „Klimaschutzmap“ ins Leben gerufen. Diese beschreibt eine Online Karte mit über 250 Einträgen in neun Kategorien. Ziel ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sich in Flensburg für Klimaschutz eingesetzt werden kann. Aufgenommen sind Repair Cafés, Secondhand-Läden, Foodsharing-Angebote, Unverpackt-Läden und vieles mehr. Eine Besonderheit dieses Projektes ist, dass es nicht nur Hochschulmitglieder erreicht, sondern darüber hinaus auch von Interessierten Bürger*innen genutzt werden kann. Eine KlimaMap mit Angeboten zum klimafreundlichen Handeln kann grundsätzlich mit genügend Engagement ganz einfach ins Leben gerufen werden. Wichtig ist, die Klimaschutzmap kontinuierlich zu pflegen, da sich in einigen Kategorien Angaben laufend ändern, wie beispielsweise die Anzahl an Stromtankstellen in der Stadt.

Fazit

Die vier vorgestellten Projekte bilden nur eine kleine Auswahl an Beispielen aus der Good Practice Sammlung zu Suffizienz an Hochschulen. Vom Umweltcampus der Hochschule Trier über Foodsharing an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt bis hin zu einem Fahrradverleihsystem an der Hochschule Emden-Leer gibt es noch viele weitere spannende Projekte zu Suffizienz zu entdecken. Der Projektinitiator vom Fahrradverleihsystem sagt als Tipp für alle, die selbst ein Nachhaltigkeitsprojekt starten wollen: „Einfach loslegen!“ 

Wer gerne erstmal Ideen sammeln, sich inspirieren lassen oder weitere wertvolle Tipps erhalten möchte, findet all dies ausführlich im besagten Paper. Neben der Good Practice Sammlung gibt es noch weitere Beiträge. Zum Beispiel geben zwei Umweltpsychologinnen im Interview Anregungen, wie studentische Initiativen andere Menschen an der Hochschule von einem suffizienten Projekt überzeugen können.

Quellen

https://www.researchgate.net/publication/342991904_Suffizienz_an_Hochschulen_im_landlichen_Raum

Das Schweizer Klimabündnis und die Suffizienz-Toolbox für Gemeinden

Das Klimabündnis Europa wurde 1990 gegründet und ist seitdem zu einem bedeutenden umwelt- und energiepolitischen Akteur herangewachsen, in dem über 1700 europäische Städte und Gemeinden agieren. Ihr Ziel ist es, regionale Antworten auf den globalen Klimawandel zu finden und Suffizienz auf lokaler Ebene zu fördern.

Die Schweizer Mitglieder haben sich 1995 noch einmal gesondert zum Klimabündnis Schweiz zusammengeschlossen, die 18 Mitglieder und 1,3 Millionen Einwohner*innen machen rund 15% der Schweizer Bevölkerung aus. Sie haben sich verpflichtet, zusätzliche klimaschonende Maßnahmen zu ergreifen und möchten sicherstellen, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens in der Schweiz eingehalten werden.

Das Klima- Bündnis Schweiz hat unter anderem das Ziel, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten.

Ein weiteres Ziel ist, mit der öffentlichen Hand Rahmenbedingungen zu schaffen, die ressourceneffiziente und suffiziente Lebensstile begünstigen. Durch ihre Nähe zur Bevölkerung haben Städte und Gemeinden verschiedene Möglichkeiten, eine ökologische Lebens- und Wirtschaftsweisen zu fördern: sie können Initiativen aus der Bevölkerung unterstützen, durch planerische und gesetzliche Vorgaben einen geeigneten Entwicklungsrahmen festlegen und selber eine Vorbildrolle übernehmen.

Dazu wurde zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Pusch, einer Schweizer Stiftung für praxisnahe Umweltbildung, und EBP, einem Unternehmen für Umweltforschung, die Suffizienz-Toolbox ins Leben gerufen. Diese liefert Ideen und Tipps, wie Gemeinden die Weichen für eine ressourcenschonende und lebenswerte Zukunft stellen können. Dies geschieht durch eine Kombination aus Vorschlägen und Beispielen aus der Praxis. So wird zum Beispiel vorgeschlagen, ein Verzeichnis mit Anlaufstellen zur Reparatur alter Elektrogeräte anzulegen und bereits existierende Verzeichnisse zur Inspiration verlinkt. Darüber hinaus gibt es noch die Kategorien Konsumgüter, Raumnutzung, Energie, Ernährung, Mobilität, und Partizipation, die einen umfassenden Überblick über relevante Umweltschutzbereiche bieten. Natürlich soll die Toolbox nicht nur Gemeinden zur Verfügung stehen, sondern auch Bürger*innen einladen, sich zu engagieren und ihre Stadt aktiv mitzugestalten. Neben den verbesserten Rahmenbedingungen für ökologische Lebensweisen werden Einwohner*innen so für das Thema sensibilisiert.

