KI und Suffizienz – Wie passt das zusammen?

KI-Systeme bestimmen unseren Alltag. Sie personalisieren Musik-, Film- oder Kaufempfehlungen, generieren automatische Untertitel und optimieren Übersetzungen [1]. Insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnologie, der Fahrzeugbau sowie unternehmerische Dienstleistungen machen bereits seit langem einen Großteil der KI-Anwendungen aus und wachsen rasant [2]. Aber was bedeutet KI überhaupt?

Definition: „Künstliche Intelligenz“
KI bezeichnet scheinbar intelligentes Verhalten von digitalen Anwendungen.
„KI wird im engeren Sinne wird definiert als ‚Lernende Systeme‘, die auf Methoden des maschinellen Lernens basieren. Warum „lernend“? Anders als in der klassischen Programmierung gibt ein Algorithmus hier nicht jeden Schritt der Lösung vor. Stattdessen „lernt“ das KI-System den Weg zur Lösung ähnlich wie ein Mensch auf Basis von Beobachtungen – den Daten – in vielen aufeinander aufbauenden „Trainingsläufen“. Dies geschieht, indem maschinelle Lernverfahren komplexe Muster oder Abweichungen in Datensätzen erkennen und auf ihrer Basis Vorhersagen treffen.“[3]
Abgrenzung: „Bei künstlichen Intelligenzen wird zwischen schwacher und starker KI unterscheiden. Während sich die schwache KI in der Regel mit konkreten Anwendungsproblemen beschäftigt, geht es bei der starken KI darum, eine allgemeine Intelligenz zu schaffen, die der des Menschen gleicht oder diese übertrifft. Oft wird davon gesprochen, dass schwache KI Intelligenz nur simuliert, während starke KI wirklich intelligent ist und dazulernt.“[4]

Beispiel: Reboundeffekte beim Streamen

KI-Systeme finden sich auch im Alltag wieder. Das Empfehlungssystem von Netflix analysiert tagtäglich unsere Sehgewohnheiten anhand der Tageszeiten, die verwendeten Geräte sowie die Nutzungsdauer [5]. Netflix nutzt KI, um Filme, uns Serien passgenau zu empfehlen. Der damit verbundene Mehrkonsum führt zu einer Erhöhung des Energieverbrauchs.

Der Studie „Shift Project“ (2019) zufolge, setzen sich bereits heute 80 Prozent des globalen Datenverkehrs aus Video-Daten zusammen. 34 Prozent (100 Millionen Tonnen CO2-Equivalent) entstehen durch „Video-on-Demand-Services“. Die dadurch entstandene CO2-Fußabdruck bezifferte der Konzern Netflix im Jahr 2020 auf rund 1,1 Millionen Tonnen – und dabei sind die Rechenzentren nicht einmal mit berücksichtigt [6].

Heutige Onlinedienste bieten die Möglichkeit, Filme und Videos an jedem Tag und zu jeder Stunde zu streamen. 29 Prozent der Deutschen nutzen den Streamingdienst mindestens wöchentlich und 13 Prozent sogar täglich (Stand 11.11.2021) [7]. Bis 2027 soll sich der Umsatz durch das deutschlandweite Streaming sogar nahezu verdoppeln [8]. Der Energieverbrauch ist immens. Zwar sparen wir – aufgrund des verminderten Verkaufs einer DVD – Ressourcen ein, dennoch leiten uns Streamingdienste dazu, mehr zu sehen als jemals zuvor. Dieser Effekt, dass Leute zwar auf den DVD-Kauf verzichten und damit eigentlich diesen Ressourceneinsatz minimieren, sie im Umkehrschluss aber mehr streamen, dämpft das Einsparpotential. Dieses Prinzip wird in der Wissenschaft und Politik als Reboundeffekt benannt.

Beispiel: Nachhaltiger Suchassistent

Künstliche Intelligenz kann aber auch genutzt werden, um unser nachhaltiges Konsumverhalten zu beeinflussen. Ein Beispiel ist der „Green Consumption Assistent“ der Technischen Universität Berlin. 2020 entwickelten Sie in Zusammenarbeit eine KI-basierte Produktdatenbank. Das System setzt auf maschinelles Lernen, indem grüne Produktalternativen genannt und Informationen über nachhaltigere Alternativen zum Neukauf dargelegt werden. Durch grüne Banner der Kategorien „nachhaltig“, „B-Ware“ oder „gebraucht“, können sich Konsument*innen über nachhaltigere Konsumalternativen, also Produkte mit geringeren sozialen und ökologischen Kosten informieren. Repair-, Verleih- und Sharing-Optionen werden auf der Seite des Projektpartners ECOSIA prioritär angezeigt. Die vereinfachte Darstellung („Nudging“) soll die Konsument*innen zum nachhaltigen Konsum „stupsen“ und dem ausbleibenden Nachhaltigkeitsanspruch im entscheidenden Moment entgegenwirken (die „Value-Action-Gap“ schließen). Das maschinelle Lernen der GreenDB soll außerdem Gefahren des Greenwashings eindämmen, indem die Relevanz und Validität entsprechender Nachhaltigkeitslabel überprüft werden [9]

Bis heute ist die grüne Datenbank auf ca. 220.000 Produkte  (Kleidung und Elektronik) aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien angewachsen (Stand: Mai 2022). Neben einer wöchentlichen Aktualisierung der Produktinformationen sollen zukünftig auch die Siegel, Nachhaltigkeitsinformationen sowie Produktbewertungen diversifiziert werden, indem z. B. ein dunkles Kohle-Symbol, als Klassifikation unternehmerischer Förderung fossiler Energie, vergeben wird [10].

Es zeigt sich, mit Künstlicher Intelligenz gehen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken einher. Wo der Mensch wirkt, werden Ressourcen verbraucht. KI-Systeme können auch gegen uns verwendet werden. Dabei geht es nicht um die vielfach prophezeite „Weltherrschaft“, sondern um die Möglichkeit der Manipulation unseres Konsumverhaltens in positiver aber auch negativer Richtung. Fakt ist: Der Einsatz Künstlicher Intelligenz benötigt Ressourcen. KI kann uns bei der Bearbeitung komplexer Sachverhalte unterstützen. Es nimmt uns aber nicht das selbstbestimmte, verantwortungsvolle Denken und Handeln ab.

Quellen

[1] Sustain Magazin (2022): sustain. Nachhaltige KI in der Praxis. Im Internet unter: https://algorithmwatch.org/de/sustain-magazin-2022 

[2] Boucher, Philip; European Parliamentary Research Service (Hg.) (2020): Artificial intelligence: How does it work, why does it matter, and what can we do about it? DOI: 10.2861/ 44572 

[3] BMU, Arbeitsgruppe „Umwelt- informationen, Daten, Künstliche Intelligenz“ (2021): Fünf-Punkte-Programm „Künstliche Intelligenz für Umwelt und Klima“. Im Internet unter: https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Digitalisierung/factsheet_ki_bf.pdf

[4] Uni Oldenburg (2008/2009): Schwache KI und Starke KI, in: http://www.informatik.uni-oldenburg.de/~iug08/ki/Grundlagen_Starke_KI_vs._Schwache_KI.html

[5] Netflix (o.J.): Wie funktioniert das Empfehlungssystem von Netflix?, in: https://help.netflix.com/de/node/100639

[6] Schmidt, Katharina (2021): Netflix, Youtube, Spotify: So klimaschädlich ist Streaming wirklich, in: Utopia (Hrsg.), https://utopia.de/ratgeber/streaming-dienste-klima-netflix-co2/

[7] Statista (2021): Nutzungshäufigkeit von Mediatheken und Streamingdiensten in Deutschland im Jahr 2022, in: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/627483/umfrage/nutzungshaefigkeit-von-videostream-anbietern-in-deutschland/

[8] Statista (o.J.): Video-Streaming (SVoD) – Deutschland, in: https://de.statista.com/outlook/dmo/digitale-medien/video-on-demand/video-streaming-svod/deutschland

[9] Staiger, Teresa (2022): Reparieren statt kaufen, alt statt neu: Wie eine Datenbank nachhaltigeren Konsum fördern will, in: reframe[Tech] (Hrsg.), https://www.reframetech.de/2022/07/25/reparieren-statt-kaufen-alt-statt-neu-wie-eine-datenbank-nachhaltigeren-konsum-foerdern-will/

[10] Green Konsumtion Assistant (2022): Produkt-Update III: Ecosia Shopping und Green Database sind verfügbar, in: https://green-consumption-assistant.de/update-iii/

Projektarbeit zu Suffizienz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE)

Im Wintersemester 2021/22 haben Studierende mögliche Lösungswege für mehr Nachhaltigkeit und weniger Leistungsdruck an der HNEE formuliert. Auf Ihrem Plakat (siehe Bild 1) zeigen sie anhand verschiedener Bereiche des Hochschulsystems, inwiefern diese im Rahmen der 4 E’s der Suffizienz angepasst werden könnten.

Suffizienz meint in dem Kontext, das „richtige“ und „notwendige“ Maß von Ressourcenverbrauch anzustreben, sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene. Häufig werden die vier E’s nach Wolfgang Sachs genutzt – Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung – um sich am richtigen Maß zu orientieren.

Bild 1: Suffizienz an der HNEE

Wie sind die vier E´s an der HNEE umsetzbar?

Die Studierenden sehen das größte Potenzial zur Verbesserung der Strukturen in den Bereichen Vernetzung, Bürokratieab- und umbau und der Material-Ressourceneinsparung.

Vernetzung: Die Intensivierung der Vernetzung, d. h. verbesserter Austausch und Kontakt zwischen den Hochschulangehörigen, sowie der Ausbau von fachübergreifenden Lehrveranstaltungen, soll zu Entschleunigung führen. Um das zu bewerkstelligen, sei es notwendig, reale Orte am Standort der Hochschule zu schaffen. Das können sein (1) Silence Space für Ruhe und Achtsamkeit; (2) Aufenthaltsräume, Cafés etc. zum Austausch und für Pausen; (3) Orte der Beratung für Familien und internationale Studierende und Burn-Out-Prävention; und (4) Food-Sharing und Schenkschränke als Orte nach dem Common-Prinzip. Diese Orte sollten gleichermaßen für alle Hochschulangehörigen zugänglich sein.

Bürokratieab- und umbau: Entflechtung werde insbesondere durch Bürokratieabbau erzeugt, indem Zugang zu den Angeboten für alle Menschen z. B. mit Familie, Job und anderen Sondersituationen ermöglicht wird. Die Umstrukturierung, vorwiegend die Vereinfachung der Bürokratie, führe dazu, dass der Transferprozess von Informationen intensiviert wird. Das bedeute, dass transferiertes Wissen z. B. im Rahmen von Amtswechseln in Gremien vereinfacht zugänglich ist.

Material-Ressourceneinsparung: Die Wiederverwendung und Einsparung von Materialien und Ressourcen wird als Maßnahme der materiellen Entrümplung vorgestellt. Eine Umfrage hat ergeben, dass die Studierenden Möglichkeiten der Einsparung vor allem in den Bereichen Heizung/Wärme, Druckerpapier, Wasser, Lehrinhalte und Strom sehen. An der HNEE gibt es bereits einen Beschaffungsleitfaden, welcher den Materialkauf und die Frage „Wann wird etwas weggeworfen?“ regelt. Die Studierenden fordern zudem die Einsparung von z. B. Labormaterialien.

Wie kann der Leistungsdruck an der Hochschule verringert werden?

Neben der materiellen Suffizienz fokussierten die Studierenden auch den sozialen Bereich der Suffizienz. Laut einer Umfrage empfinden 11,38 Prozent der Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden der Hochschule sehr starken und 45,51 Prozent der Befragten starken Leistungsdruck. Können Ansätze der Suffizienz dem Empfinden hoher Belastung und Leistungsdruck entgegenwirken?

Zur Verbesserung der Lebensqualität an der Hochschule brauche es grundlegende Rahmenbedingungen, die Entschleunigung sowie Entkommerzialisierung hervorrufen. Da Stress auf subjektiver Wahrnehmung beruht, dürfen die Maßnahmen jedoch nicht zu spezifisch formuliert sein. Nachjustieren könnte die HNEE etwa, indem flexible Möglichkeiten der Zeiteinteilung geschaffen werden. Die Auswahl zwischen Voll- und Teilzeit sollte frei wählbar sein und das Angebot von Prüfungszeiträumen müsse ausgebaut werden. Zudem sind das Vertrauen und die Wertschätzung zwischen den Hochschulangehörigen essentiell, um das Gefühl des Leistungsdrucks zu vermindern.

Fazit/Ausblick

Um ein optimales Maß zwischen Einsparung und Verzicht zu finden, sollte Suffizienz in der Hochschulpolitik und -kultur offen besprochen werden. Eine Suffizienzstrategie kann dazu beitragen, die Lebensqualität für alle an der Hochschule zu verbessern. In einem Interview mit Studierenden aus dem Projekt wird deutlich, an welchen Stellen die HNEE bereits Suffizienz praktiziert und wo es Verbesserungsbedarf gibt.

Veröffentlichungen zum Thema Suffizienz an der HNEE

Allan Dietz (2021): Die Gewaltfreie Kommunikation als Ansatz zur Förderung von suffizientem Handeln an Hochschulen. Eine Fallstudie zur Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

Radka Geißler (2022): Mehr ist weniger. Suffizienz an der HNEE. Online unter URL: https://www.ackerdemiker.in/post/mehr-ist-weniger-suffizienz-an-der-hnee (Abruf: 13.10.2022).

Marcel Pfeifer (2022): Konzeptvorschlag zur Entwicklung einer Suffizienz-Strategie für die HNEE. Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.