Zukunftsfähig durch nachhaltige Entwicklung – ein Interview mit Vera Rößiger

„Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“ Dieses Sprichwort passt sehr gut zum Projekt N-Scouts. Vor einiger Zeit haben wir in einem Beitrag über das Fachforum Nachhaltigkeit mit dem Thema „Suffizienz und Ernährung“ berichtet, in dessen Rahmen auch das Projekt N-Scouts des Landesjugendrings Baden-Württemberg e. V. (kurz: ljrbw) vorgestellt wurde. Wir haben mit Vera Rößiger, Referentin für Nachhaltigkeit und Organisatorin des Projekts gesprochen.

zukunftsfähig durch nachhaltige entwicklung

Deutsche Umweltstiftung: Was sind deine Aufgaben im Fachbereich Nachhaltigkeit beim Landesjugendring Baden-Würtemberg e. V.?

Vera Rößiger: Zur Einordnung hole ich ein bisschen aus: Der Landesjugendring Baden-Württemberg e.V. ist eine Arbeitsgemeinschaft von verschiedenen Jugendverbänden auf Landesebene, sowie der Stadt- und Kreisjugendringe in Baden-Württemberg.

Die Fachbereiche werden von dem höchsten Gremium, der Vollversammlung eingesetzt. Diese wählt außerdem Vorstände, die dem jeweiligen Fachbereich vorstehen. Die Vorstände legen gemeinsam mit den Mitgliedern des geschäftsführenden Vorstands die strategischen Ziele des Landesjugendrings fest. In der Geschäftsstelle gibt es dann jeweils eine*n Referent*in für jeden Fachbereich, welche*r dafür zuständig ist, die Aufgaben praktisch umzusetzen.

Meine Aufgaben für den Fachbereich orientieren sich an den Bedürfnissen unserer Mitgliedverbände. Deren Arbeit wiederum orientiert sich an Interessen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen. Diese haben angesichts der globalen, ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit berechtigte Sorge um die Zukunft der Welt und damit auch um ihre eigene. Für viele Kinder und Jugendliche ist ein sinnvoller Umgang mit Natur und Umwelt sowie ein global gerechtes Miteinander aller Menschen auf dieser Welt sehr wichtig. Und so ist es kein Wunder, dass Projekte der Jugendverbände sich – wenn auch nicht immer explizit – längst auf die Themen der nachhaltigen Entwicklung bzw. der Zukunftsfähigkeit beziehen. Der Fachbereich Nachhaltigkeit möchte diese vernetzen und gleichzeitig drei Schwerpunktthemen inhaltlich bearbeiten: Öko-fair-soziale Beschaffung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Nachhaltige Gesellschaft.

Ganz konkret organisiere ich zum Beispiel AG-Sitzungen unserer AG-Nachhaltigkeit mit Vertreter*innen der Mitgliedsverbände, um unserer Arbeit an deren Interessen auszurichten. Und wir versuchen die Interessen unserer Mitgliedsverbände im Bereich Nachhaltigkeit auf politischer Ebene zu vertreten: So haben wir etwa eine gemeinsame Stellungnahme von verschiedenen Verbänden (u.a. Landjugend und Naturschutzjugend) initiiert, als ein Gesetz zur Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetzes erlassen wurde. Solche Stellungnahmen zeigen den Verantwortlichen die Perspektive engagierter Jugendlicher bzw. der Jugendverbände auf. Und dann gibt es da noch das Projekt „N-Scouts“, welches wir in Kooperation mit RENN.süd (RENN=Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien) umgesetzt haben.

Deutsche Umweltstiftung: Welche Ziele verfolgt ihr mit dem N-Scouts Projekt?

Natürlich möchten wir die Welt verändern! Ein hehres Ziel, dem wir uns mit den N-Scouts annähern wollen. Unser Ziel oder unsere Vision ist es, dass bis zum Jahr 2025 mindestens 25 unserer Mitgliedsorganisationen öko-fair-sozial verantwortlich wirtschaften und dass ihnen suffizientes Handeln ein Begriff ist. Dafür braucht es Menschen, die selbstorganisiert in ihrer Struktur, ihrem Verband oder Ring neue Wege der Beschaffung gehen und jugendorientiert das Thema Suffizienz setzen. Diese Menschen wollen wir als Landesjugendring mit dem Projekt N-Scouts stärken und begleiten, sodass sie die nötigen Veränderungen in ihrem Verband angehen können.