Solche Initiativen sind eine wichtige Brücke, um international beschlossene Klimaschutzmaßnamen lokal zu verankern und die Bevölkerung von ihrer Notwendigkeit zu überzeugen. Durch den Mitmach-Aspekt werden Umweltschutzmaßnamen greifbarer und verdeutlichen, dass auch Einzelpersonen etwas verändern können.

Falls ihr euch selber auch von der Toolbox inspirieren lassen möchtet, findet ihr diese hier, mehr Informationen über das Schweizer Klimabündnis sind hier.

All you need is less – Eine Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht

Das neue Buch von Manfred Folkers und Niko Paech „All you need is less“ erläutert die Ursachen und Auswirkungen von Konsum – von der „Gier-Wirtschaft“ – und zeigt den möglichen Wandel hin zu einer „Kultur des Genug“.

Aufgeteilt in zwei Essays setzen sich die beiden Autoren auf unterschiedliche Art und Weise mit dem großen Thema Suffizienz auseinander.

Folkers bringt in seinem Text „Buddhistische Motive für eine Überwindung der Gier-Wirtschaft“ die Lehren des Buddah in Bezug zu unserem heutigen gesellschaftlichen System. Er erläutert die von Buddah aufgestellten grundlegenden Lehren und die menschlichen Eigenschaften und kommt zu der Erkenntnis: „Die Kräfte, die die Menschheit ins Goldene Zeitalter führten – Begehren, Abneigung und Täuschung -, sind offenbar die gleichen, die sie nun in den Untergang treiben.“ (S.57) Diese Eigenschaften gilt es nun von jedem einzelnen zu überwinden. Grund Essenz ist also die Erkenntnis, dass „ […] die sogenannte Geisteshaltung aus dem Würgegriff der drei Dogmen der Wachstumswirtschaft […]“ (S.92) befreit werden muss. Da wie schon erwähnt jeder Mensch seine persönlichen Gewohnheiten selbst umzustellen hat, eignet sich die von Buddah gelehrte Methode der Meditation. Denn „[d]ie Abkehr von der Gier-Ökonomie und die Entwicklung einer von Wohlwollen und Solidarität bestimmten Wirtschaft erfordern einen inneren Wandel.“ (S.107) Folkers zeigt uns also auf WIE und DASS es unserer Gesellschaft, mithilfe von „geistig-spirituelle[r] Unterfütterung“ (S.117) möglich ist, das zum Scheitern verurteile System zu ändern.

Für Niko Paech ist Suffizienz ein „überlebenswichtiges Entzugsprogramm“ (S.123), dass sich von nachhaltigem Konsum deutlich abgrenzt. Diese „[…] steht für eine zwanglose Neujustierung individueller Freiheit, wobei sie zwei gegensätzliche Perspektiven einnimmt. Wenn der Planet erstens physisch begrenz ist, zweitens entkoppelt werden kann, drittens die irdischen Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten bleiben sollen und viertens globale Gerechtigkeit herrschen soll, muss eine Obergrenze für die von einem einzelnen Individuum in Anspruch genommene materielle Freiheit existieren. Diese kann sich nur an der Gesamtbilanz aller ökologischen Handlungsfolgen bemessen.“ (S.215) Im Verlauf seines Textes nennt er Gründe für die Wende zur Suffizienz und geht auf die Grenzen (des Wachstums) unserer Gesellschaft ein, anhand denen er erklärt warum Suffizienz kein Verzicht ist, sondern dringend notwendig.

Für mich, so wie vermutlich auch für einige andere, verfolgt das aktuelle System, in dem wir leben, nicht die richtigen Werte und Ziele. Mit diesem Buch haben Manfred Folkers und Niko Paech es geschafft besser verstehen zu können – zumindest Ansatzweise – warum alles so aussieht wie es aussieht. Gleichzeitig regt einen das Buch zum Nachdenken – teilweise über bis dato unbekannte Zusammenhänge – und zum kritischen Hinterfragen seines eigenen Lebensstils an. Es ist ein sehr interessantes Buch welches ab und an zwar nicht einfach zu verstehen ist, sich das Durchhalten jedoch lohnt.

Suffizienz im Alltag – ein Interview mit Dirk Arne Heyen vom Öko-Institut Berlin

Suffizienz im Alltag

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Welche Notwendigkeit sehen Sie in Suffizienz?

Dirk Heyen (DH): So sehr uns viele technische Innovationen weiterhelfen – sie reichen nicht aus, um unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen: also etwa klimaneutral zu leben oder auch unseren Ressourcenhunger und unsere Abfallmengen massiv zu reduzieren. Zwar werden viele Geräte, wie zum Beispiel Kühlschränke und Fernseher, oder auch die Motoren unserer Fahrzeuge immer effizienter. Zugleich werden sie aber häufig auch größer, schwerer, leistungsstärker – und wir nutzen sie häufiger oder haben plötzlich mehrere davon. Diese sogenannten „Rebound-Effekte“ fressen die Einsparungen teilweise auf.

Und auch klimafreundliche Technologien wie Windkraft, Solarenergie und Elektromobilität sind nicht ohne Ressourcenverbrauch zu haben. Auch nachwachsende Rohstoffe sind nicht unbegrenzt verfügbar. Je weniger wir davon brauchen, um alte, schädlichere Technologien zu ersetzen, desto besser.

Angesichts dieser Grenzen technischer Lösungen brauchen wir zusätzlich Suffizienz. Darunter verstehen wir veränderte, ökologisch vorteilhafte Konsumweisen – und zwar insbesondere die Reduktion von Besitz oder Nutzung ressourcenintensiver Güter, aber auch deren gemeinsame Nutzung, ihre verlängerte Nutzung bis zu einem Neukauf, und die Wahl kleinerer und sparsamerer Produkte.

Suffizienz hilft, unseren Umweltverbrauch zu reduzieren und somit ökologische Belastungsgrenzen einzuhalten. Mit ihr können wir die Einsparpotenziale von Effizienz besser ausschöpfen und den Ressourcenbedarf für umweltfreundlichere Technologien zusätzlich reduzieren. Im Vergleich zu manch technischer Vision kann Suffizienz zudem einfacher, schneller, günstiger und risikoärmer sein.

DUS: In welchen Bereichen ist Suffizienz besonders wichtig?

DH: Unter Klimagesichtspunkten sind vor allem weniger Flugreisen, weniger Autofahren, weniger Heizen und weniger tierische Produkte die sogenannten „big points“. Sowohl unter Klima- als auch Ressourcenaspekten sollten wir außerdem IT-Produkte wie Handys, Laptops und Tablets möglichst lange nutzen, denn die Umweltbelastung entsteht hier vor allem in der Herstellung. Für Kleidung gilt dasselbe. Und mit Blick auf unseren Müll sollten wir uns weitgehend von Einwegverpackungen verabschieden. 20.000 Coffee-to-go-Becher pro Stunde allein in Berlin: Das ist doch völliger Wahnsinn!

DUS: Sehen Sie bereits einen positiven Trend hin zu suffizienteren Lebensformen?

DH: Man kann einzelne Trends sehen: etwa eine leichte Reduktion des Fleischkonsums, vor allem beim Schweinefleisch, oder eine Zunahme des Radverkehrs in Städten. Das sind allerdings eher „zarte Pflänzchen“, die zudem oft abhängig von sozialen Milieus sind. Natürlich sind diese Trends hilfreich und man sollte versuchen, sie zu verstärken. Gleichzeitig gibt es aber auch viele gegenläufige Trends zum Beispiel die steigende Zahl der SUV genannten Stadtpanzer, oder bei der Ausstattung mit immer neuer Kommunikations- und Unterhaltungstechnik. Trotz der begonnenen „Flugscham“-Debatte steigen auch die Fluggastzahlen bislang weiter. Und schließlich gibt es häufig widersprüchliches Verhalten: Berühmt ist ja das Beispiel des vor dem Biomarkt parkenden SUV-Fahrers.

DUS: Denken Sie, dass die Gesellschaft aus Eigenantrieb suffizienter konsumieren und leben sollte?

DH: Ich glaube, wir überfordern die Menschen massiv, wenn wir alle Verantwortung für einen nachhaltigen Konsum bei ihnen als Konsument*innen abladen. Und zwar aus mehreren Gründen: Erstens werden sie natürlich durch bestehende Angebote und Infrastrukturen beeinflusst und oft auch beschränkt – zum Beispiel durch fleischlastige Essensoptionen in der Kantine, das vorhandene ÖPNV-Angebot oder die fragwürdige Aufteilung öffentlichen Straßenraums für verschiedene Verkehrsträger.

Zweitens kann kein Konsument alle Folgen seines Konsums mit Vor- und Nachteilen diverser Optionen überschauen: vom Anfang der Lieferkette bis zur Entsorgung. Die nachhaltigste Konsumption ist auch nicht immer eindeutig. Im Ernährungsbereich gilt neben der Fleischreduktion ja: am besten Bio + saisonal + regional. Wenn ich im Supermarkt aber nur die Wahl zwischen einem Bioprodukt aus dem Ausland und einem regionalen Nicht-Bio-Produkt habe: was ist nachhaltiger? Schwierig zu beantworten und womöglich abhängig davon, ob die Auslandsware per Flugzeug oder Schiff zu uns kam…

