Grün statt grau – zur Bedeutung der Einhaltung des 30-Hektar-Ziels​

Bis 2050 werden voraussichtlich zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Wo einst natürlicher Boden lag, entstehen immer mehr Gebäude, Straßen und städtische Infrastruktur. Auch in Deutschland wird immer mehr Fläche bebaut und Boden versiegelt, obwohl die Bevölkerung nicht im gleichen Maße wächst (vgl. IÖR 2018). Durch den enormen Zuwachs an Flächenverbrauch geht nicht nur die endliche Ressource des natürlichen Bodens verloren, dies wirkt sich auch negativ auf die Umwelt und das Klima aus. Um diesem Problem entgegenzuwirken, muss der Bedarf an Nutzfläche sinken. Wie das Ziel von „weniger“ an Fläche erreicht werden kann, beschreiben verschiedene Suffizienzansätze im Bereich der Raumplanung.

In diesem Beitrag soll zunächst erklärt werden, worin das Problem des hohen Flächenverbrauchs besteht, woher dieser hohe Bedarf kommt und welche Auswirkungen er hat. Daraufhin werden suffizienzbasierte politische Ansätze zur Verringerung der Siedlungs- und Verkehrsfläche genannt und exemplarische Best-Practice-Beispiele aus der kommunalen Praxis vorgestellt.

Das Problem

Es handelt sich bei natürlichen Böden um eine sehr kostbare, aber auch endliche Ressource, die geschützt werden muss (vgl. IÖR 2018; TAB 2005). In seinem natürlichen Zustand bildet der Boden einen der weltweit größten Kohlenstoffspeicher und trägt damit besonders zum Erhalt und Schutz des Klimas bei (vgl. Niebert 2015). 

Durch die Versiegelung des Bodens, also die luft- und wasserdichte Abdeckung durch Bebauung, Betonierung, Asphaltierung oder anderweitige Befestigung, kann dieser kein CO₂ mehr aufnehmen (vgl. UBA 2024). Die wertvolle klimaregulierende Funktion des Bodens geht durch die Versiegelung verloren. Außerdem wird so deutlich mehr Wärme absorbiert, die natürliche Bodenfruchtbarkeit beeinträchtigt und das Versickern von Niederschlägen verhindert, wodurch sich weniger Grundwasser bildet (vgl. IÖR 2018; UBA 2024).

Dennoch nehmen die Flächeninanspruchnahme und die Versiegelung des Bodens immer weiter zu. Zwar hat die Zunahme im Laufe der letzten 20 Jahre deutlich abgenommen, trotzdem ist die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland zwischen 2018 und 2021 durchschnittlich um 55 Hektar pro Tag gewachsen (vgl. Statistisches Bundesamt 2023a). Dies entspricht einem täglichen Flächenverbrauch von etwa 72 Fußballfeldern (vgl. BMUV 2023).

Damit geht auch für Tiere und Pflanzen wertvoller Boden verloren, der hohe Flächenverbrauch führt zur Zerschneidung der Landschaft, zur Veränderung des Lokalklimas und zu erhöhten Luftschadstoff- und CO₂-Emissionen (vgl. NABU o.J.).

Politische Maßnahmen

Die deutsche Bundesregierung hat dieses Problem durch das 30-Hektar-Ziel aufgegriffen. Bis 2030 soll demnach sichergestellt werden, dass täglich weniger als 30 Hektar neue Fläche für Siedlungen und Verkehr genutzt werden (vgl. Deutsche Bundesregierung 2018; UBA 2018b). Bis 2050 soll die Inanspruchnahme der Fläche pro Tag sogar bei Netto-Null liegen und eine Flächenkreislaufwirtschaft angestrebt werden (vgl. BMUV 2023; UBA 2022). Das heißt, Flächen müssten recycelt bzw. entsiegelt und renaturiert werden (vgl. IÖR 2018).

Eine solche Entsiegelung von Flächen ist zwar möglich, jedoch aufwendig und mit hohen Kosten verbunden. Zudem kann die Wiederherstellung fruchtbarer Böden sehr lange dauern (vgl. UBA 2024). Des Weiteren scheint die Erreichung des 30-Hektar-Ziels bis 2030 bei Betrachtung des anhaltend hohen Flächenverbrauchs nicht realistisch (vgl. NABU 2020). Sowohl für die einzelnen Jahre als auch im 4-Jahres-Mittelwert von 2018 bis 2021 ist das Ziel zur Flächeneinsparung für 2020 deutlich verfehlt worden (vgl. UBA 2023a). Schließlich ist kritisch zu sehen, dass das Erreichen des 30-Hektar-Ziels eigentlich für 2020 vorgesehen war. Infolge der absehbaren Zielverfehlung wurde es 2018 in der leicht veränderten Formulierung „unter 30 Hektar pro Tag“ auf 2030 verschoben (vgl. NABU o.J.; RNE 2007).  

