Wie die nachhaltige Transformation gelingen kann – ein Interview mit Oliver Wagner vom Wuppertal Institut

Die notwendige Nachhaltigkeitstransformation der Gesellschaft stellt eine immense Herausforderung dar. Kommunen als Orten des alltäglichen Lebens der Menschen wird dabei eine wichtige Rolle zugeschrieben. Zugleich sehen sich viele von ihnen aufgrund mangelnder Ressourcen und einer großen Aufgabenfülle als überlastet an. Welche ökonomischen Weichenstellungen braucht es mithin im föderalen Mehrebenensystem und welche Relevanz können Suffizienzstrategien bei der Lösung dieses Dilemmas haben? Diese Fragen werden im Interview mit Oliver Wagner erörtert.
Deutsche Umweltstiftung (DUS): Herr Wagner, Sie haben im Rahmen eines kürzlich beendeten Projektes des Wuppertal Instituts „Gute Beispiele für eine gelingende Transformation“ erforscht. Bitte erläutern Sie uns, worum es in diesem Projekt ging.
Oliver Wagner (OW): Mit dem Wahlkampf-Slogan „It’s the economy, stupid!“, gewann Bill Clinton 1992 die US-Präsidentschaftswahlen. Seitdem wird dieser Spruch öfters auch abgewandelt verwendet, wie beispielsweise in der Stellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung „It’s the politics, stupid – Die Verantwortung von Staat und Gesellschaft für nachhaltige Lebenswelten“. Vor dem Hintergrund dieses Papiers wurde das Wuppertal Institut vom Rat für Nachhaltige Entwicklung beauftragt, Beispiele einer gelungenen Transformation zu recherchieren und daraus Gelingensfaktoren abzuleiten. Dabei sollten verschiedene Transformationsbereiche, also Verkehr, Ressourcen, Energie, Flächenverbrauch usw. adressiert werden. Wichtig war außerdem, dass verschiedene Politikinstrumente vorgestellt werden, welche die Daseinsvorsorge, Nachhaltige Infrastrukturen, den Um- bzw. Abbau umweltschädlicher Subventionen, das Feld der Sharing Economy, Ökonomische Anreiz- und Steuerungsinstrumente sowie ordnungsrechtliche, also regulatorische Instrumente berühren.
DUS: Wenn man auf die 14 im Projekt betrachteten Maßnahmen schaut, erkennt man, dass diese die drei Nachhaltigskeitsstrategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz berücksichtigen. In der Praxis wird letztere jedoch häufig etwas stiefmütterlich behandelt. Woran liegt das aus Ihrer Sicht und wie ließe sich das ändern?
OW: Erlauben Sie mir zunächst eine Einordnung der drei Säulen der Nachhaltigkeit. Eine vorwiegend technische Konsistenzstrategie, die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die schnellen Markterfolge erneuerbarer Energien große Fortschritte erzielen konnte, ist in den Augen vieler Menschen Sinnbild der Energiewende. Doch für eine erfolgreiche Energiewende sind auch wirksame Effizienz- und Suffizienzstrategien notwendig. Diese beiden weisen jedoch bisher noch erhebliche Umsetzungsdefizite auf, vor allem die Suffizienz. Um es mit einem einfachen Beispiel zu verdeutlichen: wenn eine Photovoltaikanlage mit einem Batteriespeicher (Konsistenzstrategie) dazu genutzt wird, eine Vielzahl von LED-Strahlern zu betreiben (Effizienzstrategie), um im Vorgarten einer Reihenhaussiedlung die Gartenzwerge zu beleuchten, ist dies konsistent und effizient, es bleibt aber Verschwendung. Ohne Suffizienz ist daher die Gefahr groß, dass es zu einer effizienten Verschwendung kommt. Denn in dem Maße, wie technische Innovationen, beispielsweise Photovoltaik oder effiziente LED-Leuchtmittel, immer günstiger werden, nehmen deren Einsatzbereiche zu. In diesem Kontext hat sich auch unser Verständnis von Suffizienz verändert. Wurden darunter früher oftmals Verzichtsaspekte verstanden, reden wir heute vermehrt darüber, den Verbrauch lediglich nicht zu steigern. Denn wir sehen in sehr vielen Anwendungsbereichen, dass Klimaschutz- und Effizienzgewinne ausbleiben, weil beispielsweise die Kühlschränke, die Wohnfläche pro Person, die Bildschirmdiagonalen von Fernsehgeräten, die Autos usw. immer größer werden.

Aber um Ihre Frage zu beantworten, woran das liegt: Da ist mein Eindruck, dass dem Begriff Suffizienz noch zu stark das Stigma des negativen Verzichts anhaftet. Dass die Nachteile kommuniziert werden, die Vorteile aber nicht. Dabei liegen viele Vorteile auf der Hand und die zeigen sich vor allem in kooperativen Formen des Zusammenwirkens. Im gemeinsamen Nutzen, bis hin zu der persönlichen Beziehungsebene: Wer zu zweit oder sich mit noch mehr Leuten eine Wohnung teilt, braucht weniger Platz, weniger Ressourcen, weniger Energie und hat dennoch viele Vorteile, wie soziale Beziehungen, weniger Aufwand für Hausarbeit usw. Wer statt alleine mit dem Auto zu fahren den Bus nimmt, kann die Fahrtzeit nutzen, um andere sinnvolle Dinge zu erledigen, zu lesen oder zu arbeiten und braucht am Ende nicht einmal einen Parkplatz suchen. So gibt es viele Beispiele, doch ihnen wohnt immer auch eine Ermöglichungsvoraussetzung inne. Wenn der Bus nicht fährt oder nicht so fährt, wie ich ihn brauche, wenn er überfüllt, vielleicht sogar dreckig und überfüllt ist, dann schwinden die Vorteile schnell dahin. Wenn es für ein Paar teurer wird, nach dem Auszug der Kinder eine kleine Wohnung zu mieten, als in der viel zu großen alten Wohnung zu bleiben, dann ist der Vorteil ebenso futsch, wie in dem Fall, wo eine Reparatur teurer ist als die Neuanschaffung. Kurzum: Die Rahmenbedingungen für einen suffizienten Lebensstil sind trotz vieler Vorteile schlecht. Das liegt auch daran, dass wir in einem auf Wachstum getrimmten System leben, in dem es von allem immer mehr braucht.

