Ein Suffizienz-Netzwerk für Thüringen – ein Gastbeitrag von Robert Bednarsky, Rica Braune und Sebastian Götte

©slideshare (bearbeitet)

Nimmt man die Nachhaltigkeit mit ihren drei Dimensionen der Suffizienz, Konsistenz und Effizienz als Lebens- und Wirtschaftsprinzip ernst, dann bedeutet das eine sehr grundlegende Transformation aller gesellschaftlichen Handlungsbereiche. Bei dieser Transformation müssen Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft sowie Medien und jedes Individuum Hand in Hand arbeiten.

Auf politischer Ebene bedarf es einer mutigen Orientierungs- und Steuerungspolitik, die den Mitgliedern der Gesellschaft durch einen veränderten Handlungsrahmen deutlich macht, in welche Richtung die Zukunft gehen soll. Aus Sicht der Initiatoren des Netzwerks Suffizienz in Thüringen braucht es einen solchen Handlungsrahmen, um suffiziente Praktiken gegenüber anderen attraktiv zu machen.

Denn die großen Herausforderungen von sozialer Ungleichheit, das massive Artensterben und die Begrenzung der Erderwärmung durch den menschengemachten Klimawandel werden wir nur mit grüner Technologie nicht bewältigen können. Was aber nicht besagt, dass wir hier die Dimensionen des kulturellen Wandels gegeneinander stellen: Nein, so denken wir nicht und betonen, dass alles erdenklich Mögliche in den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit getan werden muss und das auch noch schnellstmöglich!

In der Wirtschaft müssen sich zum Beispiel neue Unternehmensziele und -strategien durchsetzen, die nicht allein auf materielles Wachstum und Umsatzsteigerung sowie Gewinnmaximierung der Kapitalseite setzen. In der Zivilgesellschaft bedarf es avantgardistischer Initiativen, die suffiziente Praktiken in vielen Handlungsbereichen (Mobilität, Energie, Landwirtschaft, Ernährung, Konsum etc.) im Kleinen ausprobieren und Vorbild, Leuchttürme sein könnten. Diese können dann mit Hilfe politischer Steuerung in der gesamten Gesellschaft verbreitet werden.

©Rockström et al (bearbeitet)

Diese Prozesse müssen auf allen gesellschaftlichen Ebenen – also in Deutschland auf Bundesebene, in den Bundesländern und Kommunen angestoßen werden. Deshalb haben wir uns als Initiativ-Gruppe von Suffizienz-Überzeugten Anfang 2018 dazu entschieden, den Faden für Thüringen aufzunehmen.

Wie kann es gelingen, mehr Menschen für suffiziente Praktiken zu begeistern? Sie davon zu überzeugen, dass ein ressourcenleichterer Lebensstil den ökologischen Fußabdruck reduziert und die eigene Lebensqualität erhöht? Die Thüringer Mitglieder der „Suffizienz-Gruppe“ haben sich das Ziel gestellt, an dieser Frage zu arbeiten. Dabei sollen über die RENN.mitte (Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien) auch die anderen mitteldeutschen Bundesländer einbezogen werden.

©Kate Raworth (bearbeitet)

Auf mittlere Sicht sind Maßnahmen der Erwachsenenbildung und auch ganz konkrete Projekte zur Umsetzung suffizienter Praktiken geplant. Dabei halten wir den Fokus offen, denn Ansatzpunkte gibt es in praktisch allen gesellschaftlichen Teilbereichen, wie Mobilität, Nahrungsversorgung, Gesundheit, Arbeitswelt und vielen anderen.

Wir verfolgen als grundlegende Strategie, ein Thüringer Netzwerk aufzubauen, mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Richtung eines suffizienten Zusammenlebens zu motivieren. Dabei soll Wohlstand anders gelebt und eine rückwärtsgewandte Verzichtsdiskussion („Askese ist cool“ o.ä.) vermieden werden.

Die nachfolgenden Ziele will die Steuergruppe in 2019 und darüber hinaus weiterverfolgen:

  1. Thüringen als lebenswerten und nicht nur materialistisch orientierten Lebensraum erfahrbar, erlebbar machen und dafür werben.
  2. Aufklärung und Vernetzung in Thüringen und Mitteldeutschland voranbringen, damit die Akteure Kräfte bündeln und voneinander lernen und vorhandene, exemplarische Leuchttürme bekannter werden.
  3. Mit kleinen und großen Veranstaltungen und zivil- und parteipolitischen Maßnahmen den Entwicklungsprozess hin zu einem sozial-ökologischen Wandel weiter unterstützen und beschleunigen. Dabei gilt es vor allem, Suffizienz kontinuierlich in die breitere Gesellschaft hineintragen und so immer mehr Menschen von diesem notwendigen Handeln überzeugen.

Wir wissen es alle: Wir haben nicht mehr viel Zeit, unsere Lebens- und Wirtschaftsweise auf planetar verträglichere Füße zu stellen. Wer Lust hat mitzutrommeln und mitzuwirken, ist herzlich willkommen!

Über die Autoren
© Matthias Eckert Fotografie.

Robert Bednarsky, Rica Braune und Sebastian Götte (v. l. n. r.) engagieren sich als private Bürger*innen für einen Wandel hin zu einer suffizienteren Gesellschaft. Gemeinsam mit weiteren Engagierten haben sie in Thüringen die Initiative „Wohlstand neu definieren“ gegründet. Diese will als Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure Thüringens Weg aus der Wachstumsgesellschaft mitgestalten. Als Teil des Steuerungskreises der Initiative haben sie die Auftakt-Tagung zum Thüringer Netzwerk Suffizienz organisiert, koordiniert und moderiert.

Tauschen

Durch Kaufkonsum von neuwertigen Produkten wird Wirtschaftswachstum unterstützt. Flohmärkte und Online-Plattformen wie „Kleiderkreisel“ oder „Ebay-Kleinanzeigen“ bieten hier nur teilweise eine Alternative. So werden als gebraucht deklarierte Sachen immer öfter überteuert verkauft. Mit Blick auf die dritte Stufe der Anti-Verbraucher-Pyramide „Tauschen“ kann dieses Problem umgangen werden.

Durch Kleidertauschpartys kann man seinen Kleiderschrank umkrempeln. Als Extra spart man, durch den Verzicht auf neue Klamotten, Energie und vermindert den Ressourcenverbrauch. Foto: rose_mcavoy / Pixabay

Ein gutes Beispiel für die dritte Stufe „Tauschen“ bieten sogenannte „Kleidertauschpartys“. Wie das Wort „Kleidertausch“ vermuten lässt, tauschen Menschen ihre mitgebrachten Anziehsachen, die sie nicht mehr haben wollen.

Kleidertausch Kreuzberg

Vor über drei Jahren wurde die ehrenamtliche Initiative „Kleidertausch Kreuzberg“ in Berlin gegründet. Egal ob für Kinder, Frauen oder Männer – hier ist jede Art von Bekleidung gewünscht.

©Deutsche Umweltstiftung
Alle drei Monate findet der Kleidertausch für Erwachsene statt.

Die Kleidertauschparty in der Nostitzstraße läuft wie folgt ab:

Zuerst wird die Kleidung nach Größe oder Sorte sortiert. Dabei spielt die Anzahl der mitgebrachten Kleidungsstücke keine Rolle. Jedoch sollten sie unbeschädigt sein. Die Kleidung, die nicht mitgenommen wurde, kann von dem/der Besitzer*in wieder mitgenommen werden. Ansonsten wird sie für einen guten Zweck gespendet.

„Auch wenn es Ausnahmen gibt und die Qualität der Kleidung manchmal nicht unseren Vorstellungen entspricht, stellen wir doch fest, dass es meist genug für alle gibt und die Solidarität groß ist“, erzählt Jennifer G.

KlamottenTauschbar Spandauer Damm

„KlamottenTauschbar“ findet seit 2014 auch im Partykeller des Studierendenwohnheims in Berlin statt. Der Kleidertausch wird von der Selbstverwaltung des Gebäudes zusammen mit ehemaligen Mitgliedern alle halbe Jahre organisiert.

©Deutsche Umweltstiftung
In der Mitte des Raumes sind Tische aufgestellt, auf denen die mitgebrachten Anziehsachen liegen. Für Blusen, Hemden und Jacken gibt es Kleiderstangen mit Bügeln.

Möglichkeit für Begegnungen und Austausch

Eine Treppe führt hinunter zum Partykeller. An der Wand hängen Billardstäbe. Drumherum stehen Sofas, auf denen Menschen sich über Themen wie Konsumverhalten und Nachhaltigkeit unterhalten. Zwei kleine Jungs sind mit dem Kicker beschäftigt, während die Eltern sich am Buffet auf Spendenbasis bedienen. Der umfunktionierte Partykeller wird ein Ort für soziale Kontakte.

Gespräche und Diskussionen entstehen auch wegen eines kleinen runden Tisches in einer Ecke des Raumes. Darüber hängt ein Zettel, auf dem geschrieben steht: “Müllecke – für alles mit Löchern und Flecken“. Bei jedem Kleidertausch entsteht dort ein großer Berg an Kleidung und soll die Menschen zum Nachdenken und selbst reflektieren anregen.

Was außerdem auffällt – es gibt nur Frauenkleidung zur Auswahl. Männer sind meistens nur die Begleitung. Deswegen versuchte die Selbstverwaltung, die männliche Beteiligung zu erhöhen. Zudem wünscht sich eine Mitveranstalterin, dass die Kleidertauschparty eine Möglichkeit für einkommensschwache Personen biete. Die Gäste sind nicht verpflichtet, Kleidung mitzubringen und die Anziehsachen befinden sich in einem guten Zustand.

Kleidertauschparty „NEO – Nachhaltiges Engagement Osnabrück“

NEO wurde von Studierenden der Hochschule Osnabrück im Jahr 2016 gegründet.

©NEO – „Nachhaltiges Engagement Osnabrück“
Die mitgebrachten Kleidungsstücke werden nach Größe sortiert.

Was mit den Anziehsachen am Ende des Kleidertausches geschieht:

Die übergebliebenen Sachen des Kleidertausches werden an lokale Organisationen aufgeteilt. Das Hauptkriterium bei der Auswahl der Organisationen ist, dass die Kleidung weiterverwendet wird. Dazu zählen die Sozialkaufhäuser der Caritas und der DRK-Laden des Deutschen Roten Kreuz. Dort werden die Anziehsachen zu einem geringen Preis verkauft und die Erlöse für die Finanzierung sozialer Angebote genutzt. Der Rest wird zum Beispiel an die Wärmestube oder die Kleiderkammer vom Deutschen Familienverband vergeben und an Obdachlose und Bedürftige verteilt.

„Der Wunsch der Veranstalter*innen ist es, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu vertiefen. Außerdem ermöglicht NEO soziale Verantwortung in der Hochschule und Gesellschaft“, sagt Mona S.

Neben zahlreichen Kleidertauschpartys organisiert NEO verschiedene Veranstaltungen und führt diese durch. Dazu gehören zum Beispiel konsumkritische Stadtrundgänge, Workshops zur Herstellung von Reinigungs- und Pflegeprodukten, Vorträge und Filmvorführungen zu nachhaltigen Themen.

Wir bedanken uns bei den Veranstalter*innen für Ihre Unterstützung.

Auf der Veranstaltungsseite von Greenpeace finden Sie Kleidertauschpartys, die in Ihrer Nähe stattfinden. Oder sind Sie daran interessiert, Ihren eigenen Kleidertausch zu organisieren? Dann finden Sie hier eine Vorlage.

