Ästhetik und Suffizienz – Interview mit Alien Spiller

Suffizienz gilt neben Konsistenz und Effizienz als ein wichtiger Bestandteil effektiver Nachhaltigkeitsstrategien[1]. Mittlerweile hält das Konzept Einzug in verschiedene Lebens- und Alltagsbereiche. Unsere Interviewpartnerin Alien Spiller berichtet auf ihrem Blog über die Marke „Your Loving Nature“ (YLN), die Suffizienz im Bereich Kosmetik etabliert. Alien arbeitete im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Nachhaltigkeitsprojekts in ihrem Masterstudium mit YLN zusammen. Die Friseurin Marion Garz entwickelt seit 2018 Haarpflegeprodukte für YLN, die ohne aggressive Waschtenside, synthetische Weichmacher, überflüssige Verpackungen und lange Handelswege auskommen. Das Projekt steht unter dem Motto „Vom minimalistischen Design zu bewusstem Konsum“. Im Jahr 2021 wurde YLN beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis von der Jury ins Finale gewählt und konnte sich gegen eine Vielzahl anderer Unternehmen, Agenturen und Startups durchsetzen.

Im Zuge unseres Interviews sprachen wir mit Alien darüber, was das Produkt so besonders macht und warum die Verbindung von Ästhetik und Suffizienz ein für unsere Gesellschaft relevantes Zukunftskonzept ist.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Dein Blog trägt den Namen „Ästhetik und Suffizienz“. Wie bist du auf das Thema gekommen? Und wie lassen sich deiner Meinung nach Ästhetik und Suffizienz verbinden oder welcher Zusammenhang besteht bereits?

Alien Spiller (AS): Mich hat grundsätzlich der Ansatz fasziniert, dass die reduzierte Ästhetik eines Produktes Wirkungen erzeugen könnte, die sich schrittweise auf andere Lebensbereiche übertragen lassen, dem Wunsch nach einem nachhaltigeren Lebensstil sozusagen eine Form verleiht. Design und Ästhetik haben ja grundsätzlich die Aufgabe, sich auf eine wesentliche Aussage zu konzentrieren. Und da landen wir auch gleich bei der Suffizienz, die auf ein Genug oder Weniger abzielt und somit ebenso die Frage nach dem Wesentlichen stellt.

DUS: Bevor wir nun zu deinem Thema von Suffizienz und Ästhetik kommen, magst du vielleicht zu Beginn zunächst kurz erläutern, was genau unter dem Suffizienz-Gedanken deiner Ansicht nach zu verstehen ist?

AS: In der Nachhaltigkeitsdebatte leitet sich das Konzept der Suffizienz aus der Annahme der Ressourcengerechtigkeit innerhalb und zwischen den Generationen ab und dass sich das aktuelle Konsumverhalten in der westlichen Welt nicht auf die gesamte Menschheit übertragen lässt, sondern eine Genügsamkeit in den Lebensstilen erfordert. Der Suffizienzgedanke lässt sich dann in verschiedene Strategien übersetzen, die Reduktion, Entschleunigung, Entkommerzialisierung und Regionalisierung umfassen.

DUS: In deinem ersten Blogpost gehst du zum einen auf das Konzept Suffizienz und zum anderen auf deine Zusammenarbeit mit dem Berliner Unternehmen YLN ein. Warum hast du dich für diese Kooperation im Bereich der Kosmetikprodukte entschieden?

AS: Ich bin schon seit vielen Jahren Kundin von Marion Garz, der Inhaberin von YLN, und war im wahrsten Sinne des Wortes hautnah bzw. haarnah bei der Produktentwicklung dabei. Ihr konzeptioneller Ansatz, Ästhetik, Funktion und den Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit in einem Produkt aufeinander zu beziehen, hat mich überzeugt. Dem wollte ich im Rahmen meines Nachhaltigkeitsprojekts auf den Grund gehen und bot dem Unternehmen eine Zusammenarbeit an.

DUS: Inwiefern entspricht die Kosmetikmarke YLN deiner Meinung nach dem Konzept der Suffizienz?

AS: Während unserer Kooperation haben wir eine Lebenszyklusanalyse der festen YLN Shampoos im Vergleich zu konventionellen Shampoos in Plastikflaschen durchgeführt. Hier hat sich das Suffizienzkonzept vom Design bis zur Entsorgung durch den gesamten Produktlebenszyklus gezogen. Klar, die Verwendung biologischer statt konventioneller Inhaltsstoffe ist der Konsistenzstrategie zuzuordnen, also Produkte umweltfreundlicher herzustellen. Aber das minimalistische, platzsparende Design, die regionale Produktion mit kurzen Lieferwegen, die Einsparung von Wasser bei der Verwendung (z.B. durch Leave-in Conditioner) sowie der Wegfall von Verpackungsmüll sind Suffizienzstrategien und verursachen weniger Umweltwirkungen als etwa ein konventionelles Shampoo. Auch die bewusste Entscheidung des Unternehmens, das Wachstum zu begrenzen und im Kiez verankert zu bleiben, gehört in den Kontext der Suffizienz.