Deutsche Umweltstiftung: Wie wollt ihr diese Vision wahr werden lassen? Welche Herausforderungen siehst du bei der Umsetzung suffizientes Handeln in den Fokus der breiten Gesellschaft zu setzen?

Damit unsere Vision wahr wird, wollen wir (junge) Menschen aus Jugendverbänden dabei stärken, diese Veränderungen anzugehen; ihnen sozusagen „Starthilfe“ geben. Beim Projekt N-Scouts gibt es zwei Wochenendveranstaltungen, die das Problembewusstsein bezüglich Nachhaltigkeit in verschiedenen Bereichen stärken, etwa zum Thema Ernährung, Büromaterialien oder Mobilität – alles im Kontext der Jugend(verbands-)arbeit. Daneben soll es aber auch darum gehen, Handlungswissen zu generieren und zu vermitteln – das heißt, dass die N-Scouts Lösungsansätze und Strategien für ihren Verband entwickeln können – und eine Herangehensweise an nachhaltiges Handeln zu entwickeln. Wir glauben, dass mit einem konkreten Fahrplan solche Veränderungsprozesse angegangen werden können und wir möchten diesen Fahrplan entwickeln helfen.

Um suffizientes Handeln in den Fokus der breiten Gesellschaft zu setzen braucht es genau solche Menschen, wie die N-Scouts, welche Probleme erkennen können und Veränderungen angehen oder auch einfach mal was Neues ausprobieren. Wir brauchen gesamtgesellschaftlich ein größeres Problembewusstsein. Doch das alleine genügt nicht, um suffizientes Handeln in die Breite zu bringen. Es benötigt auch politische Rahmenbedingungen: ob Kommunen, Verwaltung oder Unternehmen, wir brauchen Anreize und Impulse für jede und jeden, damit ressourcenleichteres Leben attraktiver wird und Lebensqualität ohne materiellen Reichtum erreicht werden kann.

Deutsche Umweltstiftung: Wie kann man N-Scout werden?

Um N-Scout zu werden, kann man sich ganz einfach bei mir anmelden.

Du solltest aus Baden-Württemberg kommen und Veränderung in einem Jugendverband oder einer selbstorganisierten Jugendgruppe anstoßen wollen. Dazu benötigst du außerdem ein Mandat deines Verbandes bzw. deiner Gruppe: Wir wollen, dass die Organisation auch bereit ist, Veränderungen umzusetzen und die N-Scouts entsenden.

Coronabedingt werden wir die Wochenendveranstaltungen auf Anfang kommenden Jahres verlegen müssen, genauere Informationen findet ihr dazu auf unserer Homepage: https://ljrbw.de/nachhaltige-entwicklung.

über die interviewpartnerin
© Vera Rößiger

Vera Rößiger ist Referentin beim Langesjugendring Baden-Württemberg e. V. für den Fachbereich Nachhaltigkeit und organisiert in diesem Rahmen das Projekt N-Scouts.

Suffizienz in Unternehmen – Die unterschätzte Strategie

Die Anpassung an ökologische und soziale Bedürfnisse fordert eine strukturelle Veränderung in der Wirtschaft. Viele Unternehmen mindern ihren Umwelteinfluss, indem sie effiziente und konsistente Projekte umsetzen. Sie versuchen durch weniger Ressourcen den gleichen Output zu generieren und arbeiten mit geschlossenen Stoffkreisläufen. Diese Strategien sind objektorientiert und stützen sich auf technologische Innovationen. Allerdings haben sie den Nachteil mögliche Rebound-Effekte zu erzeugen, denn Effizienzgewinne können den Konsum von Produkten erhöhen. Um eine ganzheitliche Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt zu schaffen, bedarf es daher die Einbindung aller relevanter Akteur*innen entlang der Wertschöpfungskette. Das ist ein zentraler Punkt in der Strategie der Suffizienz, bei der es um das sinnstiftende Produzieren und Konsumieren geht. Bisher wird Suffizienz im Unternehmenskontext selten angewendet, aufgrund des mangelnden Wissens und der Verständlichkeit.

Das Impulspapier „Suffizienz im Unternehmenskontext“ der Integralen Planung GmbH (Intep) und dem Verband für nachhaltiges Wirtschaften (öbu) hilft dabei, die Prinzipien von unternehmerischer Suffizienz besser zu verstehen.