Jetzt muss sich was ändern – ein Interview mit Schüler*innen

©Deutsche Umweltstiftung
Brandenburger Tor, Berlin Mitte

Nach dem Vorbild der Klimaaktivistin Greta Thunberg (16 Jahre) starteten Anfang des Jahres, mitunter in München, Berlin und Hamburg Demonstrationen. Jeden Freitag gehen junge Menschen unter dem Namen „Fridays for Future“ (FFF) auf die Straßen, um für den Klimaschutz zu streiken. Im Interview sprechen zwei Schulkinder über ihren Bezug zum Thema Umweltschutz und warum es so wichtig ist, freitags für die Umwelt zu demonstrieren.

Emna (10 Jahre), 4. Klasse

© Emna

„Unsere Welt geht weiter kaputt und sie geben sich keine Mühe.“

– Emna

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Warum gehst du zur Demo? Gehst du jeden Freitag zur Demo?

Emna : Ich war bis jetzt auf keiner Demo. Aber ich habe erst in letzter Zeit gemerkt, wie wichtig es ist und würde deswegen gerne hingehen.

DUS: Was machst du in der Schule oder bei dir Zuhause, um die Umwelt zu schützen?

Emna: In der Schule eher weniger. Ich achte aber darauf, dass ich nicht so viel Energie verbrauche. Ich mache zum Beispiel immer das Licht aus. Und ich fahre viel mit meinem Roller oder mit dem Fahrrad. Früher habe ich viel Fleisch gegessen. Heute gibt es bei uns zuhause weniger Fleisch.

DUS: Sagt dir das Thema Suffizienz etwas?

Emna: Nein.

DUS: „Suffizienz“ kann man übersetzen mit „Weniger“. Genauer gesagt weniger neu kaufen und weniger wegschmeißen. Zum Beispiel gibt es die Möglichkeit,neues Spielzeug auch gebraucht zu kaufen. Auf der anderen Seite müssen Sachen, die wir nicht mehr haben wollen, nicht weggeworfen werden. Stattdessen können wir sie mit anderen Menschen, z.B. Mitschülern tauschen.

Emna: Ja. Sobald ich meine Spielsachen nicht mehr brauche, gebe ich sie an meine Freunde, die damit gerne spielen.

DUS: Gibt es etwas, was du unseren Politikern sagen möchtest?

Emna: Sie sollten sich vorstellen, dass wir mehr so, wie wir wären. Unsere Welt geht weiter kaputt und sie geben sich keine Mühe, sie zu retten.

Paul (17 Jahre), 10. Klasse

© Paul

„Wir lernen voneinander.“

– Paul

DUS: Warum gehst du zur Demo? Gehst du jeden Freitag zur Demo?

Paul: Ich möchte mehr für die Umwelt tun und auf die Thematik aufmerksam machen. Ein Großteil der Menschen hat lange Zeit nicht auf die Umwelt geachtet und sie wenig geschützt. Doch nun muss sich etwas ändern.

Nein, ich befinde mich gerade in der Prüfungsphase (MSA) und ich kann es mir momentan nicht leisten, wichtigen Unterrichtsstoff zu verpassen.

DUS: Welche Ziele verfolgt die Bewegung?

Paul: Lösungen zu finden. Umso mehr Menschen sich auf den Demonstrationen treffen, desto mehr wird über das Thema gesprochen. Ich persönlich würde mich gerne dafür einsetzen, dass die Leute mehr Fahrrad fahren. Auf den Demonstrationen habe ich Menschen kennengelernt, die sich für die gleichen und andere Ziele einsetzen, wovon ich nun auch welche übernommen habe. Wir lernen voneinander.

DUS: Was trägst du oder Personen in deinem Umfeld zum Umweltschutz bei?