DUS: Insbesondere im Bereich Kosmetik ist Nachhaltigkeit inzwischen zum absoluten Trendthema geworden. In Drogerien lassen sich neben Zahnbürsten und Abschminktüchern, die nach eigener Angabe Nachhaltigkeitsversprechen erfüllen, seit einiger Zeit auch Produkte wie festes Shampoo und Duschgel von nahezu allen Kosmetikmarken finden. Inwiefern unterscheiden sich die Produkte von YLN von nachhaltigen Haarpflegeprodukten anderer Marken?

AS: Der große Unterschied ist, dass die Marke YLN aus dem Friseursalon heraus entwickelt wurde, basierend auf den Bedürfnissen und Wünschen von Kund*innen. Ich erinnere mich, dass ich vor einigen Jahren mit meiner eigenen Shampooflasche zum Haareschneiden gekommen bin, weil ich die konventionellen Produkte aus dem Salon nicht mehr verwenden wollte. Marion Garz ist dann noch einen Schritt weiter gegangen, einerseits biologische Inhaltsstoffe zu verarbeiten und gleichzeitig auf die Plastikverpackung zu verzichten. Irgendwann stellte sie mir dann ihre ersten festen Shampoos vor. So haben sich die Produkte im direkten Kund*innenkontakt immer weiter entwickelt und 2018 unter dem Label YLN in neuem Produktdesign und mit hochwertigen konzentrierten Inhaltsstoffen einen Relaunch erfahren. YLN ist da dem Boom der festen Kosmetikprodukte immer noch zeitlich voraus gewesen und hat eine echte Produktinnovation geschaffen.

DUS: Inwiefern ist der Ansatz von vielen unterschiedliche Pflegeprodukte (von Spülung, über Öl, bis zur Kur) deiner Meinung nach überhaupt mit dem Suffizienzgedanken und einer suffizienten Lebensweise vereinbar?

AS: Nein, so viele Produkte zu verwenden, hat meiner Meinung nach wenig mit Suffizienz zu tun. In der Kosmetikbranche wurden sicher auch Bedarfe geschaffen, dass für schönes Haar dieses und jenes Produkt benötigt wird. Ich selbst habe über die Jahre gemerkt, dass ich bestimmte Produkte gar nicht oder sehr selten benutze (wie Spülung oder Kur) und dann irgendwann wegschmeiße. Deshalb frage ich mich jetzt vor dem Kauf immer, brauche ich das wirklich?

DUS: In welchen anderen Bereichen des alltäglichen Konsums oder des generellen Konsums denkst du, kann man Suffizienz noch ausweiten und auf Resonanz/ positive Reaktionen in der Gesellschaft treffen? Wie kann man deiner Meinung nach mehr Menschen mit solchen nachhaltigen Produktideen erreichen und überzeugen?

AS: Ich denke, dass sich Suffizienz auf alle Lebensbereiche ausdehnen lässt oder sogar einen Lebensstil prägen kann. Der Gedanke ist meiner Ansicht nach leider nicht so populär, weil er oft mit Verzicht in Verbindung gebracht wird. Wenn man jedoch eine andere Rahmung nutzt, könnte man sich von einem möglichen Verzicht weg und auf die Frage zubewegen, was ein gutes Leben wirklich ausmacht und beim Konsum entsprechend bewusster vorgehen. Wie eingangs bereits angedeutet, lassen Produktideen wie die von YLN eine mögliche Zukunftsvision eines solchen ressourcenschonenden Lebens Realität werden. Sie stärken so die Selbstwirksamkeit der Menschen, ein nachhaltigeres Leben auf unserem Planeten Erde mitzugestalten. Man erreicht die Menschen wahrscheinlich am aller ehesten, wenn sie Teil dieser Geschichte sind und diese mit erzählen können.

[1] Zell-Ziegler, Corinna/Förster, Hannah: Mit Suffizienz mehr Klimaschutz modellieren. Relevanz von Suffizienz in der Modellierung. Übersicht über die aktuelle Modellierungspraxis und Ableitung methodischer Empfehlungen, im Auftrag des Umweltbundesamtes, Berlin 2018, S. 13-14, URL: Mit Suffizienz mehr Klimaschutz modellieren – Relevanz von Suffizienz in der Modellierung, Übersicht über die aktuelle Modellierungspraxis und Ableitung methodischer Empfehlungen – Zwischenbericht (researchgate.net), letzter Zugriff am 28.03.2022.

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN

© Hoffotografen

Alien Spiller ist im Politikumfeld tätig und befindet sich gerade in beruflicher Umorientierung. An der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde studiert sie berufsbegleitend strategisches Nachhaltigkeitsmanagement.  Aktuell schreibt Alien an ihrer Masterarbeit, die sich auch um das Thema Suffizienz  und Ästhetik dreht.

Ist UNOWN das neue Haben? – Interview mit Linda Ahrens

Die meisten von uns kennen es: Der Kleiderschrank platzt wieder einmal aus allen Nähten, obwohl wir viele Teile darin oft nur selten tragen. Zudem steht besonders die Modeindustrie häufig in der Kritik, wenn es um nachhaltige Ressourcennutzung, Umweltverschmutzung oder die oft kurze Lebenszeit der Kleidungsstücke geht. Das 2019 gegründete Start-up UNOWN will mit einem Leasingmodel das System Mode revolutionieren. Wir haben eine der beiden Gründerinnen Linda Ahrens zum Thema suffiziente Mode interviewt.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Auf Ihrer Webseite „UNOWN“ werben Sie mit nachhaltigem Fashion-Leasing. Was genau ist das? Und wie funktioniert das Prinzip?

Linda Ahrens (LA): Wir glauben, dass wir nicht alles kaufen und besitzen müssen, was wir tragen. Unser Leasing-Prinzip macht es möglich, Kleidung wochen- und monatsweise zu leihen. Am Ende schickt man sie in unseren wiederverwendbaren Versandtaschen zurück, wir bereiten sie auf und die nächste Person kann sie leasen.

DUS: Wie sind Sie auf diese suffiziente Idee gekommen?

LA: Wir wollten in der Mode endlich eine Lösung für Kopf und Bauch. Der Kopf sagt doch: Ich will weniger und bewusster konsumieren. Und der Bauch sagt: Ich will was Neues und mich inspirieren lassen. Nachhaltige Modelabels sind deshalb nur ein Teil der Lösung. Für uns ist es entscheidend, dass wir auch das Nutzungskonzept überdenken!

DUS: Nach Ihrer Beschreibung ist Ihr Geschäftsmodell auf die Verlängerung der Lebensdauer von Kleidungsstücken ausgerichtet. Haben Sie hierzu schon Erfahrungswerte wie häufig Kleidung bei Ihnen geliehen wird und wie sich dies tatsächlich auf die Lebensdauer auswirkt?

LA: Ja, wir sammeln permanent Daten zu unserem Modell und messen daran nicht zuletzt den Erfolg. Und glücklicherweise konnten wir auf Grundlage dieser Daten unsere ersten Annahmen über die Lebensdauer schon deutlich erhöhen. Es gibt viele Stücke, die seit Herbst 2019 in unserem System verleast werden und noch immer in einem guten Zustand sind! Von Umfragen wissen wir, dass sie geleaste Kleidungsstücke mind. 1-2 Mal pro Woche tragen. Nach 20 Leasing-Zyklen kann ein Stück also locker 150 Mal getragen worden sein. Statistiken zeigen, dass uns das mit den aller wenigsten Kleidungsstücken in unserem Schrank gelingt! Greenpeace 1 hat bspw. geschätzt, dass bis zu 40% eines Kleidungsschranks nur zwei bis drei Mal getragen werden !

DUS: Sie sagen, dabei geht es Ihnen um Nachhaltigkeit. Für viele ist der Begriff immer noch schwammig. Was bedeutet Nachhaltigkeit konkret für Sie?

LA: Für uns ist ein Baustein für nachhaltigen Modekonsum, Kleidung so lange wie möglich im Umlauf zu halten und möglichst viel „Leben“ aus ihnen zu holen. Ein sehr großer Anteil der Emissionen entstehen nämlich bereits in der Produktion. Tragen wir ein Kleidungsstück lange, dann holen wir aus dem bereits produzierten Kleidungsstück mehr „Leben“ raus. Die Realität ist, wie eben beschrieben, aber komplett anders: Viele Kleidungsstücke werden extrem wenig getragen und schnell vergessen oder weggeschmissen. Genau da setzen wir an!

DUS: Wie stellen Sie sicher, dass die Brands auf Ihrer Plattform wirklich nachhaltig sind und bleiben?

LA: Wir messen uns an der Nutzungsdauer, hier machen wir den Unterschied. Unsere Aufgabe ist es deshalb nicht, permanent die Nachhaltigkeitsstandards unserer Partnermarken zu überprüfen. Ein nachhaltig und fair produziertes Kleidungsstück ist auch nur dann sinnvoll, wenn es lange getragen wird. 
Nicht alle unsere Partnermarken sind Fair Fashion und das behaupten wir auch nicht. Wir setzen auf qualitativ hochwertige Marken, die entweder bereits etablierte Nachhaltigkeits-Zertifizierungen haben oder auf dem Weg dorthin sind.

DUS: Es ist nicht neu, dass Kleidung viel Wasser in der Produktion verbraucht. Auf Ihrer Webseite machen Sie Angaben dazu, wie viel Wasser durch das Leihen gespart werden konnte. Wie werden die Wasser- oder CO2-Ersparnisse errechnet?

LA: Eine Beispielrechnung: Eine typische Kund:in bleibt bei uns sechs Monate und hat unsere mittlere Membership „Extended“. Damit kann sie vier Teile gleichzeitig zum Festpreis von 69 € leasen. In der Zeit spart sie gegenüber dem Neukauf 83 % an Wasserverbrauch und 76 % an CO2e-Emissionen ein. Wir rechnen dabei immer den Vergleich von Leasing versus Kauf. Die häufigeren Versandwege im Leasing sind natürlich schon einkalkuliert. 

