Ressourcenschonende Geschäftsmodelle

Befreiung vom Überfluss“ ist der Titel eines bekannten Buchs des Wissenschaftlers Niko Paech, das unlängst in einer überarbeiteten Fassung erschienen ist.  Darin skizziert der Autor Konturen einer Postwachstumsökonomie. Dazu zeigt er schonungslos auf, welche Konsequenzen unser ressourcenintensiver Konsumhunger für die Lebensgrundlagen des Menschen haben und begründet die Notwendigkeit einer grundlegenden Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Suffizienz spielt dabei eine wesentliche Rolle. Während jedoch Effizienz und Konsistenz häufig systemisch gedacht werden, bspw. wenn es um die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft oder die Transformation des Energiesystems geht, dominierte bei Suffizienz lange Zeit eine individuelle Perspektive. Ratgeber gaben Hinweise für die Veränderung des eigenen Lebensstils und lieferten Anregungen, wie der persönliche Alltag ressourcenschonender gestaltet werden kann, bspw. indem auf Flugreisen verzichtet wird, der Fleischkonsum reduziert wird, eine Substitution des Autos durch das Fahrrad bzw. den ÖPNV erfolgt oder die Raumtemperatur im Winter abgesenkt wird.

Verhaltensänderungen erleichtern
Seltener standen bisher in der öffentlichen Wahrnehmung Push- und Pull-Faktoren im Fokus, die suffizientes Verhalten erleichtern und Anreize bieten bzw. nicht-suffizientes Verhalten sanktionieren können. Dabei betonen Vorhaben wie das Projekt „Gute Beispiele für eine gelingende Transformation“ des Wuppertal Instituts oder das Vorhaben „FULFILL“ des Fraunhofer ISI, dass entsprechende Anreize mittels einer gezielten Suffizienzpolitik die Veränderungsbereitschaft von Menschen begünstigen können.

Rolle von Unternehmen
Es liegt auf der Hand, dass bei diesem Thema Unternehmen unweigerlich eine Schlüsselrolle spielen. Dies verdeutlicht die Lektüre der eingangs genannten Publikation „Befreiung vom Überfluss, in der eine Postwachstumsalternative in Abgrenzung zum vorherrschenden Green Growth Paradigma entwickelt wird, eindrücklich. Damit Unternehmen diesem Anspruch jedoch gerecht werden können und ihren Beitrag zum Gemeinwohl und zur nachhaltigen Transformation leisten können, wird es merklicher Veränderungen in den Wertschöpfungsprozessen bedürfen, die eine Abkehr von der vorherrschenden Shareholderorientierung implizieren. Das Konzept der Gemeinwohlökonomie bietet hierfür wertvolle Ansatzpunkte, indem es Werte wie Menschenwürde, ökologische Verantwortung, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und Transparenz betont.

Konsument*innen unterstützen
Fokussiert man sich an dieser Stelle auf die Ausgestaltung von Produkten und Dienstleistungen, verdeutlichen eine Reihe von EU-Maßnahmen wie das Recht auf Reparatur und die Ökodesign-Richtlinie in welche Richtung die Reise für Unternehmen zukünftig gehen sollte. Es geht darum, den maßvollen Konsum der Bürger*innen mittels geeigneter Produkte und Dienstleistungen aktiv zu unterstützen.  

Anstelle auf kurzlebig gestaltete Wegwerfgüter, geplante Obsoleszenz oder unter prekären Arbeitsbedingungen hergestellte Fast Fashion Produkte zu setzen, sollten Merkmale wie Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Nachrüstbarkeit und Reparierbarkeit von Produkten und zugehörige Serviceleistungen in den Fokus rücken. Der ab 2027 in der EU verbindliche digitale Produktpass ist daher ein wichtiger Schritt, um Konsument*innen einen umfassenden Einblick in den Produktlebenszyklus von Produkten zu geben insb. auch hinsichtlich der Reparierbarkeit und verfügbarer Ersatzeile. 

Erste Schritte von Unternehmen 
Stellenweise finden sich in der Praxis bereits gute Beispiele, die als Anregung dienen können. Einige Hersteller robuster Outdoor-Ausrüstung bieten bspw. lebenslange Garantien und kostenlose Reparaturservices an. Auch kleinere Textilhersteller haben die Möglichkeit geschaffen, verkaufe Produkte „aufhübschen“ zu lassen.  

Eine Reihe von Unternehmen haben insb. im Mobilitätsbereich Geschäftsmodelle aufgebaut, die dem Ansatz der Sharing-Economy folgen. Im Segment elektronischer Konsumgüter finden sich diesbezüglich vermehrt Verleihsysteme bspw. für Werkzeuge und Maschinen. Gleiches gilt für die Möglichkeit spezielles Equipment für besondere und seltene Anlässe wie bspw. Lichttechnik oder Mobiliar auszuleihen.

Zunehmend gewinnen auch zirkuläre Modelle wie Produktrotation oder Umtauschsysteme an Bedeutung. Gerade im Bereich von Kindermode oder Babybedarf bieten vermehrt Anbieter die Möglichkeit, Produkte nach einer bestimmten Nutzungszeit zurückzugeben oder gegen andere auszutauschen. So bleiben Materialien im Kreislauf, und der Bedarf an Neuware sinkt. In dieser Hinsicht sind auch modular gestaltete Produkte positiv zu sehen. Jedenfalls, wenn sie mit dem Gedanken konzipiert werden, eine langfristige Nutzungsdauer zu erreichen, indem das Produkt an sich wechselnde Lebensumstände angepasst werden kann und nicht modische Aspekte im Vordergrund stehen.

