Rezension: „Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“

Wie können wir die Klimakrise auf demokratischem Wege lösen, und welche Verantwortung fällt dabei auf Deutschland? Was verbindet die Klimakrise mit sozialer Gerechtigkeit? Was sind realistische Maßnahmen in Klima- und Sozialpolitik und welche Auswirkungen könnten diese global haben? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das 2024 vom Club of Rome und dem Wuppertal Institut veröffentlichte Buch „Earth for All – Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“. 

Hintergrund

Earth 4 All ist eine internationale Initiative, beauftragt durch den Club of Rome, mit dem Anspruch, ganzheitliche Lösungsansätze zu fördern, welche die Klimakrise, Ressourcenknappheit, soziale Ungleichheiten und vor allem die Verknüpfungen zwischen diesen Herausforderungen betrachten. Mithilfe von Computermodellen werden potenzielle Zukunftsszenarien errechnet. Die 2022 in dem Buch „Earth for All – A Survival Guide for Humanity“ veröffentlichten Ergebnisse stellten zwei mögliche Handlungsvorgehen und deren globale Auswirkungen vor. Der „Giant Leap (GL)“ und „Too Little Too Late (TLTL)“ sind zwei konträre Zukunftsszenarien. Eine radikale Kehrtwende in kurzer Zeit (GL), die zu einem Abschwächen der Klimakrise und Steigern des Wohlergehens führt, oder ein Weiterführen des bisherigen Kurses (TLTL), wodurch Fortschritte zu langsam erzielt werden, um zu einer globalen Transformation zu führen.

Szenarien für Deutschland

Der Bericht „Earth for All – Deutschland“ wendet diese Modellierungen nun auf Deutschland an und will praktische Lösungen spezifisch für den deutschen Kontext liefern. Für ein Gelingen des Giant Leap hin zur „Wohlergehensgesellschaft für alle“ benennt das Buch zunächst grundsätzlich fünf ausschlaggebende und sich beeinflussende Ansatzpunkte: Überwindung der Armut, Abbau von Ungleichheit, Empowerment von Frauen, Gewährleistung von Ernährungs- und Energiesicherheit. Diese werden anschließend nacheinander erörtert und anhand der deutschen Gegebenheiten in den nationalen Kontext überführt. Es wird umfassend erläutert, wieso im deutschen Fall die Überwindung der wachsenden sozialen Ungleichheit [inkl. wachsender (Energie-)Armut] von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Politik gegen den Klimawandel ist und welche Bedeutung einem fehlinterpretierten Freiheitsverständnis an dieser Stelle zukommt, das lediglich egoistische Verhaltensmuster begünstigt. 

Wiederkehrende und zentrale Themen sind sodann die globale Verantwortung Deutschlands und seine potentielle Vorbildrolle in der Welt, die Notwendigkeit eines systemischen Wandels anstatt unkoordinierter Einzelmaßnahmen, die Gefahr einer Erosion der politischen Stabilität, die Berücksichtigung von sozialer Gerechtigkeit und Ressourcenverteilung bei klimapolitischen Maßnahmen sowie Möglichkeiten und Grenzen einer nachhaltigen Wirtschaft. Anhand typischer Momente im alltäglichen Leben von fünf Menschen im Jahr 2045 beschreibt das Buch außerdem in kurzen fiktiven Storys an mehreren Stellen die Auswirkungen der Szenarien TLTL und GL. Dies trägt dazu bei, die möglichen Auswirkungen auf der Mikroebene zu versinnbildlichen und fördert die Anschaulichkeit. 

Blick auf das Buch durch die Suffizienzbrille

Das Buch verzichtet dabei auf eine dezidierte Unterteilung und separate Betrachtung der drei Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Die entwickelten Ansätze lassen sich jedoch erkennbar den jeweiligen Ansätzen zuordnen bzw. kombinieren diese. Die bisweilen stiefmütterlich behandelte Suffizienz findet dabei erfreulicherweise ebenfalls Beachtung. So wird kontinuierlich die Verantwortung Deutschlands im globalen Kontext hervorgehoben. Da Deutschland als ein Land des globalen Nordens einen entscheidenden Anteil der globalen CO2-Emissionen verursache, sei dementsprechend die Pflicht, zu einer Reduktion dieser beizutragen, höher. Doch auch innerhalb Deutschlands sei nicht jeder gleich verantwortlich.

Das Buch betont, dass die Verantwortung hier eindeutig auf der „Seite des Reichtums“ liege, da weniger Einkommen oft bereits zur sogenannten „Zwangssuffizienz“ führe. Die Autor*innen rufen zu einer deutlichen Reduktion des Konsums in Industrieländern wie Deutschland und in Privathaushalten der Besserverdienenden auf. Hier kommt das Konzept der Suffizienz zum Tragen: Anstatt unendlich zu wachsen und immer mehr zu konsumieren, wird ein Fokus auf „Genug“ und „Weniger“ gelegt. Das Buch betont, dass ein GL nicht ohne Verzicht machbar sei. Ansatzpunkte können laut der Autor*innen in der Vermeidung übermäßig vieler Flüge, dem Konsum billigen Fleischs und der vorrangigen Gestaltung autogerechter Städte liegen. Hierzu brauche es zugleich neue Modelle der Ressourcennutzung und eine Förderung alternativer Lebensstile. Um eine Reduktion des Überkonsums und eine nachhaltige Umverteilung der Ressourcen zu erreichen, schlägt das Buch verschiedene Werkzeuge wie bspw. ein KlimageldPlus vor. Dieses Konzept sieht vor, einen Teil der durch CO2-Steuern eingenommenen Gelder, wieder an alle Bürger*innen zurückzuzahlen, um die sich erhöhenden Kosten, besonders für einkommensschwächere Haushalte, auszugleichen. Obwohl alle den gleichen Betrag erhalten, finde gleichzeitig eine Umverteilung statt, da „Reiche“ aufgrund ihres höheren ökologischen Fußabdruckes tendenziell mehr einzahlen würden, als sie möglicherweise ausgezahlt bekämen. Ärmere Haushalte hingegen würden wegen ihres geringeren Verbrauchs weniger einzahlen, erhielten also anteilig mehr zurück.