Quelle: Unsplash, Kleomenis Spyroglou, Utrecht Centraal, Netherlands (letzter Zugriff: 27. Juli 2020)

Suffizienz-Prinzipien für Unternehmen

Unternehmen, die suffizient agieren, arbeiten lösungsorientiert an den Herausforderungen der Gesellschaft und bleiben dabei innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen. Dabei werden Ressourcen wie Material, Finanzen, Produkt oder Dienstleistung, Mensch, Wissen, Raum und Zeit schonend, also weniger, regionaler und langsamer, eingesetzt und an die Nachhaltigkeitsziele angepasst. Das Wissen vermitteln die Unternehmen transparent an alle Stakeholder. Mit dieser Einstellung machen sie sich ihren Auswirkungen bewusst und messen ihren Nutzen an monetäre, soziale und ökologische Variablen. Ihre Arbeit ist sinnstiftend und das steht im Mittelpunkt ihrer Untenrehmenskultur.

Vorteile

Suffizienz wird oft mit Verzicht in Verbindung gebracht und scheint in erster Linie unattraktiv für Unternehmen. Das Impulspapier verweist auf das Gegenteil. Unternehmen, die sich mit Suffizienz positionieren, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil. Wenn Unternehmen die Suffizienz-Prinzipien umsetzen, fördern sie die nachhaltige Entwicklung unserer Wirtschaft und beweisen ihre Relevanz für das System. Die Transparenz von ihren Aktivitäten ist für viele Stakeholder reizvoll. Es schafft Vertrauen und ist insbesondere für Investor*innen ein Zeichen der Risikominderung. Somit können Unternehmen mit Suffizienz als Strategie die Nachhaltigkeitsziele besser erreichen und ihre Attraktivität, Arbeitszufriedenheit und Qualität ihres wirtschaftlichen Schaffens erhöhen.

Fazit

Als komplementäre Strategie zur Effizienz und Konsistenz ist Suffizienz unvermeidbar, wenn Unternehmen ein ganzheitlich nachhaltiges Wirtschaftssystem anstreben. Eine ressourcenschonende und sinnstiftende Arbeitsweise bedeutet in vieler Hinsicht sparsam zu sein. Das zeigt, wie wertvoll ihre Arbeit ist und kann dadurch den Unternehmen verschiedene Vorteile ermöglichen.

Quellen

intep (2020): Suffizienz im Unternehmenskontext – Ein notwendiger Ansatz zu einem verantwortungsvollen Unternehmertum. Impulspapier, Zürich.

Link zum Impulspapier: https://www.oebu.ch/admin/data/files/section_asset/file_de/4530/4287_impulspapier_intep_oebu_suffizienz_unternehmen_mai2020-(1).pdf?lm=1592293739

Palzkill, A., Schneidewind, U. Suffizienz und Unternehmen – ein Paradox?. uwf 23, 1–2 (2015). https://doi.org/10.1007/s00550-015-0354-7

Forschungsprojekt „Digitale Suffizienz“

Die Schnelllebigkeit unserer Konsumgesellschaft spiegelt sich heutzutage deutlich in der Smartphone-Nutzung wider. Ständig kommen neue Modelle auf den Markt, die ältere Versionen ersetzen sollen. In der Folge tauschen die Deutschen ihr Smartphone durchschnittlich nach nur zwei Jahren gegen ein neueres Modell aus. Laut Verbraucherzentrale befinden sich deshalb rund 124 Millionen Altgeräte in deutschen Haushalten. Die in ihnen verbauten Rohstoffe sind knapp und wertvoll. Außerdem gilt ihr Abbau als umweltschädlich. Und nicht nur das: Auch die Nutzung und Entsorgung von elektronischen Geräten können schlecht für die Umwelt sein.

Mit dieser Problematik befasst sich das Forschungsprojekt „Digitale Suffizienz“ der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZAHW). Ziel des Projektes war es, herauszufinden, wie die Digitalisierung zum Erreichen der Umweltziele beitragen kann. Vordergründig war die Förderung des suffizienten Smartphone-Konsums bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Im ersten Schritt des Forschungsprojektes wurde eine repräsentative Befragung sogenannter „Digital Natives“ zwischen 12 und 25 Jahren durchgeführt. Dabei kam heraus, dass nahezu alle Befragten ein Smartphone besaßen und Dreiviertel von ihnen es alle zwei Jahre gegen ein neues Modell austauschten. Durchschnittlich verbrachten die Befragten täglich drei Stunden mit ihrem Smartphone, doch nur wenige waren sich den ökologischen Folgen ihres Konsumverhaltens bewusst.

