Rezension: „Zwischen Selbstverwirklichung und gesellschaftlicher Transformation“

Das Buch „Zwischen Selbstverwirklichung und gesellschaftlicher Transformation“ von Petra Müller setzt sich mit Einflussfaktoren suffizienter Lebensstile auseinander.  Vor dem Hintergrund der massiven Auswirkungen unserer Lebensroutinen und Konsummuster auf die ökologische Tragfähigkeit der Erde beleuchtet die Autorin die Motivation von Menschen, sich für einen reduzierten Lebensstil zu entscheiden. Mittels narrativer Interviews arbeitet sie heraus, welche Beweggründe und Motive diese von ihr als „Pioniere“ bezeichneten Menschen haben, wer sie sind und was sie auszeichnet. 

Eine fundierte theoretische Grundlage für suffiziente Lebensstile

Dazu geht sie in den ersten beiden Kapiteln auf die theoretischen Grundlagen ein und bietet einen umfangreichen Überblick über den Stand der Forschung. Sie erörtert umfassend den Begriff der Suffizienz und ordnet ihn in die übergeordnete Nachhaltigkeitsdebatte ein. Dabei macht sie deutlich, dass Suffizienz mehr ist als bloß „Weniger“ und präsentiert wissenschaftliche Ansätze, die zum einen zeigen, dass herkömmliche eindimensionale Wohlstandsindikatoren wie das Bruttoinlandsprodukt den komplexen Gegebenheiten nicht gerecht werden. Zum anderen geht sie auf Gegenentwürfe wie das Konzept der 4 E’s (Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung) von Wolfgang Sachs ein. Die Darstellung beschränkt sich dabei nicht nur auf die theoretische Betrachtung der Konzepte, sondern bietet auch einen kursorischen Überblick von empirischen Postwachstumsansätzen, in denen das Konzept der Suffizienz eine zentrale Bedeutung innehat. Aufgrund ihres eingangs formulierten Erkenntnisinteresses spielt dabei die individuelle Ebene eine große Rolle. Sie beschließt folgerichtig die theoretische Einführung mit einer Überblicksdarstellung, was unter suffizienten Lebensstilen zu verstehen ist und was diese ausmacht. 

Ein methodisch überzeugendes Vorgehen

Ehe im vierten Kapitel die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung präsentiert werden, widmet die Autorin zunächst der Darstellung des methodischen Vorgehens ein eigenes Kapitel. Hier wird besonders deutlich, dass es sich bei der Publikation um eine Dissertation handelt. Detailliert wird u. a. auf die methodologischen Grundlagen, den Prozess der Datenerhebung und die in der Auswertung vorgenommene Typenbildung eingegangen. 

Vielschichtige Handlungstypen und ihre gesellschaftliche Relevanz

Die Auswertungsergebnisse der narrativen Interviews stellt die Autorin im vierten Kapitel vor. Anhand einer komplexen Kategorisierung wird es ihr möglich, vier Handlungstypen hinsichtlich der Zielsetzung eines suffizienten Lebensstils zu bilden. Diesen als Selbstfürsorger, Trittbrettfahrer, Inspiratoren und Transformatoren bezeichneten Typen ist gemein, dass ihnen suffiziente Lebensstile wichtig sind, jedoch variieren ihre dazu wirkenden Orientierungsmuster zwischen einer individuell-alternativen und einer kollektiv-kollaborativen Wertorientierung. Diese Orientierungsmuster gewinnt die Autorin ebenfalls im Rahmen der Auswertung, indem sie als Bezugssystem zunächst eine Binnen- und eine Außenperspektive hinsichtlich der treibenden Faktoren für einen suffizienten Lebensstil erkennt und anschließend im Interview erfragte Belastungsfaktoren damit in Verbindung setzt. Darunter versteht die Autorin negative Lebensaspekte wie bspw. das Gefühl von Einsamkeit, eine empfundene hohe Belastung im Job (Binnendimension) oder artikulierte Gesellschaftskritik bzw. Wahrnehmungen von sozialer Ungerechtigkeit (Außendimension). Diese verdichtet sie sodann methodisch zu zwei grundlegenden Orientierungsmustern suffizienter Lebensstile: einer vorrangig individuell-alternativen Wertorientierung sowie einer stärker kollektiv-kollaborativen Wertorientierung. Auf Basis dieses Konzepts wird es ihr schließlich möglich, vier Handlungstypen suffizienter Lebensstile zu identifizieren, die sich aus der Kombination von Binnen- und Außendimension sowie den beiden weitergeleiteten Orientierungsmustern ergeben: 

    • Selbstfürsorger kennzeichnet demnach ein vorwiegend individuelles Orientierungsmuster und eine starke Innenausrichtung,  

    • Inspiratoren ein individuelles Orientierungsmuster und eine starke Außenausrichtung,

    • Trittbrettfahrer ein kollektives Orientierungsmuster und eine vorherrschende Innenausrichtung sowie schließlich

    • Transformatoren ein kollektives Orientierungsmuster in Verbindung mit einer dominierenden Außenausrichtung. 