Im Bericht zeigen wir mit unseren Beispielen, dass Politik dennoch Gestaltungsmöglichkeiten hat, um Suffizienzanreize für Bürger*innen zu setzen. Unsere Beispiele zeigen, dass Anreize gegeben werden können, die zu einer individuellen Verhaltensänderung führen, die mit weniger Energie- beziehungsweise Ressourcenverbrauch verbunden ist. Das sind z.B. Ermöglichungsstrukturen wie beim kostenfreien ÖPNV, der Bibliothek der Dinge, durch Autostilllegungsprämien und kommunale Wohnraumagenturen.

DUS: In Ihrem Forschungsvorhaben setzen Sie sich auch mit den Wechselwirkungen zwischen Kommunal- und Bundesebene auseinander. Ist das föderale System aus Ihrer Sicht eher ein Vor- oder Nachteil bei der Umsetzung von Transformationsprozessen zur Stärkung der Nachhaltigkeit?
OW: Wichtig ist zunächst einmal deutlich zu machen, dass Transformationsprozesse vor allem in den Kommunen operational umgesetzt werden. Die Kommunen sind somit im föderalen System zentrale Transformationsakteure. Im Kern ist das föderale System ein Vorteil, denn die Kommunen sind viel näher an den Menschen und der täglichen Lebensrealität, den Herausforderungen und Freuden als die Landes- oder Bundesebene. Sie sind aber auch strukturell unterfinanziert und benötigen daher dringend den finanziellen Spielraum, den es für diese wichtigen Aufgaben braucht. Derzeit erleben aber viele Menschen den Staat, allen voran die Kommunen, als umsetzungsschwach in Bezug auf Transformationsaufgaben. Die Kommune ist dabei der Ort, wo die meisten Menschen den Staat unmittelbar erleben, denn dort gehen sie oder ihre Kinder zur Schule, dort müssen sie ins Rathaus oder treffen sich zum Vereinssport in einer städtischen Sporthalle oder einem Schwimmbad. Da ist dann oftmals nicht zu erkennen, dass die öffentlichen Einrichtungen ihrer Vor- und Leitbildfunktion ausreichend nachkommen. Die Sorge, dass der Staat zentrale Dienstleistungen nicht mehr zufriedenstellend bereitstellt, weil z. B. öffentliche Gebäude und Infrastrukturen baufällig und sanierungsbedürftig sind, der ÖPNV eingeschränkt wird, Bücken einstürzen und Schultoiletten stinken ist ja leider nicht unbegründet. Für ein Gelingen der Transformation kommt es aber darauf an, Zukunftsinvestitionen in technische, sowie soziale und kulturelle Infrastrukturen anzustoßen, vor allem in den Kommunen.

Das Dezernat Zukunft – Institut für Makrofinanzen hat kürzlich zusammengetragen, was in den verschiedenen Ebenen insgesamt an Investitionen nötig wäre und kommt dabei auf einen zusätzlichen Bedarf von 782 Milliarden Euro bis 2030, wovon 210 Milliarden allein auf die Kommunen fallen. Die größten Mehrbedarfe ergeben sich im Bereich der allgemeinbildenden Schulen, wo 57,1 Milliarden Euro zusätzlicher Mittel benötigt werden, um den Investitionsrückstand abzubauen, weitere 9,0 Milliarden Euro werden an Schulen für die Digitalisierung gebraucht. Damit wäre dann der Investitionsstau beseitigt, Klimaneutralität wäre aber noch nicht erreicht.

Ein Grund für die schlechte Haushaltslage der Kommunen ist darin zu sehen, wie die öffentlichen Steuereinnahmen im politischen Mehrebenensystem verteilt werden. Wir sehen hier eine strukturelle Steuerungerechtigkeit auf der Einnahmenseite. Im Grunde fehlt es den Kommunen an allem: Sie haben zu wenig Geld, um die Transformationsaufgaben zu stemmen und selbst wenn es attraktive Förderprogramme gibt, haben sie oft zu wenig Personal, um Fördermittel zu beantragen. Im interkommunalen Wettbewerb machen sich die Kommunen sogar noch gegenseitig Konkurrenz, um möglichst geringe Hebesetze bei der Gewerbesteuer, um billiges Land für Unternehmensansiedlungen und so weiter. So dominiert unter den Kommunen quasi ein Preiswettbewerb. Statt eines Qualitätswettbewerbs um die schönsten Grünanlagen, das reichhaltigste Kulturangebot, den besten ÖPNV und die hochwertigsten Schulgebäude, zählt vor allem der „billige Jakob“, weil damit die Hoffnung verbunden wird, Arbeitsplätze zu schaffen.

