Wenn dir ein Geschäft „Kauf weniger“ sagt. – Interview mit Maike Gossen

Im Rahmen eines Interviews sprachen wir mit Maike Gossen vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) über die kürzlich veröffentlichte Studie „When your shop says #lessismore. Online Communication interventions for clothing sufficiency“. Digitalisierung verändert unsere Lebensweise und unser Konsumverhalten. Wie man Online-Kommunikation als Tool für Suffizienzmarketing nutzen kann und welche Erkenntnisse aus der Studie hervorgegangen sind, erläutert Maike Gossen im folgenden Interview.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Sie haben die Studie „When your shop says #lessismore. Online Communication interventions for clothing sufficiency“1 im „Journal of Environmental Psychology“ veröffentlicht. Können Sie kurz zusammenfassen, worum es in der experimentellen Studie geht?

Maike Gossen (MG): Die Studie entstand in unserer Forschungsgruppe zu Digitalisierung und sozial-ökologischer Transformation 2. Wir wollten herausfinden, inwiefern Online-Kommunikation von Unternehmen aus dem Kleidungsbereich, beispielsweise in Social Media, nachhaltige Lebensstile fördern können. Zu diesem Zweck haben wir Online-Kommunikation als Teil von Suffizienzmarketing 3 in zwei experimentellen Studien untersucht.

DUS: Wie sind diese Studien abgelaufen und was sind die zentralen Ergebnisse?

MG: Im ersten Schritt haben wir gemeinsam mit unserem Projektpartner Avocadostore eine Feldstudie konzipiert. Im Rahmen einer Themenwoche auf Social Media und im Newsletter hat der Online-Marktplatz unter dem Motto „lessismore“ auf Alternativen zum Neukauf hingewiesen. Wir haben vor und nach der Themenwoche die Kund*innen von Avocadostore zu ihrem Kaufverhalten und ihren Einstellungen befragt. Das zentrale Ergebnis der Feldstudie ist, dass Suffizienzbotschaften positiv bewertet werden. Jedoch kauften die Kund*innen im Monat nach der lessismore-Woche genauso viel Kleidung wie Kund*innen, die die suffizienzfördernde Kommunikation nicht gesehen hatten. Es scheint also, dass vereinzelte Social Media-Posts eines Unternehmens als Intervention zu schwach sind, um sich langfristig auf das Konsumniveau auszuwirken. In einer daran anschließenden Online-Laborstudie konnten wir hingegen zeigen, dass suffizienzfördernde Social Media-Posts kurzfristig sehr wohl suffiziente Konsumentscheidungen fördern konnten. Dieser Effekt war insbesondere bei Teilnehmenden stärker, die bereits altruistische und umweltorientierte Werte vertraten. 

DUS: Was schließen Sie aus dem Ergebnis, dass Suffizienzbotschaften über Social Media eher eine kurzfristige Wirkung zeigen. Ist Social Media grundsätzlich ungeeignet, um langfristige Verhaltensänderungen zu erzeugen? Was bedeutet das für das Suffizienzmarketing?

MG: Dass wir zwar eine kurzfristige Wirkung im Labor, aber keine langfristige Wirkung im Feld finden konnten, ist ein interessantes Ergebnis, das zu weiterer Forschung einlädt. Wir interpretieren diese Resultate so, dass Suffizienzkommunikation erst wirksam sein kann, wenn sie einen sichtbaren Anteil an der Gesamtkommunikation einnimmt. Gerade in einem ansonsten sehr konsumorientierten Umfeld wie Social Media 4 und dem Internet an sich 5 kann eine einzelne Suffizienzbotschaft oder ein einzelner Instagram-Post im allgemeinen Informationsfluss untergehen. Langfristig wäre es wünschenswert, in der digitalen Kommunikation eine Kultur der Suffizienz zu etablieren und soziale Normen weg von schnelllebigem Konsum hin zu mehr Nachhaltigkeit zu verändern.

DUS: Heute bewerben immer mehr Unternehmen ihr nachhaltiges Angebot und fördern damit grünen Konsum. Worin unterscheidet sich das so genannte Suffizienzmarketing?

MG: Beim Suffizienzmarketing geht es darum, keine neuen Konsumwünsche zu schaffen, sondern bestehende Bedürfnisse zu befriedigen. Das kann also entweder ein Produkt sein, dass sich durch langlebige Materialien, Reparierbarkeit oder Zeitlosigkeit auszeichnet, aber genauso können es auch Alternativen zum Neukauf sein. Häufig kann die Lebensdauer von Produkten verlängert werden, indem sie repariert, gut gepflegt oder verliehen werden. Auch durch Secondhand können Ressourcen eingespart werden. Im Outdoorbereich gibt es viele Vorreiterunternehmen, die Suffizienz fördern wollen und nicht nur ihr Sortiment und ihre Services darauf ausgerichtet haben, sondern auch in ihrer Kommunikation ganz offen sagen, dass es nicht immer das neueste Produkt sein muss. Patagonia ist ja für ihre Konsumkritik bekannt, beispielsweise durch Aktionen wie der “Don’t Buy This Jacket”-Kampagne. Zum letzten Black Friday hat das US-Unternehmen mit der “Buy less, demand more”-Kampagne seine Kund*innen nicht nur dazu aufgefordert, weniger zu konsumieren, sondern auch ihrerseits noch mehr von Textilherstellern und der Politik einzufordern. Indem sie politischen Aktivismus fördern wollen sie einen Beitrag dazu leisten, die Bekleidungsindustrie zu verändern. 

DUS: Aber letztendlich stellt sich doch immer die Frage, wie suffizienz-orientierte Unternehmen in einer wachstumsgetriebenen Wirtschaft überleben können. Ist diese Konfliktlinie überhaupt zu überwinden? 

MG: Eine Suffizienzorientierung ändert das Verständnis von unternehmerischer Wertschöpfung, welcher sich nicht mehr an reiner Absatzsteigerung und Wachstum orientiert, sondern am Wohlergehen von Beschäftigten, der Umwelt und der Gesellschaft gleichermaßen. Pioniere der Postwachstumsökonomie positionieren sich daher in Nischen oder skalieren ihre Wirkung durch suffizienz-orientierte Angebote. Manche Unternehmen wachsen weiter und rechtfertigen dies mit der Verdrängung nicht-nachhaltiger Unternehmen. Andere Unternehmen wie Patagonia wollen nicht größer werden, sondern ihre aktuelle Stellung nutzen, um ihren Unternehmenszweck zu erfüllen und ihre Marke an den Werten und der Mission von Patagonia auszurichten. In diesem Sinne geht Suffizienzförderung nur, wenn alle an einem Strang ziehen: in unserer Forschung zeigt sich immer wieder, dass viele Menschen aber auch Unternehmen eine hohe Bereitschaft zur Suffizienz aufweisen. Sie haben verstanden, dass es dabei nicht primär um Verzicht geht, sondern um ein gutes Leben für alle.


[1] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0272494421000487

[2] nachhaltige-digitalisierung.de

[3] https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0276146719866238

[4] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/cb.1855

[5] https://oekologisches-wirtschaften.de/index.php/oew/article/view/1786

Über die Interviewpartnerin
© Gordon Welters

Maike Gossen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und Doktorandin an der TU Berlin in der BMBF-geförderten Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind nachhaltiger Konsum, Suffizienz und Nachhaltigkeitsmarketing.