Daraufhin untersuchte die Forschungsgruppe „Ökobilanz“ der ZAHW die Umweltfolgen von Herstellung und Nutzung von Smartphones. Sie kamen zu dem Schluss, dass insbesondere die Herstellung und die kurze Lebensdauer der Geräte der Umwelt schaden. Die Kurzlebigkeit verschwende nämlich wertvolle Ressourcen wie Kobalt, Silber und Gold. Die tatsächliche Nutzung des Smartphones sei zwar etwas weniger schädlich, doch insbesondere das Streamen von Filmen und Serien habe einen hohen Energieverbrauch. Bewusstere und längerfristige Nutzung von Geräten sei daher nötig, um die Umweltbelastungen zu reduzieren.

In diesem Zusammenhang stellten sich die Forscher*innen die Frage, wie Jugendliche und junge Erwachsene zu einem suffizienten Smartphone-Konsum angeregt werden können. Dazu entwickelten sie die Online-Kampagne „ugphone“ (Abbildung 1), die über eine eigene Webseite, soziale Netzwerke und mit Unterstützung von Influencern verbreitet wurde. Im Rahmen der Kampagne wurde das gleichnamige, nachhaltige Smartphone vorgestellt. Es besteht aus recyceltem Aluminium und Bio-Kautschuk und ist mit nur einer Taste sowie einem kleinen Bildschirm ausgestattet. Dies soll potenzielle Schäden minimieren. Außerdem bietet es die Möglichkeit mit einer Kurbel eigenen Ökostrom zu generieren. Das „ugphone“ erweist sich zwar als umweltfreundliche Alternative, ist in der Nutzung aber als extrem unpraktisch.

Abbildung 1: Das nachhaltige „ugphone“. Quelle: Spinas Civil Voices / ZHAW / myblueplanet.

Das „ugphone“ als humorvolle „Drohkulisse“ sollte die Jugendlichen dazu ermutigen die Lebensdauer ihres Smartphones zu verlängern, damit die tatsächliche Einführung des „ugphones“ nicht nötig ist. Auf der Kampagnenwebsite konnten sie das Versprechen abgeben ihr Handy mindestens drei Jahre lang zu nutzen.

Die abschließende Evaluation des Forschungsprojektes ergab, dass die Kampagne einen insgesamt positiven Effekt auf die Teilnehmenden hatte und Aufmerksamkeit für das Thema digitale Suffizienz erzeugen konnte. Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie durch die Kampagne zum Nachdenken über die Umweltfolgen ihres Konsum- und Nutzungsverhaltens angeregt wurden. Außerdem gaben über 200 Personen das Versprechen ab, ihr Smartphone mindestens drei Jahre zu verwenden.

Im Rahmen weiterführender Forschungen entwickeln die Forscher*innen der ZAHW aktuell Konzepte zur Lebenszeitverlängerung von mobilen Endgeräten. Mit Lösungen, die sowohl für Konsumenten als auch für Produzenten attraktiv sind, wollen sie den Lebenszyklus von Smartphones nachhaltiger gestalten.

Quellen:
Stiftung Mercator Schweiz (2018): Digitale Suffizienz. URL: https://www.stiftung-mercator.ch/de/projekte/digitale-suffizienz/.
Verbraucherzentrale (2020): Handy und Smartphone reparieren, verkaufen oder spenden. URL: https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/umwelt-haushalt/nachhaltigkeit/handy-und-smartphone-reparieren-verkaufen-oder-spenden-8198.
Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (2018): Forschungsdatenbank: Digitale Suffizienz – Förderung einer öko-suffizienten und -effizienten Nutzung digitaler Medien. URL: https://www.zhaw.ch/no_cache/de/forschung/forschungsdatenbank/projektdetail/projektid/1389/.
Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (2018): Digitale Suffizienz: Ressourcenleichter mit digitalen Medien umgehen. URL: https://projektdaten.zhaw.ch/Research/Projekt-00001389/DigiSuff_Summary.pdf.