Wofür wird die Fläche genutzt?

Ein Großteil der in Anspruch genommenen Fläche wird für Siedlungen und Verkehr genutzt. 2021 lag der Anstieg der neu genutzten Fläche für Wohnungen, Siedlungen und Gewerbe bei 39 Hektar pro Tag, etwa 8 Hektar pro Tag stieg die Nutzung für den Ausbau des Verkehrs (vgl. Statistisches Bundesamt 2023b). Von 1992 bis 2022 ist die Fläche für Siedlungen und Verkehr um 28,8 Prozent angestiegen (vgl. UBA 2023a). 

Mit 14.159 Quadratkilometern entfällt dabei der Großteil der Fläche auf die Wohnbaufläche (vgl. Statistisches Bundesamt 2023c). Bemerkenswert ist an dieser Stelle ein wachsender Flächenverbrauch pro Kopf: Während die deutsche Bevölkerung von 2011 bis 2020 um 3,5 Prozent gewachsen ist, stieg die Wohnfläche im selben Zeitraum um 6,5 Prozent (vgl. Architektenkammer Baden-Württemberg 2022). 

Politische Stellschrauben zur Verringerung des Flächenverbrauch

Um dem 30-Hektar-Ziel näherzukommen, wird eine konsequente Weiterentwicklung von praxisnahen, politischen, rechtlichen, informatorischen und ökonomischen Instrumenten des Flächensparens benötigt (vgl. TAB 2005). Darunter fallen z. B. Entsiegelungs- und Renaturierungskonzepte, die Erneuerung der Grundsteuer und das Schaffen regionaler Kooperationen (vgl. BMUV 2023; TAB 2005; UBA 2022). Generell wird eine dreistufige Handlungsempfehlung zur Vermeidung von neuer Flächenversiegelung vorgeschlagen, die dem Bestandsschutz, der Bestandssanierung und -entwicklung einen klaren Vorrang einräumt. Erst wenn die Erhaltung und Erneuerung von Beständen ausgeschöpft sind, sollte eine vertikale Bestandserweiterung stattfinden. Der Neubau bietet folglich nur die letzte Möglichkeit (vgl. Deutscher Städtetag 2021; UBA 2023b). Auch die Förderung von innovativen Ansätzen wie der Flächenkontingentierung gehört dabei in die öffentliche Diskussion (vgl. BMUV 2023; UBA 2018b; UBA 2022). Hierbei soll der Handel mit begrenzten Flächenzertifikaten für die Steuerung der Flächeninanspruchnahme sorgen und die Bebauung neuer Flächen begrenzen (vgl. IÖR 2018; UBA 2018a).

Hinsichtlich bestehender Siedlungsflächen sollte der Innenentwicklung von Städten der Vorzug gegenüber ihrer Außenentwicklung gegeben werden. Statt auf Neubauten in Randgebieten der Städte zu setzen, sollten folglich zunächst die Potenziale im Inneren ausgeschöpft werden, indem Brachflächen, Freiflächen und Baulücken genutzt werden (vgl. BMUV 2023; NABU o.J.; RNE 2007; UBA 2022). Das Verhältnis von Innen- zu Außenentwicklung sollte bei mindestens 3:1 liegen, während sich das Potenzial der Innenentwicklung auf geschätzte 120.000 bis 165.000 Hektar beläuft (vgl. IÖR 2018; UBA 2018b).

Außerdem braucht es verstärkt die Bereitschaft zum Flächenrecycling, also die Weiter- und Umnutzung bereits genutzter Flächen und von Leerständen (vgl. Architektenkammer Baden-Württemberg 2022; BBSR 2023; BMUV 2023; IÖR 2018; RNE 2007; UBA 2022). Eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung geht davon aus, dass in Deutschland 350 bis 380 Millionen Quadratmeter Bürofläche zur Verfügung stehen, die mit geringem Aufwand umgenutzt werden könnten. Dadurch würden 100.000 neue Wohneinheiten pro Jahr entstehen. Die Wiederbelebung von Leerständen könnte zur Schaffung von 18.000 Wohneinheiten pro Jahr führen, die Aufstockung von Parkhäusern, Einzelhandels- und Verwaltungsgebäuden könnte weitere 49.000 Wohneinheiten schaffen (vgl. BBSR 2023). Von Anfang an sollten flexible Grundrisse geplant werden, um eine Umgestaltung von Gebäuden zu vereinfachen (vgl. Architektenkammer Baden-Württemberg 2022; BBSR 2023).