DUS: Eine Reihe von Beispielen – u. a. verkehrsberuhigte Bereiche – zeigen, dass insbesondere suffizienzbasierte Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Gesellschaft schnell auf Akzeptanzprobleme stoßen können. Inwieweit kann aus Ihrer Erfahrung die Einbindung der Bürger*innen bei der Maßnahmenwahl und -ausgestaltung Widerstände verringern respektive die Zustimmung zu Veränderungsprozessen sogar erhöhen?
OW: Diese Frage ist schnell beantwortet, denn wir haben festgestellt, dass die Einbindung der Bürger*innen, der Unternehmer*innen und insgesamt möglichst vieler Akteure ein zentraler Gelingensfaktor ist. Es zeigt sich deutlich, dass insbesondere solche Maßnahmen eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz genießen, die sich durch die Einbindung und Vernetzung von Zivilgesellschaft, Verwaltung, Politik und Wirtschaft auszeichnen, denen es mithin gelungen ist, unter Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Akteur*innen umgesetzt worden zu sein.
DUS: Dem Projektbericht ist zu entnehmen, dass die hohe Schuldenlast der Kommunen deren Investitionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. In welcher Weise sollte dieses Dilemma im Zuge des aktuell verhandelten Schuldenpakets bedacht werden?
OW: Sie verwenden den Begriff „Schuldenpaket“ und das ist schon einmal ein grundsätzlich falscher oder zumindest irreführender Begriff. Denn wenn wir nicht investieren, sind die Schulden noch viel höher. Wenn wir zukünftigen Generationen kaputte Schienenwege, marode Brücken defekte Ampelanlage und Schulen hinterlassen, bei denen es durchs Dach regnet, dann ist doch für niemanden etwas gewonnen. Völlig zurecht wird daher auch von einem „Sondervermögen“ gesprochen. Es ist gut, dass die alte Schuldenbremse abgeschafft wurde. Denn es macht einen riesigen Unterschied, ob das Geld für investive oder für konsumtive Ausgaben verwendet wird. Von den Investitionen in die öffentliche Infrastruktur profitieren ja auch zukünftige Generationen und daher ist es auch gerechtfertigt, dafür Schulden zu machen. Anders verhält es sich bei konsumtiven Ausgaben, denn diese Ausgaben stiften keinen Nutzen für die Zukunft sonders nutzen nur im Moment ihres Verbrauchs. Wir können sogar mit den investiven Ausgaben von heute die konsumtiven Ausgaben der Zukunft reduzieren: indem wir Energieeinsparmaßnahmen finanzieren und umsetzen werden nämlich die konsumtiven Ausgaben für der Zukunft reduziert. Die Heizungssanierung und die Wärmedämmung eines Kindergartens erspart uns in Zukunft Kosten für Energie. Bei der Schuldenbremse wurde diese wichtige Unterscheidung bislang nicht gemacht und in der Diskussion taten manche so, als wolle man mit Schulden Champagnerparties veranstalten. Es macht aber einen großen Unterschied, ob mit dem Geld Gehälter, Renten und Energierechnungen beglichen werden oder ob es für Schulsanierungen und Bahngleise und Brücken ausgegeben wird.

Über den Interviewpartner

Oliver Wagner ist am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie als Co-Leiter des Forschungsbereichs Energiepolitik tätig. Seit 1995 arbeitet der diplomierte Sozialwissenschaftler dort zu verschiedenen Fragestellungen rund um das Thema Klimaschutz und Energieeinsparung. Seine Arbeitsschwerpunkte reichen von kommunaler Energiespar- und Klimaschutzpolitik, über Instrumente zur Bekämpfung von Energiearmut, bis hin zur Bildung für nachhaltige Entwicklung im Themenfeld Klimaschutz. In zahlreichen Veröffentlichungen, beispielsweise als Mitautor des Spiegel-Bestsellers „Earth for All – Deutschland“ und in zahlreichen Projektarbeiten hat Oliver Wagner die Bedeutung von dezentralen Akteuren und zivilgesellschaftlichen Initiativen für den Klimaschutz herausgearbeitet. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen als Mitglied in diversen Beratungs- und Aufsichtsratsgremien.

Suffizienz im Quartier – Anregungen für kommunale Akteure

Brände in Kalifornien, Überschwemmungen in Saudi-Arabien, im vergangenen Sommer Starkregen in Deutschland – die Klimakrise ist in den Nachrichten und unserer Umgebung allgegenwärtig. Viele Menschen verspüren den Wunsch, ein suffizienteres Leben zu führen, das sich innerhalb der planetaren Grenzen bewegt und unsere Erde schützt. 

Doch die Vorstellung, den gesamten Alltag und das eigene Konsumverhalten radikal auf den Kopf zu stellen, hält viele davon ab, es zu versuchen. Die Aussicht, sich spontan drastisch verändern zu müssen, wirkt überfordernd und abschreckend. Dabei können bereits kleine Veränderungen und Aktionen im eigenen Kiez einen Beitrag zur ökologischen Transformation unserer Städte leisten. Die steigende Umweltqualität trägt wiederum zu einer höheren Lebensqualität im Quartier bei und gemeinsame ehrenamtliche Anstrengungen fördern zugleich das soziale Miteinander sowie den lokalen Zusammenhalt.

Kommunen als Ermöglicher
Nicht immer kann dies jedoch vollständig selbstorganisiert gelingen. Sicherlich man kann sich in der Nachbarschaft, mit Freund*innen und Bekannten über eine zukunftsgerechte Reiseplanung austauschen oder Gartengeräte gemeinsam nutzen. Doch sobald es noch handfester werden soll, braucht es schnell dauerhafte Räumlichkeiten oder Flächen und eine grundlegende Ressourcenausstattung, um Mikroprojekte wie bspw. einen Gemeinschaftsgarten im Quartier dauerhaft umzusetzen. Hier können kommunale Akteure wie Fachämter, aber auch Wohnungsbaugesellschaften und lokale Organisationen eine wichtige Rolle einnehmen und gleichzeitig selbst von den Ergebnissen profitieren.

Anregungen und konkrete Projektvorschläge, wie diese „Rolle eines Ermöglichers“ aussehen kann und welche kommunalen Akteur*innen dafür infrage kommen, bietet die kürzlich erschienene Handreichung SUPRA-STADT-Toolbox. Sie wurde im Rahmen des gleichnamigen Projektes vom Institut für Energie und Umweltforschung Heidelberg (IFEU) entwickelt.

Sie stellt fünf Projektideen detailliert vor, mit denen ein Beitrag zu einer partizipativen sozial-ökologischen Transformation im Quartier geleistet werden kann. Dabei wird anschaulich erklärt, welche Akteur*innen als Initiator*innen und Träger*innen des Projektes infrage kommen, wer die Zielgruppen und Profiteur*innen des Vorhabens sein können, wie die Vorhaben exemplarisch umgesetzt werden können und mit welchem Ressourcenaufwand zu rechnen ist.