Auch bei der Erörterung des Themas einer notwendigen Ernährungswende findet sich der Leitgedanke der Suffizienz. Hier wird erläutert, dass es wichtig sei, sich wieder zu entfernen von dem Konzept der vollen Supermärkte, in welchen alles zu jeder Zeit verfügbar ist. Stattdessen solle ein saisonales und regionales Angebot die Norm sein, worin sich Anschlusspunkte an die Suffizienzforderung einer Entflechtung erkennen lassen. 

Eine besondere Rolle spiele Suffizienz schließlich bei der Energiewende. Diese könne nur mit drei zugleich durchgeführten Lösungsstrategien gelingen: einer Steigerung der Energieeffizienz, dem Ausbau erneuerbarer Energien sowie der Förderung suffizienter Lebensstile. Obwohl das Buch die ersten beiden Lösungsstrategien erkennbar höher priorisiert, wird die Unabdingbarkeit von Suffizienz betont. Technisch fokussierte Konsistenz- und Effizienzstrategien allein seien nicht ausreichend, vor allem dann nicht, wenn der Energieverbrauch nicht sinke und weiterhin Energie verschwendet werde.

Doch wie lässt sich Suffizienz erreichen? Auch hierfür bietet das Buch nur indirekt Lösungen an. So brauche es zur Veränderung der gesellschaftlichen Konsummuster nicht nur individueller Verhaltensänderungen, sondern entsprechender politischer Weichenstellungen. Da nicht-nachhaltige Entscheidungen oftmals die bequemeren seien, müsse es die Politik durch gezielte Anreize und Gebote erleichtern, suffiziente Entscheidungen zu treffen (Ermöglichungskultur). Umgekehrt sollten ökologisch nachteilige Entwicklungen, wie etwa ressourcenverschwendender Luxuskonsum, bspw. mittels gezielter Besteuerung unattraktiv gemacht werden. Solche Suffizienzstrategien würden im Kleinen bereits umgesetzt, seien jedoch laut den Autor*innen flächendeckend in allen Themenbereichen notwendig und müssten sich in ein kohärentes Gesamtdesign fügen.

Fazit

Das Buch „Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“ ist definitiv eine lesenswerte Publikation. Mit ausführlichen Erklärungen, vielen Beispielen und zahlreichen Belegen wird überzeugend argumentiert, dass wir vor großen ökologischen und sozialen Herausforderungen stehen, ohne jedoch das Gefühl einer Ausweglosigkeit zu nähren. Vielmehr entsteht bei der Lektüre des Buchs trotz der klaren Darstellung der akuten Probleme insgesamt ein positiver Eindruck von Machbarkeit. Es wird jedoch eines raschen und tiefgreifenden Umdenkens in Politik und Gesellschaft brauchen – angefangen bei Beiträgen eines jeden Einzelnen. Die Autor*innen machen dazu am Ende Vorschläge, wie diese aussehen können und schließen mit den passenden Worten: „Wir können gemeinsam handeln, für eine Welt für alle.“

Buchinformationen

Autor*innen: Manfred Fischedick, Peter Hennicke, Till Kellerhoff, Monika Dittrich, Hans Haake, Lena Hennes, Jacqueline Klingen, Nathalie Spittler, Oliver Wagner sowie Ilona Koglin und Marek Rohde
Titel: Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle
Herausgeber*innen: Club of Rome, Wuppertal Institut
Verlag: oekom
ISBN: 978-3-98726-111-4
Softcover, 320 Seiten
Erscheinungstermin: 14.10.2024

Nachhaltiges Gemeinwohl im Quartier

Neben Ressourcensparsamkeit befasst sich Suffizienz stets auch mit der Frage nach einem guten Leben. Diese wird in Deutschland immer mehr zu einer nach der Ausgestaltung lebenswerter Städte, denn die Urbanisierung hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen: So lag der Anteil der Stadtbewohner*innen 1990 noch bei 70 Prozent und wuchs binnen rund 30 Jahren bis 2022 auf 77,7 Prozent.

Ein gordischer Knoten

Stadtplaner*innen stellt dies regelmäßig vor schwierige Aufgaben. Fast überall gibt es Flächenkonkurrenzen, die durch widerstreitende Vorstellungen zum städtischen Idealbild befeuert werden. Konflikte um das vermeintliche Gemeinwohl, eine gerechte Lastenverteilung und die besten Lösungen im Sinne der Gesamtheit oder zumindest der Mehrheit der Gesellschaft lassen sich fast täglich in den Nachrichten sehen. Häufig geht es dabei um Maßnahmen, die für sich genommen gut klingen: Nur wenige Menschen werden es zunächst ablehnen, wenn man ihnen eine Verbesserung der Luftqualität, bessere Mobilitätsangebote, neuen Wohnraum oder weitere Einkaufsmöglichkeiten verspricht.

Doch nahezu immer gehen diese Lösungen zu Lasten einzelner Personen oder Akteursgruppen und lassen sich vor allem nicht gleichzeitig realisieren. Bei der Planung und Gestaltung von Städten geht es mithin immer auch um die Verwendung knapper Ressourcen, Akzeptanz für gefundene Lösungen und den Ausgleich divergierender Interessen. Nicht umsonst schrieb der Schriftsteller Gerd Heyse: „Auf der Suche nach dem Schlaraffenland sollte man sich ausreichend mit Proviant versorgen.“

Partizipation im Fokus: ein Gemeinwohl-Index für das Quartier

Gerade weil sich Gemeinwohl schwierig bestimmen lässt und Ressourcen überall knapp sind, sollte erfolgreiche Kommunalentwicklung die Betroffenen und ihre Interessen frühzeitig und umfassend einbeziehen. Wie das gelingen kann, zeigt ein Quartiersentwicklungsprojekt in Münster: Dort wurde 2019 laut eigener Aussage unter dem Motto „Gemeinsam Stadt machen – statt machen lassen!“ der bundesweit erste Quartier-Gemeinwohl-Index (QGI) entwickelt. Mittlerweile wurden auf seiner Basis bereits über 80 Projekte im Viertel ausgewählt und realisiert. Der Index ist dabei in einem mehrstufigen Beteiligungsprozess mit Menschen aus dem Quartier entstanden und wird stetig weiterentwickelt. Dies reflektiert die Erkenntnis, dass Gemeinwohl kein starres Gebilde ist, sondern sich Themen und Präferenzen mit der Zeit verändern können. Aktuell besteht der QGI aus 16 Themen, die die unterschiedlichen Aspekte des alltäglichen Lebens im Viertel adressieren. Sie reichen bspw. von Verkehr und Wohnen über Bildung, Gesundheit und Gerechtigkeit bis hin zu Vernetzung, Nachbarschaft oder Älter werden im Viertel.

Erweitert wurde der QGI zuletzt um ein Gemeinwohl-Barometer. Das im Rahmen eines Citizen-Science-Projektes entwickelte Instrument hat zum Ziel, den Zustand des Gemeinwohls im Quartier zu einem bestimmten Zeitpunkt abzubilden und so kommunalen Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung als Richtungsweiser zu dienen.

Und wie steht es mit der Nachhaltigkeit?

Spannend ist an dieser Stelle die Frage, welche Bedeutung die Bewohner*innen des Hansaviertels Nachhaltigkeit im Allgemeinen und Suffizienz im Besonderen beimessen. Die Antwort lautet: eine bemerkenswert große. So findet sich Nachhaltigkeit als eines der 16 Hauptthemen wieder und wird bspw. über eine Wildbienenkampagne, ein Klimawäldchen oder eine Maßnahme zur Verbreitung von Balkonkraftwerken praktiziert. Darüber hinaus finden sich in den umgesetzten Projekten und den von den Anwohner*innen formulierten Visionen zu den genannten Themen in vielfältiger Weise Bezüge zur Strategie der Suffizienz. Dabei geht es um Ressourcensparsamkeit und die Veränderung etablierter Konsum- und Alltagsmuster. So sollen eine Reihe von Projekten wie bspw. ein gemeinsames Lastenreparaturrad oder gemeinsame Aufenthalts- und Freizeitbereiche ein ressourcenschonendes Miteinander fördern.

Ein best practice, das Schule macht?

Das Hansaviertel in Münster ist ein schönes Beispiel dafür, dass sich der Mut zu trialogischen Prozessen lohnen und neue kommunale Gestaltungskräfte freisetzen kann. Zumindest in diesem Fall korrespondiert die entwickelte Gemeinwohlvorstellung der Menschen im Quartier zudem mindestens in Teilen mit den Erfordernissen einer sozial-ökologischen Transformation. Da sich Gemeinwohl jedoch stets aus den Interessen der Menschen vor Ort bzw. den darauf basierenden Aushandlungsprozessen entwickelt, bleibt abzuwarten, inwieweit dies auch bei einem etwaigen Transfer des Ansatzes in andere Quartiere der Fall sein wird.

Grün statt grau – zur Bedeutung der Einhaltung des 30-Hektar-Ziels​

Bis 2050 werden voraussichtlich zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Wo einst natürlicher Boden lag, entstehen immer mehr Gebäude, Straßen und städtische Infrastruktur. Auch in Deutschland wird immer mehr Fläche bebaut und Boden versiegelt, obwohl die Bevölkerung nicht im gleichen Maße wächst (vgl. IÖR 2018). Durch den enormen Zuwachs an Flächenverbrauch geht nicht nur die endliche Ressource des natürlichen Bodens verloren, dies wirkt sich auch negativ auf die Umwelt und das Klima aus. Um diesem Problem entgegenzuwirken, muss der Bedarf an Nutzfläche sinken. Wie das Ziel von „weniger“ an Fläche erreicht werden kann, beschreiben verschiedene Suffizienzansätze im Bereich der Raumplanung.

In diesem Beitrag soll zunächst erklärt werden, worin das Problem des hohen Flächenverbrauchs besteht, woher dieser hohe Bedarf kommt und welche Auswirkungen er hat. Daraufhin werden suffizienzbasierte politische Ansätze zur Verringerung der Siedlungs- und Verkehrsfläche genannt und exemplarische Best-Practice-Beispiele aus der kommunalen Praxis vorgestellt.

Das Problem

Es handelt sich bei natürlichen Böden um eine sehr kostbare, aber auch endliche Ressource, die geschützt werden muss (vgl. IÖR 2018; TAB 2005). In seinem natürlichen Zustand bildet der Boden einen der weltweit größten Kohlenstoffspeicher und trägt damit besonders zum Erhalt und Schutz des Klimas bei (vgl. Niebert 2015). 