Kräfte bündeln – suffizienzkompatible Anreize setzen
Wenn Suffizienzstrategien einen größeren Stellenwert bei der nachhaltigen Transformation unserer Gesellschaft spielen sollen, braucht es dafür stärker als bislang ein akteursübergreifendes Bekenntnis und sich ergänzende Maßnahmen. Bürger*innen können in ihrer Rolle als Konsumenten zwar gezielte Kauf- und Verzichtsentscheidungen treffen, jedoch nur, wenn das Angebot und die Rahmenbedingungen vorhanden sind. Hier sind Unternehmen und Politik gefragt, suffizientes Verhalten mittels entsprechender Serviceangebote bzw. politischer Weichenstellungen erleichtern. Wie Letzteres in der Praxis aussehen kann, zeigt das Bundesland Thüringen. Hier wird seit 2021 jährlich ein Reparaturbonus für Elektrogeräte in Höhe von 50 Prozent gewährt. Die Förderung ist auf 100 Euro pro Thüringer*in gedeckelt. Seit Einführung der Förderung wurden bereits über 30.000 Anträge bewilligt. Eine Untersuchung des Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) zeigt dabei auf der einen Seite positive Effekte für die regionale Wertschöpfung, da Reparaturen häufig von Fachhändlern und Werkstätten durchgeführt werden. Auf der anderen Seite stehen ökologische Gewinne Dank des Reparaturbonus in Form von rund 3.000 Tonnen eingesparten CO2 Emissionen und circa 400 Tonnen Elektroschrott.

Trotz der positiven Erfahrungen in Thüringen sind vergleichbare Angebote bislang nur in Sachsen und Berlin zu finden und nicht bundesweit. Es ist dringend an der Zeit, dies zu ändern.

Rezension: „Befreiung vom Überfluss – das Update“

Nachdem Niko Paech bereits 2012 das Buch „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“ veröffentlichte, hat er nun 13 Jahre später eine aktualisierte Fassung seines Werkes erstellt, die aktueller kaum sein könnte. In dieser setzt sich der bekannte Wachstumskritiker – um es mit den Worten Winfried Kretschmers auf dem Buchdeckel zu sagen „pointiert, scharfzüngig, aber immer präzise argumentierend“ mit dem weiterhin vorherrschenden ressourcenintensiven Wachstumsdogma auseinander.  

Dabei vermag er eine zunehmende Parallelität zweier Entwicklungen zu erkennen: Einerseits schreiten die multiplen Krisen unweigerlich voran und die Ökosphäre stehe mehr denn je unter Druck. Zugleich erfahre das Konzept der Postwachstumsökonomie vermehrt Aufmerksamkeit – nicht nur akademisch bzw. theoretisch, sondern auch ganz konkret in Form sich Gehör verschaffender Protestbewegungen wie Fridays for Future, Ende Gelände oder Extinction Rebellion.  

„Kein weiter so“ 
Vor diesem Hintergrund benennt der Autor direkt das Ziel der überarbeiteten Fassung des Buchs: Es habe den bescheidenen Zweck, den Abschied von einem Wohlstandsmodell zu erleichtern, das aufgrund seiner chronischen Wachstumsabhängigkeit unrettbar geworden ist (S. 17). 

Um dies zu zeigen, stellt er sodann drei Thesen auf, denen er sich im Folgenden widmet: Erstens, der nur durch permanentes Wachstum aufrecht zu erhaltende Wohlstand gehe nicht zufällig mit einer umfassenden ökologischen Plünderung einher. In den ersten drei Kapiteln führt er dazu aus, dass die Menschen vielmehr einer umfangreichen Selbsttäuschung unterlägen, die dazu führe, dass sie in dreifacher Weise über ihre Verhältnisse lebten. Sie eignen sich „Dinge an, die in keiner äquivalenten Beziehung zu ihrer eigenen Leistungsfähigkeit stehen. Sie entgrenzen ihren Bedarf erstens von den gegenwärtigen Möglichkeiten, zweitens von den eigenen körperlichen Fähigkeiten und drittens von den lokal oder regional vorhandenen Ressourcen (S. 19).”  

Unzähmbarer Hunger 
Dazu zeigt er anschaulich, wie moderne Konsumgesellschaften systematisch über ihre Verhältnisse leben, absurde Konsumbedürfnisse entwickeln und dabei die ökologischen Grundlagen der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen untergraben. Er setzt sich intensiv mit der ausgeprägten gesellschaftlichen und politischen Bereitschaft auseinander, gegenwärtige Ansprüche mittels Verschuldung zu befriedigen und begründet diese. Die Verschuldung verstärke jedoch den Wachstumszwang, da nur so die Schulden zukünftig getilgt werden können. Dabei verdeutlicht der Autor, dass zweifelhafte politische Motivationen und Weichenstellungen mit der Folge ökologisch katastrophaler Steuer- und Subventionsanreize wesentliche Treiber dieser Entwicklungen sind.   