Suffizienz im Quartier stärken 
Exemplarisch sollen nachfolgend drei Beispiele aus der Handreichung zur Verdeutlichung vorgestellt werden:

Gemeinsam Gärtnern im Quartier ist ein längerfristig angelegtes Projekt. Im Rahmen von Workshops und Mitmachaktionen rund um den naturnahen Anbau erlernen die Teilnehmenden grundlegende gärtnerische Kompetenzen und betätigen sich gemeinsam beim Bestellen von Beeten, Unkraut jäten und natürlich der Ernte. Ziel ist es einerseits, unmittelbaren Zugang zu frischen und gesunden Lebensmitteln wie Obst und Gemüse zu ermöglichen. Andererseits werden tragfähige Strukturen durch die weitgehend selbstorganisierte Bewirtschaftung der genutzten Flächen geschaffen, der soziale Zusammenhalt,  die nachbarschaftliche Vernetzung und das Gefühl der Selbstwirksamkeit bei den Beteiligten gestärkt. Das Projekt kann von Wohnungsgesellschaften, kommunalen Akteur*innen und Ämtern aber auch Stadtentwicklungsbüros ins Leben gerufen und betreut werden.

Fahrrad fahren ist gesund und gut bekanntlich gut für die Umwelt. Doch was tun, wenn der alte Drahtesel defekt ist? Die Idee der Rad-Checks setzt hier an. Sie fördern nachhaltige Mobilität, indem im Quartier kostenlose, regelmäßige Reparaturangebote für Fahrräder gemacht werden. Die Teilnehmenden lernen unter Anleitung von Freiwilligen, selbstständig kleinere Reparaturen durchzuführen, wodurch sie nicht nur Geld sparen, sondern auch neue Fähigkeiten erwerben. Neben dem Spaß am Selbermachen steht auch bei diesen Aktivitäten der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund – denn das informelle Lernen stärkt zugleich den Zugehörigkeitssinn im Quartier. 

Das Format der Klimanachbarschaft umfasst eine mehrteilige Veranstaltungsreihe, die Themen wie nachhaltige Ernährung, Mobilität, Energie und Konsum aufgreift. Ziel ist es, den Teilnehmenden zu zeigen, wie sie ressourcenschonendes Verhalten in ihren Alltag integrieren können. Beispiele aus der Praxis reichen von Repair-Cafés über Workshops zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung bis hin zu Mitmachaktionen wie der „Naturwerkstatt“, in der Kinder spielerisch nachhaltige Praktiken entdecken. Ein zentrales Element der Klimanachbarschaft sind regelmäßige offene Treffen, wie etwa ein Klimacafé, das Raum für Austausch und Reflexion bietet. Hier können Nachbar*innen auch praktische Tools wie CO₂-Fußabdruckrechner nutzen, um ihren eigenen Beitrag zum Klimaschutz zu ermitteln. Die Veranstaltungen können beispielsweise von Vereinen oder Akteur*innen des Bildungsbereichs durchgeführt und individuell auf die Bedarfe im jeweiligen Kiez angepasst werden.

Gemeinsam mehr bewegen
Die in der Publikation SUPRA-STADT-Toolbox vorgestellten Projektideen sind ein schöner Beleg für die Möglichkeiten, die Kommunen mit relativ wenig Ressourcenaufwand haben, um Menschen im Quartier bei der Erprobung suffizienter Verhaltensveränderungen zu unterstützen. Sie zeigen zudem, dass derartige Vorgaben eine doppelte Rendite erwirtschaften: Sie stärken den sozialen Zusammenhalt und leisten einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Ein Gewinn für die Kommunen und ihre Bewohner*innen.

Gutes Leben, fair verteilt: Warum Suffizienz uns weiterbringt

Der Januar 2025 war der wärmste jemals global gemessene. Die ermittelte Durchschnittstemperatur lag 1,75 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Dass es sich hierbei nicht um einen Ausreißer handelt, zeigt ein kürzlich erschienener Bericht des Expertenrats für Klimafragen. Er macht deutlich, dass die bisherigen deutschen Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die Klimaziele zu erreichen. Dies führt eindrücklich vor Augen, dass es neuer Ansätze und Strategien bedarf. Doch wie könnten diese aussehen?

Einen möglichen Lösungspfad skizziert die Arbeit des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), einem unabhängigen Gremium, das die Bundesregierung in umweltpolitischen Fragen berät. Dieser veröffentlichte im März 2024 dazu ein Thesenpapier mit dem Titel „Suffizienz als „Strategie des Genug“: Eine Einladung zur Diskussion“

Basierend auf der oben genannten Veröffentlichung hielten Mitarbeiter*innen bzw. Mitglieder des SRU unlängst zwei Vorträge. Am 27. Januar sprach Prof. Dr. Wolfgang Lucht im Münchner Forum für Nachhaltigkeit über „Suffizienz und ökologische Demokratie: Innerhalb der planetaren Grenzen leben“. Nur wenige Tage später, am 30. Januar, veranstalteten Dr. Julia Michaelis und Bendix Vogel im Rahmen der Initiative Klimagerecht Leben ein Suffizienz-Webinar – ein erster Auftakt für die vom SRU angestrebte breite Debatte.

Im Folgenden sind die wichtigsten Erkenntnisse aus beiden Vorträgen zusammengefasst.

Warum brauchen wir Suffizienz?

Nach Ansicht der Referent*innen leben heutige Industrie- und Konsumgesellschaften weit über ihre ökologischen Verhältnisse hinaus, was bereits deutliche Auswirkungen habe. So gelten aktuell sechs der neun planetaren Grenzen als überschritten, wodurch auch das Risiko einer Destabilisierung des Klimas und der Ökosysteme weiter ansteige. Der bislang vorherrschende Fokus auf Effizienzsteigerungen zu Lasten von Konsistenz- und Suffizienzbemühungen werde laut SRU allein nicht ausreichen, um effektiv gegenzusteuern. Zudem zeige die Praxis, dass Effizienzstrategien anfällig für Reboundeffekte seien: So komme es durch Effizienzsteigerungen zwar zu Einsparungen von Energie oder Ressourcen, allerdings bewirkten dadurch entstehende Vorteile wie Kosteneinsparungen, dass Endverbraucher*innen dazu neigen, mehr zu verbrauchen. 

Der SRU sieht Suffizienzbemühungen daher als zentralen Bestandteil eines gesellschaftlichen Wandels, der nötig sei, um innerhalb der planetaren Grenzen zu bleiben. Deutschland trage als hoch entwickeltes Industrieland eine besondere Verantwortung für die ökologischen Missstände. Das faire CO₂-Budget zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad, sei bereits überschritten. Zwar sinken die Emissionen langsam, doch das erforderliche Reduktionsniveau sei noch längst nicht erreicht.

Auf sozialer Ebene führe dieses Verhalten und die aktuellen Strukturen nach Einschätzung des SRU zu einem moralischen Dilemma: Für den hohen Emissionsausstoß seien vor allem wohlhabende Bevölkerungsschichten im globalen Norden verantwortlich, am meisten würden allerdings vulnerable Bevölkerungsgruppen im globalen Süden unter den Umweltkrisen leiden. So emittiere Afrika beispielsweise nur 4 Prozent aller globalen CO2-Emissionen, sei allerdings besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen. Diese Ungleichheit zwischen Verursachern und Betroffenen widerspricht laut Prof. Dr. Lucht den europäischen Werten von Gleichheit und Solidarität. Letztlich sei Suffizienz eine Frage der Menschenrechte: Der moralische Mindestanspruch müsse es sein, nicht auf Kosten anderer zu leben. „Und zwar geht es eigentlich um ein Leben in Würde für alle, letztlich nicht nur für andere, sondern auch für uns“, fasst es der Experte zusammen.

Wege zur Veränderung

Die Referent*innen betonten: Um den ökologischen und sozialen Herausforderungen zu begegnen, sei eine grundlegende Transformation gesellschaftlicher Handlungsmuster notwendig. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssten gemeinsam Lösungen entwickeln, um eine lebenswerte und gerechte Zukunft zu sichern. Prof. Dr. Lucht betonte die Notwendigkeit der Entwicklung konkreter politischer Maßnahmen auf systemischer Ebene, die suffiziente Verhaltensweisen ermöglichen und attraktiv machen. Gleichzeitig könnten umweltschädigende Aktivitäten stärker besteuert werden, schlug Dr. Michaelis vor. 

Doch eine solche Veränderung dürfe nicht auf Kosten individueller Freiheiten gehen – vielmehr müsse sie darauf abzielen, Rechte und Ansprüche in ein faires Gleichgewicht zu bringen. Genau hier setze Suffizienz an: Ihr Ziel sei es, zu verhindern, dass der ressourcenintensive Lebensstil einiger auf Kosten anderer gehe und Menschen dadurch in ihren Rechten und Freiheiten eingeschränkt würden. Der Gesetzgeber trüge die Verantwortung, diesen Ausgleich zu gewährleisten – nicht nur zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, sondern auch mit Blick auf zukünftige Generationen. Maßnahmen zur Suffizienz, insbesondere Beschränkungen oder Verbote, müssten jedoch gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Dr. Lucht sieht diese große Transformation als Aufgabe der Demokratie: „[Sie] muss beweisen, dass sie das kann, sonst hat Demokratie versagt an einer historischen Menschheitsaufgabe; den Planeten zu stabilisieren [und] die Umwelt für nachfolgende Generationen […] zu bewahren.”

Wirtschaftliche Herausforderungen

Nach Auffassung des SRU basiere das aktuelle Wirtschaftssystem auf stetigem Wachstum – mit immer weiter steigendem Ressourcenverbrauch von beispielsweise Wasser und Düngemitteln. Stoffströme seien häufig linear und nicht zirkulär, und würden so Ressourcen und Energie verschwenden. „Unendliches Wachstum ist in einer endlichen Welt unmöglich“, wurde als eine der Kernaussagen deutlich. Dies erfordere ein Umdenken bestehender Strukturen. Da individuell nachhaltige Konsumentscheidungen durch komplexe Strukturen in Herstellungsprozessen oder Lieferketten erschwert würden, müsse hier eine klare staatliche Regulierung erfolgen. 

Prof. Dr. Lucht und Dr. Michaelis plädieren aufgrund dessen für ein neues Wohlfahrtsverständnis, das über rein materiellen Konsum und das Bruttoinlandsprodukt hinausgeht. Aspekte wie Umweltqualität, soziale Gerechtigkeit und Bildungschancen seien mögliche Indikatoren, um das Wohlergehen der Bürger*innen zu veranschaulichen. Auch kulturelle Leitbilder und gesellschaftliche Normen können suffiziente Verhaltensweisen fördern – etwa durch Lifestyle-Bewegungen wie Radfahren oder eine pflanzenbasierte Ernährung. Eine weitere Option für suffizientes Handeln im Privatbereich liege in der Flächennutzung. Häuser auf Brachflächen zu bauen, statt auf grünen Wiesen oder je nach Bedarf in eine kleinere Wohnung zu ziehen, nannten Dr. Michaelis und Herr Vogel als nachhaltige Praktiken.

Fazit
Die SRU-Vorträge zeigten: Suffizienz als „Strategie des Genug“ kann ein entscheidender Ansatz sein, um ökologische und soziale Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Um effektiv zu wirken, brauche es jedoch aus Sicht der Referent*innen ein besseres Zusammenspiel von Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft als bislang. Ein offener und kontinuierlicher Dialog über Suffizienz sei zudem entscheidend, um bestehende Konzepte weiterzuentwickeln und gesellschaftliche Akzeptanz für das Thema aufzubauen. 

Insgesamt wurde übergreifend deutlich: Suffizienzstrategien bieten großes Potenzial für eine gesellschaftliche Transformation hin zu einer ressourcenschonenden, umweltschützenden und zugleich gerechteren Zukunft. Dazu muss das Thema jedoch vermehrt auf struktureller und systemischer Ebene in den Fokus genommen werden und nicht bloß auf der Ebene des Individuums. Der Einsatz kann sich lohnen: Es winkt ein Leben in Würde für alle Menschen innerhalb der planetaren Grenzen. 

Rezension: „Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“

Wie können wir die Klimakrise auf demokratischem Wege lösen, und welche Verantwortung fällt dabei auf Deutschland? Was verbindet die Klimakrise mit sozialer Gerechtigkeit? Was sind realistische Maßnahmen in Klima- und Sozialpolitik und welche Auswirkungen könnten diese global haben? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das 2024 vom Club of Rome und dem Wuppertal Institut veröffentlichte Buch „Earth for All – Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“. 

Hintergrund

Earth 4 All ist eine internationale Initiative, beauftragt durch den Club of Rome, mit dem Anspruch, ganzheitliche Lösungsansätze zu fördern, welche die Klimakrise, Ressourcenknappheit, soziale Ungleichheiten und vor allem die Verknüpfungen zwischen diesen Herausforderungen betrachten. Mithilfe von Computermodellen werden potenzielle Zukunftsszenarien errechnet. Die 2022 in dem Buch „Earth for All – A Survival Guide for Humanity“ veröffentlichten Ergebnisse stellten zwei mögliche Handlungsvorgehen und deren globale Auswirkungen vor. Der „Giant Leap (GL)“ und „Too Little Too Late (TLTL)“ sind zwei konträre Zukunftsszenarien. Eine radikale Kehrtwende in kurzer Zeit (GL), die zu einem Abschwächen der Klimakrise und Steigern des Wohlergehens führt, oder ein Weiterführen des bisherigen Kurses (TLTL), wodurch Fortschritte zu langsam erzielt werden, um zu einer globalen Transformation zu führen.

Szenarien für Deutschland

Der Bericht „Earth for All – Deutschland“ wendet diese Modellierungen nun auf Deutschland an und will praktische Lösungen spezifisch für den deutschen Kontext liefern. Für ein Gelingen des Giant Leap hin zur „Wohlergehensgesellschaft für alle“ benennt das Buch zunächst grundsätzlich fünf ausschlaggebende und sich beeinflussende Ansatzpunkte: Überwindung der Armut, Abbau von Ungleichheit, Empowerment von Frauen, Gewährleistung von Ernährungs- und Energiesicherheit. Diese werden anschließend nacheinander erörtert und anhand der deutschen Gegebenheiten in den nationalen Kontext überführt. Es wird umfassend erläutert, wieso im deutschen Fall die Überwindung der wachsenden sozialen Ungleichheit [inkl. wachsender (Energie-)Armut] von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Politik gegen den Klimawandel ist und welche Bedeutung einem fehlinterpretierten Freiheitsverständnis an dieser Stelle zukommt, das lediglich egoistische Verhaltensmuster begünstigt. 

Wiederkehrende und zentrale Themen sind sodann die globale Verantwortung Deutschlands und seine potentielle Vorbildrolle in der Welt, die Notwendigkeit eines systemischen Wandels anstatt unkoordinierter Einzelmaßnahmen, die Gefahr einer Erosion der politischen Stabilität, die Berücksichtigung von sozialer Gerechtigkeit und Ressourcenverteilung bei klimapolitischen Maßnahmen sowie Möglichkeiten und Grenzen einer nachhaltigen Wirtschaft. Anhand typischer Momente im alltäglichen Leben von fünf Menschen im Jahr 2045 beschreibt das Buch außerdem in kurzen fiktiven Storys an mehreren Stellen die Auswirkungen der Szenarien TLTL und GL. Dies trägt dazu bei, die möglichen Auswirkungen auf der Mikroebene zu versinnbildlichen und fördert die Anschaulichkeit. 

Blick auf das Buch durch die Suffizienzbrille

Das Buch verzichtet dabei auf eine dezidierte Unterteilung und separate Betrachtung der drei Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Die entwickelten Ansätze lassen sich jedoch erkennbar den jeweiligen Ansätzen zuordnen bzw. kombinieren diese. Die bisweilen stiefmütterlich behandelte Suffizienz findet dabei erfreulicherweise ebenfalls Beachtung. So wird kontinuierlich die Verantwortung Deutschlands im globalen Kontext hervorgehoben. Da Deutschland als ein Land des globalen Nordens einen entscheidenden Anteil der globalen CO2-Emissionen verursache, sei dementsprechend die Pflicht, zu einer Reduktion dieser beizutragen, höher. Doch auch innerhalb Deutschlands sei nicht jeder gleich verantwortlich.

Das Buch betont, dass die Verantwortung hier eindeutig auf der „Seite des Reichtums“ liege, da weniger Einkommen oft bereits zur sogenannten „Zwangssuffizienz“ führe. Die Autor*innen rufen zu einer deutlichen Reduktion des Konsums in Industrieländern wie Deutschland und in Privathaushalten der Besserverdienenden auf. Hier kommt das Konzept der Suffizienz zum Tragen: Anstatt unendlich zu wachsen und immer mehr zu konsumieren, wird ein Fokus auf „Genug“ und „Weniger“ gelegt. Das Buch betont, dass ein GL nicht ohne Verzicht machbar sei. Ansatzpunkte können laut der Autor*innen in der Vermeidung übermäßig vieler Flüge, dem Konsum billigen Fleischs und der vorrangigen Gestaltung autogerechter Städte liegen. Hierzu brauche es zugleich neue Modelle der Ressourcennutzung und eine Förderung alternativer Lebensstile. Um eine Reduktion des Überkonsums und eine nachhaltige Umverteilung der Ressourcen zu erreichen, schlägt das Buch verschiedene Werkzeuge wie bspw. ein KlimageldPlus vor. Dieses Konzept sieht vor, einen Teil der durch CO2-Steuern eingenommenen Gelder, wieder an alle Bürger*innen zurückzuzahlen, um die sich erhöhenden Kosten, besonders für einkommensschwächere Haushalte, auszugleichen. Obwohl alle den gleichen Betrag erhalten, finde gleichzeitig eine Umverteilung statt, da „Reiche“ aufgrund ihres höheren ökologischen Fußabdruckes tendenziell mehr einzahlen würden, als sie möglicherweise ausgezahlt bekämen. Ärmere Haushalte hingegen würden wegen ihres geringeren Verbrauchs weniger einzahlen, erhielten also anteilig mehr zurück.