Paul: Ich fahre nur Fahrrad. Selbst im Winter verzichte ich auf die öffentlichen Verkehrsmittel. Fliegen tue ich so gut wie gar nicht. Ich brauche das nicht und im Urlaub besuchen ich und meine Familie vorwiegend unsere Nachbarländer. Ich habe auch über einen längeren Zeitraum vegetarisch gelebt.

DUS: Sagt dir das Thema  Suffizienz etwas?

Paul: Nein.

DUS: Welche Forderungen hast du an unsere Politiker?

Paul: Baut die Radwege aus! So viele Menschen würden Fahrrad fahren, wenn sie sich auf den Straßen Berlins sicherer fühlen könnten.

Politiker sollten zudem auf die junge Generation, die durch „Fridays for Future“ vertreten werden, hören und sich ihre Vorschläge zu Herzen nehmen. Uns gibt es noch länger als euch!

Wir bedanken uns bei Emna und Paul für das Interview. Die Schüler tragen ihren Teil zum Umweltschutz bei. Sie können das auch. Am 26. Mai ist Europawahl – setzen Sie Ihr Kreuz. #voteclimate
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Erfolgreiche Suffizienz braucht politische Initiative – ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Angelika Zahrnt

Ich unterstütze die Kampagne der Deutschen Umweltstiftung, die das Ziel hat, „aktuell vorherrschende Konsummuster zur Diskussion zu stellen, die ein maßloses Wachstum beflügeln“. Die Kampagne wirbt für bedachten Konsum und stellt konkrete Tipps vor, wie man und frau mit weniger Konsum und damit weniger Energie-und Ressourcenverbrauch gut leben kann.

Solche Diskussionen über den eigenen suffizienten Lebensstil und darüber, was man selbst tun kann,  sind wichtig. Es ist gut, wenn solche Diskussionen auch im Internet geführt werden und möglichst viele Menschen erreichen.

Aber wenn man – wie ich – diese Diskussionen seit den 70er Jahren führt, wenn man sieht, wie langsam Konsummuster sich ändern und wie mühsam es ist, wie schnell aber auf der anderen Seite der Klimawandel kommt, dann braucht es nicht nur individuelles Handeln sondern gemeinsames Handeln in Initiativen und Verbänden und politisches Handeln.

Dafür, dass ein gutes suffizientes Leben einfacher wird, braucht es eben auch eine Suffizienzpolitik – in vielen Politikfeldern, von der Mobilität bis zur Bildungspolitik, damit ich mit meinem Fahrrad auf Radwegen ungefährdet fahren kann, damit ich in der Schule auch praktische Dinge lerne, wie Sachen zu  reparieren oder Gemüse anzubauen und zu kochen.

In welchen Feldern – von diesen konkreten Dingen bis zur ökologischen Steuerreform – eine Politik der Suffizienz gemacht werden kann, zeigt zum Beispiel die Landkarte Suffizienzpolitik. Die Ansätze für eine Politik der Suffizienz sind also bekannt, aber die Politik macht einen Bogen darum, weil sie Konflikte scheut: Eine einfache schnelle Maßnahme für das Klima und die Gesundheit wäre z.B. ein Tempolimit auf Autobahnen. Aber die Politik will sich nicht mit der Autolobby anlegen, die fürchtet, dann weniger teure und schnelle Autos zu verkaufen, auch nicht mit Menschen, die gerne schnell Auto fahren. Dagegen wird der Elektroroller als Klimaschutzmaßnahme propagiert, weil hier ein zusätzliches Fortbewegungsmittel, verkauft werden kann.

Es reicht auch in diesem Beispiel nicht, nur individuell sich an ein selbst gewähltes Tempolimit zu halten, sondern es muss politisch Druck gemacht werden, wie zum Beispiel mit der Petition für ein Tempolimit. Das Tempolimit könnte zu einem – sehr bescheidenen –  Prüfstein gemacht werden, dass  die Politik tatsächlich Klimaschutz umsetzen will, und zwar auch gegen die Interessen der Autoindustrie.

Wenn das 1,5° Ziel eingehalten werden soll, braucht es massive Änderungen in der Wirtschaft und im Konsum, einen Abschied vom Glauben an unbegrenztes Wirtschaftswachstum und unbegrenzten Konsum. Wenn schon die Forderung nach einem Tempolimit in Deutschland- anders als fast überall in Europa – auf derartigen Widerstand stößt, kann man sich vorstellen, welche Auseinandersetzungen anstehen bei der Transformation zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft und Gesellschaft. Deshalb ist es gut, wie in dieser Kampagne über die Umorientierung der Lebensstile zu diskutieren, über eine Abkehr vom derzeitigen Motto „weiter, schneller, mehr“ zu einem suffizienten Lebensstil,  der sich am rechten Maß – dem rechten Maß für Raum und Zeit, Besitz und Markt – orientiert. Gleichzeitig müssen aber auch von der Politik Rahmenbedingungen eingefordert werden, die einen suffizienten Lebensstil unterstützen und ermöglichen, damit suffizientes Leben für viele einfacher und attraktiver wird.

Als „Scientist for future“ verstehe ich meine bisherige Arbeit in der Wissenschaft und im BUND und jetzt auch in der neuen Bewegung, der „Fridays for Future“, weil diese Bewegung  junger Menschen Alarm schlägt, Politik und Gesellschaft mit der dramatischen Realität konfrontiert und auffordert, das eigene Verhalten zu ändern, vor allem aber die Politik unter Druck setzt zu handeln.

Über die Autorin
© Angelika Zahrnt

Die Volkswirtin Prof. Dr. Angelika Zahrnt ist Ehrenvorsitzende des BUND und Fellow am ökologischen Institut für Wirtschaftsforschung. Sie ist bekannt als Wachstumskritikerin und erhielt das Bundesverdienstkreuz und den Deutschen Umweltpreis.

Weitere Literatur

Schneidewind, U./Zahrnt, A.: Damit gutes Leben einfacher wird. Perspektiven einer Suffizienz Politik, oekom Verlag, München 2013

Seidl, I./Zahrnt, A.: Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft, metropolis Verlag, 2010

Änderung von Konsummustern? – ein Interview mit Claudia Kemfert

Unser heutiges Interview im Rahmen der #kaufnix-Kampagne mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Kemfert dreht sich um das Wachstumsparadigma und mögliche Handlungsoptionen, die zu mehr Nachhaltigkeit führen.

Änderung von Konsummustern?

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Unsere Kampagne fordert ein Ende des maßlosen Konsums. Dies würde sich auch negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Was denken Sie, brauchen wir Wirtschaftswachstum? Warum bzw. warum nicht?

Claudia Kemfert (CK): Wachstum ist eigentlich etwas Wunderbares – nicht nur in der Kindheit wachsen wir, sondern unser ganzes Leben lang. Menschen, Tiere und Pflanzen sind Teil eines ewigen Kreislaufes aus Werden und Vergehen. Leben ist Wachstum. Die Erde ist über Milliarden von Jahren zu dem gewachsen, was sie heute ist. Und sie dreht sich immer weiter. Wäre das Wirtschaftswachstum ähnlich organisiert, würden wir uns darüber freuen.

Problematisch ist ein ungezügeltes Wirtschaftswachstum, das den Planeten zerstört statt ihn zu beleben. Wir müssen das Wirtschaftswachstum vom fossilen Energieverbrauch entkoppeln. Und wir müssen uns abgewöhnen, das Wirtschaftswachstum als Maßstab für Wohlstand zu definieren. Statt vor der Tagesschau Börsenkurse zu zeigen, sollten wir lieber die Indikatoren der Nachhaltigkeit unseres Planeten erfahren: Ressourcenverbrauch, die Sauberkeit der Luft oder der Anteil erneuerbarer Energien.

Wachsender Umweltschutz, wachsende Gesundheit, wachsender Zugang zu sauberem Trinkwasser und sauberer Energie hingegen sind wünschenswert. Der wachsende Einsatz von beispielsweise erneuerbarer Energien, klimaschonender Mobilität, steigender Gesundheitsvorsorge sowie Techniken zur Herstellung von sauberem Trinkwasser kann für wachsenden Wohlstand sorgen. Dann wäre Wirtschaftswachstum nicht die Ursache eines globalen Klimawandels, sondern dessen Lösung.

DUS: Sind die Klimaschutzziele und uneingeschränkter Konsum miteinander vereinbar? Sollten wir unseren jetzigen Konsum einschränken?

CK: Auch hier ist die Frage: Konsum von was? Konsum, der zu Überfischung, Vermüllung und Zerstörung der Erde führt, muss natürlich aufhören und zwar sofort! Aber wir werden die Treibhausgase nicht allein über Verzicht um 95% reduzieren. Ein solches Ziel scheint unerreichbar fern. Wir müssen den Menschen einen machbaren Weg zeigen und dafür auch politisch die Weichen stellen. Statt Askese zu predigen und zu üben, sollten wir uns freuen: Mit Klimaschutz bleibt die Welt lebenswert. Klimaschutz macht Spaß. Und nachhaltig konsumieren ist einfach.

DUS: Was braucht es, um das angestrebte 2-Grad-Ziel zu erreichen? Denken Sie, es ist machbar, dieses Ziel zu erreichen?

CK: Sicher ist das machbar! Es bedarf aber eines kompletten Umsteuerns in allen Bereichen: Ab sofort muss jede Investition statt in fossile in erneuerbare Energien fließen. Das Motto lautet: „Renewables First“!  Also Schluss mit Subventionen für fossile oder atomare Energien. Stattdessen müssen die Folgeschäden endlich eingepreist werden. Wenn Öl, Gas und Kohle so teuer wären, wie sie es in Wahrheit sind, werden die Leute mit großer Begeisterung auf Wind, Wasser, Sonne und Geothermie umsteigen. Wir brauchen eine Regulierung der Finanzmärkte für attraktive Investitionen in die globalen Energiewende. Das ist der Anfang und mit dem entsprechenden politischen Willen leicht umzusetzen. Dann geht’s weiter mit dem nächsten Schritt: Alle Produkte müssen nachhaltig und recycelbar sein. Die Mobilität sollte öko-elektrisch und klimaneutral sein. Auch das kann man durch entsprechende Rahmenbedingungen ermöglichen und einen Wettbewerb klimabewusster Ökonomie in Gang setzen.

Handlungsmöglichkeiten zu mehr Nachhaltigkeit

DUS: Effizienz, Suffizienz und Konsistenz gelten als Strategien der nachhaltigen Entwicklung. Wenn Sie diese Strategien gewichten, wie würde das aussehen und warum?

CK: Das Problem an solchen Begriffen ist leider immer, dass man sich erstmal verständigen muss, was damit gemeint ist. Dabei ist doch klar, dass wir – nach über 40 Jahren Diskussion über die Grenzen des Wachstums, über Umwelt- und Klimaschäden als Folge unseres Wirtschaftens – jetzt endlich handeln müssen.

Effizienz, die Vermeidung von Verschwendung, also mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch ans Ziel zu kommen, ist dabei natürlich wichtig. Andererseits neigt der Mensch dazu, ständig mehr zu wollen. Das führt zu sogenannten Rebound-Effekten. Autos beispielsweise verbrauchen heute theoretisch weniger Sprit als früher, tatsächlich aber verbrauchen sie mehr, weil sie größer und schwerer geworden sind und mit Klimaanlage und elektronischem Service unterm Strich einen höheren Energieverbrauch haben als die Spritfresser früherer Jahrzehnte.

Suffizienz, Genügsamkeit, ist deswegen der logische nächste Schritt. Oder anders gesagt: Verzicht scheint unverzichtbar. Wir brauchen ein Konsumbewusstsein, das den realen Bedarf hinterfragt und vor allem die jeweiligen Folgen eines bestimmten Konsumverhaltens einbezieht. Wenn wir nicht von selbst aufhören, immer mehr zu brauchen, müssen wir eine klimaverträgliche Obergrenze definieren. Eine Art CO2-Budget ist sinnvoll: wenn jeder Mensch nur noch 6,5 Kilogramm CO2 pro Tag ausstoßen darf, dann wird er lernen, wie er mit weniger zurecht kommt. Jedes Land ist gefordert, dass dieses Klima-Budget nicht überschritten wird und muss dies mit entsprechenden Maßnahmen umsetzen.

Konsistenz, Kreislaufwirtschaft, also eine Welt ohne Abfälle, in der alles wiederverwertet wird, ist ein verlockender Gedanke. Die Natur macht es uns in wunderbarer Weise vor. Bislang gelingt es uns nur, die Lebensdauer von Rohstoffen im Verwertungsprozess zu verlängern, von echten Kreisläufen kann kaum die Rede sein. Es wird zwar viel von „Re-Cycling“ gesprochen, aber vollkommene Kreisläufe sind noch Utopie.

Deswegen ist die Strategie-Diskussion nicht hilfreich, erst recht nicht die Frage, welche der Strategien die beste ist. Derzeit sollten wir alle drei Wege beschreiten, gleichzeitig nebeneinander oder am besten miteinander verzahnt. Hauptsache, wir kommen endlich mit großen Schritten weiter!

DUS: Wie schätzen Sie die Handlungsmöglichkeiten der Politik ein? Wie kann/muss die Politik dazu beitragen, Suffizienz zu verwirklichen?

CK: Die Verantwortlichen in der Politik sind genauso gefragt wie jeder einzelne Mensch. Es geht vor allem darum, jegliches Wirtschaften komplett auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz auszurichten. Dies braucht einem bunten Strauß an Instrumenten aus Ordnungsrecht und ökonomischen Rahmenbedingungen. Die Politik muss die Instrumente bauen und zur Verfügung stellen; die Menschen müssen dann verantwortungsbewusst, kreativ und harmonisch auf ihnen spielen.

DUS: Was denken Sie über die Bewegung “Scientists for Future”? Unterstützen Sie die Bewegung?

CK: Ich habe als eine der Erstunterzeichnerinnen den Appell unterzeichnet unterstütze die Bewegung und war bisher auch beim March for Science dabei. Die Wissenschaft hat die Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntnisse in die aktuelle Debatte einzubringen und auf die Dringlichkeit des Handelns hinzuweisen. Die Schülerinnen und Schüler der „Fridays for Future“ fordern völlig zu recht viel ambitionierteres Handeln ein, sie sind die Betroffen. Die Wissenschaft liefert seit über 40 Jahre wissenschaftliche Fakten, die Politik reagiert zu zögerlich und zu spät. Wir haben keine Zeit mehr. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem.

DUS: Sie arbeiten in einem Institut. Warum haben Sie sich für dieses Institut entschieden und was denken Sie, ist die Rolle des Instituts in der nachhaltigen Entwicklung?

CK: Wir liefern seit über 15 Jahren wissenschaftliche Erkenntnisse zum besseren Verständnis, welche ökonomischen Konsequenzen ein ungebremster Klimawandel und auch Klimaschutzmaßnahmen haben werden. Die Rolle der Wissenschaft ist eindeutig: wissenschaftliche Erkenntnisse müssen in der Politikberatung und in der öffentlichen Diskussion eingebracht werden.

Über die Interviewpartnerin

© D. Güthenke

Frau Prof. Dr. Claudia Kemfert hat Wirtschaftswissenschaften studiert und leitet seit 2004 die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Sie ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der privaten Universität, der Hertie School of Governance, in Berlin und als Gutachterin und Politikberaterin in verschiedenen Nachhaltigkeitsbeiräten und Kommissionen tätig.