Durch die Versiegelung des Bodens, also die luft- und wasserdichte Abdeckung durch Bebauung, Betonierung, Asphaltierung oder anderweitige Befestigung, kann dieser kein CO₂ mehr aufnehmen (vgl. UBA 2024). Die wertvolle klimaregulierende Funktion des Bodens geht durch die Versiegelung verloren. Außerdem wird so deutlich mehr Wärme absorbiert, die natürliche Bodenfruchtbarkeit beeinträchtigt und das Versickern von Niederschlägen verhindert, wodurch sich weniger Grundwasser bildet (vgl. IÖR 2018; UBA 2024).

Dennoch nehmen die Flächeninanspruchnahme und die Versiegelung des Bodens immer weiter zu. Zwar hat die Zunahme im Laufe der letzten 20 Jahre deutlich abgenommen, trotzdem ist die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland zwischen 2018 und 2021 durchschnittlich um 55 Hektar pro Tag gewachsen (vgl. Statistisches Bundesamt 2023a). Dies entspricht einem täglichen Flächenverbrauch von etwa 72 Fußballfeldern (vgl. BMUV 2023).

Damit geht auch für Tiere und Pflanzen wertvoller Boden verloren, der hohe Flächenverbrauch führt zur Zerschneidung der Landschaft, zur Veränderung des Lokalklimas und zu erhöhten Luftschadstoff- und CO₂-Emissionen (vgl. NABU o.J.).

Politische Maßnahmen

Die deutsche Bundesregierung hat dieses Problem durch das 30-Hektar-Ziel aufgegriffen. Bis 2030 soll demnach sichergestellt werden, dass täglich weniger als 30 Hektar neue Fläche für Siedlungen und Verkehr genutzt werden (vgl. Deutsche Bundesregierung 2018; UBA 2018b). Bis 2050 soll die Inanspruchnahme der Fläche pro Tag sogar bei Netto-Null liegen und eine Flächenkreislaufwirtschaft angestrebt werden (vgl. BMUV 2023; UBA 2022). Das heißt, Flächen müssten recycelt bzw. entsiegelt und renaturiert werden (vgl. IÖR 2018).

Eine solche Entsiegelung von Flächen ist zwar möglich, jedoch aufwendig und mit hohen Kosten verbunden. Zudem kann die Wiederherstellung fruchtbarer Böden sehr lange dauern (vgl. UBA 2024). Des Weiteren scheint die Erreichung des 30-Hektar-Ziels bis 2030 bei Betrachtung des anhaltend hohen Flächenverbrauchs nicht realistisch (vgl. NABU 2020). Sowohl für die einzelnen Jahre als auch im 4-Jahres-Mittelwert von 2018 bis 2021 ist das Ziel zur Flächeneinsparung für 2020 deutlich verfehlt worden (vgl. UBA 2023a). Schließlich ist kritisch zu sehen, dass das Erreichen des 30-Hektar-Ziels eigentlich für 2020 vorgesehen war. Infolge der absehbaren Zielverfehlung wurde es 2018 in der leicht veränderten Formulierung „unter 30 Hektar pro Tag“ auf 2030 verschoben (vgl. NABU o.J.; RNE 2007).  

Wofür wird die Fläche genutzt?

Ein Großteil der in Anspruch genommenen Fläche wird für Siedlungen und Verkehr genutzt. 2021 lag der Anstieg der neu genutzten Fläche für Wohnungen, Siedlungen und Gewerbe bei 39 Hektar pro Tag, etwa 8 Hektar pro Tag stieg die Nutzung für den Ausbau des Verkehrs (vgl. Statistisches Bundesamt 2023b). Von 1992 bis 2022 ist die Fläche für Siedlungen und Verkehr um 28,8 Prozent angestiegen (vgl. UBA 2023a). 

Mit 14.159 Quadratkilometern entfällt dabei der Großteil der Fläche auf die Wohnbaufläche (vgl. Statistisches Bundesamt 2023c). Bemerkenswert ist an dieser Stelle ein wachsender Flächenverbrauch pro Kopf: Während die deutsche Bevölkerung von 2011 bis 2020 um 3,5 Prozent gewachsen ist, stieg die Wohnfläche im selben Zeitraum um 6,5 Prozent (vgl. Architektenkammer Baden-Württemberg 2022). 

Politische Stellschrauben zur Verringerung des Flächenverbrauch

Um dem 30-Hektar-Ziel näherzukommen, wird eine konsequente Weiterentwicklung von praxisnahen, politischen, rechtlichen, informatorischen und ökonomischen Instrumenten des Flächensparens benötigt (vgl. TAB 2005). Darunter fallen z. B. Entsiegelungs- und Renaturierungskonzepte, die Erneuerung der Grundsteuer und das Schaffen regionaler Kooperationen (vgl. BMUV 2023; TAB 2005; UBA 2022). Generell wird eine dreistufige Handlungsempfehlung zur Vermeidung von neuer Flächenversiegelung vorgeschlagen, die dem Bestandsschutz, der Bestandssanierung und -entwicklung einen klaren Vorrang einräumt. Erst wenn die Erhaltung und Erneuerung von Beständen ausgeschöpft sind, sollte eine vertikale Bestandserweiterung stattfinden. Der Neubau bietet folglich nur die letzte Möglichkeit (vgl. Deutscher Städtetag 2021; UBA 2023b). Auch die Förderung von innovativen Ansätzen wie der Flächenkontingentierung gehört dabei in die öffentliche Diskussion (vgl. BMUV 2023; UBA 2018b; UBA 2022). Hierbei soll der Handel mit begrenzten Flächenzertifikaten für die Steuerung der Flächeninanspruchnahme sorgen und die Bebauung neuer Flächen begrenzen (vgl. IÖR 2018; UBA 2018a).