Auch bei der Erörterung des Themas einer notwendigen Ernährungswende findet sich der Leitgedanke der Suffizienz. Hier wird erläutert, dass es wichtig sei, sich wieder zu entfernen von dem Konzept der vollen Supermärkte, in welchen alles zu jeder Zeit verfügbar ist. Stattdessen solle ein saisonales und regionales Angebot die Norm sein, worin sich Anschlusspunkte an die Suffizienzforderung einer Entflechtung erkennen lassen. 

Eine besondere Rolle spiele Suffizienz schließlich bei der Energiewende. Diese könne nur mit drei zugleich durchgeführten Lösungsstrategien gelingen: einer Steigerung der Energieeffizienz, dem Ausbau erneuerbarer Energien sowie der Förderung suffizienter Lebensstile. Obwohl das Buch die ersten beiden Lösungsstrategien erkennbar höher priorisiert, wird die Unabdingbarkeit von Suffizienz betont. Technisch fokussierte Konsistenz- und Effizienzstrategien allein seien nicht ausreichend, vor allem dann nicht, wenn der Energieverbrauch nicht sinke und weiterhin Energie verschwendet werde.

Doch wie lässt sich Suffizienz erreichen? Auch hierfür bietet das Buch nur indirekt Lösungen an. So brauche es zur Veränderung der gesellschaftlichen Konsummuster nicht nur individueller Verhaltensänderungen, sondern entsprechender politischer Weichenstellungen. Da nicht-nachhaltige Entscheidungen oftmals die bequemeren seien, müsse es die Politik durch gezielte Anreize und Gebote erleichtern, suffiziente Entscheidungen zu treffen (Ermöglichungskultur). Umgekehrt sollten ökologisch nachteilige Entwicklungen, wie etwa ressourcenverschwendender Luxuskonsum, bspw. mittels gezielter Besteuerung unattraktiv gemacht werden. Solche Suffizienzstrategien würden im Kleinen bereits umgesetzt, seien jedoch laut den Autor*innen flächendeckend in allen Themenbereichen notwendig und müssten sich in ein kohärentes Gesamtdesign fügen.

Fazit

Das Buch „Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“ ist definitiv eine lesenswerte Publikation. Mit ausführlichen Erklärungen, vielen Beispielen und zahlreichen Belegen wird überzeugend argumentiert, dass wir vor großen ökologischen und sozialen Herausforderungen stehen, ohne jedoch das Gefühl einer Ausweglosigkeit zu nähren. Vielmehr entsteht bei der Lektüre des Buchs trotz der klaren Darstellung der akuten Probleme insgesamt ein positiver Eindruck von Machbarkeit. Es wird jedoch eines raschen und tiefgreifenden Umdenkens in Politik und Gesellschaft brauchen – angefangen bei Beiträgen eines jeden Einzelnen. Die Autor*innen machen dazu am Ende Vorschläge, wie diese aussehen können und schließen mit den passenden Worten: „Wir können gemeinsam handeln, für eine Welt für alle.“

Veranstaltungsbericht: Symposium zum Buch

Am 5. Februar fand in Berlin das Symposium „Deutschland hat die Wahl: Perspektiven der sozial-ökologischen Wende für die Zukunft“ statt, organisiert vom Club of Rome, Wuppertal Institut und oekom Verlag. Politische Entscheidungsträgerinnen, Wissenschaftlerinnen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft diskutierten die Herausforderungen und Chancen mutiger Politik. Grundlage war das Buch „Earth for All Deutschland“, das 50 Jahre nach „Die Grenzen des Wachstums“ einen gesellschaftlichen Sprung fordert.

Nach einer Einführung zur Initiative „Earth for All“ folgten parallele Sessions zu den sechs zentralen Kehrtwenden des Projekts. Die zufällig zugeordneten Gruppen entwickelten interdisziplinäre Perspektiven, etwa zur Verbindung von Ernährungs- und Energiewende, und formulierten Fragen für das anschließende politische Panel.

Im Panel diskutierten Andreas Audretsch (Grüne), Annabel Schumacher (SPD.Klima.Gerecht), Berthold Schilling (Klima-Union), Thomas Fricke (Forum New Economy) und Barbara Metz (Deutsche Umwelthilfe), wie Bürger*innen in Transformationsprozesse einbezogen und notwendige politische Maßnahmen umgesetzt werden können. Ein Mitschnitt ist auf YouTube verfügbar: youtube.com/live/mSj-2OxFZj4

Zum Abschluss betonte Peter Hennicke, ehemaliger Präsident des Wuppertal Instituts, die Dringlichkeit der Herausforderungen, zeigte aber auch Hoffnung und Wege zur erfolgreichen Transformation auf. Das Symposium lieferte wertvolle Impulse für eine nachhaltige Zukunft.