Gelungen an der lesenswerten und analytisch überzeugenden Darstellung ist vor allem die konsequente Einbettung der Sichtweisen von Befragten. Die umfangreiche Integration von Zitaten bei der Entwicklung der methodischen Bausteine erleichtert es Leser*innen, die Entwicklung der einzelnen Kategorien zu verstehen und nachzuvollziehen. 

Insgesamt verdeutlicht das Buch einmal mehr den ökologischen und persönlichen Mehrwert von Suffizienz. In Anlehnung an ein wohlbekanntes Sprichwort lässt sich nach seiner Lektüre sagen: Viele individuelle Wege führen in die gemeinsame Suffizienz. 

Buchinformationen
Autor*in: Petra Müller
Titel: Zwischen Selbstverwirklichung und gesellschaftlicher Transformation. Einflussfaktoren für suffiziente Lebensstile
Verfasser*in: Petra Müller
Verlag: Oekom
ISBN: 978-3-98726-042-1
Softcover, 300 Seiten
Erscheinungstermin: 04.04.2024

Studie zu Suffizienz im Gebäudesektor

Deutschland hat sich ambitionierte Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Um diese zu erreichen, werden in vielen Bereichen gegenwärtig vor allem Effizienz- und Konsistenzstrategien angewendet. Sehr viel seltener hingegen stehen suffizienzbasierte Ansätze im Fokus der Betrachtung. Dies ist im Gebäudesektor nicht anders, der ebenfalls vor erheblichen Herausforderungen wie dem anhaltend großen Flächenverbrauch oder der Umsetzung einer ökologisch- und sozialverträglichen Wärmewende steht. Die immense Sprengkraft letzterer zeigte sich zuletzt in der aufgeheizten Debatte um den vermeintlichen „Heizungshammer“.

Umso interessanter ist die bereits 2022 im Rahmen des Forschungsprogramms „Zukunft Bau“ vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen durchgeführte Studie „Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich“.

Ziel der Studie ist es, auf Basis einer Darstellung der Umweltauswirkungen des Gebäudesektors und der bisherigen Nachhaltigkeitsbemühungen unterschiedliche Suffizienzansätze im Gebäudebereich herauszuarbeiten und darüber hinaus Empfehlungen für die Gestaltung des politischen Rahmens zu geben. Sie beschränkt sich dazu vorrangig auf eine Betrachtung von Wohngebäuden mittels einer Lebenszyklusperspektive.

Konzepte zur Bewertung von Suffizienz

Begriffsklärungen in Verbindung mit der Einführung in analytische Konzepte zur Bewertung von Suffizienz im Gebäudesektor stellen den Ausgangspunkt der Betrachtung dar. Bezugnehmend auf die deutschen Nachhaltigkeitsziele werden Suffizienz, Konsistenz und Effizienz als einander ergänzende Nachhaltigkeitsstrategien vorgestellt. Entsprechend der Stoßrichtung der Arbeit wird Suffizienz an dieser Stelle am meisten Raum gegeben. Die Darstellung mehrerer methodischer Bausteine zum besseren Verständnis der folgenden Abschnitte komplettiert den Grundlagenabschnitt. Dazu gehören u. a. die Vorstellung einer entscheidungsunterstützenden Suffizienzpyramide zum Umgang mit Gebäuden sowie eine Systematik zur Berücksichtigung von Suffizienzstrategien in unterschiedlichen Themenfeldern wie bspw. Projektentwicklung, Gebäudestruktur oder -management.

Status quo des Gebäudesektors

Das zweite Kapitel widmet sich dem Status quo des Gebäudesektors. Dazu werden die Umweltauswirkungen in Form anfallender Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbräuche sowie die strukturellen Entwicklungen im Gebäudesektor thematisiert. Deutlich wird an dieser Stelle, dass die aktuellen Nachhaltigkeitsbemühungen in vielerlei Hinsicht unzureichend sind und sich das Problem durch nachweisbare Reboundeffekte bspw. aufgrund steigender durchschnittlicher Raumtemperaturen noch verstärkt. Ursächlich sind dafür eine Reihe von Barrieren, deren Auswirkungen sodann dargestellt werden. Ehe das Kapitel mit einer Auswahl von best practices aus dem kommunalen Raum wie dem Züricher Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft endet, gehen die Autor*innen zunächst noch auf sozio-ökonomische und politisch-rechtliche Rahmenbedingungen ein. Dabei zeigen sie zum einen, dass eine Erklärung für den akuten Wohnungsmangel in vielen Städten auch in der gestiegenen pro-Kopf-Wohnfläche liegt. Zum anderen führen sie aus, dass in rechtlicher Perspektive Effizienz- und Konsistenzansätze weiterhin die dominanten Strategien darstellen und es vielfach an ökonomischen Anreizen zur Förderung/Unterstützung suffizienten Verhaltens fehlt.

Suffizienzpotentiale im Gebäudesektor

Auf Basis dieser umfangreichen Darstellung werden im dritten Kapitel modellbasierte Abschätzungen der Suffizienzpotentiale im Gebäudesektor präsentiert. Dazu werden Einsparmöglichkeiten hinsichtlich der Variablen Wohnflächen, Treibhausgasemissionen, Energiebedarf, Ressourcenbedarf sowie Flächeninanspruchnahme berücksichtigt. Die vorgestellten Rechnungen sind beeindruckend. Sie zeigen, dass der akute Wohnraummangel fast vollständig aus dem Bestand gedeckt werden könnte und Neubaumaßnahmen von marginaler Bedeutung wären. Neben Bauen im Bestand und umfangreichen Sanierungsmaßnahmen setzt dies jedoch auch eine bedarfsorientierte Bereitschaft zur Senkung der genutzten Pro-Kopf-Wohnflächen bspw. durch Wohnungstausch, Untervermietung oder Umzüge je nach Lebenssituation voraus.

Politikinstrumente zur Umsetzung und Verankerung von Suffizienzstrategien

Um die genannten Potenziale nutzen zu können, braucht es laut der Autor*innen Politikinstrumente, die die Umsetzung und Verankerung von Suffizienzstrategien im Gebäudebereich fördern. Ihren Vorschlägen zur Ausgestaltung etwaiger politischer Maßnahmen widmen sie das vierte und fünfte Kapitel. Dazu identifizieren sie zunächst die drei großen Maßnahmenbereiche „Kommunikation von Suffizienz“, „Förderung von Suffizienz in der Beratung, bei der Integration in die Planung und Maßnahmenumsetzung“ sowie „Impulse für die Integration von Suffizienzansätzen in rechtliche Rahmenbedingungen und bundesweite Standards“. Diese werden mit insgesamt acht konkreten Handlungsempfehlungen operationalisiert (Kapitel 4). Im fünften Kapitel werden sie exemplarisch anhand von Beispielen kombiniert, um mögliche Synergieeffekte mehrerer gekoppelter Instrumente zu verdeutlichen. So ließe sich aus Sicht der Autor*innen auf diese Weise bspw. eine ganzheitliche Bestandsentwicklung leichter erreichen. Diese sollte neben gezielten Förderungen für einen Um- statt Neubau auch verbesserte Rahmenbedingungen für die Erneuerung von Bestandsgebäuden, eine zielgruppengerechte Kommunikation und schließlich die Vorbildrolle des Bundes umfassen.

Die umfangreiche Studie steht hier kostenlos zur Verfügung.

All you need is less – Eine Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht

Das neue Buch von Manfred Folkers
und Niko Paech „All you need is less“ erläutert die Ursachen und Auswirkungen
von Konsum – von der „Gier-Wirtschaft“ – und zeigt den möglichen Wandel hin zu
einer „Kultur des Genug“.

Aufgeteilt in zwei Essays setzen sich die beiden Autoren auf unterschiedliche Art und Weise mit dem großen Thema Suffizienz auseinander.

Folkers bringt in seinem Text
„Buddhistische Motive für eine Überwindung der Gier-Wirtschaft“ die Lehren des
Buddah in Bezug zu unserem heutigen gesellschaftlichen System. Er erläutert die
von Buddah aufgestellten grundlegenden Lehren und die menschlichen
Eigenschaften und kommt zu der Erkenntnis: „Die Kräfte, die die Menschheit ins
Goldene Zeitalter führten – Begehren, Abneigung und Täuschung -, sind offenbar
die gleichen, die sie nun in den Untergang treiben.“ (S.57) Diese Eigenschaften
gilt es nun von jedem einzelnen zu überwinden. Grund Essenz ist also die
Erkenntnis, dass „ […] die sogenannte Geisteshaltung aus dem Würgegriff der
drei Dogmen der Wachstumswirtschaft […]“ (S.92) befreit werden muss. Da wie
schon erwähnt jeder Mensch seine persönlichen Gewohnheiten selbst umzustellen
hat, eignet sich die von Buddah gelehrte Methode der Meditation. Denn „[d]ie
Abkehr von der Gier-Ökonomie und die Entwicklung einer von Wohlwollen und
Solidarität bestimmten Wirtschaft erfordern einen inneren Wandel.“ (S.107) Folkers
zeigt uns also auf WIE und DASS es unserer Gesellschaft, mithilfe von
„geistig-spirituelle[r] Unterfütterung“ (S.117) möglich ist, das zum Scheitern
verurteile System zu ändern.

Für Niko Paech ist Suffizienz ein „überlebenswichtiges Entzugsprogramm“ (S.123), dass sich von nachhaltigem Konsum deutlich abgrenzt. Diese „[…] steht für eine zwanglose Neujustierung individueller Freiheit, wobei sie zwei gegensätzliche Perspektiven einnimmt. Wenn der Planet erstens physisch begrenz ist, zweitens entkoppelt werden kann, drittens die irdischen Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten bleiben sollen und viertens globale Gerechtigkeit herrschen soll, muss eine Obergrenze für die von einem einzelnen Individuum in Anspruch genommene materielle Freiheit existieren. Diese kann sich nur an der Gesamtbilanz aller ökologischen Handlungsfolgen bemessen.“ (S.215) Im Verlauf seines Textes nennt er Gründe für die Wende zur Suffizienz und geht auf die Grenzen (des Wachstums) unserer Gesellschaft ein, anhand denen er erklärt warum Suffizienz kein Verzicht ist, sondern dringend notwendig.

Für mich, so wie vermutlich auch für einige andere, verfolgt das aktuelle System, in dem wir leben, nicht die richtigen Werte und Ziele. Mit diesem Buch haben Manfred Folkers und Niko Paech es geschafft besser verstehen zu können – zumindest Ansatzweise – warum alles so aussieht wie es aussieht. Gleichzeitig regt einen das Buch zum Nachdenken – teilweise über bis dato unbekannte Zusammenhänge – und zum kritischen Hinterfragen seines eigenen Lebensstils an. Es ist ein sehr interessantes Buch welches ab und an zwar nicht einfach zu verstehen ist, sich das Durchhalten jedoch lohnt.

Was Suffizienz mit einem Tiny House zu tun hat

Eigentlich geht der Trend der Wohnfläche in den letzten Jahrzehnten steil aufwärts. 2018 betrug die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in Deutschland 46,7 Quadratmeter, in den USA sogar bis zu 74 Quadratmetern (Umweltbundesamt, 2019; Boeckermann, 2017).  In den Besitzmaximierung gesprägten Konsumgesellschaften sind Häuser und ihre Größe immer mehr zum Statussymbol geworden. Dazu im Gegensatz steht die Tiny House Bewegung. In kleinen, meist mobilen, Häusern leben die Menschen auf geringstem Raum mit möglichst wenig Besitz. Gründe dafür sind die immer stärker steigenden Kosten der Anschaffung und Erhaltung von Immobilien, vor allem in Ballungsgebieten, der Wunsch nach mehr Mobilität und Selbstverwirklichung und die Überdenkung des eigenen Lebensstils und des eigenen ökologischen Fußabdrucks (Biron).

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Tiny Houses gibt es in verschiedenen Größen, doch ihrem Namen bleiben sie alle treu: Nur zehn bis 55 Quadratmeter groß sind die meisten Häuser. Sie werden häufig auf einen PKW-Anhänger gebaut, um möglichst mobil zu sein, aber es gibt zum Beispiel auch Tiny Houses aus Containern, die unbeweglich sind. Auch wenn es mitttlerweile eine große Vielzahl von Varianten und Designs gibt, ist die traditionelle Bauform mit einem Satteldach, unter dem sich die Schlafebene befindet. Ansonsten besteht das Tiny House meist aus einem großen Raum, der Küche und Wohnzimmer vereint. Typische Einrichtungselemente sind einziehbare Sofas, einklappbare Tische und intelligente Aufbewahrungssysteme, um den vorhandenen Platz möglichst effizient zu nutzen. Die Badezimmer sind ebenfalls deutlich kleiner, teilweise trotzdem mit normalen Toiletten und Duschen ausgestattet, ansonsten mit einer Komposttoilette (Kilman, 2016).

Die Preise für Tiny Houses variieren stark nach Größe, Anbieter*innen und in welchem Zustand das Tiny House ausgeliefert wird und wie viel Arbeit man selbst hineinsteckt. So beginnt ein Rohbau-Haus in Deutschland bei ca. 18.000€ inklusive Trailer, Bodenplatte, Holzkonstruktion und Wandverkleidung. Für ein bezugsfertiges Tiny House, in das man direkt einziehen kann, sollte man jedoch mit mindestens 45.000€ rechnen. Eine Grenze nach oben gibt es, genau wie bei konventionellen Häusern, nicht (Sven und Sig, 2020).

Die Tiny House Bewegung nahm ihren Anfang am Ende des 20. Jahrhunderts in den USA. 1998 veröffentliche die Architektin Sarah Susanka das Buch „The Not So Big House – A Blueprint For the Way We Really Live“ und ihre Ideen wurden zunächst vor allem von Bastlern und Aussteigern aufgegriffen und verbreitet. Mit Hilfe von TV-Formaten, weiteren Büchern, Blogs und YouTube-Kanälen kamen die Kleinsthäuser auch schnell im Mainstream und in anderen Ländern an (Biron).

Ursprünglich begann die Bewegung vermehrt wegen einer notwendigen Kostenreduktion, mittlerweile ist aber auch der Wunsch nach einem nachhaltigen Wohnen und Leben eine große Motivation, um in ein Tiny House zu ziehen. Doch nicht jedes Tiny House ist ein langfristiges Zuhause: Tiny Houses werden auch vermehrt als Gästehäuser oder als Geschäftsbüros genutzt.

Auch in Deutschland ist die Bewegung schon seit längerem angekommen. Um sich für die Entstehung von Tiny House Siedlungen und minimalistisches Wohnen einzusetzen bilden sich Interessengemeinschaften und Vereine. Denn einfach ist die rechtliche Lage in Deutschland nicht: Ein Tiny House kann man nicht einfach hinstellen, wo man möchte. Auf einigen Campingplätze ist die Anmeldung eines Wohnsitzes zugelassen, auf jedem anderen Grundstück muss in jedem Fall ein Bauantrag gestellt werden und der geplante Stellplatz muss mit Wasser- und Abwasserentsorgung, Strom und verkehrsgerechter Anbindung an eine Straße voll erschlossen sein (Focus.de, 2019).

Im Fichtelgebirge hat sich das erste Tiny House Village Deutschlands gegründet: Auf dem Gelände eines ehemaligen Campingplatzes befinden sich nun 35 Grundstücke für kleine Häuser. 30 Bewohner*innen leben in diesem Dorf, die sich Lagerfeuerplätze, Permakulturgärten und Erholungsflächen teilen. Außerdem bieten sie ein Tiny House Hotel für Interessierte an (tinyhousevillage.de). Laut einer Umfrage von Interhyp können sich immerhin 13% der Deutschen vorstellen, dauerhaft in einem Tiny House zu leben (Interhyp, 2019)

Photo by Andrea Davis on Unsplash
 

Die Antwort auf die Frage, was Tiny Houses mit Suffizienz, dem Bemühen um einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch, zu tun haben, liegt eigentlich auf der Hand: Eine geringere Wohnfläche führt auch zu einem kleineren CO2-Fußabdruck.

Gebäude sind für knapp ein Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich, Tiny Houses allerdings beschränken sich nur auf das Nötigste und nutzen den vorhandenen Platz effizient aus. Je kleiner das Haus, desto weniger Ressourcen werden auch für den Bau und Betrieb benötigt (Schmid, 2019). So haben kleine Häuser einen geringeren Energieverbrauch als konventionelle Häuser, da weniger Fläche beheizt, weniger Lampen beleuchtet werden und generell weniger Haushaltsgeräte als in einem normalen Haus benutzt werden. Die Wissenschaftlerin und Tiny House Bewohnerin Mary Murphy stellt heraus, dass der geringere Energieverbrauch sogar nicht nur auf die geringere Fläche zurückzuführen ist, sondern auch darauf, dass alles auf die Bedürfnisse der Bewohner*innen angepasst werden kann (Kilman, 2016).