Hinsichtlich bestehender Siedlungsflächen sollte der Innenentwicklung von Städten der Vorzug gegenüber ihrer Außenentwicklung gegeben werden. Statt auf Neubauten in Randgebieten der Städte zu setzen, sollten folglich zunächst die Potenziale im Inneren ausgeschöpft werden, indem Brachflächen, Freiflächen und Baulücken genutzt werden (vgl. BMUV 2023; NABU o.J.; RNE 2007; UBA 2022). Das Verhältnis von Innen- zu Außenentwicklung sollte bei mindestens 3:1 liegen, während sich das Potenzial der Innenentwicklung auf geschätzte 120.000 bis 165.000 Hektar beläuft (vgl. IÖR 2018; UBA 2018b).

Außerdem braucht es verstärkt die Bereitschaft zum Flächenrecycling, also die Weiter- und Umnutzung bereits genutzter Flächen und von Leerständen (vgl. Architektenkammer Baden-Württemberg 2022; BBSR 2023; BMUV 2023; IÖR 2018; RNE 2007; UBA 2022). Eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung geht davon aus, dass in Deutschland 350 bis 380 Millionen Quadratmeter Bürofläche zur Verfügung stehen, die mit geringem Aufwand umgenutzt werden könnten. Dadurch würden 100.000 neue Wohneinheiten pro Jahr entstehen. Die Wiederbelebung von Leerständen könnte zur Schaffung von 18.000 Wohneinheiten pro Jahr führen, die Aufstockung von Parkhäusern, Einzelhandels- und Verwaltungsgebäuden könnte weitere 49.000 Wohneinheiten schaffen (vgl. BBSR 2023). Von Anfang an sollten flexible Grundrisse geplant werden, um eine Umgestaltung von Gebäuden zu vereinfachen (vgl. Architektenkammer Baden-Württemberg 2022; BBSR 2023).

Auch im Verkehr sollte der Neubau von Bundesfernstraßen und neuen Verkehrsinfrastrukturen reduziert und stattdessen bestehende Strukturen erneuert und verbessert werden. Darüber hinaus sollten Subventionen wie die Pendlerpauschale, die die Außenentwicklung begünstigen, abgebaut werden (vgl. UBA 2022).

Kommunen machen es vor

Dass es auch anders geht, zeigen eine Reihe von Beispielen, die Böcker et al. (2020) im Rahmen der Publikation „Wie wird weniger genug? Suffizienz als Strategie für eine nachhaltige Stadtentwicklung” zusammengetragen haben.

Zum einen können Kommunen eine aktive Bodenpolitik praktizieren, wie es die Städte Ulm und Tübingen tun. Durch das vorausschauende Ankaufen von Flächen sichert sich die Stadt Ulm weitreichende Gestaltungs- und Handlungsmacht. In Tübingen werden Grundstücke und Baurechte anhand des besten Konzeptes statt des höchsten Preises vergeben. Auf diese Weise wirken die Kommunen noch stärker gestalterisch an der Stadtgestaltung mit und können sich für sozial und ökologisch nachhaltige und vor allem flächensparende Lösungen auf diesen Arealen entscheiden (vgl. Böcker et al. 2020). 

Zum anderen können Städte durch eine bewusste Quartiersentwicklung zur Schonung des Flächenverbrauchs beitragen, wie es das Beispiel eines Wohnquartiers in Flensburg zeigt. Bei der Entwicklung wurde dort dezidiert ein geringer Ressourcen- und Flächenverbrauch angestrebt, indem möglichst wenig Fläche versiegelt wird, Frei- und Dachflächen multifunktional genutzt werden, auf flexible Grundrisse geachtet wird und eine geringe Pro-Kopf-Wohnfläche zur Verfügung steht (vgl. BBSR 2023; Böcker et al. 2020; Stadt Flensburg 2023). 

Auch in anderen Bereichen, wie dem Verkehr oder dem Einzelhandel, können Kommunen Maßnahmen ergreifen. In der Stadt Siegen wurde z. B. ein jahrelang existierender Parkplatz für etwa 200 Pkw zurückgebaut und ein begrüntes Flussufer geschaffen. Die Stadt Ravensburg hingegen hat beschlossen, den Einzelhandel nicht am Stadtrand anzusiedeln. Stattdessen soll die Attraktivität der Innenstadt, z. B. durch ein kostenloses Busangebot und vergünstigte Parkplätze, gesteigert werden. Infolgedessen werden leerstehende Gebäude wieder genutzt und es müssen keine neuen Flächen in Anspruch genommen werden (vgl. Böcker et al. 2020).

Akzeptanz von Veränderung

Unbestreitbar ist das politische Ziel einer Verminderung des Flächenverbrauchs ökologisch richtig und wichtig. Doch obwohl es gute Ansätze und Beispiele gibt, gestaltet sich die praktische Umsetzung vielerorts wie so häufig schwierig. Einige politische Stellschrauben und Ansätze wurden dazu in diesem Beitrag umrissen. Ausgehend vom Status quo scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Zielvorstellung, in weniger als 30 Jahren eine Flächenkreislaufwirtschaft zu erreichen, illusorisch. Umso mehr ist jedoch zu hoffen, dass zügig überall in der Republik suffizienzgetriebene Flächennutzungskonzepte Einzug erhalten, die nicht nur punktuelle Leuchtturmprojekte realisieren, sondern systematische und stetige Prozesse im Sinne eines schonenden Umgangs mit der Ressource Boden ermöglichen. 

Insbesondere der anhaltend große Wohnflächenverbrauch zeigt an dieser Stelle deutlich, dass es mehr denn auch auf die individuelle Bereitschaft der Bürger*innen ankommen wird, die eigenen Lebensroutinen zu hinterfragen und Veränderungen zuzulassen.

Literaturverzeichnis

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Böcker, Maike/ Brüggemann, Henning/ Christ, Michaela/ Knak, Alexandra/ Lage, Jonas/ Sommer, Bernd (2020): Wie wird weniger genug? Suffizienz als Strategie für eine nachhaltige Stadtentwicklung. online unter: https://www.nachhaltige-zukunftsstadt.de/downloads/Wie_wird_weniger_geung_2021.pdf. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 16:46 Uhr).

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (2023): Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich. online unter: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2023/bbsr-online-09-2023-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=2. )letzter Aufruf: 21.02.2024, 13:08 Uhr).

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) (2023): Flächenverbrauch – Worum geht es? online unter: https://www.bmuv.de/themen/nachhaltigkeit/strategie-und-umsetzung/reduzierung-des-flaechenverbrauchs#:~:text=T%C3%A4glich%20werden%20in%20Deutschland%20rund,engeren%20Wortsinn%20nicht%20%22verbrauchen%22. (letzter Aufruf: 15.02.2024, 16:13 Uhr).

Deutsche Bundesregierung (2018): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Aktualisierung 2018. online unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975274/1546450/65089964ed4a2ab07ca8a4919e09e0af/2018-11-07-aktualisierung-dns-2018-data.pdf?download=1. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 9:15 Uhr). 

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Naturschutzbund Deutschland (NABU) (o.J.): Flächenverbrauch reduzieren – Wie kann nachhaltige Stadtentwicklung gelingen? online unter: https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/bauen/hintergrund/26636.html. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 8:59 Uhr). 

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Statistisches Bundesamt (2023b): Flächennutzung. Jährliche Zunahme einzelner Nutzungsarten. online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Flaechennutzung/Tabellen/anstieg-suv.html. (letzter Aufruf: 16.02.2024, 12:50 Uhr).

Statistisches Bundesamt (2023c): Flächennutzung. Fläche für Siedlung nach Nutzungsarten in Deutschland. online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Flaechennutzung/Tabellen/siedlungsflaeche.html. (letzter Aufruf: 19.02.2024, 09:18 Uhr). 

Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) (2005): TA-Projekt Reduzierung der Flächeninanspruchnahme – Ziele, Maßnahmen, Wirkungen. Endbericht. online unter: https://www.tab-beim-bundestag.de/projekte_reduzierung-der-flacheninanspruchnahme-ziele-massnahmen-wirkungen.php. (letzer Aufruf: 22.02.2024, 10:09 Uhr).

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Umweltbundesamt (UBA) (2022): Flächensparen – Böden und Landschaften erhalten. online unter: https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-flaeche/flaechensparen-boeden-landschaften-erhalten#flachenverbrauch-in-deutschland-und-strategien-zum-flachensparen. (letzter Aufruf: 15.02.2024, 16:27 Uhr).

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Umweltbundesamt (UBA) (2024): Bodenversiegelung. online unter: https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/boden/bodenversiegelung#was-ist-bodenversiegelung. (letzter Aufruf: 15.02.2024, 15:42 Uhr).

Suffizienz als „Strategie des Genug“

Wir leben in einer Zeit multipler ökologischer Krisen und Herausforderungen. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass ein „weiter so” katastrophale Folgen für die Lebensgrundlagen des Menschen haben wird. Nichts zeigt dies eindrücklicher als ein Blick auf die Planetaren Grenzen (siehe Abb.), von denen bereits sechs der neun überschritten sind. Als eine der größten Volkswirtschaften der Erde trägt Deutschland dabei eine entscheidende Mitverantwortung. Umso alarmierender ist es, dass das Land aktuell eine ganze Reihe von Umweltzielen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2030 zu verfehlen droht. Es braucht offensichtlich dringender denn je Maßnahmen und innovative Ansätze zur Minderung des Ressourcenverbrauchs und der Umweltbelastung.

 

Ein Diskussionspapier – 16 Thesen

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) hat vor diesem Hintergrund kürzlich ein Diskussionspapier veröffentlicht. Bemerkenswert ist, dass die bisweilen immer noch vernachlässigte Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz die Hauptrolle spielt. Anhand von ineinander verzahnten 16 Thesen, die jeweils inhaltliche Aspekte rund um Suffizienz fokussieren, wird die Notwendigkeit dieser Nachhaltigkeitsstrategie in einem kondensiert zusammengetragenen wissenschaftlichen Diskurs dargelegt. Das Diskussionspapier bietet dabei einen umfassenden Blick auf die im Rahmen der planetaren Grenzen erforderliche Rolle von Suffizienz im Zusammenspiel von Natur und Kultur. Die Thesen entfalten sich bewusst nicht entlang einer linearen Logik, sondern spannen Bögen innerhalb thematisch gruppierter Blöcke:

Das Fundament: Warum Nachhaltigkeit ohne Suffizienz nicht möglich ist 
These 1: Suffizienz ist für eine Stabilisierung der Erde innerhalb planetarer Grenzen unerlässlich.
These 2: Suffizienz ist Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben aller in planetaren Grenzen.

