Kann Mode nachhaltig sein? – Warum ein Umdenken notwendig ist

Die Fashion Weeks dieser Erde zeigen uns regelmäßig, welcher Schnitt, welche Farbe und welche Kombinationen von Kleidungsstücken gerade angesagt sind. Mode ist Ausdruck eines bestimmten Zeitgeistes, sie zeichnet sich durch Aktualität, Wechselhaftigkeit und Schnelllebigkeit aus. Und genau hier liegt das Problem. Die Textilindustrie hat einen bemerkenswert großen ökologischen Fußabdruck, was uns zur Frage bringt: Geht Mode auch nachhaltig? NEIN. Nachhaltigkeit ist kein Attribut, sondern ein Nutzungskonzept. Aber schauen wir genauer hin:

Fast Fashion vs. Slow Fashion

Schnelllebigkeit und Aktualität definieren den sogenannten „Fast Fashion“­-Trend. Damit sind die immer kürzer werdenden Abstände zwischen neuen Kollektionen, die sich an den aktuellsten Modetrends orientieren, gemeint. Durch Massenproduktion und das Outsourcen in Billiglohnländer kann diese Form von Mode immer schneller und günstiger produziert werden. Aufgrund der niedrigen Preise und der meist minderwertigen Qualität führt Fast Fashion zu einer Wegwerfgesellschaft und damit zu massiven Umweltschäden.  Ist das nachhaltig? Bestimmt nicht.

Wir müssen weg von Mode und hin zur nachhaltigen Kleidung

Es gibt eine Gegenbewegung zu Fast Fashion: Sie wird als „Slow Fashion“, „Green Fashion“ oder auch „Eco Fashion“ bezeichnet – und setzt auf das Konzept Nachhaltigkeit. Sie zeichnet sich neben einer nachhaltigen und fairen Produktion vor allem durch ihre Langlebigkeit aus. Diese Art von Kleidung soll aus qualitativ hochwertigeren Materialien bestehen und folgt weniger den aktuellen Trends, sondern setzt auf ein klassisches und zeitloses Design. Es setzt auf Langlebigkeit.

Aber Vorsicht: Akteure der Modebranche stellen sich gerne als besonders nachhaltig dar. Influencer*innen, die vegane Marken empfehlen und Modehäuser, die recycelte Ware anbieten: Klingt fortschrittlich, aber ist es das auch? In vielen Fällen ist es schlicht Greenwashing. Anders als oft suggeriert, wird bzw. nicht einmal ein Prozent der getragenen Kleidung zu neuer „Mode“ recycelt.

Kriterien

Natürlich muss ab und zu trotzdem etwas „Neues“ her. Dabei ist es gar nicht so leicht zu erkennen, ob ein Kleidungsstück nachhaltig produziert wurde oder ob es sich um Greenwashing handelt. Im Quellenverzeichnis findet ihr eine Liste mit Öko-Textil-Siegeln, die umweltfreundlich hergestellte Kleidung kennzeichnet.

1. Materialien aus biologischen Rohstoffen
Es ist wichtig, dass bei der Textilherstellung nur Materialien aus umweltverträglichen und zu 100 % biologisch abbaubaren Rohstoffen verwendet werden. Beim Anbau wird auf den Einsatz von Pestiziden, chemischen Düngemitteln, Insektiziden und anderen schädlichen Substanzen verzichtet. So gelangen weniger Chemikalien ins Grundwasser und in die Böden, dem Insektensterben wird entgegengewirkt und die Schadstoffbelastung der Menschen vor Ort wird erheblich reduziert.

2. Ressourcenschonende Produktion
Neben einem möglichst geringen Wasser- und Energieverbrauch ist die Verwendung schnell nachwachsender Rohstoffe wie z. B. Bambus ein weiteres Kriterium. Lieferwege sollten so kurz wie möglich und die gesamte Lieferkette möglichst in derselben Region verortet sein.

3. Recycling & Upcycling
Ein weiterer essenzieller Teil grüner Mode ist das Recyceln und Upcyclen von verschiedenen Materialien zur Herstellung neuer Kleidungsstücke. Mittlerweile werden auch Abfallprodukte, wie z. B. Schnittreste aus der Forstwirtschaft, Plastikflaschen oder Fischernetze immer häufiger genutzt, um daraus neue Stoffe herzustellen. Der Ressourceneinsatz wird auf ein Minimum reduziert, sodass ebenfalls weniger Müll entsteht.

4. Soziale und faire Produktionsbedingungen/ Arbeitsbedingungen
Green Fashion muss immer gerechte Bezahlung, gute und sichere Arbeitsbedingungen bedeuten. Sie darf nicht aus Kinderarbeit entstehen und Rohstoffpreise entlang der gesamten Produktionskette müssen angemessen bezahlt werden.

Aber wir müssen nicht gänzlich auf Abwechslung im Kleiderschrank verzichten! Es gibt viele Alternativen zum Neukauf: wie z. B. Second Hand, Kleidertauschpartys, Flohmärkte oder Kleidervermietung. In unserer Checkliste haben wir ein paar Tipps zusammengestellt:

Was Verbraucher*innen tun können

Uns als Verbraucher*innen kommt eine entscheiden Rolle zu. Es ist wichtig, dass wir unsere Beziehung zu Kleidung und Konsum grundsätzlich hinterfragen und unser Bewusstsein hin zu einem suffizienten Modekonsum umstellen. Dinge sollten nur dann gekauft werden, wenn sie wirklich benötigt werden und nicht nur zur Freizeitbeschäftigung oder Belohnung. Außerdem müssen wir die Lebensspanne unserer Kleidungsstücke verlängern, um der Wegwerfmentalität und dem dadurch entstehenden Müll entgegenzuwirken. Suffizienz und Degrowth sind dabei wichtige Stichwörter.

Quellen:

Abschlusskonferenz der Nachwuchsforschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“

Oft wird die Digitalisierung als Megatrend des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Seit der Entwicklung des ersten Computers in den späten 1940er Jahren hat sich vieles verändert. Wir steuern auf eine umfassende Digitalisierung unserer Umwelt zu und selbst das Smart-Home ist keine Zukunftsvision mehr. Es stellt sich die Frage, ob die Digitalisierung in eine smarte grüne Welt führt, in der alle vom technologischen Fortschritt profitieren und dies zum Umweltschutz beiträgt oder ob wir in eine digitale Wachstumsökonomie steuern, die uns noch schneller an die planetaren Grenzen stoßen lässt.

Die Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ an der TU Berlin und am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung untersuchte die Suffizienz-Chancen und Rebound-Risiken der Digitalisierung für eine Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs. Im Rahmen einer Abschlusskonferenz präsentierte die Nachwuchsforschungsgruppe am 20. Juni 2022 konzeptionelle Forschungsergebnisse im Spreespeicher Berlin. Das Forschungsthema wurde in vier Teilbereiche aufgeschlüsselt:

1. Welche Effekte birgt Digitalisierung für die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch?

Gleich zu Beginn der Veranstaltung wurde den Teilnehmenden die Illusion genommen, Digitalisierung an sich könnte einen Schub für eine nachhaltige Entwicklung leisten und die Umwelt entlasten. Studien haben gezeigt, dass die Digitalisierung das Wirtschaftswachstum zwar erhöht, die Auswirkungen sind aber bedeutend geringer als vorherige wichtige Technologien, wie z. B. die Einführung des elektrischen Stroms. Die Forschungsgruppe konzentrierte ihre Untersuchungen auf den ökologischen Effekt der Digitalisierung, den Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen. Sie kamen zum Ergebnis, dass in Unternehmen ein höherer Grad an Digitalisierung auch zu größerem CO2-Ausstoß beiträgt. Auf Haushaltsebene führt in manchen Ländern mehr Digitalisierung zu einem erhöhten Ausstoß. In anderen Ländern ist es umgekehrt. Schlussendlich ist der Effekt sehr gering, der CO2-Ausstoß wird durch die Digitalisierung weder wesentlich erhöht, noch verringert.

In Bezug auf den Energieverbrauch heben sich die positiven und negativen ökologischen Effekte gegenseitig auf. Durch eine Energieeffizienzsteigerung und Tertiärisierung wird der Verbrauch zwar verringert, die Herstellung der Geräte und das rasante Wachstum durch Digitalisierungsprozesse erhöhen jedoch den Energieverbrauch.

2. Ist der Online-Konsum ein Potential für Suffizienz oder eher Konsumtreiber?

Online-Shopping vereinfacht den Konsum. Beim Surfen im Web werden Nutzer*innen ständig mit Werbeinhalten konfrontiert und beeinflusst. Im Marketing sollte eine Transformation hin zur Suffizienzförderung stattfinden: ein Angebot an zeitlosen und langlebigen Produkten und von Unternehmensseite aus die Anregung zu kritischem Konsum. Letztlich kann Suffizienz förderndes Marketing den Konsum reduzieren und damit einen nachhaltigen Beitrag leisten, aber nur, wenn die digitalen Marketingtechniken für den Zweck eines nachhaltigen Konsums eingesetzt werden. Dies geschieht leider zu selten im Sinne der Allgemeinwohlorientierung. Online überwiegen Inhalte, die auf Konsumstimulation ausgelegt sind.

3. Führt Digitalisierung zu einer Beschleunigung des Lebenstempos, und wie wirkt sich dies auf Gefühle von (Zeit-)Stress aus?

Digitale Geräte beeinflussen das subjektive und objektive Lebenstempo. Ob eine Be- oder Entschleunigung verspürt wird, ist von der Nutzungsart der digitalen Geräte abhängig. Menschen, die stärker digitalisiert leben, betreiben mehr Multitasking. In ihrer Studie konnte die Nachwuchsforschungsgruppe zeigen, dass Zeit-Rebound-Effekte auftreten, die vermeintlich gewonnene Zeit wird also mit immer mehr Tätigkeiten aufgefüllt. Somit kommt es oft zu mehr Zeitstress. Hierbei wiesen sie darauf hin, dass die Art und Weise, wie Menschen mit digitalen Technologien in Bezug auf ihre Zeit umgehen, vielfältige Konsequenzen für Gesellschaft und Umwelt hat.

4. Welche direkten Umweltwirkungen, aber auch Einsparpotentiale, sind mit digitalen Geräten im „vernetzten Zuhause“ (Smart Home) verbunden?

Ob durch Smart Homes wirklich Energie gespart wird, ist nicht so einfach zu sagen. Die Einsparungen sind viel geringer als erhofft, Strom und Treibhausgasemissionen werden zwar verringert, allerdings verbrauchen die digitalen Geräte viel Strom. Zudem werden für die Produktion sehr viele, nicht nachwachsende Ressourcen benötigt. Bei der Nutzung der Geräte steht der Nachhaltigkeitsgedanke zudem meist nicht im Vordergrund, sondern eher der Spaß- und Spielfaktor. Es kommt also zu einer Verschiebung von Umweltwirkungen, digitaler Klimaschutz geht oft zulasten knapper Ressourcenbestände. Smart Home-Systeme sind somit nur unter bestimmten Bedingungen ökologisch sinnvoll, wenn z.B. die Anzahl gering gehalten wird und die Geräte lange genutzt werden.

5. Forschungsergebnis

Die Digitalisierung bietet einige Chancen, soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen, indem die Energie- und Ressourceneffizienz verbessert und durch umweltschonendere Dienstleistungen ersetzt wird. Zugleich bringt Digitalisierung neue Arten von Verbrauch mit sich. Die negativen Effekte gleichen die positiven Effekte aus. Auch der Blick auf soziale Gerechtigkeit zeigt, dass Digitalisierung zwar mehr Flexibilität mit sich bringt, gleichzeitig verstärkt sie aber den Trend schlechter Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor und wirkt sozialer Nachhaltigkeit entgegen. Digitalisierung muss viel aktiver durch Politik, Unternehmen und Gesellschaft gestaltet werden, damit sie sozialen und ökologischen Zielen dienen kann. Die Forschungsgruppe entwickelte dazu zwei Leitbilder, um dies zu ermöglichen:

1. Digitale Suffizienz: So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich

2. Gemeinwohlorientierung: Kollaborativ statt kapitalistisch

Festzuhalten ist, dass digitale Technologien nur dann zu einer ökologischen Nachhaltigkeit beitragen können, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen fundamental verändern und alle Akteur*innen zusammenarbeiten. Nur als Teil einer sozial-ökologischen Transformation jenseits des Wachstums könnte das Potential der Digitalisierung zutage treten. Es braucht nicht nur digitale Investitionsprojekte, sondern auch ein begleitender sozio-kultureller Wandel im Umgang mit Digitalem.

Mehr Informationen zum Forschungsprojekt sind hier abrufbar.

Minimalismus und Wohlbefinden

Raffiniert verleitet uns die Werbeindustrie zum Konsum – auch weil Kaufen Glück und Anerkennung versprechen soll. In den letzten Jahren mehren sich aber Studien, die uns zeigen, dass gesteigerter Konsum nicht unbedingt glücklich macht. Weniger Besitz sei sogar gut für Körper und Geist. Ist da was dran?

Wieviel brauchen wir wirklich?

Im Jahr 2020 brachten Lloyd und Pennington die Studie Towards a Theory of Minimalism and Wellbeing heraus, in der es um die Zusammenhänge zwischen Minimalismus und Wohlbefinden ging. Die Autor*innen der Studie wollten die Hintergründe des minimalistischen Lebensstils verstehen und mit den Ergebnissen dieser Studie eine vorläufige Theorie des Minimalismus aus Sicht der Positiven Psychologie konstruieren. Laut ihrer Hypothese führt der freiwillige Konsumverzicht zu einer Steigerung von Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit.

Positive Psychologie beschäftigt sich mit den positiven Seiten des Lebens. Sie möchte Wohlbefinden und Glück von Menschen fördern. Eine zentrale Frage dieser Strömung der Psychologie ist, wie und warum Individuen und Gruppen „flourishen“, also aufblühen, und wann Personen einen Flow-Zustand erleben. (3)
Definition

Minimalismus und Suffizienz

Bei besagtem freiwilligen Konsumverzicht setzt der Minimalismus an. Es geht darum, einfacher, bewusster und nachhaltiger zu leben, das Überflüssige aus dem Leben zu entfernen. Eine zentrale Frage ist, ob eine Person oder ein Gegenstand Freude bringt. Ist dem nicht so und es belastet einen, ist eine Trennung davon zu bevorzugen. Durch diese eigentlich „leichte“ Frage, wird Raum und Zeit für Menschen und Dinge geschaffen, die wirklich wichtig sind. Es geht im Minimalismus nicht darum, asketisch zu leben und den gesamten Besitz aufzugeben. Es geht um nötige Besitztümer für ein gutes Leben.

Mit dieser persönlichen Reflexion und der Frage, ob die Anschaffung eines Gegenstandes wirklich notwendig ist, zeigt sich die Brücke zwischen Minimalismus und Suffizienz. Beide Lebensstile zeichnen sich durch hohes Bewusstsein des Konsums aus und damit einhergehend den Rückgang des Konsumierens.

Auch beim suffizienten Handeln wird überlegt konsumiert. Die zentrale Frage lautet: „Brauche ich diesen Gegenstand wirklich?“. Nur bei einer positiven Antwort soll ein Kauf getätigt werden. Hiermit lässt sich eine Brücke schlagen, die den minimalistischen und den suffizienten Lebensstil verbindet. Durch die kritische Reflexion geht bei beiden Prinzipien ein Rückgang des Konsums einher. 

Studiendesign

Dem bisher wenig erforschten Kontext von Wohlbefinden und Minimalismus näherten sich die Autor*innen der Studie in einem qualitativen Design mithilfe semistrukturierter Interviews. Zehn Personen zwischen 24 und 52 Jahren, die alle minimalistisch leben, nahmen an der Studie teil. Sie kamen u. a. aus Deutschland, Kanada und den USA.

Lloyd und Pennington fanden in ihren Interviews eindeutige Ergebnisse, die ihre Hypothese bestätigten: Durch den minimalistischen Lebensstil hatte sich das Wohlbefinden aller zehn Studienteilnehmer*innen gesteigert. Sie stellten eine verbesserte Einstellung in den Bereichen Autonomie, Kompetenz, mentalem Raum, Achtsamkeit und positiven Emotionen fest. Wo vorher ein „gefangenes“ Gefühl und Unsicherheit war, fühlten sich die Interviewten seit der minimalistischen Lebensweise sicherer und frei. Außerdem sprachen die Interviewten von mehr Zeit für erfüllende Aktivitäten. 

Auch wenn diese Studienergebnisse klar für die minimalistische Lebensweise sprechen, sind diese Ergebnisse unter Vorbehalt zu betrachten: Die Interviewten waren alle aus einem „Weird-Country“ und haben sich aus innerem Antrieb eigenständig für diesen „einfachen“ Lebensstil entschieden. Personen mit einem niedrigeren sozio-ökonomischen Status, die aufgrund externaler und nicht internaler Gründe dieses einfache Leben leben, würden ihr Leben vermutlich anders konnotieren.

Der minimalistische und suffiziente Lebensstil kann – womöglich zunächst kontraintuitiv – eine Bereicherung für unser Leben sein. Vorausgesetzt man entscheidet sich aktiv dazu und wird nicht durch äußere Umstände gezwungen. Durch die Reduktion des Besitzes kann eine mentale Freiheit entstehen. Zu Beginn steht aber der bewusste Konsum. Der Vorteil ist, dass jeder einfach mitmachen kann, ohne gleich die ganze Welt verändern zu müssen. Wir treffen sowieso jeden Tag Konsumentscheidungen – es kostet nur ein paar Gedanken, sie bewusst zu treffen.

Die komplette Studie ist hier abrufbar.

(1) Lloyd, K. & Pennington, W. (2020). Towards a Theory of Minimalism and Wellbeing, International Journal of Applied Positive Psychology (5), 121-136. https://doi.org/10.1007/s41042-020-00030-y

(2) Seligman, M. & Csikszentmihályi, M. (2000). Positivy psychology: An introduction. American Psychologist, 55, 5-14. https://doi.org/10.1037//0003-066X.55.1.5

(3) Positive Psychologie. http://www.positive-psychologie.ch/?page_id=24 (Abruf: 21.06.2022)

Symposium „Konsum Neu Denken“

Suffizienz spielt in unserer Gesellschaft immer noch eine untergeordnete Rolle. In der Wirtschaft wird der Begriff sogar noch als Bedrohung des Wohlstandes aufgenommen. Daher setzt ein jährliches Symposium in Österreich sich zum Ziel, mehr Wissen über dieses Thema zu verbreiten und seine Zukunftsfähigkeit zu untersuchen.

Ab dem 22. September 2022 wird die zweitägige Veranstaltung mit dem Titel „Konsum Neu Denken“ an der Universität für Bodenkultur in Wien neu aufgelegt. Aufbauend auf dem Online-Pre-Symposium im September 2021, stellt es die Themen Mäßigung, Suffizienz und Konsumreduktion in den Mittelpunkt der Diskussion.

Hierzu gab es letztes Jahr bereits interessante Beiträge von Expert*innen aus verschiedenen Bereichen wie dem profilierten Wachstumskritiker Prof. Dr. Niko Paech, der Expertin für nachhaltiges Design und Produktion Prof. Dr. Christina Liedtke sowie zahlreicher Vertreter*innen verschiedener NGOs und Verbände. Durch ihr vielseitiges und interdisziplinäres Format richtet sich die Veranstaltung somit an Expert*innen vieler verschiedener Disziplinen. Eingeladen zur Diskussion werden Vertreter*innen der Wissenschaft, sowie der Praxis wie etwa NGOs, als auch Bürger*innen mit Erfahrung in diesen Bereichen.

„Das Symposium möchte Stimmen aus Wissenschaft, Praxis und von Bürger:innen zusammenbringen. Bei der Vernetzung und dem Austausch von Wissen steht die Frage im Vordergrund, ob und wie Suffizienz zu einem gängigen und von der Gesellschaft getragenen Modell werden kann.“ – Sprecher des Organisationsteams

Das Symposium nimmt sich vor, Chancen und Risiken der Suffizienz zu erörtern. Sie wollen herausfinden, welche Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Gesellschaft geschaffen werden müssen. Dabei widmet sich die Konferenz auch der sozialen Nachhaltigkeit. Sie widmen sich der Frage, wie sich suffiziente Lebensstile auf die Chancen- sowie Ressourcengerechtigkeit auswirken kann. Mehr Informationen zur Veranstaltung können über die begleitende Webseite abgerufen werden.

Ästhetik und Suffizienz – Interview mit Alien Spiller

Suffizienz gilt neben Konsistenz und Effizienz als ein wichtiger Bestandteil effektiver Nachhaltigkeitsstrategien[1]. Mittlerweile hält das Konzept Einzug in verschiedene Lebens- und Alltagsbereiche. Unsere Interviewpartnerin Alien Spiller berichtet auf ihrem Blog über die Marke „Your Loving Nature“ (YLN), die Suffizienz im Bereich Kosmetik etabliert. Alien arbeitete im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Nachhaltigkeitsprojekts in ihrem Masterstudium mit YLN zusammen. Die Friseurin Marion Garz entwickelt seit 2018 Haarpflegeprodukte für YLN, die ohne aggressive Waschtenside, synthetische Weichmacher, überflüssige Verpackungen und lange Handelswege auskommen. Das Projekt steht unter dem Motto „Vom minimalistischen Design zu bewusstem Konsum“. Im Jahr 2021 wurde YLN beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis von der Jury ins Finale gewählt und konnte sich gegen eine Vielzahl anderer Unternehmen, Agenturen und Startups durchsetzen.

Im Zuge unseres Interviews sprachen wir mit Alien darüber, was das Produkt so besonders macht und warum die Verbindung von Ästhetik und Suffizienz ein für unsere Gesellschaft relevantes Zukunftskonzept ist.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Dein Blog trägt den Namen „Ästhetik und Suffizienz“. Wie bist du auf das Thema gekommen? Und wie lassen sich deiner Meinung nach Ästhetik und Suffizienz verbinden oder welcher Zusammenhang besteht bereits?

Alien Spiller (AS): Mich hat grundsätzlich der Ansatz fasziniert, dass die reduzierte Ästhetik eines Produktes Wirkungen erzeugen könnte, die sich schrittweise auf andere Lebensbereiche übertragen lassen, dem Wunsch nach einem nachhaltigeren Lebensstil sozusagen eine Form verleiht. Design und Ästhetik haben ja grundsätzlich die Aufgabe, sich auf eine wesentliche Aussage zu konzentrieren. Und da landen wir auch gleich bei der Suffizienz, die auf ein Genug oder Weniger abzielt und somit ebenso die Frage nach dem Wesentlichen stellt.