Buchinformationen

Autor*innen: Manfred Fischedick, Peter Hennicke, Till Kellerhoff, Monika Dittrich, Hans Haake, Lena Hennes, Jacqueline Klingen, Nathalie Spittler, Oliver Wagner sowie Ilona Koglin und Marek Rohde
Titel: Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle
Herausgeber*innen: Club of Rome, Wuppertal Institut
Verlag: oekom
ISBN: 978-3-98726-111-4
Softcover, 320 Seiten
Erscheinungstermin: 14.10.2024

Maßvolles Wirtschaften: Unternehmerische Strategien für eine nachhaltige Zukunft

In einer Welt, in der wir uns den planetaren Grenzen immer weiter nähern und die zunehmend von Konsum und Expansion geprägt ist, gewinnt das Konzept der Suffizienz und des maßvollen Wirtschaftens immer mehr an Bedeutung. Das Forschungsteam rund um Dr. Maike Gossen von der TU Berlin geht in dem Projekt „Maßvoll wirtschaften: Unternehmerische Strategien für gemeinwohlorientierte Konsum- und Produktionsmuster“ der Frage nach, wie verbreitet Strategien und Geschäftsmodelle sind, die den Ressourcenverbrauch durch Konsum und Produktion reduzieren. Ziel ist es, herauszufinden, welche Herausforderungen bei der Umsetzung von maßvollem Wirtschaften und welche Skalierungsansätze in der Praxis existieren.

Maßvolles Wirtschaften bedeutet, dass Unternehmen ihre Produktion und ihr Angebot auf das notwendige Maß begrenzen und ressourcenschonende Lebensstile erleichtern. Sie sind nicht auf maximales Wachstum und Profit ausgerichtet, sondern legen ihren Fokus auf das Gemeinwohl und eine nachhaltige Nutzung von Ressourcen. Nachhaltige Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz werden in Interviews und einer breiten Online-Befragung sowohl auf ihre internen Strategien wie die Begrenzung von Wachstumszielen und Produktionsvolumen als auch auf ihre externen Strategien wie das Vorhandensein von Reparaturangeboten und den Vertrieb langlebiger Produkte zur Förderung von Suffizienz untersucht.

Die Konflikte an der Schnittstelle zwischen suffizienzorientierten Geschäftspraktiken und Wachstumszwängen spielen dabei eine bedeutende Rolle, da das Streben nach ständigem Wachstum tief in der Wirtschaftsstruktur verankert ist und in direktem Widerspruch zu den Zielen des maßvollen Wirtschaftens steht. Die im Forschungsprojekt erstellte Literaturanalyse ergab, dass es für Unternehmen mit einem suffizienzorientierten Geschäftsmodell schwierig ist, sich gegen konventionelle Unternehmen zu behaupten, da Expansion und Gewinnmaximierung inhärente Triebkräfte des gegenwärtigen Wirtschaftssystems darstellen. Zusätzlich ist die Konsumkultur in vielen westlichen Ländern ein Hindernis, da sie von Materialismus und Überfluss geprägt ist und immer wieder neue Produkte und Dienstleistungen fordert, die oft nur von kurzer Lebensdauer sind. Viele suffizienzorientierte Unternehmen sehen diese Konsumkultur kritisch und nutzen ihre Kommunikation und Reichweite, um ein Bewusstsein für verantwortungsvollen Konsum zu schaffen.

Best-Practice-Beispiele

Obwohl maßvolles Wirtschaften erst wenig verbreitet ist, gibt es einige Beispiele die zeigen, dass es möglich ist, suffizienzorientiert wirtschaftend erfolgreich zu sein. Neben Fairphone und Patagonia vertreibt auch der Outdoor-Ausrüster Vaude langlebige Produkte, die sich durch Reparierbarkeit auszeichnen und bietet einen Mietservice für Outdoor Equipment. Auch Abonnement-Modelle als Beitrag zur Kreislaufwirtschaft sind denkbar, wie mit dem Programm Cyclon von der Schuhmarke ON.

Notwendige politische Unterstützung

Für eine breitere Implementierung suffizienzorientierter Geschäftsmodelle ist jedoch politischer Wille erforderlich. Im derzeitigen Markt sind nachhaltige Unternehmen oft benachteiligt , da konventionelle Unternehmen von Subventionen und steuerlichen Vorteilen profitieren. Eine politische Förderung könnte beispielsweise durch steuerliche Anreize für nachhaltige Geschäftsmodelle oder durch gesetzliche Maßnahmen wie Reparaturboni oder längere Produktgarantien möglich sein. Solche Anreize würden es Unternehmen erleichtern, auf langfristige, ressourcenschonende Produktionsmethoden umzusteigen. Darüber hinaus würde eine verstärkte Regulierung von nicht-nachhaltigen Praktiken durch Steuern auf Materialimporte oder den Transportweg helfen, die Rahmenbedingungen für suffizienzorientierte Geschäftsmodelle zu verbessern.

Fazit: Suffizienz als zukunftsfähiges Geschäftsmodell

Das Konzept der Suffizienz bietet Unternehmen die Möglichkeit nicht nur den Ressourcenverbrauch zu verringern, sondern auch eine nachhaltigere und gemeinwohlorientierte Wirtschaft zu fördern. Indem sich Unternehmen für Suffizienz und die Produktion langlebiger Produkte entscheiden, zeigen sie, dass sie sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind.

Am 25.11. hielt Dr. Maike Gossen im Rahmen der Ringvorlesung zum Klimaschutz an der TU Berlin einen Vortrag zum Thema „Unternehmerische Strategien zur Förderung von Suffizienz“. Die vollständige Vorlesung kann hier und auf YouTube angeschaut werden.

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Literaturverzeichnis

Halstenberg, Barbara (2024): Weniger ist mehr –
Interview mit Dr. Maike Gossen und Laura Niessen zu Suffizienz und Unternehmen. Technische Universität Berlin, keine Angabe. URL: https://www.tu.berlin/news/interviews/potenziale-suffizienzorientierter-unternehmen (letzter Aufruf: 16.12.2024, 16:09 Uhr).

Gossen, Maike (2024): Unternehmerische Strategien zur Förderung von Suffizienz. Technische Universität Berlin, 25.11.2024. URL: https://www.youtube.com/watch?v=q2JXCSvoF_c (letzter Aufruf: 16.12.2024, 12:09 Uhr).