Im Folgenden setzt er sich vor dem Hintergrund des schlechten Zustands der Ökosphäre kritisch mit zentralen Elementen orthodoxer Wirtschaftstheorie auseinander – seien es postulierte Mehrwerte infolge technischer Innovationen, der Digitalisierung oder schlicht der globalen Arbeitsteilung. Dabei arbeitet er auch heraus, dass ein falsch verstandenes Fortschrittsverständnis das Aufkommen einer „Bequemokratie” (S. 40) begünstigt, in dessen Folge es zu erheblichen Kompetenzverlusten der Menschen kommt (Verlust handwerklichen Geschicks, zunehmender Bewegungsmangel etc.). Verstärkt werde dies noch durch die immer größere Bedeutung sogenannter „Energiesklaven“ (S. 40). Gemeint sind damit Maschinen und elektronische Geräte wie Smartphones oder Laubsauger, die Menschen körperliche Arbeit abnehmen, aber zugleich dazu beitragen, manuelle Fähigkeiten verkümmern zu lassen sowie einen enormen Energieverbrauch nach sich ziehen. Dabei betont der Autor, dass der immense Energie- und Ressourcenhunger längst nicht nur auf die Oberschicht begrenzt bleibt, sondern breite Teile des Mittelstandes betrifft, wie die anhaltend ausgeprägte Flugbereitschaft und das Streben nach immer weiterer vermeintlicher Wohlstandsmehrung eindrücklich zeigen. Die gewachsenen Konsummöglichkeiten entstammen dabei aus Sicht von Paech nicht einer größeren Schaffenskraft der Menschen, sondern basieren auf einer leistungslosen Aneignung. Im Ergebnis fordert er daher in Tradition von Leopold Kohr und Ernst Friedrich Schumacher eine Rückkehr auf das menschliche Maß, also eine Einhegung körperlicher, räumlicher und zeitlicher Entgrenzung (S. 52). Er entwickelt sodann Ansätze, wie eine derartige stärker auf Selbstversorgung ausgerichtete Gesellschaft aussehen könnte und grenzt sie zum vorherrschenden System der Fremdversorgung ab.   

Das Märchen vom grünen Wachstum
Das vierte Kapitel ist der Erörterung seiner zweiten These gewidmet. Er setzt sich dazu kritisch mit den Annahmen des green growth auseinander und zeigt, dass technische Innovationen nicht dazu im Stande sind, Wachstum und Umweltschäden dauerhaft voneinander zu entkoppeln. Aus einer längeren Darstellung des Rebound-Effektes leitet er schließlich ab, dass es nicht um die Gestaltung nachhaltiger Produkte oder Technologien gehe. Nachhaltigkeit könne sich lediglich in Form veränderter Lebensstile ausdrücken. Zugleich sollten die Auswirkungen des subjektiven Handelns nur in ihrer Summe in Form persönlicher Ökobilanzen beleuchtet werden. Hier offenbart sich jedoch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit: So betrage die aktuelle durchschnittliche CO₂-Bilanz eines Bundesbürgers schätzungsweise rund 11 Tonnen pro Jahr und überschreitet mithin den mit dem globalen Klimaschutz vereinbaren Wert um ein Vielfaches. Um die Gesamtheit der ökologischen Auswirkungen systematisch zu erfassen, plädiert Paech daher für die Verwendung eines ökobilanziellen Ansatzes, trotz bestehender methodischer Herausforderungen und Schwächen (S. 88).  

Die Alternative 
Im Anschluss an eine Betrachtung der vorherrschenden strukturellen und kulturellen Wachstumszwänge, -imperative und -treiber (Kapitel 5) widmet sich der Autor schließlich im sechsten Kapitel seiner dritten These. Diese sieht eine radikale Abkehr vom bisherigen ökonomischen Handeln vor. Eine Postwachstumsökonomie würde zwar eine drastische Reduktion der industriellen Produktion und des Technologieeinsatzes bedeuten, hätte jedoch zwei Vorzüge: Sie würde im Sinne der Resilienz die ökonomische Stabilität der Versorgung stärken und zugleich eine höhere Lebensqualität eröffnen (vgl. S. 20). 

Eine wichtige Rolle spielen dabei die Prinzipien der Subsistenz, Suffizienz und Reduktion. Die Postwachstumsökonomie zeichne sich durch regionale, arbeitsintensive und kapitalarme Produktionsweisen aus, die lokale Wertschöpfung ermöglichen und zugleich die Abhängigkeit von globalisierten Lieferketten verringern. Ziel müsse es sein, eine neue Form der Lebensqualität zu implementieren, die auf Zeit, Gemeinschaft und Selbstbestimmung basiere anstatt auf Konsum und Status. Dies solle u. a. durch die Verkürzung der Arbeitszeit auf 20 Stunden pro Woche, der Wiederaneignung von Reparatur- und Selbstversorgungskompetenzen, der vermehrt gemeinschaftlichen Nutzung von Gütern, der Entwicklung langlebiger Produkte sowie der Einführung regionaler Komplementärwährungen möglich werden. Auch in einem postwachstumsökonomischen Gesellschaftszustand würde es laut des Autors zwar Unternehmen geben, jedoch in deutlich veränderter Form. 

Fazit 
Trotz der umfassend vorgeschlagenen Alternative bleibt das Problem der realen Umsetzbarkeit bestehen. Paech selbst weiß um diese Problematik und betont, dass viele seiner Positionen aktuell in der Gesellschaft nicht mehrheitsfähig sind. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden ökologischen Herausforderungen – seien es Artensterben oder der fortschreitende Klimawandel – ist vermutlich gerade deswegen seine radikale Sicht lesenswerter denn je. Denn es braucht rasch in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft grundlegende Veränderungen, wenn wir eine Überlastung der Erdsystemprozesse mit fatalen Folgen für die Menschheit verhindern wollen. Die Lektüre von „Befreiung vom Überfluss” öffnet nicht nur die Augen, sondern zeigt zugleich einen alternativen Pfad auf, dessen Beschreitung jedoch viel Mut und Veränderungsbereitschaft verlangt – von jedem Einzelnen. 

