Reisen ist vielen Menschen eine Herzensangelegenheit und wichtiger Bestandteil der wiederkehrenden Jahresplanung. Mindestens einmal im Jahr, meistens deutlich häufiger, soll der Ausbruch aus dem Alltag für eine Erholung von Stress und Anstrengungen sorgen. Die globale Vernetzung in den letzten Jahrzehnten sowie sinkende Mobilitätskosten unterstützen diese „Hauptsache-weg-Mentalität“, sodass der Anteil an Auslandsreisen denjenigen von Inlandsreisen seit Jahren übersteigt. Damit einhergehend ist eine langfristige Zunahme von Flugreisen – einer im relativen Vergleich sehr ressourcenintensiven Fortbewegungsart. Gleichzeitig nimmt jedoch auch der Wunsch nach nachhaltigem Reisen zu. Nachfolgend wird dieses Bedürfnis aus einer Suffizienzperspektive erörtert.
Ein geschätztes Hobby
Reisen ist eine Form des Konsums, bei dem zur persönlichen Bedürfnisbefriedigung Ressourcen eingesetzt werden. Gleichzeitig schafft Urlaub aber auch Zufriedenheit. Er löst bei vielen Menschen Vorfreude und Glücksgefühle aus, kann Horizonte erweitern und Verständnis für andere Kulturen fördern. Reiseaktivitäten im Sinne des Umweltschutzes pauschal zu verteufeln, mag zwar dem einen oder der anderen in den Sinn kommen, schießt jedoch vermutlich über das Ziel hinaus und wirkt zudem realitätsfremd. Stattdessen bietet Suffizienz einen anderen Ansatz: Man sollte sich bewusster und reflektierter als bislang mit seinen Reisegewohnheiten auseinandersetzen. Doch was heißt das konkret?
Es muss nicht immer das andere Ende der Welt sein
Eine suffiziente Reiseplanung setzt zunächst eine bewusste und sachlich begründete Entscheidung für eine Reise anstelle einer spontanen Schnellschusshandlung voraus. Was erwarte ich mir vom Urlaub? Lassen sich diese Erwartungen nur an diesem Reiseziel erreichen oder auch woanders? Muss es die Fernreise sein oder erfahre ich möglicherweise die gleiche Bedürfnisbefriedigung auch im Rahmen eines regionalen Urlaubs? Diese Überlegungen stellen den ersten Schritt dar. Dabei ist es wichtig, sich ehrlich, umfassend und unverzerrt mit den (ökologischen) Implikationen einer Reise auseinanderzusetzen und Selbstbetrug zu vermeiden.
Neben den ökologischen Vorteilen einer Reduzierung von Flugstrecken und -reisen, so wie es ein Bericht des UBA über Suffizienzmaßnahmen vorschlägt, gibt es einige weitere Vorteile, die meist außer Acht gelassen werden. Ein Beispiel ist, dass die reine Flugzeit bei einer solchen Reise um die An- und Abreise zum Flughafen, die Dauer für Check-ins, die Gepäckaufgabe und -abholung u. v. m. verlängert wird. Besonders bei kürzeren Flugreisen bedeutet das einen erheblichen Zeitaufwand, der bei Urlauben in der Heimat wegfällt. Hinzu kommt, dass Studien bei Flugzeugreisen ein erhebliches Stresspotenzial feststellen, sodass die Reisestrapazen die vermeintliche Erholung zumindest teilweise mindern. Zu beachten ist jedoch auch, dass grüne Alternativen wie Fernzüge ebenfalls erhebliche ökologische Auswirkungen haben können – nicht zuletzt aufgrund des deutschen bzw. europäischen Strommixes und des Ressourcen- und Flächenbedarfs für die Bereitstellung von regenerativer Energie. Vor diesem Hintergrund gestalten sich aus einer Suffizienzperspektive heraus betrachtet insb. Kurztrips an weit entfernte Orte schwierig. Dort sind der relative Negativanteil der Reisezeit und der notwendige Ressourceneinsatz im Vergleich zum nutzenstiftenden Aufenthalt vor Ort besonders hoch. Folglich gilt der Spruch „Warum in die Ferne reisen, wenn das Gute so nahe liegt?“ mehr denn je.
Ans andere Ende der Welt, aber suffizient. Geht das?
Natürlich versprechen Fernreisen im Sinne einer kosmopolitischen Weltoffenheit auch einzigartige Erfahrungen und Eindrücke, sie sollten jedoch als etwas Besonderes begriffen werden und wohlbedacht sowie maßvoll gestaltet sein. Wenn die Entscheidung bewusst im Sinne einer Fernreise getroffen wird, bieten sich auch hier noch etliche Möglichkeiten, um den Ressourceneinsatz zu verringern. Ein Beispiel dafür wäre es, den stressigen innerdeutschen Anschlussflug durch eine vorherige Zugfahrt mit begleitender Stadtbesichtigung zu ersetzen. Hierbei soll eine langsamere und aufmerksame Lebensweise die Lebens- und Umweltqualität zugleich verbessern. Entschleunigung lautet dabei grundsätzlich die Devise. Sie ist eine Komponente der berühmten 4 E’s von Wolfgang Sachs.
Zu bedenken sind dabei auch mögliche Reboundeffekte: Die Annahme, kürzere Reisen seien per se umweltschonender, kann trügerisch sein, falls sie in Summe einen gleichwertigen oder höheren Ressourcenverbrauch als eine Einmalreise verursachen. Daher sollte die Wahl zwischen einer längeren Reise mit mehreren Zwischenstopps oder etlichen Kurztrips fallweise und sehr bewusst erfolgen.
Grundsätzlich gilt jedoch: Insb. bei Kurzurlauben ist regionales Reisen ressourcensparender. Das muss jedoch nicht zur Verzweiflung führen: Auch in unmittelbarer Umgebung lassen sich erholsame Tage verbringen und aufregende Erfahrungen machen – vor allem, wenn abwechslungsreiche Aktivitäten wie Fahrradfahren, Wandern, Klettern oder Wassersport Berücksichtigung finden.
Zu Hause ist es doch ganz schön oder besser gesagt: „Ach wie schön ist Panama.“
Spätestens als 2006 der Entertainer Hape Kerkeling den Jakobsweg lief und seine Erfahrungen in einem Bestseller zusammenfasste, sind auch in der breiten Öffentlichkeit Wandertouren oder vergleichbare Aktivitäten als Alternative zum stationären Hotelurlaub präsent geworden. Egal, ob die Tour mit dem Fahrrad, zu Fuß oder im Kayak zurückgelegt wird, ob sie wenige Tage dauert oder mehrere Wochen – stets geht es darum, in sich hineinzuhören und seine Umgebung bewusster wahrzunehmen.
Deutschland und die angrenzenden Nachbarländer bieten dazu eine Vielzahl an Möglichkeiten. Ein umfangreiches Fernradwegenetz durchzieht das Land. Wasserlandschaften wie die Mecklenburgische Seenplatte, Flüsse wie Saale, Elbe oder Mosel bieten im Sommer Badespaß, Erholung und Bewegung zugleich. Und auf unzähligen Wanderwegen warten bei zünftigen Brotzeiten wunderschöne Panoramaausblicke – egal, ob es auf dem Eifelsteig von Aachen nach Trier geht, die Sächsische Schweiz oder der Schwarzwald erkundet werden.
Ein komplexes Thema, das vor allem eines bedarf: bewusste Reflexion
Abschließend lässt sich sagen, dass es in diesem Beitrag nicht darum geht, pauschal etablierte Reisemuster zu verurteilen oder einen weiteren Text über Sinn oder Unsinn von „Flugscham“ beizutragen. Denn Fernreisen – und spätestens bei Interkontinentalstrecken im Normalfall folglich auch Flugreisen – zeichnen sich durch einzigartige Merkmale aus. Sie können Menschen besondere Gefühle und Emotionen ermöglichen, die jede*r im Lichte des eigenen emotionalen Wahrnehmungshorizonts bewerten muss. Herausgearbeitet werden sollte jedoch, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein enormes Luxusgut, das folglich nur sehr maßvoll konsumiert werden sollte. Parallel lädt der Beitrag dazu ein, sich zukünftig kreativer und bewusster mit der eigenen Reiseplanung zu befassen, eigene Reiseroutinen zu hinterfragen und Mut für Neues zu finden.
In diesem Sinne: viel Spaß und eine gute Reise.