Im Rahmen eines Interviews mit der Juristin Ulrike Jürschik sprachen wir über ihre Doktorarbeit zum Thema „Recht und Suffizienz“.
Deutsche Umweltstiftung (DUS): Suffizienz ist neben Konsistenz und Effizienz eine der drei Säulen der Nachhaltigkeit. Es ist ein viel genutzter Begriff, der häufig mit Verzicht des Individuums gleichgesetzt wird. Daher würde mich interessieren, mit was für einem Suffizienzbegriff und -konzept Sie arbeiten?
U. Jürschik: In unserer Überflussgesellschaft setze ich Suffizienz gerne mit Mäßigung gleich. Es geht also um eine Begrenzung, Reduktion, aber auch Substitution durch etwas anderes. Ein anderes Synonym für Suffizienz ist auch „Genügsamkeit“, man braucht nicht zu viel und nicht zu wenig. In Kontexten, in denen Menschen von Armut betroffen sind, bedeutet Suffizienz ein mehr, in Kontexten, in denen Menschen im Überfluss leben, ein weniger und anders. Ich arbeite mit folgender Definition:
Suffizienz ist die Begrenzung, Reduktion oder Substitution menschlicher Aktivitäten als Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation, auch wenn sich dabei die Art und Weise der Bedürfniserfüllung ändert. Ich denke, dass vor allem das letzte Merkmal – also die Änderung der Art und Weise der Bedürfniserfüllung – in Abgrenzung zu Konsistenz und Effizienz sehr wichtig ist, da es bei Suffizienz nicht darum geht, dass wir einen Status quo erhalten oder dass wir alle Handlungen mit anderen Mitteln gleichermaßen fortführen können, ohne dass sich etwas für uns verändert. Wir müssen akzeptieren, dass sich die Art, wie wir essen, wie wir uns fortbewegen, wie wir produzieren, verändert, um ökologische Grenzen einzuhalten und gerechter gegenüber vulnerablen Gruppen und zukünftigen Generationen zu leben. Suffizienz muss dabei nicht eng allein als nachfrageseitige Strategie oder nur auf Individuen bezogen, verstanden werden. Sie kann auch Orientierung für über das Individuum hinaus gehende, gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontexte bieten. Es gibt auch eine politische Suffizienz, im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Verständigung darüber, wie viele Ressourcen insgesamt verbraucht werden. Wie viele CO₂-Emissionen gestehen wir uns als Gesamtgesellschaft noch zu? Gleichermaßen können sich auch Wirtschaftsunternehmen am Leitbild Suffizienz orientieren. Suffizienz ist eben nicht allein eine Frage der Verhaltens- oder Lebensstiländerung, sondern es geht auch um Produktionsweisen und die Art und Weise, wie wir Infrastrukturen gestalten sowie eine Verständigung auf Obergrenzen für Ressourcennutzungen.
Was kein passendes Merkmal für Suffizienz ist, sind Signalwörter der öffentlichen Debatte, wie „Verzicht“ oder „Verbot“. Zu dem Verzichtsargument gab es in der Suffizienz-Community den Versuch, Suffizienz als positive Vision zu formulieren und zu betonen, dass durch das „weniger“ ein „mehr“ an Lebenszufriedenheit entsteht. Ich denke aber, dass eine solche Wertung nicht hilfreich ist, wenn wir Suffizienz rechtswissenschaftlich betrachten. Wir müssen diese individuellen Wertungen aus den Begrifflichkeiten herauslassen, denn sowohl der Begriff „Verzicht“ als auch der Begriff „Gewinn“ sind wertend und irreführend. Sie führen zu emotional aufgeladenen Argumenten, die dann eine Sachlichkeit der wissenschaftlichen Diskussion nicht mehr ermöglichen. Daher habe ich als Kernmerkmale Begrenzung, Reduktion, Substitution oder Änderung verwendet. Zur Subsumption dieser leichter auslegbaren Merkmale ist es irrelevant, ob eine Person dies als negativ oder positiv bewertet. Eine solche Bewertung wird allenfalls als Motivation hinter einer rechtlichen Einforderung oder Abwehr von Suffizienz relevant, aber nicht für die rechtliche Systematisierung.
DUS: An die Suffizienzdefinition anknüpfend, stellt sich nun die Frage, inwiefern im heutigen Umweltrecht oder auch in anderen Rechtsbereichen sich der Suffizienzgedanke widerspiegelt, auch wenn es sich dabei um keinen rechtswissenschaftlichen Begriff handelt. Oder gibt es dahingehende Gesetzesvorhaben?
U. Jürschik: Das Umweltrecht wurde seit den 1970er Jahren fortentwickelt, als die Erkenntnis aufkam, dass die aufgebaute Industrie den Planeten übernutzt und Grenzen eingezogen werden müssen. Das Umweltrecht ist also ein Rechtsgebiet, das auch zur Mäßigung geschaffen wurde. Es ist gleichzeitig Teil des wirtschaftlichen Systems, das auf Steigerung angelegt ist. Im Emissionsschutzrecht ist ein zentrales Merkmal die technische Vermeidbarkeit, also ob Industrieanlagen nach dem Stand der Technik in der Lage sind, bestimmte Emissionen zu vermeiden. Diesen Stand der Technik müssen sie erreichen – eingefordert wird nur das technisch machbare. Eine Suffizienzperspektive legt hingegen fest, welche Emissionen durch Industrieanlagen wir uns höchstens leisten wollen/können. Dies gibt es zwar durch die Festlegung von Emissionsgrenzwerten, diese werden in der Regel aber nur zurückhaltend festgelegt.
Ich würde außerdem sagen, dass es ein paar Umweltrechtsgebiete gibt, die der Suffizienz näher stehen als andere, zum Beispiel das Naturschutzrecht. Im Naturschutzrecht werden zum Beispiel Naturschutzgebiete ausgewiesen und dort wird ganz spezifisch begrenzt, welche menschlichen Aktivitäten im Naturschutzgebiet überhaupt zugelassen sind. Man darf Bestandteile des Naturhaushaltes nur in kleinen Mengen entnehmen, was auch dem Suffizienzgedanken der Mäßigung entspricht. Allerdings regelt das Naturschutzrecht einen eher abgegrenzten Bereich, und nimmt wenig Einfluss auf das allgemeine Konsum- und Produktionsverhalten, sodass hiervon keine Breitenwirkung im Sinne eines Suffizienzmainstreamings eintritt.
Ein spannendes Beispiel für Suffizienz ist das Klimaschutzrecht und hier sehen wir gerade sehr viele Rechtsentwicklungen. Das deutsche Klimaschutzgesetz besteht erst seit 2019. Darin wurde sehr spezifisch für die Gesamtgesellschaft festgelegt, wann wir Netto-Null-Emissionen erreichen wollen und wie die entsprechenden Reduktionspfade aussehen sollen, die dann auch bestimmten Sektoren spezifische Emissionsreduktionsmengen zuschreiben. Diese Mengenbegrenzung entspricht von der Gesetzessystematik her Suffizienz in Bezug auf die Gesamtmenge an Treibhausgasen, wenngleich die konkreten Jahresemissionsmengen als zu wenig ambitioniert erscheinen mögen. Auch das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz ist ein Beispiel für verrechtlichte Suffizienzpolitik. Darin wird festgelegt, bis wann „Kohleverstromung“ in Deutschland noch zulässig ist, mithin reduziert dieses Gesetz eine menschliche Aktivität konkret. Mir ist bewusst, dass für alle Umweltaktivist*innen und nach dem wissenschaftlichen Sachstand dieser Kohleausstieg zu spät kommt, aber allein von der Gesetzessystematik her: Es wird eine ganz spezifische menschliche Aktivität – nämlich die Kohleverstromung – beendet und dazu wird ein Auslaufpfad festgelegt. Das sind für mich Suffizienzbeispiele im Umweltrecht.
Suffizienz beinhaltet aber nicht nur das Reduzieren und Begrenzen, sondern auch das Verändern hin zu etwas Anderem. Anschauliche Beispiele zu Suffizienzpolitik finden wir im Städtebaurecht und der Infrastrukturplanung. Hier wird Suffizienz umgesetzt, indem öffentliche Räume mehr öffentlichen Personennahverkehr, mehr Fahrradwege, weniger Platz für Auto- und Flugverkehr bereithalten. Auch hier entsteht ein ambivalentes Bild. Möglichkeiten, dass Kommunen suffiziente Räume schaffen, zum Beispiel autofreie Innenstädte usw., bietet das Recht schon, sie werden aber selten genutzt.
DUS: Es wird also ein Gestaltungsrahmen vorgegeben, anhand dessen politische Entscheidungen getroffen werden können.
U. Jürschik: Genau. Wir sind auf politischen Willen angewiesen, um Suffizienzpolitik stärker durchzusetzen. Sie entspringt nicht per se aus der Rechtsordnung, was natürlich auch logisch ist, da die Rechtsordnung die Folge des politischen Willens ist – und Suffizienz kein politischer Mainstream.
DUS: Im Rahmen der Ringvorlesung zur Ökologischen Transformation von Gesellschaft und Recht haben Sie einen Vortrag zum Thema Recht und Suffizienz gehalten. Dort haben Sie auch darüber gesprochen, welche verfassungsrechtlichen Fragen möglicherweise durch Suffizienz aufgeworfen werden. Können Sie mir dazu noch etwas erzählen?
U. Jürschik: Ein wichtiges Gegenargument oder etwas, das relativ häufig genannt wird, wenn über Suffizienz oder Suffizienzpolitik gesprochen wird, ist, dass Suffizienz nicht nur eine Verzichts- sondern auch Verbotspolitik erfordert. Es würden bestimmte Aktivitäten verboten und dadurch stark in Grundrechte eingegriffen. Das könnte eigentlich gar nicht gerechtfertigt werden und der Staat würde sich durch diese Direktionierung übernehmen. Zur Auseinandersetzung mit diesem „Verbotsargument“ habe ich mir auch angeschaut, wie Suffizienz in verschiedenen Umweltrechtsinstrumenten verankert werden kann. Eigentlich kann man Suffizienz als Begrenzung, Reduktion oder Änderung durch qualitativ andere Handlungen tendenziell durch ganz verschiedene Instrumente erreichen. Zum Beispiel kann dies durch eine Anreizstruktur, wie Subventionen, Besteuerungen oder das Ordnungsrecht gelingen. Aber es ist natürlich so, dass, wenn man Suffizienzpolitik verfolgt, darauf hinwirken möchte, dass bestimmte Ressourcenverbräuche nicht entstehen, beziehungsweise dass bestimmte Handlungen nicht mehr stattfinden. Das ist aber meines Erachtens bei einer konsequenten Effizienzpolitik auch der Fall, indem bestimmte ineffiziente Produkte vom Markt verschwinden. Auch Bepreisungsmechanismen können bestimmte Verhaltensweisen, insbesondere bei ärmeren Menschen, unterbinden. Wenn man konsequent Umweltpolitik macht, dann verändert sich eben auch etwas. Daher glaube ich, dass das Verbotsargument nicht besonders präzise ist und uns in der Diskussion nicht hilft.
Verfassungsrechtlich kann man sich zur Suffizienz zunächst einmal anschauen, ob die Verfassung selbst irgendwelche Suffizienzmaßnahmen vorgibt, also zum Beispiel aus Art. 20a GG, dem Staatsziel „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“. Da wird man sagen müssen, ja, vielleicht dem Staat, aber nicht den Bürger*innen selbst. Art. 20a GG ist so konzipiert, dass die Gesetzgebung den durch die Verfassung aufgetragenen Umweltschutz durch einfache Gesetze konkretisieren muss und sich nicht unmittelbar an einzelne Bürger*innen richtet. Wir können dem also eine ökologische Mäßigungspflicht des Staates entnehmen, aber keine Mäßigungspflicht für einzelne Bürger*innen. Und eigentlich besteht ja das Problem darin, dass Bürger*innen und Unternehmer*innen den Ressourcenverbrauch immer weiter vorantreiben. Somit ist also eine Übersetzungsleistung des Staates erforderlich, der Suffizienzpolitik ausgestalten muss.
Dabei ist der Staat verpflichtet, verschiedene Grundrechte im Verhältnis zueinander zu beachten. Suffizienzpolitik kann, auch wenn sie gewisse Freiheitsräume begrenzt oder umgestaltet, relativ weitreichend gerechtfertigt werden, vor allem aus dem Klimaschutzargument heraus. Dies ist letztes Jahr aus dem wegweisenden Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts und auch noch ein paar nachfolgende Entscheidungen deutlich geworden. Klimaschutzmaßnahmen, die der Staat treffen will, können eigentlich immer verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Denn die Bedrohung durch den Klimawandel ist so groß, dass auch heute schon weitreichend Emissionen eingespart werden müssen. Diese Klimaschutzmaßnahmen des Staates können auch Suffizienzmaßnahmen sein.
Verfassungsrechtlich diskutieren lässt sich neben Abwehrmöglichkeiten von Suffizienzpolitik aber auch, ob Menschen besonders geschützt sind, die aus einer individuellen Perspektive suffizient leben möchten. Die Frage ist, ob es ein durch die Verfassung verbürgtes Recht auf Suffizienz gibt und was für Rechtspositionen Menschen, die suffizient handeln wollen, zur Seite stehen. Grundrechte sind vorwiegend als Abwehrrechte konzipiert. Der Staat soll „mir nicht zu Nahe kommen“ in meinen Menschenrechten. Die Grundrechte sind dabei zumeist nicht als Schutz- oder Leistungsrechte konzipiert, also so, dass ich ein konkretes Handeln des Staates einfordern kann. Aus einem Recht auf Suffizienz lässt sich staatliches Handeln, das Suffizienz verunmöglicht, überwiegend abwehren, jedoch kein neuer Raum für Suffizienz schaffen. Gleichwohl denke ich, dass es in staatlichen Abwägungsprozessen und Verhältnismäßigkeitsabwägungen durchaus eine Rolle spielen kann, dass es Menschen gibt, die zum Beispiel suffiziente Infrastruktur nutzen und im Sinne des Art. 20a ihr Leben gestalten oder gestalten möchten. Das Recht auf Suffizienz tritt als Abwägungsbelang zu Schutzpflichten gegenüber zukünftigen Generationen zur Minderung des Klimawandels und der Staatszielbestimmung Umwelt- und Klimaschutz hinzu.
DUS: Anknüpfend an die gesellschaftliche Wahrnehmung schließt sich für mich nun noch die Frage an, inwiefern die aktuelle Situation, in der wir uns befinden, dazu beitragen kann, dass der Suffizienzgedanke stärker verankert werden kann und zu mehr Akzeptanz führt. Was denken Sie dazu und wie verfolgen Sie die aktuelle Debatte?
In der aktuellen Lage wird sich die Gesellschaft, Grenzen für Ressourcenverbrauch bewusst. Die aktuelle Gasknappheit hilft, um zu merken, dass wir nicht von allem immer mehr haben können, sei es aufgrund von geopolitischen oder anderen Gründen. Ein Anerkennen dieser Endlichkeit ist meines Erachtens Grundvoraussetzung für Suffizienzpolitik. Suffizienz ist jedoch eher so zu verstehen, dass wir nicht erst in eine solche Krise, wie wir sie gerade erleben, geraten, die uns dann zwingt, enthaltsam zu sein. Es geht vielmehr darum, uns bewusst gemeinsam zu entscheiden, jetzt weniger zu verbrauchen, damit wir und nachfolgende Generationen langfristig besser leben können. Von daher drängt uns jetzt die Krise in eine Art Suffizienz, was die Diskussion bestimmt auch voranbringen kann. Suffizienz entfaltet ihr Potenzial aber viel mehr als präventive und vorsorgende Strategie des Übergangs in eine nachhaltigere Gesellschaft, nicht als Notfallmaßnahme.
Insgesamt denke ich, dass man Suffizienz eher moderat oder auch radikal verfolgen kann. Man kann Suffizienz als eine Teilstrategie miteinbeziehen, die dann nur an kleinen Stellen wirkt, wie aktuell bei den Gaseinsparungen. Die Industrie und Haushalte werden jetzt als Möglichkeit thematisiert, um Gas zu sparen und es ist schon mal schön, dass es nicht nur die Haushalte sind, sondern die Industrie gleichermaßen thematisiert wird.
DUS: Was würde Sie sich denn konkret von dem Gesetzgeber wünschen, wie der Suffizienzgedanke rechtlich besser verankert werden könnte?
Ich würde aus meiner Definition einerseits die Begrenzung und Reduktion als Maßgabe für Politik stärker im Recht verankert sehen wollen: eine explizite Verankerung, dass nicht nur die Effizienz gesteigert, sondern dass noch öfter bestimmte Ressourcenverbräuche absolut gedeckelt werden. Und das kann sich nicht nur auf einzelne Emissionen beziehen, sondern auch auf spezifische Verhaltensweisen, von denen wir wissen, dass wir sie uns nicht in dem heute bestehenden Ausmaß leisten können, z. B. Tierhaltung oder Flugkapazitäten.
Dann ist aber noch ein anderer Bereich für mehr Suffizienz ganz wichtig – und das ist der Aufbau von Alternativen: Nach welchen Leitbildern gestalte ich eigentlich Städte und Infrastruktur. Ein einfacher Weg wäre es erst mal, die Verkehrssysteme im Hinblick auf nachhaltige Mobilität (elektrisch, geteilt, weniger Individualverkehr, mehr Fahrradverkehr für Nahdistanzen) zu verändern.
Zudem ist zu erwägen, im Planungsrecht Wege zu finden, um die Menge an Industrieanlagen zu steuern. Dies greift sehr weit und ist schwierig politisch abzuwägen. Aber im Prinzip müssen wir langfristig in die Richtung kommen, dass es begrenzte Ressourcen für Industrie- und Produktionskapazitäten gibt, und die müssen nach einem gerechten Maßstab auf die verschiedenen Inanspruchnehmer*innen verteilt werden.
ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN
Ulrike Jürschik hat in Münster und auf Martinique (Frankreich) Rechtswissenschaften studiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Energie-, Umwelt- und Seerecht der Universität Greifswald und arbeitet derzeit an ihrer Doktorarbeit zum Thema „Suffizienz und Recht“.