Tiny Houses haben die Möglichkeit möglichst autark und damit maximal nachhaltig zu sein. Durch Solarzellen für Warmwasser, Photovoltaik-Anlagen für den Strom, Sammeln von Regenwasser oder das Verwenden einer Komposttoilette, die kein Wasser benötigt, lassen sich die CO2-Emissionen des Hauses noch weiter reduzieren.

Allerdings bedeutet das alles nicht, dass jedes Tiny House automatisch vollkommen suffizient ist: Schlechte Dämmung, als Folge davon, dass das Haus möglichst leicht sein soll und dicke Wände zulasten der Wohnfläche gehen, kann zu einem hohen Energieverbrauch führen. Außerdem werden viele Kleinsthäuser nicht als Hauptwohnsitz, sondern als Ferien- oder Wochenendhaus genutzt und verbrauchen so zusätzliche Ressourcen. Was ebenfalls beachtet werden muss ist, dass die ökologischen Vorteile auch an der Lebensweise und Einstellung der Zielgruppe liegen. Wer sich für ein reduziertes Leben im Tiny House entscheidet, lebt meist grundsätzlich auch generell schon nachhaltiger und bewusster (Schmid, 2019).

Quellen:

Biron, B.: Kleiner Wohnen, URL: https://www.ubm-development.com/magazin/tiny-houses-sind-ein-grosser-trend-beim-wohnen/ Abgerufen am 24.02.2020.
Boeckermann, L.: Dreaming Big and Living Small: Examining Motivations and Satisfaction in Tiny House Living, 10.5.2017, URL: https://scholarcommons.sc.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1133&context=senior_theses, Abgerufen am 24.02.2020.
Focus.de: Tiny-House-Boom in Deutschland: Nach dem Kauf beginnen jedoch die Probleme, 08.10.2019, URL: https://www.focus.de/immobilien/wohnen/tiny-house-boom-in-deutschland-nach-dem-kauf-beginnen-jedoch-die-probleme_id_11213818.html, Abgerufen am 24.02.2020.
Interhyp: Ökohaus, Tiny House und Co.: Studie zeigt Trend zu nachhaltigen und alternativen Wohnformen, 13.02.2019, URL: https://www.interhyp.de/ueber-interhyp/presse/oekohaus-tiny-house-und-co-studie-zeigt-trend-zu-nachhaltigen-und-alternativen-wohnformen.html, Abgerufen am 24.02.2020.
Kilman, C.: Small House, Big Impact: The Effect of Tiny Houses on Community and Environment. In: Undergraduate Journal of Humanistic Studies, Carleton College, 2016. URL:https://pdfs.semanticscholar.org/2732/8c4ba21b4f6ae467210ddffd3edb2da8fa4b.pdf, Abgerufen am 24.02.2020.
Schmid E.: Tiny House und Nachhaltigkeit: Wie nachhaltig sind die Mini-Häuser? 07.05.2019, URL: https://wohnglueck.de/artikel/tiny-house-nachhaltigkeit-3343 ,Abruf am 24.02.2020.
Sven und Sig: Tiny Houses: Wohnen auf kleinem Raum, 16.01.2020, URL: https://www.otto.de/reblog/tiny-houses-1308/ ,Abgerufen am 24.02.2020.
Tinyhousevillage.de: Tiny House Village, URL: https://www.tinyhousevillage.de/ Abgerufen am 24.02.2020.
Umweltbundesamt: Wohnfläche, 22.11.2019, URL: https://www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/wohnen/wohnflaeche#zahl-der-wohnungen-gestiegen Abgerufen am 24.02.2020.

Mit Suffizienz zum Guten Leben für alle – ein Interview mit Carla Noever und Robin Stock von BUNDJugend

Stellen Sie sich vor, die Dinge, die wir gebrauchen und kaufen, würden keinen riesengroßen ökologischen Fußabdruck hinterlassen oder zur Ausbeutung von vielen Menschen entlang der Produktionskette beitragen. Stellen Sie sich vor, es wäre das oberste Gebot der Menschen, im Einklang mit der Natur zu leben und tatsächlich nur so zu konsumieren, dass wir der Natur nicht schaden. Carla Noever und Robin Stock glauben, dass ein Weg in diese Richtung durchaus möglich ist, wenn Verbraucher*innen und Politik an einem Strang ziehen.

mit suffizienz zum guten leben für alle

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Ihr sagt, Suffizienz kann der Schlüssel zum guten Leben für alle sein? Was ist eure Version von einem guten Leben für alle?

Carla Noever (CN): Wir wollen uns natürlich nicht anmaßen, zu entscheiden, was für jeden Menschen „ein gutes Leben“ bedeuten würde. Aber es gibt Anhaltspunkte: Alle Menschen sollten ihre grundlegenden Bedürfnisse decken können und für sie sollten grundlegende Rechte gelten – egal wo sie geboren wurden und wohnen, ob sie nun leben oder erst in 30 Jahren. Für uns beschreibt die Vision eines guten Lebens kurz gesagt ein friedliches, ausbeutungsfreies und solidarisches Zusammenleben der Menschen miteinander und den achtsamen Umgang mit der Natur.

Robin Stock (RS): Damit das möglich wird, müssen wir unseren Ressourcenverbrauch radikal senken – und gleichzeitig Alternativen zur aktuellen Produktions- und Konsumweise möglich machen und verbreiten. Denn mit einer Wirtschaft und Gesellschaft, die auf ungebremstes Wachstum zielt, endliche Ressourcen verschwendet und soziale Ungleichheiten verschärft, ist unsere Vision vom „guten Leben für alle“ nicht vereinbar. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es eher heißen „besseres Leben für die, die heute schon privilegiert sind“ anstatt „gutes Leben für alle weltweit und in Zukunft“.

DUS: Und welche Rolle spielt Suffizienz in dieser Vision?

Eine sehr zentrale! Nehmen wir das Beispiel Coffee to go-Becher, heutzutage ein Alltagsgegenstand. Wir könnten künftig all unsere Einwegbecher aus Pflanzenfasern herstellen und schön recyceln lassen. Damit verbessern wir vielleicht ihre Öko-Bilanz ein bisschen. Wenn wir aber weiterhin so viele Einwegbecher nutzen wie jetzt, haben wir trotzdem einen riesigen Ressourcen- und Flächenverbrauch! Um eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten zu erhalten, reicht es nicht aus, andere Ressourcen zu nutzen oder diese noch besser zu verwerten. Wir müssen den Ressourcenverbrauch stattdessen absolut senken. Darauf zielt Suffizienz als Nachhaltigkeitsstrategie ab. Suffizienz lenkt unsere Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Fragen: Was brauchen wir wirklich? Und: Wieviel ist genug? Also: Brauchen wir wirklich jeden Tag drei Einwegbecher? Oder sollten wir nicht eher unseren Alltag entschleunigen und unseren Kaffee mal wieder vor Ort aus einer Mehrwegtasse trinken? Und: Was hindert uns aktuell daran, dies zu tun?

DUS: Was könnte jeder einzelne von uns konkret tun, damit eine suffiziente Gesellschaft Realität wird?

Da sind zum einen die naheliegenden Maßnahmen: Im Alltag Einwegplastik meiden, im Urlaub mit dem Zug an die Nordsee statt mit dem Flieger nach Thailand, Handy und Co. gebraucht kaufen. Sich individuell für einen ressourcenärmeren Lebensstil stark zu machen ist wichtig. Es stößt notwendige Diskussionen im privaten Umfeld an – oder auch in größerem Maßstab, siehe Fridays for Future und die entflammten Debatten ums Fliegen. Zum anderen ist es aber mindestens genauso wichtig, sich politisch für Suffizienz stark zu machen. Denn damit suffiziente Lebensstile kein bloßes Nischendasein fristen, ist vor allem die Politik gefragt.

DUS: Was meint ihr damit?

Politische Entscheidungsträger*innen müssen Rahmenbedingungen setzen, damit es endlich für alle Menschen ganz leicht und selbstverständlich wird, nicht mehr auf Kosten anderer und der Natur zu leben und zu wirtschaften. Aktuell kostet eine nachhaltige Lebensweise oft mehr Zeit oder Geld – oder wird einem schier unmöglich gemacht. Wer schonmal versucht hat, mit knappem Budget und begrenzten Urlaubstagen möglichst umweltfreundlich in die Ferne zu verreisen, weiß wovon wir sprechen.

Nur zwei Beispiele, wie also Suffizienzpolitik aussehen könnte: Wer will, dass die Menschen nicht mehr so viel Auto fahren oder fliegen, muss für entsprechend attraktive Alternativen im Radverkehr und bei den öffentlichen Verkehrsmitteln sorgen. Wer den CO2-Ausstoß im Energiesektor senken möchte, muss einen sofortigen Kohleausstieg beschließen, anstatt vor allem darauf zu setzen, dass Verbraucher*innen und Unternehmen durch ihr grünes Gewissen angetrieben auf Ökostrom umsteigen.

DUS: Was sind die Ziele eures Projektes und welche zentrale Zielgruppe spricht es an?

Mit unserem Projekt versuchen wir vor allem junge Menschen zu erreichen, die solche Erfahrungen machen: Sie wollen gern nachhaltiger leben, haben aber das Gefühl, sich dafür eine schiefe Ebene hochkämpfen zu müssen. Wir wollen Räume schaffen, in denen junge Menschen gemeinsam diskutieren können, was sich politisch ändern müsste, damit ein nachhaltiges Leben zur naheliegendsten und einfachsten Option wird. In Workshops entwickeln sie Visionen von und Forderungen für eine suffizienzbasierte Gesellschaft. Im Idealfall ergeben sich aus den Workshops dann Aktionsideen, mit denen die Teilnehmenden ihre Forderungen lautstark in die Öffentlichkeit und an die Politik herantragen.

DUS: Ihr habt es ja schon gesagt: Suffizient und nachhaltig zu leben fällt vielen Menschen oft schwer. Vor allem wenn Fleisch und Milchprodukte immer günstiger werden, Flüge günstiger sind als Zugfahrten oder das Obst im Supermarkt aus hygienischen Gründen zwei Mal in Plastik eingepackt ist. Habt ihr Anregungen, wie junge Menschen am besten Druck auf die Politik ausüben können, nachhaltige Lebensstile zu unterstützen anstatt zu erschweren?

In unseren Broschüren und auf unserer Website haben wir verschiedene erprobte Aktionsformate gesammelt. Es gibt sicherlich nicht die eine erfolgsversprechende Strategie und Aktionsform – erfolgreich wird eine Bewegung ja vor allem durch einen bunten Mix, in dem sich viele Menschen wiederfinden können und viele Ebenen angesprochen werden. Du willst vor Ort die Öffentlichkeit für ein Thema sensibilisieren? Das funktioniert gut mit kreativem Protest, mit Straßentheater, Kunstinstallationen, Flashmobs! Du willst deine Forderungen in die Welt tragen? Organisiere Demonstrationen, lade Politiker*innen zu Diskussionsrunden ein, nutze soziale Medien, starte Petitionen! Es gibt natürlich noch ganz viele andere Möglichkeiten. Das Wichtigste ist: Organisiert euch, habt Spaß und bleibt hartnäckig!

DUS: Welche konkreten Gebiete sollten eurer Meinung nach am dringendsten mit einer Suffizienzpolitik bedacht werden?

Tatsächlich ist es schwierig, hier eine Auswahl zu treffen. Im Projekt haben wir uns ganz konkret mit bestimmten Politikfeldern auseinandergesetzt, beispielsweise mit Mobilität und Digitalisierung. In diesen Politikfeldern ist gerade viel Bewegung drin – da ist es wichtig, dranzubleiben und konkrete Forderungen zu stellen. Letztlich müsste Suffizienzpolitik aber – ähnlich wie es ja gerade unter dem Schlagwort „Klimanotstand“ für klimapolitische Überlegungen gefordert wird – in alle Politikfelder integriert werden. Suffizienzpolitische Maßnahmen sind schließlich auch für eine nachhaltige Stadtplanung oder für eine faire und ökologisch zukunftsfähige Wirtschaftspolitik zentral. Nicht zuletzt für die Sozial- oder Arbeitsmarktpolitik spielt Suffizienzpolitik gemeinsam mit Umverteilungsmaßnahmen eine sehr wichtige Rolle:  Denn wer „genug“ hat – genug soziale Absicherung, genug Zeit, genug finanzielle Mittel – kann sich leichter um eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise bemühen und sich in politische Prozesse einbringen. Suffizienzpolitik ernst zu nehmen heißt schließlich, unser derzeitiges Wirtschaftssystem ordentlich umzukrempeln.

über die Interviewpartner*innen
©Carla Noever
©Robin Stock

Robin Stock und Carla Noever Castelos arbeiten für die BUNDjugend im Projekt „Gutes Leben für alle – junge Stimmen in der Suffizienzpolitik“. Robin war zuvor für verschiedene Organisationen im Kontext der Entwicklungspolitik und Bildung für Nachhaltigkeit tätig. Carla engagiert sich in den Bereichen globale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit.