Ecoswaraj – Degrowth Konzepte in Indien

Die Idee von Degrowth beziehungsweise Postwachstum bezieht sich meistens auf die Länder des globalen Nordens. Die Industriestaaten sollen ihr Wirtschaftswachstum stoppen oder sogar umkehren, um die planetaren Belastungsgrenzen nicht zu überschreiten. In Ländern wir Indien oder China hat das starke Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte ebenfalls viele negative Auswirkungen, wie etwa die Zerstörung der Umwelt und eine sich verstärkende soziale Ungleichheit. Die reichen Menschen profitieren hauptsächlich vom Wirtschaftswachstum, während marginalisierte Gruppen ausgebeutet werden. Solange die Grundbedürfnisse vieler Menschen noch nicht gedeckt sind, können diese Probleme nicht alleine durch einen Stopp des Wirtschaftswachstum gelöst werden. Stattdessen muss das Konzept von Degrowth an die Länder des globalen Südens angepasst werden, wie das bei der „Radikalen Ökologischen Demokratie“ in Indien geschah.

In Indien formierten sich in den letzten Jahrzehnten viele hunderte kleine bis große Bewegungen. Diese Initiativen bekämpfen einerseits Ungerechtigkeiten, wie etwa den Landraub durch große Unternehmen oder Frauenrechtsverletzungen. Andererseits zeigen sie andere Lebensentwürfe und positive Transformationen. Aus diesen Widerstands- und Wiederaufbaubewegungen entstand „Ecoswaraj“ beziehungsweise die „Radikale Ökologische Demokratie“.

Landlose Dalits protestieren für ihre Rechte

Das Konzept „Swaraj“ wurde durch Gandhi und die Unabhängigkeitsbewegung bekannt und bedeutet übersetzt Selbstverwaltung. Ecoswaraj greift dieses Konzept auf und erweiterte es durch ökologische Aspekte. Die wichtigsten Punkte der „Radikalen Ökologischen Demokratie“ sind ökologische Nachhaltigkeit. Die Gesellschaft solle die planetaren Belastungsgrenzen nicht überschreiten und den natürlichen Kreislauf der Natur schützen. Außerdem ist das soziale Wohlergehen, soziale Gerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit wichtiger Teil von Ecoswaraj. Soziales Wohlergehen bedeutet hierbei nicht eine Anhäufung des Wohlstands, sondern ein Zurückbesinnen auf alte indische Traditionen wie Genügsamkeit oder einen freiwilligen Minimalismus. Zudem spielt Selbstbestimmung eine wichtige Rolle, weshalb Entscheidungen durch direkte Demokratie gefällt werden. Die Wirtschaft wird ebenfalls demokratisiert, indem lokale Gemeinschaften Kontrolle über Ressourcen und Arbeitsmittel haben und lokales Wirtschaften priorisiert wird. Um Hierarchien zu vermeiden, wird auch Wissen geteilt und modernes und traditionelles Wissen gleichberechtigt behandelt.

Beispiele für „Radical Ecological Democracy“ findet man in ganz Indien. Zum Beispiel ließen Kleinbäuer*innen in Andhra Pradesh und Telangana ökologische Landwirtschaft wieder aufleben, erreichten eine volle Ernährungssouveränität, kollektivierten Ressourcen und Arbeit und sicherten die Grundrechte aller Menschen in der Gemeinschaft. In Zentralindien gewannen Gemeinschaften wie die Mendha-Lekha Gemeinschaft die Kontrolle über die umliegenden Wälder zurück und initiierten eine nachhaltige Waldbewirtschaftung. Vom Verkauf von Bambus und anderen Waldprodukten profitierten die Bewohner*innen der Gemeinde und verbesserten die Stromversorgung. Zur „Ecoswaraj“ Bewegung zählen zudem Bildungseinrichtungen, in denen Schüler*innen nicht nur modernes Wissen und Fähigkeiten erlernen, sondern auch mit ihren kulturellen und ökologischen Wurzeln verbunden bleiben sollen.

Die Mendha-Lekha Gemeinschaft in Maharashtra

Obwohl viele Bewegungen klein und zerstreut sind, konnten einige der Initiativen alternative Lebensweisen aufzeigen und die Politik beeinflussen. Zum Beispiel haben ein dutzend indische Bundesstaaten mittlerweile Förderprogramme oder Richtlinien bezüglich ökologischer Landwirtschaft initiiert. Diese Veränderung wurde durch Bäuer*innen angestoßen, die biologischen Anbau demonstrierten.

Europäer*innen könnte einiges von Radical Ecological Democracy lernen, zum Beispiel dass Suffizienz auch „bottom-up“ organisiert werden kann. Viele Länder des globalen Nordens könnten die Prinzipen Freiheit, Selbstverantwortung und Autonomie stärker in ihre Politik einbinden. Außerdem sollten Personen von indigenen Traditionen und ihrer Art mit der Natur zu leben, lernen.

Quellen:
Kothari, Ashish (2016): Radical Ecological Democracy. Reflections from the South on Degrowth. URL: https://www.degrowth.info/wp-content/uploads/2016/06/DIB_RED.pdf

Mit Suffizienz zum Guten Leben für alle – ein Interview mit Carla Noever und Robin Stock von BUNDJugend

Stellen Sie sich vor, die Dinge, die wir gebrauchen und kaufen, würden keinen riesengroßen ökologischen Fußabdruck hinterlassen oder zur Ausbeutung von vielen Menschen entlang der Produktionskette beitragen. Stellen Sie sich vor, es wäre das oberste Gebot der Menschen, im Einklang mit der Natur zu leben und tatsächlich nur so zu konsumieren, dass wir der Natur nicht schaden. Carla Noever und Robin Stock glauben, dass ein Weg in diese Richtung durchaus möglich ist, wenn Verbraucher*innen und Politik an einem Strang ziehen.

mit suffizienz zum guten leben für alle

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Ihr sagt, Suffizienz kann der Schlüssel zum guten Leben für alle sein? Was ist eure Version von einem guten Leben für alle?

Carla Noever (CN): Wir wollen uns natürlich nicht anmaßen, zu entscheiden, was für jeden Menschen „ein gutes Leben“ bedeuten würde. Aber es gibt Anhaltspunkte: Alle Menschen sollten ihre grundlegenden Bedürfnisse decken können und für sie sollten grundlegende Rechte gelten – egal wo sie geboren wurden und wohnen, ob sie nun leben oder erst in 30 Jahren. Für uns beschreibt die Vision eines guten Lebens kurz gesagt ein friedliches, ausbeutungsfreies und solidarisches Zusammenleben der Menschen miteinander und den achtsamen Umgang mit der Natur.

Robin Stock (RS): Damit das möglich wird, müssen wir unseren Ressourcenverbrauch radikal senken – und gleichzeitig Alternativen zur aktuellen Produktions- und Konsumweise möglich machen und verbreiten. Denn mit einer Wirtschaft und Gesellschaft, die auf ungebremstes Wachstum zielt, endliche Ressourcen verschwendet und soziale Ungleichheiten verschärft, ist unsere Vision vom „guten Leben für alle“ nicht vereinbar. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es eher heißen „besseres Leben für die, die heute schon privilegiert sind“ anstatt „gutes Leben für alle weltweit und in Zukunft“.

DUS: Und welche Rolle spielt Suffizienz in dieser Vision?

Eine sehr zentrale! Nehmen wir das Beispiel Coffee to go-Becher, heutzutage ein Alltagsgegenstand. Wir könnten künftig all unsere Einwegbecher aus Pflanzenfasern herstellen und schön recyceln lassen. Damit verbessern wir vielleicht ihre Öko-Bilanz ein bisschen. Wenn wir aber weiterhin so viele Einwegbecher nutzen wie jetzt, haben wir trotzdem einen riesigen Ressourcen- und Flächenverbrauch! Um eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten zu erhalten, reicht es nicht aus, andere Ressourcen zu nutzen oder diese noch besser zu verwerten. Wir müssen den Ressourcenverbrauch stattdessen absolut senken. Darauf zielt Suffizienz als Nachhaltigkeitsstrategie ab. Suffizienz lenkt unsere Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Fragen: Was brauchen wir wirklich? Und: Wieviel ist genug? Also: Brauchen wir wirklich jeden Tag drei Einwegbecher? Oder sollten wir nicht eher unseren Alltag entschleunigen und unseren Kaffee mal wieder vor Ort aus einer Mehrwegtasse trinken? Und: Was hindert uns aktuell daran, dies zu tun?

DUS: Was könnte jeder einzelne von uns konkret tun, damit eine suffiziente Gesellschaft Realität wird?

Da sind zum einen die naheliegenden Maßnahmen: Im Alltag Einwegplastik meiden, im Urlaub mit dem Zug an die Nordsee statt mit dem Flieger nach Thailand, Handy und Co. gebraucht kaufen. Sich individuell für einen ressourcenärmeren Lebensstil stark zu machen ist wichtig. Es stößt notwendige Diskussionen im privaten Umfeld an – oder auch in größerem Maßstab, siehe Fridays for Future und die entflammten Debatten ums Fliegen. Zum anderen ist es aber mindestens genauso wichtig, sich politisch für Suffizienz stark zu machen. Denn damit suffiziente Lebensstile kein bloßes Nischendasein fristen, ist vor allem die Politik gefragt.

DUS: Was meint ihr damit?

Politische Entscheidungsträger*innen müssen Rahmenbedingungen setzen, damit es endlich für alle Menschen ganz leicht und selbstverständlich wird, nicht mehr auf Kosten anderer und der Natur zu leben und zu wirtschaften. Aktuell kostet eine nachhaltige Lebensweise oft mehr Zeit oder Geld – oder wird einem schier unmöglich gemacht. Wer schonmal versucht hat, mit knappem Budget und begrenzten Urlaubstagen möglichst umweltfreundlich in die Ferne zu verreisen, weiß wovon wir sprechen.

Nur zwei Beispiele, wie also Suffizienzpolitik aussehen könnte: Wer will, dass die Menschen nicht mehr so viel Auto fahren oder fliegen, muss für entsprechend attraktive Alternativen im Radverkehr und bei den öffentlichen Verkehrsmitteln sorgen. Wer den CO2-Ausstoß im Energiesektor senken möchte, muss einen sofortigen Kohleausstieg beschließen, anstatt vor allem darauf zu setzen, dass Verbraucher*innen und Unternehmen durch ihr grünes Gewissen angetrieben auf Ökostrom umsteigen.

DUS: Was sind die Ziele eures Projektes und welche zentrale Zielgruppe spricht es an?

Mit unserem Projekt versuchen wir vor allem junge Menschen zu erreichen, die solche Erfahrungen machen: Sie wollen gern nachhaltiger leben, haben aber das Gefühl, sich dafür eine schiefe Ebene hochkämpfen zu müssen. Wir wollen Räume schaffen, in denen junge Menschen gemeinsam diskutieren können, was sich politisch ändern müsste, damit ein nachhaltiges Leben zur naheliegendsten und einfachsten Option wird. In Workshops entwickeln sie Visionen von und Forderungen für eine suffizienzbasierte Gesellschaft. Im Idealfall ergeben sich aus den Workshops dann Aktionsideen, mit denen die Teilnehmenden ihre Forderungen lautstark in die Öffentlichkeit und an die Politik herantragen.

DUS: Ihr habt es ja schon gesagt: Suffizient und nachhaltig zu leben fällt vielen Menschen oft schwer. Vor allem wenn Fleisch und Milchprodukte immer günstiger werden, Flüge günstiger sind als Zugfahrten oder das Obst im Supermarkt aus hygienischen Gründen zwei Mal in Plastik eingepackt ist. Habt ihr Anregungen, wie junge Menschen am besten Druck auf die Politik ausüben können, nachhaltige Lebensstile zu unterstützen anstatt zu erschweren?

In unseren Broschüren und auf unserer Website haben wir verschiedene erprobte Aktionsformate gesammelt. Es gibt sicherlich nicht die eine erfolgsversprechende Strategie und Aktionsform – erfolgreich wird eine Bewegung ja vor allem durch einen bunten Mix, in dem sich viele Menschen wiederfinden können und viele Ebenen angesprochen werden. Du willst vor Ort die Öffentlichkeit für ein Thema sensibilisieren? Das funktioniert gut mit kreativem Protest, mit Straßentheater, Kunstinstallationen, Flashmobs! Du willst deine Forderungen in die Welt tragen? Organisiere Demonstrationen, lade Politiker*innen zu Diskussionsrunden ein, nutze soziale Medien, starte Petitionen! Es gibt natürlich noch ganz viele andere Möglichkeiten. Das Wichtigste ist: Organisiert euch, habt Spaß und bleibt hartnäckig!

DUS: Welche konkreten Gebiete sollten eurer Meinung nach am dringendsten mit einer Suffizienzpolitik bedacht werden?

Tatsächlich ist es schwierig, hier eine Auswahl zu treffen. Im Projekt haben wir uns ganz konkret mit bestimmten Politikfeldern auseinandergesetzt, beispielsweise mit Mobilität und Digitalisierung. In diesen Politikfeldern ist gerade viel Bewegung drin – da ist es wichtig, dranzubleiben und konkrete Forderungen zu stellen. Letztlich müsste Suffizienzpolitik aber – ähnlich wie es ja gerade unter dem Schlagwort „Klimanotstand“ für klimapolitische Überlegungen gefordert wird – in alle Politikfelder integriert werden. Suffizienzpolitische Maßnahmen sind schließlich auch für eine nachhaltige Stadtplanung oder für eine faire und ökologisch zukunftsfähige Wirtschaftspolitik zentral. Nicht zuletzt für die Sozial- oder Arbeitsmarktpolitik spielt Suffizienzpolitik gemeinsam mit Umverteilungsmaßnahmen eine sehr wichtige Rolle:  Denn wer „genug“ hat – genug soziale Absicherung, genug Zeit, genug finanzielle Mittel – kann sich leichter um eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise bemühen und sich in politische Prozesse einbringen. Suffizienzpolitik ernst zu nehmen heißt schließlich, unser derzeitiges Wirtschaftssystem ordentlich umzukrempeln.

über die Interviewpartner*innen
©Carla Noever
©Robin Stock

Robin Stock und Carla Noever Castelos arbeiten für die BUNDjugend im Projekt „Gutes Leben für alle – junge Stimmen in der Suffizienzpolitik“. Robin war zuvor für verschiedene Organisationen im Kontext der Entwicklungspolitik und Bildung für Nachhaltigkeit tätig. Carla engagiert sich in den Bereichen globale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit.

Campen fürs Klima vor dem Bundeskanzleramt

Vom 19. – 27. September fand in Berlin das zweite We4Future Camp statt. Neun Tage campten Klimaaktivist*innen vor dem Bundeskanzleramt und veranstalteten verschiedene Workshops zum Thema Klima- und Umweltschutz. Während des ersten We4Future Camps im Juni wurde der zivile Klimanotstand ausgerufen. Wir von der Deutschen Umweltstiftung haben das Camp besucht und erzählen von unseren Erfahrungen:

Am Dienstag wurde ein Workshop mit anschließender Diskussionsrunde über das Thema „Müssen wir über Verzicht debattieren?“ angeboten, in welchem die „Imperiale Lebensweise“ des globalen Nordens kritisch beleuchtet wurde. Ausgangspunkt des Vortrags war die Annahme, dass durch die Konsummuster der früh-industrialisierten Länder auf Kosten der Menschen des globalen Südens gelebt wird. Die dadurch entstandene soziale Ungerechtigkeit ist Teil der Klimakrise und hat in einigen Teilen der Bevölkerung eine moralisierende Debatte des Verzichtes im Sinne einer gerechteren Welt mobilisiert. Ziel des Workshops war es zu erarbeiten, wie der Verzicht zu einer positiven und politischen Debatte umgewandelt werden kann, welche alle Milieus erreicht und an den alltäglichen Bedürfnissen der Bevölkerung anknüpft.

Die Teilnehmenden des Workshops waren zum Großteil sehr vertraut mit den Auswirkungen der konsumorientierten westlichen Gesellschaft und dementsprechend in ihren eigenen Verhaltensweisen reflektiert. Menschen, die sich schon sehr ausführlich mit ihren Konsummustern auseinandergesetzt haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass persönliche Kaufentscheidungen nur einen kleinen Beitrag zu einer nachhaltigen und gerechten Welt leisten können. Die Handlungsoptionen beim Einkaufen oder bei der Wahl des Verkehrsmittel sind nur beschränkt und können das Ausmaß der ausbeuterischen Industrienationen nicht grundlegend und vor allem nicht schnell genug verändern. Die Dringlichkeit das System an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen fordert die Politik dazu auf konkrete Maßnahmen für eine global tragbare Lebensweise umzusetzen.

Letztendlich waren sich Teilnehmenden des Workshops einig, dass die Gesellschaft zwar durch ihre persönlichen Handlungsentscheidungen nur wenig bewirken kann, es dennoch wichtig ist, dass weiterhin Druck auf die Politik ausgeübt wird. Hinzukommt, dass ein nachhaltiger Konsum von ökologisch und sozial tragbaren Produkten von der Bevölkerung ein monetärer und zeitlicher Mehraufwand bedeuten würde, welcher aufgrund begrenzter Ressourcen für die meisten sozialen Milieus nicht möglich ist. Die Verantwortung liegt nicht allein bei den Konsumierenden und muss auch von der Politik und anderen „global players“ anerkannt werden, damit eine Transformation zu einer sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Gesellschaft entstehen kann.

An drei Tagen luden Vertreter*innen von Fridays for Future zu der Veranstaltung „Politiker*innen fragen – Fridays for Future antwortet“ ein. Dazu wurden Einladungen an alle im Bundestag vertretenen Parteien geschickt, nur von der AfD kam keine Rückmeldung. Als wir am Donnerstag das Klimacamp besuchten, bereiteten sich Vertreter*innen von Fridays for Future auf die Diskussion mit den Politiker*innen vor. Wie kann man Politiker*innen davon überzeugen, Klimaschutz zu priorisieren, wenn sie es selbst nicht als wichtiges Thema empfinden? Wie solle man auf Ausweichfragen reagieren, z.B wenn die Aktivist*innen gefragt werden, was sie persönlich für den Klimaschutz machen? Diese Fragen wurden diskutiert, während die Aktivist*innen auf das Eintreffen der Politiker*innen warteten. Während unseres Besuches erschien nur Isabel Mackensen, Bundestagsabgeordnete der SPD, die zunächst allgemeine Fragen über das Klimacamp und die Motivation der Fridays for Future Aktivist*innen stellte.

Außerdem fragte Isabel Mackensen, wie Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander vereinbar seien. Denn von den Klimaschutzmaßnahmen seien vorwiegend Menschen niedrigeren Einkommens betroffen, so die Politikerin. Diese Behauptung wurde von einem Aktivisten zurückgewiesen. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit seien keine Gegensätze: Man könne ihn sozial gerecht gestalten, indem man zum Beispiel die CO2 Steuer gemeinsam mit einer Klimadividende einführt. Das bedeutet, das jegliche Einnahmen aus der CO2 Steuer gleichmäßig an alle Bürger*innen zurückgezahlt werden. Dementsprechend müssten nur Menschen, die sehr klimaschädlich leben (das sind hauptsächlich reiche Menschen) höhere Abgaben durch die CO2 Steuer zahlen. Menschen, die weniger CO2 Emissionen verursachen als die Durchschnittsbevölkerung (das sind meistens Menschen mit niedrigem Einkommen) profitieren sogar von dieser CO2 Steuer. Von diesem Konzept hat die Politikerin zuvor noch nicht gehört, versprach aber, sich über die Klimadividende zu informieren. Die Aktivist*innen betonten außerdem, fass es ihnen um Klimagerechtigkeit ginge. Von den Folgen eines Klimawandels sind die Menschen am stärksten betroffen, die ihn am wenigsten verursacht haben. Diese Ungerechtigkeit wolle Fridays for Future bekämpfen. Selbst wenn wenige Menschen von Klimaschutzmaßnahmen negativ betroffen seinen, müsse man das Klima trotzdem schützen, da es keine Alternative dazu gibt.

Zum Abschluss stellten die Aktivist*innen Fragen an Isabel Mackensen. Warum setze sich die Politik nicht stärker für Klimaschutz ein, obwohl ihnen die Konsequenzen eines Klimawandels bewusst seien? Die Politikerin antwortete, die Politik müsse auch die Menschen mitnehmen, die z.B. nicht an Erneuerbare Energien glauben. Wenn man zu radikalen Klimaschutz betreibe, würden die Menschen abgeschreckt und schlössen sich rechten Parteien an. Sie habe Angst davor, dass durch einen Rechtsruck Parteien an die Macht kommen, die Freiheiten einschränken. Davor habe sie mehr Angst als vor einem Klimawandel. Dass jedoch durch einen starken Klimawandel sehr viele Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen und soziale Ungerechtigkeiten verstärkt werden, was wiederum zu einem starken Rechtsruck führen kann, bedachte die Politikerin nicht. Das Klimaschutzpaket sei ihrer Meinung nach bereits ein Schritt in die richtige Richtung und sie hoffe darauf, dass dieses Paket in den nächsten Monaten ausgeweitet wird.

Insgesamt verlief die Diskussion sehr konstruktiv. Trotz der teils verschiedenen Positionen zeigte die Politikerin Verständnis für die Positionen von Fridays For Future. Außerdem war sie offen für die Vorschläge der Jugendlichen. Es bleibt zwar fraglich, ob solche Gespräche zu politischer Veränderung führen, allerdings schadet es nie, Diskussionen mit Menschen außerhalb der eigenen „Blase“ zu führen. 1

Sharing Economy – Die Ökonomie des Teilens

Sharing Economy – die „Ökonomie des Teilens“ ist eine alternative Form des Wirtschaftens, bei der ein Wandel vom Besitz zum Gebrauch von Gütern stattfindet. Somit können mehrere Personen ein Produkt benutzen, ohne dabei die Anschaffungskosten tragen zu müssen. Durch das gemeinsame Nutzen von Gütern und Dienstleistungen sollen ökologische und soziale Aspekte positiv beeinflusst werden.

Photo:TheDigitalArtist/Pixabay

Es gibt verschiedene Stimmen zu der Intention und Auswirkung von Sharing-Plattformen. Zum einen wird die Sharing Economy als soziale Bewegung wahrgenommen, die eine menschlichere Wirtschaft anstrebt, bei der Werte wie Solidarität, Kooperation und Gemeinschaft zählen. Die Teilungspraktiken werden in dem Sinne als Reaktion auf die traditionelle westliche Konsumkultur wahrgenommen (Ranchordas, 2015). Zum anderen gibt es auch kritische Stimmen, die meinen es sei ein neoliberaler Ansatz (Peitz et al., 2016). Denn durch die neu entstandenen Online-Märkte können Unternehmen gesetzliche Regulierungen umgehen und somit Kosten einsparen, was konkurrierende Unternehmen vom Markt verdrängt. Es entstehen Probleme beim Verbraucher- und Datenschutz, welche gesetzlich noch nicht geregelt sind und zunächst zu einem Verbot der Unternehmen führen kann (Peitz et al., 2016).

Demzufolge ist die Motivation sowohl von Seiten des Anbietenden als auch die des Nutzenden für die sozialen und umweltrelevanten Auswirkungen ausschlaggebend. So ist die Motivation bei Plattformen wie Carsharing eher ökonomischen Interessen zuzuordnen, während angenommen wird, dass beim Teilen von Werkzeugen soziale Motivationen überwiegen (Böcker et al., 2017). Zum Beispiel gibt es viele nicht-kommerzielle Plattformen, die zur Sharing Economy gezählt werden. Auf diesen Seiten können Besitzer*innen Güter, die sie nur selten nutzen, kostenlos verleihen. Ein Beispiel hierfür ist die Plattform berlin.fairleihen.de, auf der Büchern, Fahrräder, Haushaltsgeräte und vieles mehr kostenlos verliehen werden. Weitere Positivbeispiele für Sharing Economy sind auf der Utopia Website aufgeführt. Zudem variiert die Motivation je nach sozial-demographischem Hintergrund, sowie zwischen dem Anbietenden und Nutzenden (Böcker et al., 2017).

Die Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationssystemen sowie die Fortentwicklung von globalen Internetdiensten befördert die Sharing Economy. Plattformen wie Uber im Transportsektor und Airbnb in der Unterkunftsvermietung erweitern Angebote etablierter Branchen (Peitz et al., 2016). Hinzu kommt, dass Sharing-Dienste oftmals Güter mit hohen Anschaffungskosten anbieten, da sich andernfalls der Erwerb für die Privatperson nicht lohnen würde.

Ein weiteres Element ist, dass Vertrauen zwischen den beiden teilenden Parteien eine größere Rolle einnimmt. Viele Plattformen enthalten unterstützend Bewertungs- und Ratingsysteme, die Vertrauen aufbauen und Informationen asymmetrisch aufbauen. Bei einer Wohnungsvermietung sollte bspw. die mietende Person sicher sein, dass die Wohnung entsprechend der Fotos aussieht und die vermietende Person davon ausgehen können, dass mit der Wohnung ordnungsgemäß umgegangen wird.

Im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastung kann über Sharing Economy keine pauschale Aussage getroffen werden, da es auch vom Nutzungsverhalten der Konsumierenden abhängig ist. Wenn Menschen, die zuvor in Hotels übernachtet haben nun stattdessen eine Wohnung über Airbnb mieten, kann der negative Effekt auf die Umwelt geringer ausfallen. Verleitet das günstige Angebot jedoch dazu mehr und vorwiegend mit kraftstoffbetriebenen Fahrzeugen zu Reisen, dann wird die Umwelt noch mehr belastet. Somit ist es wichtig, den geringeren Ressourcenverbrauch, welcher durch das Teilen entsteht, gegen die erhöhte Nutzungsintensität und damit den auftretenden „Rebound-Effekten“ abzuschätzen. Rebound Effekte können bspw. auch beim Carsharing auftreten. Laut einer Studie ersetzt ein Carsharing Auto acht private PKWs. In der Rechnung würde das zu weniger Parkplätze in der Stadt führen und Ressourcen für die Herstellung der Autos einsparen. Eine Studie des Ökoinstitutes zeigte allerdings, dass nur wenige Carsharing Nutzer*innen ihr eigenes PKW verkaufen. In Köln und Frankfurt wurden für jedes eingesetzte Auto der Carsharing Plattform car2go 0,3 bis 0,7 private PKWs abgeschafft. Das heißt, die Anzahl an PKWs erhöhte sich sogar durch Carsharing Plattformen.

Das Konzept der Sharing Economy hat großes Potenzial, Ressourcen zu schonen. Ob es aber wirklich zu Einsparungen kommt, hängt sowohl von den Verleihenden als auch den Nutzenden ab.

Quellen:

Böcker, L. & Meelen, T. (2017). Sharing for people, planet or profit? Analysing motivations for intended sharing economy participation. In: Environmental Innovation and societal Transition. Volume 23, S. 28-39.

Peitz, M. & Schwalbe, U. (2016): Zwischen Sozialromantik und Neoliberalismus: Zur Ökonomie der Sharing-Economy, ZEW Discussion Papers, Nr. 16-033, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim.

Ranchordas, S. (2015). Does Sharing Mean Caring? Regulating Innovation
in the Sharing Economy. In: Minnesota Journal of Law, Science & Technology. Volume 16, Issue 1, Article 9.