Auch im Verkehr sollte der Neubau von Bundesfernstraßen und neuen Verkehrsinfrastrukturen reduziert und stattdessen bestehende Strukturen erneuert und verbessert werden. Darüber hinaus sollten Subventionen wie die Pendlerpauschale, die die Außenentwicklung begünstigen, abgebaut werden (vgl. UBA 2022).

Kommunen machen es vor

Dass es auch anders geht, zeigen eine Reihe von Beispielen, die Böcker et al. (2020) im Rahmen der Publikation „Wie wird weniger genug? Suffizienz als Strategie für eine nachhaltige Stadtentwicklung” zusammengetragen haben.

Zum einen können Kommunen eine aktive Bodenpolitik praktizieren, wie es die Städte Ulm und Tübingen tun. Durch das vorausschauende Ankaufen von Flächen sichert sich die Stadt Ulm weitreichende Gestaltungs- und Handlungsmacht. In Tübingen werden Grundstücke und Baurechte anhand des besten Konzeptes statt des höchsten Preises vergeben. Auf diese Weise wirken die Kommunen noch stärker gestalterisch an der Stadtgestaltung mit und können sich für sozial und ökologisch nachhaltige und vor allem flächensparende Lösungen auf diesen Arealen entscheiden (vgl. Böcker et al. 2020). 

Zum anderen können Städte durch eine bewusste Quartiersentwicklung zur Schonung des Flächenverbrauchs beitragen, wie es das Beispiel eines Wohnquartiers in Flensburg zeigt. Bei der Entwicklung wurde dort dezidiert ein geringer Ressourcen- und Flächenverbrauch angestrebt, indem möglichst wenig Fläche versiegelt wird, Frei- und Dachflächen multifunktional genutzt werden, auf flexible Grundrisse geachtet wird und eine geringe Pro-Kopf-Wohnfläche zur Verfügung steht (vgl. BBSR 2023; Böcker et al. 2020; Stadt Flensburg 2023). 

Auch in anderen Bereichen, wie dem Verkehr oder dem Einzelhandel, können Kommunen Maßnahmen ergreifen. In der Stadt Siegen wurde z. B. ein jahrelang existierender Parkplatz für etwa 200 Pkw zurückgebaut und ein begrüntes Flussufer geschaffen. Die Stadt Ravensburg hingegen hat beschlossen, den Einzelhandel nicht am Stadtrand anzusiedeln. Stattdessen soll die Attraktivität der Innenstadt, z. B. durch ein kostenloses Busangebot und vergünstigte Parkplätze, gesteigert werden. Infolgedessen werden leerstehende Gebäude wieder genutzt und es müssen keine neuen Flächen in Anspruch genommen werden (vgl. Böcker et al. 2020).

Akzeptanz von Veränderung

Unbestreitbar ist das politische Ziel einer Verminderung des Flächenverbrauchs ökologisch richtig und wichtig. Doch obwohl es gute Ansätze und Beispiele gibt, gestaltet sich die praktische Umsetzung vielerorts wie so häufig schwierig. Einige politische Stellschrauben und Ansätze wurden dazu in diesem Beitrag umrissen. Ausgehend vom Status quo scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Zielvorstellung, in weniger als 30 Jahren eine Flächenkreislaufwirtschaft zu erreichen, illusorisch. Umso mehr ist jedoch zu hoffen, dass zügig überall in der Republik suffizienzgetriebene Flächennutzungskonzepte Einzug erhalten, die nicht nur punktuelle Leuchtturmprojekte realisieren, sondern systematische und stetige Prozesse im Sinne eines schonenden Umgangs mit der Ressource Boden ermöglichen. 

Insbesondere der anhaltend große Wohnflächenverbrauch zeigt an dieser Stelle deutlich, dass es mehr denn auch auf die individuelle Bereitschaft der Bürger*innen ankommen wird, die eigenen Lebensroutinen zu hinterfragen und Veränderungen zuzulassen.

Literaturverzeichnis

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Böcker, Maike/ Brüggemann, Henning/ Christ, Michaela/ Knak, Alexandra/ Lage, Jonas/ Sommer, Bernd (2020): Wie wird weniger genug? Suffizienz als Strategie für eine nachhaltige Stadtentwicklung. online unter: https://www.nachhaltige-zukunftsstadt.de/downloads/Wie_wird_weniger_geung_2021.pdf. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 16:46 Uhr).

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (2023): Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich. online unter: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2023/bbsr-online-09-2023-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=2. )letzter Aufruf: 21.02.2024, 13:08 Uhr).

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Deutsche Bundesregierung (2018): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Aktualisierung 2018. online unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975274/1546450/65089964ed4a2ab07ca8a4919e09e0af/2018-11-07-aktualisierung-dns-2018-data.pdf?download=1. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 9:15 Uhr). 

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