Und drittens: Selbst wenn Menschen ein hohes Problemwissen und Umweltbewusstsein haben, handeln sie nicht unbedingt entsprechend. Zwar nicht zwangsläufig, aber möglicherweise sind mit der nachhaltigen Konsumoption individuelle Nachteile verbunden: höhere Preise, weniger Komfort, weniger Status und/oder ein Verzicht auf Selbstverwirklichung – zumindest in der Wahrnehmung. Zudem können uns Routinen sowie Normalitätsvorstellungen und das Verhalten unserer „peer group“ von einer Umstellung auf nachhaltigere Lebensweisen abhalten. Und schließlich ist der Mensch ein Meister in moralischen Rechtfertigungsstrategien, warum er nichts zu ändern braucht: Wir kennen das von Rauchern: „Helmut Schmidt ist auch über 90 geworden“. Im Umweltbereich sind klassische Argumentationsmuster: „Auf mich Einzelnen kommt es nicht an“, „Die Unternehmen sind schuld“, „Die Amerikaner sind noch schlimmer“ oder auch „Ich esse vegan, da darf ich jedes Jahr eine Fernreise machen“. Die letzte Strategie, ein „psychologischer Rebound-Effekt“, sehen wir gerade auch in grünen Milieus.

Aus all diesen Gründen sollte nachhaltiger, suffizienter Konsum nicht als rein individuelle Angelegenheit betrachtet werden, sondern als politische. Es braucht rechtliche Rahmenbedingungen, die durch Standards, Verbrauchsgrenzen, Preisanreize und Infrastrukturen nachhaltige Produkte und Konsumweisen zur nahe liegenden Option machen und besonders Nicht-Nachhaltiges aus der Welt schaffen.

Damit die Politik in die Richtung aktiv wird, brauchen wir allerdings wiederum den Druck aus der Zivilgesellschaft, wie jetzt durch „Fridays for Future“. Und natürlich ist es super, wenn möglichst viele Menschen vorangehen und auch ohne günstige Rahmenbedingungen schon nachhaltige Konsumweisen an den Tag legen.

DUS: Was entgegnen Sie Kritikern einer solchen Suffizienzpolitik?

DH: Der Staat reguliert ja alle möglichen Lebensbereiche zum Schutz von Menschen und ihrer Umwelt. Welche staatlichen Eingriffe als legitim und sinnvoll angesehen werden, verändert sich übrigens im Laufe der Zeit. Als die Gurtpflicht in Pkw oder das Rauchverbot in Gaststätten eingeführt wurden, gab es zunächst auch einen riesigen Aufschrei. Heute stößt beides auf breite Akzeptanz.

Interessanterweise gab es in den letzten Monaten mehrere Kolumnen in Zeitungen und Magazinen, in denen für den Klimaschutz „mehr Verbote“ gefordert wurden. Eine wachsende Zahl an Leuten sieht in staatlicher Regulierung tatsächlich auch etwas Befreiendes – nämlich von der schon erwähnten Überforderung der Konsument*innen durch einen „information overkill“ und moralische Appelle.

Und der bisherige Fokus auf Information, Effizienzförderung und neue Technologien allein schafft es offensichtlich nicht, die selbst gesteckten Ziele der Politik wie das Klimaziel 2020 oder die Reduktion des Flächenverbrauchs zu erreichen.

Aber natürlich sollten Einschränkungen im Verhältnis zum Nutzen stehen. Daher macht es Sinn, sich regulatorisch auf die vorhin genannten „big points“ zu fokussieren.

DUS: Halten Sie auch noch andere Vorträge zum Thema Suffizienz?

DH: Im September halte ich einen Vortrag zu dem Thema im Rahmen einer Ausstellung in der Berliner Galerie für nachhaltige Kunst. Gerne stehe ich auch für andere Vortragsanfragen zur Verfügung – solange sie keine Flugreise erfordern. Ansonsten überlege ich derzeit, ob ich das Thema mal bei einem „Science Slam“ unterbringe, wo man sein wissenschaftliches Thema in fünf Minuten allgemeinverständlich und möglichst unterhaltsam vorstellen muss. Ich glaube, mit Beispielen zu den widersprüchlichen Entwicklungen in Sachen Rebound-Effekte und Konsumverhalten kann man einige Aha-Effekte erzeugen, die einerseits erheitern und andererseits zum Nachdenken anregen können.

ÜBER DEN INTERVIEWPARTNER
©Dirk Heyen

Dirk Arne Heyen arbeitet seit 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Öko-Institut in Berlin. Er hat ein Diplom in Politikwissenschaft von der Universität Potsdam und einen Master in „Environmental Regulation“ von der London School of Economics. In seiner Forschung beschäftigt er sich insbesondere mit der Rolle von Politik für gesellschaftlichen Wandel, nachhaltigen Konsum und „Exnovation“ (Ausstieg aus nicht-nachhaltigen Strukturen) sowie jeweils ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz.