Minimalismus und Wohlbefinden

Raffiniert verleitet uns die Werbeindustrie zum Konsum – auch weil Kaufen Glück und Anerkennung versprechen soll. In den letzten Jahren mehren sich aber Studien, die uns zeigen, dass gesteigerter Konsum nicht unbedingt glücklich macht. Weniger Besitz sei sogar gut für Körper und Geist. Ist da was dran?

Wieviel brauchen wir wirklich?

Im Jahr 2020 brachten Lloyd und Pennington die Studie Towards a Theory of Minimalism and Wellbeing heraus, in der es um die Zusammenhänge zwischen Minimalismus und Wohlbefinden ging. Die Autor*innen der Studie wollten die Hintergründe des minimalistischen Lebensstils verstehen und mit den Ergebnissen dieser Studie eine vorläufige Theorie des Minimalismus aus Sicht der Positiven Psychologie konstruieren. Laut ihrer Hypothese führt der freiwillige Konsumverzicht zu einer Steigerung von Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit.

Positive Psychologie beschäftigt sich mit den positiven Seiten des Lebens. Sie möchte Wohlbefinden und Glück von Menschen fördern. Eine zentrale Frage dieser Strömung der Psychologie ist, wie und warum Individuen und Gruppen „flourishen“, also aufblühen, und wann Personen einen Flow-Zustand erleben. (3)
Definition

Minimalismus und Suffizienz

Bei besagtem freiwilligen Konsumverzicht setzt der Minimalismus an. Es geht darum, einfacher, bewusster und nachhaltiger zu leben, das Überflüssige aus dem Leben zu entfernen. Eine zentrale Frage ist, ob eine Person oder ein Gegenstand Freude bringt. Ist dem nicht so und es belastet einen, ist eine Trennung davon zu bevorzugen. Durch diese eigentlich „leichte“ Frage, wird Raum und Zeit für Menschen und Dinge geschaffen, die wirklich wichtig sind. Es geht im Minimalismus nicht darum, asketisch zu leben und den gesamten Besitz aufzugeben. Es geht um nötige Besitztümer für ein gutes Leben.

Mit dieser persönlichen Reflexion und der Frage, ob die Anschaffung eines Gegenstandes wirklich notwendig ist, zeigt sich die Brücke zwischen Minimalismus und Suffizienz. Beide Lebensstile zeichnen sich durch hohes Bewusstsein des Konsums aus und damit einhergehend den Rückgang des Konsumierens.

Auch beim suffizienten Handeln wird überlegt konsumiert. Die zentrale Frage lautet: „Brauche ich diesen Gegenstand wirklich?“. Nur bei einer positiven Antwort soll ein Kauf getätigt werden. Hiermit lässt sich eine Brücke schlagen, die den minimalistischen und den suffizienten Lebensstil verbindet. Durch die kritische Reflexion geht bei beiden Prinzipien ein Rückgang des Konsums einher. 

Studiendesign

Dem bisher wenig erforschten Kontext von Wohlbefinden und Minimalismus näherten sich die Autor*innen der Studie in einem qualitativen Design mithilfe semistrukturierter Interviews. Zehn Personen zwischen 24 und 52 Jahren, die alle minimalistisch leben, nahmen an der Studie teil. Sie kamen u. a. aus Deutschland, Kanada und den USA.

Lloyd und Pennington fanden in ihren Interviews eindeutige Ergebnisse, die ihre Hypothese bestätigten: Durch den minimalistischen Lebensstil hatte sich das Wohlbefinden aller zehn Studienteilnehmer*innen gesteigert. Sie stellten eine verbesserte Einstellung in den Bereichen Autonomie, Kompetenz, mentalem Raum, Achtsamkeit und positiven Emotionen fest. Wo vorher ein „gefangenes“ Gefühl und Unsicherheit war, fühlten sich die Interviewten seit der minimalistischen Lebensweise sicherer und frei. Außerdem sprachen die Interviewten von mehr Zeit für erfüllende Aktivitäten. 

Auch wenn diese Studienergebnisse klar für die minimalistische Lebensweise sprechen, sind diese Ergebnisse unter Vorbehalt zu betrachten: Die Interviewten waren alle aus einem „Weird-Country“ und haben sich aus innerem Antrieb eigenständig für diesen „einfachen“ Lebensstil entschieden. Personen mit einem niedrigeren sozio-ökonomischen Status, die aufgrund externaler und nicht internaler Gründe dieses einfache Leben leben, würden ihr Leben vermutlich anders konnotieren.

Der minimalistische und suffiziente Lebensstil kann – womöglich zunächst kontraintuitiv – eine Bereicherung für unser Leben sein. Vorausgesetzt man entscheidet sich aktiv dazu und wird nicht durch äußere Umstände gezwungen. Durch die Reduktion des Besitzes kann eine mentale Freiheit entstehen. Zu Beginn steht aber der bewusste Konsum. Der Vorteil ist, dass jeder einfach mitmachen kann, ohne gleich die ganze Welt verändern zu müssen. Wir treffen sowieso jeden Tag Konsumentscheidungen – es kostet nur ein paar Gedanken, sie bewusst zu treffen.

Die komplette Studie ist hier abrufbar.

(1) Lloyd, K. & Pennington, W. (2020). Towards a Theory of Minimalism and Wellbeing, International Journal of Applied Positive Psychology (5), 121-136. https://doi.org/10.1007/s41042-020-00030-y

(2) Seligman, M. & Csikszentmihályi, M. (2000). Positivy psychology: An introduction. American Psychologist, 55, 5-14. https://doi.org/10.1037//0003-066X.55.1.5

(3) Positive Psychologie. http://www.positive-psychologie.ch/?page_id=24 (Abruf: 21.06.2022)