Die Zusammenhänge: Fünf Thesen für ein systemisches Verständnis von Suffizienz 
These 3: Suffizienz ist notwendiger Teil einer Strategie, um schädliche Eigendynamiken der Technosphäre einzuhegen.
These 4: Suffizienz kann den Bedarf an Rohstoffen reduzieren und zu ihrer langfristigen Verfügbarkeit beitragen. 
These 5: Die Verbreitung suffizienter Praktiken erfordert auch strukturellen Wandel. 
These 6: Ressourcenintensive Lebensstile gefährden die Freiheit anderer und es gibt keinen moralischen Anspruch, dies zu ignorieren. 
These 7: Suffizienz konfrontiert die Gesellschaft mit den Widersprüchen der westlichen Moderne. 

Vier fachliche Perspektiven: Suffizienz in Ökonomie, Kreislaufwirtschaft, Recht und Kultur
These 8: Suffizienz erfordert ein zukunftsfähiges Wohlfahrtsverständnis und ein vorsorgeorientiertes Wirtschaftssystem. 
These 9: Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft setzt Suffizienz voraus.
These 10: Eine Politik der Suffizienz ist verfassungsrechtlich möglich und unter bestimmten Bedingungen sogar geboten.
These 11: Kultureller Wandel ist Voraussetzung für und Resultat von Suffizienzpolitik. 

Die Herausforderungen: Fünf Thesen zu Chancen von und Hindernissen für Suffizienz 
These 12: Suffizienz kann Baustein eines gelingenden Lebens sein.
These 13: Ökonomische Analysen zu Ökologie und Verteilungsgerechtigkeit bereichern den Suffizienzdiskurs.
These 14: Suffizienzpolitik wird auf gesellschaftliche Widerstände treffen. 
These 15: Suffizienzpolitik muss sozial gerecht gestaltet werden und kann Ungleichheit verringern. 
These 16: Es bedarf einer Verständigung auf zentrale Handlungsfelder für Suffizienzmaßnahmen. 

Lösungen brauchen Dialog und Akzeptanz

Das knapp 100-seitige Dokument erlegt sich bereits zu Beginn selbst die Grenze auf, das „Warum” jedoch nicht das „Wie” zu erörtern. Es geht den Autor*innen darum, evidenzbasiert die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung von Suffizienz neben Effizienz und Konsistenz zu diskutieren. Es geht dem Diskussionspapier nicht darum, finale Lösungen zu präsentieren, sondern einen Debattenbeitrag zu leisten und zu einer pluralen Debatte hinsichtlich einer nachhaltigen Zukunftsfähigkeit und einem zeitgemäßen Wohlfahrtsverständnis anzuregen. 

Dabei zeigt die Lektüre des inhaltlich verdichteten Diskussionspapiers eindrücklich eine wiederkehrende Herausforderung in der Wissenschaftskommunikation sowie allgemeinen Bürgerbeteiligung: Wie gelingt es, komplexe Zusammenhänge zugleich inhaltlich tiefgehend zu behandeln und laienfreundlich darzustellen, sodass eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung ohne unzulässige Simplifizierungen möglich wird. 

Ein erster Schritt zur öffentlichen Debatte mit Fachpublikum wurde bereits mit einer Online-Veranstaltung des SRU Ende April gelegt, die Raum für Diskussionsbeiträge von Akteuren aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft bot. Die fehlenden Antworten auf die Frage des „Wie“ wurden dabei wiederholt durch teilnehmende Impulsgeber*innen während der Veranstaltung angemerkt, insb., da sie die Vermittlung des „Warum“ in den letzten Jahrzehnten als erfolgsarmes Unterfangen resümieren. Zwar hält das Diskussionspapier dafür – wie gesagt – bewusst wenig konkrete Handlungsempfehlungen bereit, legt jedoch schlüssig und eindrücklich dar, dass notwendige Maßnahmen nur auf demokratischen Wege zu finden sind. Dafür wird es jedoch auch weiterhin erheblicher Anstrengungen bedürfen, um die komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisse niederschwellig in die Gesellschaft zu tragen und eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für substantielle Veränderungen zu erreichen. 

Da die Zeit mehr denn je drängt, ist zu hoffen, dass dieser Austausch nur der Auftakt für einen verstetigten, umfassenden und inklusiven Dialogprozess ist – ganz im Sinne der formulierten abschließenden Diskussionseinladung der Autor*innen des vorgestellten Papiers.

Das Diskussionspapier des Sachverständigenrats für Umweltfragen steht hier zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Fachgespräch zu Suffizienz als Nachhaltigkeitspolitik

Der diesjährige deutsche Erdüberlastungstag am 2. Mai steht kurz bevor ­– zwei Tage früher als letztes Jahr. Immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen auf, dass eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs unumgänglich ist, um ein gutes Leben innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen zu ermöglichen. Dieser Bedarf spiegelt sich in den aktuellen politischen Nachhaltigkeitsstratgien allerdings noch nicht wider.

Vor diesem Hintergrund hat das Ökumenische Netzwerk Klimagerechtigkeit vergangenen Herbst ein Positionspapier „Eine Strategie des Genug“ veröffentlicht. Auf dessen Basis fand am 10. April 2024 ein einstündiger Austausch im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung im Paul-Löbe-Haus statt und wurde zugleich online übertragen. Im Anschluss an eine Kurzvorstellung der zentralen Anliegen des Positionspapiers wurden dessen politischen Implikationen diskutiert.

Das Ökumenische Netzwerk tritt in dem von 60 Organisationen unterzeichneten Positionspapier mit zwei konkreten Forderungen an die Politik heran:

1. Suffizienz soll als zentrales Nachhaltigkeitsprinzip neben Effizienz und Konsistenz anerkannt und in einer Bundestags-Enquete-Kommission diskutiert werden.

2. Suffizienz soll als fester Bestandteil der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie verankert werden.

Um dem Thema Suffizienz politisch gerecht zu werden, wird vorgeschlagen, das Querschnittsthema als 7. Transformationsbereich „Soziale Innovationen/Suffizienz“ an die Arbeit in den Ministerien anzugliedern. Als Aufgaben leiten sich daraus für alle Transformationsbereiche Maßnahmen mit dem Ziel der absoluten Verbrauchsreduktion sowie eine Einbeziehung von Suffizienz in die Nachhaltigkeitsprüfung von Gesetzen ab. Zur Entwicklung erfolgreicher Suffizienzmaßnahmen legt das Ökumenische Netzwerk außerdem die Initiierung eines „Nationalen Forschungsprogramms Suffizienz“ nahe. In dessen Rahmen könnten z. B. Studien dazu dienen, ein besseres Verständnis der Wirksamkeit einer erfolgreichen Kommunikation von Suffizienzpolitiken zu liefern. Langfristig steht die große Frage im Raum, wie das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden kann, um das nachhaltige Funktionieren der gesellschaftlichen Systeme zu sichern.

Diskussion zum Verhältnis von Suffizienzpolitik und Freiheit

In der Debatte mit Mitgliedern des Parlamentarischen Beirats zeigten sich die unterschiedlichen politischen Zugänge zum Thema Suffizienz. Sorgen um die nachhaltigkeitspolitisch begründete Einschränkung von Gestaltungsfreiheiten der Bürger*innen begegneten Sorgen um Freiheitseinschränkungen in Folge der multiplen Krisen.

Die eingeladenen Sachverständigen betonten in ihren Reaktionen auf die Beiträge, dass Suffizienz bereits für viele Bürger*innen gelebter Alltag ist. Sie verwiesen hierbei auch auf Studien, die eine mehrheitliche Akzeptanz von Suffizienzmaßnahmen nahelegen, beispielsweise eine Auswertung der vorgeschlagenen Nachhaltigkeitsmaßnahmen elf europäischer Bürger*innenräte. Parallel wurde ein Mangel an politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen herausgestellt, die suffizientes Verhalten zur einfachen, bequemen und günstigen Variante befördern. Carina Zell-Ziegler vom Öko-Institut betonte an dieser Stelle die Bedeutung aktuell bestehender Preisverzerrungen zu Lasten der Nachhaltigkeit: „Ich würde noch hinzufügen, dass ja die Preise im Moment auch nicht die ökologischen Schäden widerspiegeln und dass auch eine Abschaffung von umweltschädlichen Subventionen eigentlich Teil einer Suffizienzpolitik sein müsste […], um die wahren ökologischen Kosten zu zeigen und damit erst mal eine Preistransparenz zu schaffen für die ökologischen Schäden, die mit dem Konsum einhergehen.“

In der Kommunikation empfiehlt das Ökumenische Netzwerk, mit Positiv-Beispielen zu motivieren und Chancen zum gemeinsamen Lösen sozialer und ökologischer Probleme aufzuzeigen. In ihrer Arbeit ist es ihnen wichtig den informativen Austausch in einem Miteinander zu führen, erzählte Isabell Rutkowski von Bund katholische Jugend. Ein zentrales Element sei es dabei, die Ängste vieler Menschen wahrzunehmen und politisch widerzuspiegeln. Astrid Hake vom Ökumenischen Netzwerk beschrieb ein Ping-Pong-Spiel zwischen dem Bedarf von kulturellen Veränderungen in der Wahrnehmung von Genügsamkeit und den benötigten politischen Rahmenbedingungen. Der aktive kulturelle Wandel soll die Resilienz stärken und eben jenen Ängsten vor Skeptikern der Suffizienzpolitik vorbeugen: Einer Gesellschaft im Krisenmodus mit reduziert verfügbaren, rationierten Ressourcen. Jörg Göpfert von der Evangelischen Akademie reagierte auf die seitens des AFD-Vertreters geäußerte Befürchtung einer rationierenden Planwirtschaft: „Dieses Zuteilungsmodell das ist ja eben das denkbar für uns unschönste Szenario. Das wird aber auf [die Menschheit] zukommen, wenn wir nicht den Weg, den wir jetzt beschreiten, verlassen und versuchen ihn doch verträglicher zu gestalten. Und deswegen regen wir ja diese Debatte an.“

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat den Impuls zur Diskussion von Suffizienzpolitiken erfreut aufgenommen und Interesse an einem weiteren Austausch zu diesem Thema geäußert. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat kürzlich ein Diskussionspapier mit 16 Thesen zu Suffizienz als „Eine Strategie des Genug“ veröffentlicht und eine öffentliche Diskussionsveranstaltung angestoßen.

Insgesamt lässt sich die Veranstaltung folglich als kompakter und konstruktiver Austausch einordnen. Es lässt sich an dieser Stelle hoffen, dass aufgrund der akuten Dringlichkeit der ökologischen Herausforderungen dies nur der Auftakt für eine Reihe zeitnah folgender Formate ist, die die Bedeutung von Suffizienz ins politische Rampenlicht rücken. Denn da gehört sie hin.

Die Aufzeichnung der Veranstaltung des parlamentarischen Beirats vom 10. April 2024 können Sie sich hier im Nachhinein anschauen.