Buchinformationen

Autor: Niko Paech 
Titel: Befreiung vom Überfluss – das Update. Eine Postwachstumsökonomie für das 21. Jahrhundert. 
Verlag: oekom 
ISBN: 978-3-98726-139-8 
Hardcover, 144 Seiten  
Erscheinungstermin: 03.04.2025 

Suffizienz im Quartier – Anregungen für kommunale Akteure

Brände in Kalifornien, Überschwemmungen in Saudi-Arabien, im vergangenen Sommer Starkregen in Deutschland – die Klimakrise ist in den Nachrichten und unserer Umgebung allgegenwärtig. Viele Menschen verspüren den Wunsch, ein suffizienteres Leben zu führen, das sich innerhalb der planetaren Grenzen bewegt und unsere Erde schützt. 

Doch die Vorstellung, den gesamten Alltag und das eigene Konsumverhalten radikal auf den Kopf zu stellen, hält viele davon ab, es zu versuchen. Die Aussicht, sich spontan drastisch verändern zu müssen, wirkt überfordernd und abschreckend. Dabei können bereits kleine Veränderungen und Aktionen im eigenen Kiez einen Beitrag zur ökologischen Transformation unserer Städte leisten. Die steigende Umweltqualität trägt wiederum zu einer höheren Lebensqualität im Quartier bei und gemeinsame ehrenamtliche Anstrengungen fördern zugleich das soziale Miteinander sowie den lokalen Zusammenhalt.

Kommunen als Ermöglicher
Nicht immer kann dies jedoch vollständig selbstorganisiert gelingen. Sicherlich man kann sich in der Nachbarschaft, mit Freund*innen und Bekannten über eine zukunftsgerechte Reiseplanung austauschen oder Gartengeräte gemeinsam nutzen. Doch sobald es noch handfester werden soll, braucht es schnell dauerhafte Räumlichkeiten oder Flächen und eine grundlegende Ressourcenausstattung, um Mikroprojekte wie bspw. einen Gemeinschaftsgarten im Quartier dauerhaft umzusetzen. Hier können kommunale Akteure wie Fachämter, aber auch Wohnungsbaugesellschaften und lokale Organisationen eine wichtige Rolle einnehmen und gleichzeitig selbst von den Ergebnissen profitieren.

Anregungen und konkrete Projektvorschläge, wie diese „Rolle eines Ermöglichers“ aussehen kann und welche kommunalen Akteur*innen dafür infrage kommen, bietet die kürzlich erschienene Handreichung SUPRA-STADT-Toolbox. Sie wurde im Rahmen des gleichnamigen Projektes vom Institut für Energie und Umweltforschung Heidelberg (IFEU) entwickelt.

Sie stellt fünf Projektideen detailliert vor, mit denen ein Beitrag zu einer partizipativen sozial-ökologischen Transformation im Quartier geleistet werden kann. Dabei wird anschaulich erklärt, welche Akteur*innen als Initiator*innen und Träger*innen des Projektes infrage kommen, wer die Zielgruppen und Profiteur*innen des Vorhabens sein können, wie die Vorhaben exemplarisch umgesetzt werden können und mit welchem Ressourcenaufwand zu rechnen ist.

Suffizienz im Quartier stärken 
Exemplarisch sollen nachfolgend drei Beispiele aus der Handreichung zur Verdeutlichung vorgestellt werden:

Gemeinsam Gärtnern im Quartier ist ein längerfristig angelegtes Projekt. Im Rahmen von Workshops und Mitmachaktionen rund um den naturnahen Anbau erlernen die Teilnehmenden grundlegende gärtnerische Kompetenzen und betätigen sich gemeinsam beim Bestellen von Beeten, Unkraut jäten und natürlich der Ernte. Ziel ist es einerseits, unmittelbaren Zugang zu frischen und gesunden Lebensmitteln wie Obst und Gemüse zu ermöglichen. Andererseits werden tragfähige Strukturen durch die weitgehend selbstorganisierte Bewirtschaftung der genutzten Flächen geschaffen, der soziale Zusammenhalt,  die nachbarschaftliche Vernetzung und das Gefühl der Selbstwirksamkeit bei den Beteiligten gestärkt. Das Projekt kann von Wohnungsgesellschaften, kommunalen Akteur*innen und Ämtern aber auch Stadtentwicklungsbüros ins Leben gerufen und betreut werden.

Fahrrad fahren ist gesund und gut bekanntlich gut für die Umwelt. Doch was tun, wenn der alte Drahtesel defekt ist? Die Idee der Rad-Checks setzt hier an. Sie fördern nachhaltige Mobilität, indem im Quartier kostenlose, regelmäßige Reparaturangebote für Fahrräder gemacht werden. Die Teilnehmenden lernen unter Anleitung von Freiwilligen, selbstständig kleinere Reparaturen durchzuführen, wodurch sie nicht nur Geld sparen, sondern auch neue Fähigkeiten erwerben. Neben dem Spaß am Selbermachen steht auch bei diesen Aktivitäten der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund – denn das informelle Lernen stärkt zugleich den Zugehörigkeitssinn im Quartier. 

Das Format der Klimanachbarschaft umfasst eine mehrteilige Veranstaltungsreihe, die Themen wie nachhaltige Ernährung, Mobilität, Energie und Konsum aufgreift. Ziel ist es, den Teilnehmenden zu zeigen, wie sie ressourcenschonendes Verhalten in ihren Alltag integrieren können. Beispiele aus der Praxis reichen von Repair-Cafés über Workshops zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung bis hin zu Mitmachaktionen wie der „Naturwerkstatt“, in der Kinder spielerisch nachhaltige Praktiken entdecken. Ein zentrales Element der Klimanachbarschaft sind regelmäßige offene Treffen, wie etwa ein Klimacafé, das Raum für Austausch und Reflexion bietet. Hier können Nachbar*innen auch praktische Tools wie CO₂-Fußabdruckrechner nutzen, um ihren eigenen Beitrag zum Klimaschutz zu ermitteln. Die Veranstaltungen können beispielsweise von Vereinen oder Akteur*innen des Bildungsbereichs durchgeführt und individuell auf die Bedarfe im jeweiligen Kiez angepasst werden.

Gemeinsam mehr bewegen
Die in der Publikation SUPRA-STADT-Toolbox vorgestellten Projektideen sind ein schöner Beleg für die Möglichkeiten, die Kommunen mit relativ wenig Ressourcenaufwand haben, um Menschen im Quartier bei der Erprobung suffizienter Verhaltensveränderungen zu unterstützen. Sie zeigen zudem, dass derartige Vorgaben eine doppelte Rendite erwirtschaften: Sie stärken den sozialen Zusammenhalt und leisten einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Ein Gewinn für die Kommunen und ihre Bewohner*innen.

Gutes Leben, fair verteilt: Warum Suffizienz uns weiterbringt

Der Januar 2025 war der wärmste jemals global gemessene. Die ermittelte Durchschnittstemperatur lag 1,75 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Dass es sich hierbei nicht um einen Ausreißer handelt, zeigt ein kürzlich erschienener Bericht des Expertenrats für Klimafragen. Er macht deutlich, dass die bisherigen deutschen Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die Klimaziele zu erreichen. Dies führt eindrücklich vor Augen, dass es neuer Ansätze und Strategien bedarf. Doch wie könnten diese aussehen?

Einen möglichen Lösungspfad skizziert die Arbeit des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), einem unabhängigen Gremium, das die Bundesregierung in umweltpolitischen Fragen berät. Dieser veröffentlichte im März 2024 dazu ein Thesenpapier mit dem Titel „Suffizienz als „Strategie des Genug“: Eine Einladung zur Diskussion“

Basierend auf der oben genannten Veröffentlichung hielten Mitarbeiter*innen bzw. Mitglieder des SRU unlängst zwei Vorträge. Am 27. Januar sprach Prof. Dr. Wolfgang Lucht im Münchner Forum für Nachhaltigkeit über „Suffizienz und ökologische Demokratie: Innerhalb der planetaren Grenzen leben“. Nur wenige Tage später, am 30. Januar, veranstalteten Dr. Julia Michaelis und Bendix Vogel im Rahmen der Initiative Klimagerecht Leben ein Suffizienz-Webinar – ein erster Auftakt für die vom SRU angestrebte breite Debatte.

Im Folgenden sind die wichtigsten Erkenntnisse aus beiden Vorträgen zusammengefasst.

Warum brauchen wir Suffizienz?

Nach Ansicht der Referent*innen leben heutige Industrie- und Konsumgesellschaften weit über ihre ökologischen Verhältnisse hinaus, was bereits deutliche Auswirkungen habe. So gelten aktuell sechs der neun planetaren Grenzen als überschritten, wodurch auch das Risiko einer Destabilisierung des Klimas und der Ökosysteme weiter ansteige. Der bislang vorherrschende Fokus auf Effizienzsteigerungen zu Lasten von Konsistenz- und Suffizienzbemühungen werde laut SRU allein nicht ausreichen, um effektiv gegenzusteuern. Zudem zeige die Praxis, dass Effizienzstrategien anfällig für Reboundeffekte seien: So komme es durch Effizienzsteigerungen zwar zu Einsparungen von Energie oder Ressourcen, allerdings bewirkten dadurch entstehende Vorteile wie Kosteneinsparungen, dass Endverbraucher*innen dazu neigen, mehr zu verbrauchen. 

Der SRU sieht Suffizienzbemühungen daher als zentralen Bestandteil eines gesellschaftlichen Wandels, der nötig sei, um innerhalb der planetaren Grenzen zu bleiben. Deutschland trage als hoch entwickeltes Industrieland eine besondere Verantwortung für die ökologischen Missstände. Das faire CO₂-Budget zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad, sei bereits überschritten. Zwar sinken die Emissionen langsam, doch das erforderliche Reduktionsniveau sei noch längst nicht erreicht.

Auf sozialer Ebene führe dieses Verhalten und die aktuellen Strukturen nach Einschätzung des SRU zu einem moralischen Dilemma: Für den hohen Emissionsausstoß seien vor allem wohlhabende Bevölkerungsschichten im globalen Norden verantwortlich, am meisten würden allerdings vulnerable Bevölkerungsgruppen im globalen Süden unter den Umweltkrisen leiden. So emittiere Afrika beispielsweise nur 4 Prozent aller globalen CO2-Emissionen, sei allerdings besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen. Diese Ungleichheit zwischen Verursachern und Betroffenen widerspricht laut Prof. Dr. Lucht den europäischen Werten von Gleichheit und Solidarität. Letztlich sei Suffizienz eine Frage der Menschenrechte: Der moralische Mindestanspruch müsse es sein, nicht auf Kosten anderer zu leben. „Und zwar geht es eigentlich um ein Leben in Würde für alle, letztlich nicht nur für andere, sondern auch für uns“, fasst es der Experte zusammen.