DUS: Bevor wir nun zu deinem Thema von Suffizienz und Ästhetik kommen, magst du vielleicht zu Beginn zunächst kurz erläutern, was genau unter dem Suffizienz-Gedanken deiner Ansicht nach zu verstehen ist?

AS: In der Nachhaltigkeitsdebatte leitet sich das Konzept der Suffizienz aus der Annahme der Ressourcengerechtigkeit innerhalb und zwischen den Generationen ab und dass sich das aktuelle Konsumverhalten in der westlichen Welt nicht auf die gesamte Menschheit übertragen lässt, sondern eine Genügsamkeit in den Lebensstilen erfordert. Der Suffizienzgedanke lässt sich dann in verschiedene Strategien übersetzen, die Reduktion, Entschleunigung, Entkommerzialisierung und Regionalisierung umfassen.

DUS: In deinem ersten Blogpost gehst du zum einen auf das Konzept Suffizienz und zum anderen auf deine Zusammenarbeit mit dem Berliner Unternehmen YLN ein. Warum hast du dich für diese Kooperation im Bereich der Kosmetikprodukte entschieden?

AS: Ich bin schon seit vielen Jahren Kundin von Marion Garz, der Inhaberin von YLN, und war im wahrsten Sinne des Wortes hautnah bzw. haarnah bei der Produktentwicklung dabei. Ihr konzeptioneller Ansatz, Ästhetik, Funktion und den Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit in einem Produkt aufeinander zu beziehen, hat mich überzeugt. Dem wollte ich im Rahmen meines Nachhaltigkeitsprojekts auf den Grund gehen und bot dem Unternehmen eine Zusammenarbeit an.

DUS: Inwiefern entspricht die Kosmetikmarke YLN deiner Meinung nach dem Konzept der Suffizienz?

AS: Während unserer Kooperation haben wir eine Lebenszyklusanalyse der festen YLN Shampoos im Vergleich zu konventionellen Shampoos in Plastikflaschen durchgeführt. Hier hat sich das Suffizienzkonzept vom Design bis zur Entsorgung durch den gesamten Produktlebenszyklus gezogen. Klar, die Verwendung biologischer statt konventioneller Inhaltsstoffe ist der Konsistenzstrategie zuzuordnen, also Produkte umweltfreundlicher herzustellen. Aber das minimalistische, platzsparende Design, die regionale Produktion mit kurzen Lieferwegen, die Einsparung von Wasser bei der Verwendung (z.B. durch Leave-in Conditioner) sowie der Wegfall von Verpackungsmüll sind Suffizienzstrategien und verursachen weniger Umweltwirkungen als etwa ein konventionelles Shampoo. Auch die bewusste Entscheidung des Unternehmens, das Wachstum zu begrenzen und im Kiez verankert zu bleiben, gehört in den Kontext der Suffizienz.

DUS: Insbesondere im Bereich Kosmetik ist Nachhaltigkeit inzwischen zum absoluten Trendthema geworden. In Drogerien lassen sich neben Zahnbürsten und Abschminktüchern, die nach eigener Angabe Nachhaltigkeitsversprechen erfüllen, seit einiger Zeit auch Produkte wie festes Shampoo und Duschgel von nahezu allen Kosmetikmarken finden. Inwiefern unterscheiden sich die Produkte von YLN von nachhaltigen Haarpflegeprodukten anderer Marken?

AS: Der große Unterschied ist, dass die Marke YLN aus dem Friseursalon heraus entwickelt wurde, basierend auf den Bedürfnissen und Wünschen von Kund*innen. Ich erinnere mich, dass ich vor einigen Jahren mit meiner eigenen Shampooflasche zum Haareschneiden gekommen bin, weil ich die konventionellen Produkte aus dem Salon nicht mehr verwenden wollte. Marion Garz ist dann noch einen Schritt weiter gegangen, einerseits biologische Inhaltsstoffe zu verarbeiten und gleichzeitig auf die Plastikverpackung zu verzichten. Irgendwann stellte sie mir dann ihre ersten festen Shampoos vor. So haben sich die Produkte im direkten Kund*innenkontakt immer weiter entwickelt und 2018 unter dem Label YLN in neuem Produktdesign und mit hochwertigen konzentrierten Inhaltsstoffen einen Relaunch erfahren. YLN ist da dem Boom der festen Kosmetikprodukte immer noch zeitlich voraus gewesen und hat eine echte Produktinnovation geschaffen.

DUS: Inwiefern ist der Ansatz von vielen unterschiedliche Pflegeprodukte (von Spülung, über Öl, bis zur Kur) deiner Meinung nach überhaupt mit dem Suffizienzgedanken und einer suffizienten Lebensweise vereinbar?

AS: Nein, so viele Produkte zu verwenden, hat meiner Meinung nach wenig mit Suffizienz zu tun. In der Kosmetikbranche wurden sicher auch Bedarfe geschaffen, dass für schönes Haar dieses und jenes Produkt benötigt wird. Ich selbst habe über die Jahre gemerkt, dass ich bestimmte Produkte gar nicht oder sehr selten benutze (wie Spülung oder Kur) und dann irgendwann wegschmeiße. Deshalb frage ich mich jetzt vor dem Kauf immer, brauche ich das wirklich?

DUS: In welchen anderen Bereichen des alltäglichen Konsums oder des generellen Konsums denkst du, kann man Suffizienz noch ausweiten und auf Resonanz/ positive Reaktionen in der Gesellschaft treffen? Wie kann man deiner Meinung nach mehr Menschen mit solchen nachhaltigen Produktideen erreichen und überzeugen?

AS: Ich denke, dass sich Suffizienz auf alle Lebensbereiche ausdehnen lässt oder sogar einen Lebensstil prägen kann. Der Gedanke ist meiner Ansicht nach leider nicht so populär, weil er oft mit Verzicht in Verbindung gebracht wird. Wenn man jedoch eine andere Rahmung nutzt, könnte man sich von einem möglichen Verzicht weg und auf die Frage zubewegen, was ein gutes Leben wirklich ausmacht und beim Konsum entsprechend bewusster vorgehen. Wie eingangs bereits angedeutet, lassen Produktideen wie die von YLN eine mögliche Zukunftsvision eines solchen ressourcenschonenden Lebens Realität werden. Sie stärken so die Selbstwirksamkeit der Menschen, ein nachhaltigeres Leben auf unserem Planeten Erde mitzugestalten. Man erreicht die Menschen wahrscheinlich am aller ehesten, wenn sie Teil dieser Geschichte sind und diese mit erzählen können.

[1] Zell-Ziegler, Corinna/Förster, Hannah: Mit Suffizienz mehr Klimaschutz modellieren. Relevanz von Suffizienz in der Modellierung. Übersicht über die aktuelle Modellierungspraxis und Ableitung methodischer Empfehlungen, im Auftrag des Umweltbundesamtes, Berlin 2018, S. 13-14, URL: Mit Suffizienz mehr Klimaschutz modellieren – Relevanz von Suffizienz in der Modellierung, Übersicht über die aktuelle Modellierungspraxis und Ableitung methodischer Empfehlungen – Zwischenbericht (researchgate.net), letzter Zugriff am 28.03.2022.

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN

© Hoffotografen

Alien Spiller ist im Politikumfeld tätig und befindet sich gerade in beruflicher Umorientierung. An der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde studiert sie berufsbegleitend strategisches Nachhaltigkeitsmanagement.  Aktuell schreibt Alien an ihrer Masterarbeit, die sich auch um das Thema Suffizienz  und Ästhetik dreht.