Wege zur Veränderung

Die Referent*innen betonten: Um den ökologischen und sozialen Herausforderungen zu begegnen, sei eine grundlegende Transformation gesellschaftlicher Handlungsmuster notwendig. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssten gemeinsam Lösungen entwickeln, um eine lebenswerte und gerechte Zukunft zu sichern. Prof. Dr. Lucht betonte die Notwendigkeit der Entwicklung konkreter politischer Maßnahmen auf systemischer Ebene, die suffiziente Verhaltensweisen ermöglichen und attraktiv machen. Gleichzeitig könnten umweltschädigende Aktivitäten stärker besteuert werden, schlug Dr. Michaelis vor. 

Doch eine solche Veränderung dürfe nicht auf Kosten individueller Freiheiten gehen – vielmehr müsse sie darauf abzielen, Rechte und Ansprüche in ein faires Gleichgewicht zu bringen. Genau hier setze Suffizienz an: Ihr Ziel sei es, zu verhindern, dass der ressourcenintensive Lebensstil einiger auf Kosten anderer gehe und Menschen dadurch in ihren Rechten und Freiheiten eingeschränkt würden. Der Gesetzgeber trüge die Verantwortung, diesen Ausgleich zu gewährleisten – nicht nur zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, sondern auch mit Blick auf zukünftige Generationen. Maßnahmen zur Suffizienz, insbesondere Beschränkungen oder Verbote, müssten jedoch gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Dr. Lucht sieht diese große Transformation als Aufgabe der Demokratie: „[Sie] muss beweisen, dass sie das kann, sonst hat Demokratie versagt an einer historischen Menschheitsaufgabe; den Planeten zu stabilisieren [und] die Umwelt für nachfolgende Generationen […] zu bewahren.”

Wirtschaftliche Herausforderungen

Nach Auffassung des SRU basiere das aktuelle Wirtschaftssystem auf stetigem Wachstum – mit immer weiter steigendem Ressourcenverbrauch von beispielsweise Wasser und Düngemitteln. Stoffströme seien häufig linear und nicht zirkulär, und würden so Ressourcen und Energie verschwenden. „Unendliches Wachstum ist in einer endlichen Welt unmöglich“, wurde als eine der Kernaussagen deutlich. Dies erfordere ein Umdenken bestehender Strukturen. Da individuell nachhaltige Konsumentscheidungen durch komplexe Strukturen in Herstellungsprozessen oder Lieferketten erschwert würden, müsse hier eine klare staatliche Regulierung erfolgen. 

Prof. Dr. Lucht und Dr. Michaelis plädieren aufgrund dessen für ein neues Wohlfahrtsverständnis, das über rein materiellen Konsum und das Bruttoinlandsprodukt hinausgeht. Aspekte wie Umweltqualität, soziale Gerechtigkeit und Bildungschancen seien mögliche Indikatoren, um das Wohlergehen der Bürger*innen zu veranschaulichen. Auch kulturelle Leitbilder und gesellschaftliche Normen können suffiziente Verhaltensweisen fördern – etwa durch Lifestyle-Bewegungen wie Radfahren oder eine pflanzenbasierte Ernährung. Eine weitere Option für suffizientes Handeln im Privatbereich liege in der Flächennutzung. Häuser auf Brachflächen zu bauen, statt auf grünen Wiesen oder je nach Bedarf in eine kleinere Wohnung zu ziehen, nannten Dr. Michaelis und Herr Vogel als nachhaltige Praktiken.

Fazit
Die SRU-Vorträge zeigten: Suffizienz als „Strategie des Genug“ kann ein entscheidender Ansatz sein, um ökologische und soziale Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Um effektiv zu wirken, brauche es jedoch aus Sicht der Referent*innen ein besseres Zusammenspiel von Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft als bislang. Ein offener und kontinuierlicher Dialog über Suffizienz sei zudem entscheidend, um bestehende Konzepte weiterzuentwickeln und gesellschaftliche Akzeptanz für das Thema aufzubauen. 

Insgesamt wurde übergreifend deutlich: Suffizienzstrategien bieten großes Potenzial für eine gesellschaftliche Transformation hin zu einer ressourcenschonenden, umweltschützenden und zugleich gerechteren Zukunft. Dazu muss das Thema jedoch vermehrt auf struktureller und systemischer Ebene in den Fokus genommen werden und nicht bloß auf der Ebene des Individuums. Der Einsatz kann sich lohnen: Es winkt ein Leben in Würde für alle Menschen innerhalb der planetaren Grenzen. 

Rezension: „Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“

Wie können wir die Klimakrise auf demokratischem Wege lösen, und welche Verantwortung fällt dabei auf Deutschland? Was verbindet die Klimakrise mit sozialer Gerechtigkeit? Was sind realistische Maßnahmen in Klima- und Sozialpolitik und welche Auswirkungen könnten diese global haben? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das 2024 vom Club of Rome und dem Wuppertal Institut veröffentlichte Buch „Earth for All – Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“. 

Hintergrund

Earth 4 All ist eine internationale Initiative, beauftragt durch den Club of Rome, mit dem Anspruch, ganzheitliche Lösungsansätze zu fördern, welche die Klimakrise, Ressourcenknappheit, soziale Ungleichheiten und vor allem die Verknüpfungen zwischen diesen Herausforderungen betrachten. Mithilfe von Computermodellen werden potenzielle Zukunftsszenarien errechnet. Die 2022 in dem Buch „Earth for All – A Survival Guide for Humanity“ veröffentlichten Ergebnisse stellten zwei mögliche Handlungsvorgehen und deren globale Auswirkungen vor. Der „Giant Leap (GL)“ und „Too Little Too Late (TLTL)“ sind zwei konträre Zukunftsszenarien. Eine radikale Kehrtwende in kurzer Zeit (GL), die zu einem Abschwächen der Klimakrise und Steigern des Wohlergehens führt, oder ein Weiterführen des bisherigen Kurses (TLTL), wodurch Fortschritte zu langsam erzielt werden, um zu einer globalen Transformation zu führen.

Szenarien für Deutschland

Der Bericht „Earth for All – Deutschland“ wendet diese Modellierungen nun auf Deutschland an und will praktische Lösungen spezifisch für den deutschen Kontext liefern. Für ein Gelingen des Giant Leap hin zur „Wohlergehensgesellschaft für alle“ benennt das Buch zunächst grundsätzlich fünf ausschlaggebende und sich beeinflussende Ansatzpunkte: Überwindung der Armut, Abbau von Ungleichheit, Empowerment von Frauen, Gewährleistung von Ernährungs- und Energiesicherheit. Diese werden anschließend nacheinander erörtert und anhand der deutschen Gegebenheiten in den nationalen Kontext überführt. Es wird umfassend erläutert, wieso im deutschen Fall die Überwindung der wachsenden sozialen Ungleichheit [inkl. wachsender (Energie-)Armut] von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Politik gegen den Klimawandel ist und welche Bedeutung einem fehlinterpretierten Freiheitsverständnis an dieser Stelle zukommt, das lediglich egoistische Verhaltensmuster begünstigt. 

Wiederkehrende und zentrale Themen sind sodann die globale Verantwortung Deutschlands und seine potentielle Vorbildrolle in der Welt, die Notwendigkeit eines systemischen Wandels anstatt unkoordinierter Einzelmaßnahmen, die Gefahr einer Erosion der politischen Stabilität, die Berücksichtigung von sozialer Gerechtigkeit und Ressourcenverteilung bei klimapolitischen Maßnahmen sowie Möglichkeiten und Grenzen einer nachhaltigen Wirtschaft. Anhand typischer Momente im alltäglichen Leben von fünf Menschen im Jahr 2045 beschreibt das Buch außerdem in kurzen fiktiven Storys an mehreren Stellen die Auswirkungen der Szenarien TLTL und GL. Dies trägt dazu bei, die möglichen Auswirkungen auf der Mikroebene zu versinnbildlichen und fördert die Anschaulichkeit. 

Blick auf das Buch durch die Suffizienzbrille

Das Buch verzichtet dabei auf eine dezidierte Unterteilung und separate Betrachtung der drei Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Die entwickelten Ansätze lassen sich jedoch erkennbar den jeweiligen Ansätzen zuordnen bzw. kombinieren diese. Die bisweilen stiefmütterlich behandelte Suffizienz findet dabei erfreulicherweise ebenfalls Beachtung. So wird kontinuierlich die Verantwortung Deutschlands im globalen Kontext hervorgehoben. Da Deutschland als ein Land des globalen Nordens einen entscheidenden Anteil der globalen CO2-Emissionen verursache, sei dementsprechend die Pflicht, zu einer Reduktion dieser beizutragen, höher. Doch auch innerhalb Deutschlands sei nicht jeder gleich verantwortlich.

Das Buch betont, dass die Verantwortung hier eindeutig auf der „Seite des Reichtums“ liege, da weniger Einkommen oft bereits zur sogenannten „Zwangssuffizienz“ führe. Die Autor*innen rufen zu einer deutlichen Reduktion des Konsums in Industrieländern wie Deutschland und in Privathaushalten der Besserverdienenden auf. Hier kommt das Konzept der Suffizienz zum Tragen: Anstatt unendlich zu wachsen und immer mehr zu konsumieren, wird ein Fokus auf „Genug“ und „Weniger“ gelegt. Das Buch betont, dass ein GL nicht ohne Verzicht machbar sei. Ansatzpunkte können laut der Autor*innen in der Vermeidung übermäßig vieler Flüge, dem Konsum billigen Fleischs und der vorrangigen Gestaltung autogerechter Städte liegen. Hierzu brauche es zugleich neue Modelle der Ressourcennutzung und eine Förderung alternativer Lebensstile. Um eine Reduktion des Überkonsums und eine nachhaltige Umverteilung der Ressourcen zu erreichen, schlägt das Buch verschiedene Werkzeuge wie bspw. ein KlimageldPlus vor. Dieses Konzept sieht vor, einen Teil der durch CO2-Steuern eingenommenen Gelder, wieder an alle Bürger*innen zurückzuzahlen, um die sich erhöhenden Kosten, besonders für einkommensschwächere Haushalte, auszugleichen. Obwohl alle den gleichen Betrag erhalten, finde gleichzeitig eine Umverteilung statt, da „Reiche“ aufgrund ihres höheren ökologischen Fußabdruckes tendenziell mehr einzahlen würden, als sie möglicherweise ausgezahlt bekämen. Ärmere Haushalte hingegen würden wegen ihres geringeren Verbrauchs weniger einzahlen, erhielten also anteilig mehr zurück.

Auch bei der Erörterung des Themas einer notwendigen Ernährungswende findet sich der Leitgedanke der Suffizienz. Hier wird erläutert, dass es wichtig sei, sich wieder zu entfernen von dem Konzept der vollen Supermärkte, in welchen alles zu jeder Zeit verfügbar ist. Stattdessen solle ein saisonales und regionales Angebot die Norm sein, worin sich Anschlusspunkte an die Suffizienzforderung einer Entflechtung erkennen lassen. 

Eine besondere Rolle spiele Suffizienz schließlich bei der Energiewende. Diese könne nur mit drei zugleich durchgeführten Lösungsstrategien gelingen: einer Steigerung der Energieeffizienz, dem Ausbau erneuerbarer Energien sowie der Förderung suffizienter Lebensstile. Obwohl das Buch die ersten beiden Lösungsstrategien erkennbar höher priorisiert, wird die Unabdingbarkeit von Suffizienz betont. Technisch fokussierte Konsistenz- und Effizienzstrategien allein seien nicht ausreichend, vor allem dann nicht, wenn der Energieverbrauch nicht sinke und weiterhin Energie verschwendet werde.

Doch wie lässt sich Suffizienz erreichen? Auch hierfür bietet das Buch nur indirekt Lösungen an. So brauche es zur Veränderung der gesellschaftlichen Konsummuster nicht nur individueller Verhaltensänderungen, sondern entsprechender politischer Weichenstellungen. Da nicht-nachhaltige Entscheidungen oftmals die bequemeren seien, müsse es die Politik durch gezielte Anreize und Gebote erleichtern, suffiziente Entscheidungen zu treffen (Ermöglichungskultur). Umgekehrt sollten ökologisch nachteilige Entwicklungen, wie etwa ressourcenverschwendender Luxuskonsum, bspw. mittels gezielter Besteuerung unattraktiv gemacht werden. Solche Suffizienzstrategien würden im Kleinen bereits umgesetzt, seien jedoch laut den Autor*innen flächendeckend in allen Themenbereichen notwendig und müssten sich in ein kohärentes Gesamtdesign fügen.

Fazit

Das Buch „Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“ ist definitiv eine lesenswerte Publikation. Mit ausführlichen Erklärungen, vielen Beispielen und zahlreichen Belegen wird überzeugend argumentiert, dass wir vor großen ökologischen und sozialen Herausforderungen stehen, ohne jedoch das Gefühl einer Ausweglosigkeit zu nähren. Vielmehr entsteht bei der Lektüre des Buchs trotz der klaren Darstellung der akuten Probleme insgesamt ein positiver Eindruck von Machbarkeit. Es wird jedoch eines raschen und tiefgreifenden Umdenkens in Politik und Gesellschaft brauchen – angefangen bei Beiträgen eines jeden Einzelnen. Die Autor*innen machen dazu am Ende Vorschläge, wie diese aussehen können und schließen mit den passenden Worten: „Wir können gemeinsam handeln, für eine Welt für alle.“

Veranstaltungsbericht: Symposium zum Buch

Am 5. Februar fand in Berlin das Symposium „Deutschland hat die Wahl: Perspektiven der sozial-ökologischen Wende für die Zukunft“ statt, organisiert vom Club of Rome, Wuppertal Institut und oekom Verlag. Politische Entscheidungsträgerinnen, Wissenschaftlerinnen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft diskutierten die Herausforderungen und Chancen mutiger Politik. Grundlage war das Buch „Earth for All Deutschland“, das 50 Jahre nach „Die Grenzen des Wachstums“ einen gesellschaftlichen Sprung fordert.

Nach einer Einführung zur Initiative „Earth for All“ folgten parallele Sessions zu den sechs zentralen Kehrtwenden des Projekts. Die zufällig zugeordneten Gruppen entwickelten interdisziplinäre Perspektiven, etwa zur Verbindung von Ernährungs- und Energiewende, und formulierten Fragen für das anschließende politische Panel.

Im Panel diskutierten Andreas Audretsch (Grüne), Annabel Schumacher (SPD.Klima.Gerecht), Berthold Schilling (Klima-Union), Thomas Fricke (Forum New Economy) und Barbara Metz (Deutsche Umwelthilfe), wie Bürger*innen in Transformationsprozesse einbezogen und notwendige politische Maßnahmen umgesetzt werden können. Ein Mitschnitt ist auf YouTube verfügbar: youtube.com/live/mSj-2OxFZj4

Zum Abschluss betonte Peter Hennicke, ehemaliger Präsident des Wuppertal Instituts, die Dringlichkeit der Herausforderungen, zeigte aber auch Hoffnung und Wege zur erfolgreichen Transformation auf. Das Symposium lieferte wertvolle Impulse für eine nachhaltige Zukunft.

Buchinformationen

Autor*innen: Manfred Fischedick, Peter Hennicke, Till Kellerhoff, Monika Dittrich, Hans Haake, Lena Hennes, Jacqueline Klingen, Nathalie Spittler, Oliver Wagner sowie Ilona Koglin und Marek Rohde
Titel: Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle
Herausgeber*innen: Club of Rome, Wuppertal Institut
Verlag: oekom
ISBN: 978-3-98726-111-4
Softcover, 320 Seiten
Erscheinungstermin: 14.10.2024