DUS: Sie sprechen gerade den Versand an. Dieser steht ja oft in der Kritik, wenn es um die Nachhaltigkeit geht. Welche Konzepte haben Sie, um den Versand so ökologisch wie möglich zu gestalten? Lohnt es sich z.B. im Vergleich zum Kauf im regionalen Einzelhandel eine Krawatte bei Ihnen zu leihen, wenn wir die Klimabilanz betrachten? Um es konkret zu machen, wie stellen Sie sicher, dass der CO2-Fußabdruck tatsächlich kleiner ist als bei der Neuanschaffung?

LA: Wenn die Krawatte nicht häufig getragen wird, dann ist das Leihen bei uns sicher sinnvoller! Mir ist es wichtig mit einer falschen Annahme zu brechen: Regionale Einzelhandel sind nicht grundsätzlich emissionsärmer als der Onlinehandel! Es fallen ganz andere Fahrtwege, Strom- und Heizkosten, Umschlagzentren etc. ins Gewicht. Das Öko-Institut hat in einer Studie 2 gezeigt: Ein mit dem Auto in der Stadt getätigter Kauf kann einen 3x höheren Fußabdruck haben als ein Online-Kauf inklusive Retoure. Unabhängig von dieser grundsätzlichen Betrachtung setzen wir bei UNOWN aber auch wieder verwendbare Versandtaschen ein, verzichten komplett auf Plastik-Umverpackungen und kompensieren unvermeidbare CO2-Ausstöße. Das spart mindestens 80% an Verpackungsmüll ein! 

DUS: Zum Schluss noch eine Frage zur Zukunft der Mode. Wie soll die Modeindustrie Ihrer Meinung nach in 30 Jahren aussehen? Wird es noch endlos Kleidung zu kaufen geben?

LA: Ich erinnere mich an eine Statistik die besagt, dass wir genug Kleidung für die nächsten 50 Jahre hätten, wenn wir ab sofort nichts mehr produzieren würden. So viel Ware liegt nämlich ungenutzt in Lagerhallen und ist auf den Secondhand-Märkten verfügbar. Trotzdem wachsen die Produktionsraten Jahr für Jahr! Ich bin mir sicher, dass die Modeindustrie in den nächsten Jahren stärker klimabesteuert und reglementiert wird, weil sie einen so großen Fußabdruck hat. Und in 30 Jahren werden Zugangsmodelle wie unseres, aber auch andere Kreislaufmodelle (Cradle-to-Cradle) sowieso Normalität sein. 

[1] Greenpeace: Wegwerfware Kleidung – Repräsentative Greenpeace-Umfrage zu Kaufverhalten,
Tragedauer und der Entsorgung von Mode:  https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20151123_greenpeace_modekonsum_flyer.pdf (Abruf am 26.11.2021)

[2] Süddeutsche Zeitung: Wie klimaschädlich ist der Onlinehandel?: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/online-shopping-co2-klima-laden-1.4429396 (Abruf am 26.11.2021)

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN

© Tomas Engel

Linda Ahrens ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von UNOWN und dort verantwortlich für die Partnerschaften mit Marken und Marketing. Sie studierte an der University of Oxford und Zeppelin Universität Wirtschaft und Soziologie und leitete zuvor als Strategin Innovationsprojekte für die Beauty-, Mode- und Mobilitätsindustrie.

Wenn dir ein Geschäft „Kauf weniger“ sagt. – Interview mit Maike Gossen

Im Rahmen eines Interviews sprachen wir mit Maike Gossen vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) über die kürzlich veröffentlichte Studie „When your shop says #lessismore. Online Communication interventions for clothing sufficiency“. Digitalisierung verändert unsere Lebensweise und unser Konsumverhalten. Wie man Online-Kommunikation als Tool für Suffizienzmarketing nutzen kann und welche Erkenntnisse aus der Studie hervorgegangen sind, erläutert Maike Gossen im folgenden Interview.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Sie haben die Studie „When your shop says #lessismore. Online Communication interventions for clothing sufficiency“1 im „Journal of Environmental Psychology“ veröffentlicht. Können Sie kurz zusammenfassen, worum es in der experimentellen Studie geht?

Maike Gossen (MG): Die Studie entstand in unserer Forschungsgruppe zu Digitalisierung und sozial-ökologischer Transformation 2. Wir wollten herausfinden, inwiefern Online-Kommunikation von Unternehmen aus dem Kleidungsbereich, beispielsweise in Social Media, nachhaltige Lebensstile fördern können. Zu diesem Zweck haben wir Online-Kommunikation als Teil von Suffizienzmarketing 3 in zwei experimentellen Studien untersucht.

DUS: Wie sind diese Studien abgelaufen und was sind die zentralen Ergebnisse?

MG: Im ersten Schritt haben wir gemeinsam mit unserem Projektpartner Avocadostore eine Feldstudie konzipiert. Im Rahmen einer Themenwoche auf Social Media und im Newsletter hat der Online-Marktplatz unter dem Motto „lessismore“ auf Alternativen zum Neukauf hingewiesen. Wir haben vor und nach der Themenwoche die Kund*innen von Avocadostore zu ihrem Kaufverhalten und ihren Einstellungen befragt. Das zentrale Ergebnis der Feldstudie ist, dass Suffizienzbotschaften positiv bewertet werden. Jedoch kauften die Kund*innen im Monat nach der lessismore-Woche genauso viel Kleidung wie Kund*innen, die die suffizienzfördernde Kommunikation nicht gesehen hatten. Es scheint also, dass vereinzelte Social Media-Posts eines Unternehmens als Intervention zu schwach sind, um sich langfristig auf das Konsumniveau auszuwirken. In einer daran anschließenden Online-Laborstudie konnten wir hingegen zeigen, dass suffizienzfördernde Social Media-Posts kurzfristig sehr wohl suffiziente Konsumentscheidungen fördern konnten. Dieser Effekt war insbesondere bei Teilnehmenden stärker, die bereits altruistische und umweltorientierte Werte vertraten. 

DUS: Was schließen Sie aus dem Ergebnis, dass Suffizienzbotschaften über Social Media eher eine kurzfristige Wirkung zeigen. Ist Social Media grundsätzlich ungeeignet, um langfristige Verhaltensänderungen zu erzeugen? Was bedeutet das für das Suffizienzmarketing?

MG: Dass wir zwar eine kurzfristige Wirkung im Labor, aber keine langfristige Wirkung im Feld finden konnten, ist ein interessantes Ergebnis, das zu weiterer Forschung einlädt. Wir interpretieren diese Resultate so, dass Suffizienzkommunikation erst wirksam sein kann, wenn sie einen sichtbaren Anteil an der Gesamtkommunikation einnimmt. Gerade in einem ansonsten sehr konsumorientierten Umfeld wie Social Media 4 und dem Internet an sich 5 kann eine einzelne Suffizienzbotschaft oder ein einzelner Instagram-Post im allgemeinen Informationsfluss untergehen. Langfristig wäre es wünschenswert, in der digitalen Kommunikation eine Kultur der Suffizienz zu etablieren und soziale Normen weg von schnelllebigem Konsum hin zu mehr Nachhaltigkeit zu verändern.

DUS: Heute bewerben immer mehr Unternehmen ihr nachhaltiges Angebot und fördern damit grünen Konsum. Worin unterscheidet sich das so genannte Suffizienzmarketing?

MG: Beim Suffizienzmarketing geht es darum, keine neuen Konsumwünsche zu schaffen, sondern bestehende Bedürfnisse zu befriedigen. Das kann also entweder ein Produkt sein, dass sich durch langlebige Materialien, Reparierbarkeit oder Zeitlosigkeit auszeichnet, aber genauso können es auch Alternativen zum Neukauf sein. Häufig kann die Lebensdauer von Produkten verlängert werden, indem sie repariert, gut gepflegt oder verliehen werden. Auch durch Secondhand können Ressourcen eingespart werden. Im Outdoorbereich gibt es viele Vorreiterunternehmen, die Suffizienz fördern wollen und nicht nur ihr Sortiment und ihre Services darauf ausgerichtet haben, sondern auch in ihrer Kommunikation ganz offen sagen, dass es nicht immer das neueste Produkt sein muss. Patagonia ist ja für ihre Konsumkritik bekannt, beispielsweise durch Aktionen wie der “Don’t Buy This Jacket”-Kampagne. Zum letzten Black Friday hat das US-Unternehmen mit der “Buy less, demand more”-Kampagne seine Kund*innen nicht nur dazu aufgefordert, weniger zu konsumieren, sondern auch ihrerseits noch mehr von Textilherstellern und der Politik einzufordern. Indem sie politischen Aktivismus fördern wollen sie einen Beitrag dazu leisten, die Bekleidungsindustrie zu verändern. 

DUS: Aber letztendlich stellt sich doch immer die Frage, wie suffizienz-orientierte Unternehmen in einer wachstumsgetriebenen Wirtschaft überleben können. Ist diese Konfliktlinie überhaupt zu überwinden? 

MG: Eine Suffizienzorientierung ändert das Verständnis von unternehmerischer Wertschöpfung, welcher sich nicht mehr an reiner Absatzsteigerung und Wachstum orientiert, sondern am Wohlergehen von Beschäftigten, der Umwelt und der Gesellschaft gleichermaßen. Pioniere der Postwachstumsökonomie positionieren sich daher in Nischen oder skalieren ihre Wirkung durch suffizienz-orientierte Angebote. Manche Unternehmen wachsen weiter und rechtfertigen dies mit der Verdrängung nicht-nachhaltiger Unternehmen. Andere Unternehmen wie Patagonia wollen nicht größer werden, sondern ihre aktuelle Stellung nutzen, um ihren Unternehmenszweck zu erfüllen und ihre Marke an den Werten und der Mission von Patagonia auszurichten. In diesem Sinne geht Suffizienzförderung nur, wenn alle an einem Strang ziehen: in unserer Forschung zeigt sich immer wieder, dass viele Menschen aber auch Unternehmen eine hohe Bereitschaft zur Suffizienz aufweisen. Sie haben verstanden, dass es dabei nicht primär um Verzicht geht, sondern um ein gutes Leben für alle.


[1] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0272494421000487

[2] nachhaltige-digitalisierung.de

[3] https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0276146719866238

[4] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/cb.1855

[5] https://oekologisches-wirtschaften.de/index.php/oew/article/view/1786

Über die Interviewpartnerin
© Gordon Welters

Maike Gossen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und Doktorandin an der TU Berlin in der BMBF-geförderten Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind nachhaltiger Konsum, Suffizienz und Nachhaltigkeitsmarketing.

Suffizienz und aktuelle Herausforderungen in der Coronakrise – ein Interview mit Jörg Göpfert

Im Rahmen eines Interviews sprachen wir mit dem Studienleiter Jörg Göpfert der Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt e. V. über Suffizienz und aktuelle Herausforderungen in der Coronakrise.

Sie arbeiten als Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt e. V. und sind in dieser Eigenschaft auch als Redakteur der Zeitschrift „Briefe. Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde“ tätig. In der aktuellen Ausgabe dieser Zeitschrift schreiben Sie: „Der Klimawandel könnte tatsächlich das Ende der Selbstverständlichkeiten bedeuten […].“ Was meinen Sie damit?

Jörg Göpfert: Die Corona-Krise hat die Verletzlichkeit des Menschen und seiner gesellschaftlichen Sub- und Sicherungssysteme deutlich gemacht. „Normale“ Verhaltensweisen wie das Händeschütteln sind zum Risiko und Feiern zur Gefahr geworden. Sogar Oster- und Weihnachtsgottesdienste fielen aus. Der Heidelberger Theologe Philipp Stoellger hat die Corona-Krise deshalb als „Riss“ bezeichnet, der einen „gravierenden Lebensweltwandel“ mit sich bringe1 . Er spricht vom „Ende von Wirklichkeiten, in denen wir selbstverständlich lebten“. Das war und ist für viele eine erschreckende Erfahrung. Es lässt sich aber davon ausgehen, dass die Corona-Pandemie – ähnlich wie frühere Pandemien – vorübergehen wird. Irgendwann werden alle, die nicht an ihr sterben, immun geworden sein – mit oder ohne Impfung. Das wird vielleicht einige Jahre dauern, aber dann können die Überlebenden aufatmen und zur „Normalität“ zurückkehren.

Bei der Klimakrise ist das anders. Sollte die Menschheit es nicht schaffen, die Erwärmung der Erdatmosphäre zu stoppen und die globale Durchschnittstemperatur auf einen Wert zu begrenzen, der maximal 1,5 bis 2 Grad über dem vorindustriellen liegt, ist mit massiven Veränderungen zu rechnen. Wetterextreme würden weiter zunehmen, Wüsten würden wachsen, und viele Inseln und Küstenregionen würden vom steigenden Meeresspiegel überflutet werden. Vor allem aber würde sich der globale Wasserkreislauf – zu Lande und in der Luft – massiv verändern. Dann kämen auf die Wirtschafts- und Sozialsysteme Belastungen zu, die weit größer sein dürften, als die jetzigen durch die Corona-Krise. Und dann droht tatsächlich das Ende der „Selbstverständlichkeiten“. Dann stehen nicht nur Reisen oder Einkäufe in Baumärkten zur Disposition, sondern womöglich auch die Rundumversorgung mit Trinkwasser, Lebensmitteln und Transportmöglichkeiten. Eine Überwindung dieses Dauerstresses würde Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauern, wenn sie überhaupt möglich wäre.

In dem Zusammenhang sprechen Sie auch von Suffizienz. Welchen Stellenwert hat die Thematik für die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt e. V.?

Einen großen. Seit Jahren bemühen wir uns, das Thema „Große Transformation“, wie es der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen nannte2 , im gesellschaftlichen Diskurs voranzubringen. Und dazu gehört ganz wesentlich die Suffizienz, also das Auskommen mit weniger. Denn mit Effizienz und Konsistenz allein wird eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise nicht möglich sein. Effizienz, also das Herstellen einer bestimmten Menge an Waren oder Dienstleistungen mit weniger Materialaufwand als zuvor, wird oft durch eine Ausweitung des Angebots überkompensiert. Die LEDs sind ein Beispiel. Sie verbrauchen zwar weniger Strom als herkömmliche Glühlampen, lassen sich aber für neue Zwecke verwenden. Plötzlich ist es möglich – und erschwinglich – die gesamte Hausfassade in eine funkelnde Weihnachtswelt zu verwandeln. Bei der Konsistenz wird versucht, umweltbelastende Materialien durch umweltverträglichere oder endliche Ressourcen durch nachwachsende zu ersetzen. Ein guter Ansatz. Aber der kompostierbare Computer dürfte schwer realisierbar sein, und falls doch, wären sehr große Anbauflächen nötig, um die benötigten Rohstoffmengen bereitzustellen. Fruchtbare Böden sind aber ein knappes Gut und geraten auch durch den Klimawandel massiv unter Druck. Folglich gibt es für die Menschheit nur zwei Strategien: entweder die Zahl der Menschen drastisch zu reduzieren oder den Verbrauch jedes Einzelnen und aller zusammen. Letzteres wird nur mit Hilfe einer sehr intelligenten Kombination von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz gelingen.

Wie schätzen Sie die gesellschaftliche Akzeptanz eines „Weniger“ ein?

Lange Zeit war Suffizienz ein Tabu. Und im politischen Raum ist es das immer noch. Denn eine Strategie des „Weniger“ ist mit einer wachstumsorientierten Wirtschaft und einer ebensolchen Politik schwer vereinbar. Erfreulich ist aber, dass das Interesse an Suffizienz sowohl in der Wissenschaft als auch in der Zivilgesellschaft zunimmt. Das zeigt zum Beispiel der Aufruf „Für eine klima- und naturverträgliche, sozial gerechte Lebens- und Wirtschaftsweise: Energie- und Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren“3. Er wurde mit den Unterschriften von 200 Personen aus der Wissenschaft und ihrem Umfeld herausgegeben. Mehr als 3000 weitere Bürgerinnen und Bürger haben ihn inzwischen unterzeichnet. Es gibt ein „Forschungsnetzwerk Suffizienz“ und viele neuere Publikationen zum Thema. Auch das aktuelle Heft unserer Zeitschrift „Briefe“ ist ihm gewidmet4. All das zeigt: Suffizienz ist im Kommen. Sie braucht aber noch mehr Unterstützung, damit sie auch in die Praxis umgesetzt werden kann. Dafür kommt es nicht nur auf den guten Willen einzelner an, sondern auch auf die richtigen politischen Rahmensetzungen, also eine Suffizienzpolitik. Und die braucht gesellschaftlichen Druck und gesellschaftliche Mehrheiten.

Welche Chancen sehen Sie, dass sich junge Menschen heute für ressourcenschonende und damit suffiziente Lebensweisen begeistern?

Die Chancen sind größer denn je, weil ein Umdenken bereits begonnen hat. Viele, vor allem jüngere Menschen reduzieren ihren Fleischkonsum. Auch das Auto ist für sie kein Muss mehr, besonders in größeren Städten. Die Bewegung „Fridays For Future“ setzt sich für Suffizienz ein. Und eine große Zahl junger Menschen wählt inzwischen Berufe im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes sowie der Nachhaltigkeit. Die Zahl der Ausbildungsangebote ist enorm gewachsen. Als ich 1978 mit meinem Studium begann, war ich einer der ersten in Deutschland, die „Technischen Umweltschutz“ studieren konnten. Heute gibt es ganze Hochschulen, die dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet sind, etwa die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde in Brandenburg. Es gibt ein bundesweites studentisches „netzwerk N“, das Hochschulen nachhaltiger machen will. Nicht auszudenken, was möglich wird, wenn all diese gut ausgebildeten, hoch motivierten jungen Menschen eines Tages im Berufsleben stehen und Entscheidungen treffen. Hoffentlich finden viele von ihnen auch den Weg in die Politik. Denn dort werden nach wie vor wichtige Weichen gestellt.


[1] Philipp Stoellger: „Eröffnung: Corona als Riss der Lebenswelt. Zur Orientierung über Naherwartungen, Enttäuschungsrisiken und Nebenwirkungen“; in Benjamin Held et al. (Hrsg.): „Corona als Riss: Perspektiven für Kirche, Politik und Ökonomie“, Heidelberg: heiBOOKS, 2020 (FEST kompakt – Analysen – Stellungnahmen – Perspektiven , Band 1). Kostenloser Download: https://books.ub.uni-heidelberg.de/heibooks/reader/download/701/701-3-90267-1-10-20200916.pdf

[2] https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/welt-im-wandel-gesellschaftsvertrag-fuer-eine-grosse-transformation

[3] https://bereit-zum-wandel.de/aufruf/

[4] https://ev-akademie-wittenberg.de/sites/default/files/publikationen/briefe_2020-4.pdf

ÜBER Den INTERVIEWPARTNEr

Jörg Göpfert, geboren 1960 in Berlin, ist Absolvent des Studiengangs Dipl.-Ing. für Technischen Umweltschutz an der TU Berlin. An der Deutschen Journalistenschule in München wurde er zum Redakteur ausgebildet. Seit 1988 ist er freier Umwelt- und Wissenschaftsjournalist und seit vielen Jahren Kommunikations- und Medientrainer für Wissenschaftler/-innen. Im Januar 2000 begann seine Tätigkeit an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Lutherstadt Wittenberg. Als Studienleiter im Bereich Umwelt & Soziales ist er Mitbegründer des Netzwerks „Ökumenischer Prozess ‚Umkehr zum Leben – den Wandel gestalten‘“ und einer von zwei Redakteuren der Zeitschrift „Briefe. Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde“, einer der ältesten Umweltzeitschriften in Deutschland. Seine jüngste Publikation: „Es reicht. Von der Last und Leichtigkeit der Suffizienz“, in Brigitte Bertelmann, Klaus Heidel (Hrsg.): „Leben im Anthropozän. Christliche Perspektiven für eine Kultur der Nachhaltigkeit“, oekom verlag, München 2018.

© Jörg Göpfert

Suffizienzorientierung – ein Interview mit Josephine Tröger

Suffizienz stellt eine grundsätzliche Verhaltensänderung der Menschen und ein stärkeres Bewusstsein für unseren Konsum in den Mittelpunkt. Für viele ist sie deswegen immer noch die unbeliebteste Nachhaltigkeitsstategie. Wir haben mit der Umweltpsychologin Josephine Tröger über Suffizienz gesprochen und wie ein Paradigmenwechsel durch kollektive Wirksamkeit und Einzelleistungen funktionieren kann.

Deutsche Umweltstiftung: Sie promovieren an der Universität Koblenz-Landau im Bereich der Umweltpsychologie zu Suffizienzorientierung. Was ist eigentlich Umweltpsychologie und was können wir uns unter Suffizienzorientierung vorstellen?

Josephine Tröger: Umweltpsychologie ist eine Teildisziplin der Psychologie, die sich mit Mensch-Umwelt- Interaktionen beschäftigt. Das heißt, sie versucht zu analysieren, wie die Umwelt auf den Menschen wirkt und wie wir Menschen auf die Umwelt wirken, welche Auswirkungen das auf psychische Aspekte wie Kognition, Emotion, und Verhalten hat. Sie ist eine sehr anwendungsorientierte Teildisziplin der Psychologie, in der eigentlich jede Form von Mensch-Umwelt-Interaktionen behandelt werden kann – von Architekturpsychologie bis Mensch-Maschine-Interaktion und der zentralen Frage nach dem Schutz und den Umgang mit unseren Lebensgrundlagen. Was die Umweltpsychologie sehr besonders macht, ist die große Interdisziplinarität. Sie nutzt Erkenntnisse und Methoden anderer Wissenschaftsdisziplinen und vernetzt, um einen Beitrag etwa zur Lösung der Klimakrise zu leisten. Das ist teilweise sehr herausfordernd, bietet aber auch reichlich Chancen. Ein Projekt wie die sozial-ökologische Transformation ist nur zu bewerkstelligen, wenn viele Disziplinen zusammenarbeiten und -denken

Suffizienzorientierung beschreibt suffizientes Verhalten als „Änderungen in Konsummustern, die helfen, innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit der Erde zu bleiben, wobei sich Nutzenaspekte des Konsums ändern“ (Heyen et al. 2013, S. 7)[1]. Die Suffizienz ist die Nachhaltigkeitsstrategie, welche die Endlichkeit der Ressourcen der Erde (auch „planetare Grenzen“ genannt) als oberstes Gut anerkennt und hier eine absolute Grenze, an dem sich z.B. wirtschaftliche Prozesse ausrichten sollen, respektiert. Die Suffizienz hat damit eine große Verwandtschaft mit dem Konzept der starken Nachhaltigkeit.

Als Suffizienzorientierung würde ich die Einstellung und Bereitschaft beschreiben, den Lebensstil an den eben diesen planetaren Grenzen auszurichten. Dabei spielt die Erkenntnis eine Rolle, dass Konsumreduktion einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der sozial-ökologischen Krise liefert.

Eine Abgrenzung zu den anderen Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz und Konsistenz ist wissenschaftlich sinnvoll. In der Praxis und im tatsächlichen Handeln spielen natürlich Wechselwirkungen und Interdependenzen eine Rolle. 

Deutsche Umweltstiftung: Für viele Menschen ist Suffizienz die anstrengendste und unbeliebteste Nachhaltigkeitsstrategie. Warum fällt suffizientes Handeln so schwer?

Das hat aus meiner Sicht vor allem zwei wesentliche Gründe: Zum einen lassen wir uns gern von außen leiten und erzählen, was wichtig ist und was zu einem scheinbar glücklichem Leben gehöre: vom persönlichen Umfeld, von vorherrschenden Normen und Werten, vermittelt durch so etwas wie Werbung. Konsum und Statussymbole spielen gegenwärtig eine große Rolle in unserer Gesellschaft. Andere Formen von Wohlstand, wie Zeit, Sozialleben, Familie, Selbstverwirklichung oder sonstige immaterielle Güter spielen kaum eine Rolle. Sie sind zwar privat wichtig, aber es gibt wenige öffentliche und sichtbare Strukturen, die diesen Bereichen eine hohe Bedeutung zuweisen. In der Wertschätzung und Belohnung von Care-Arbeit wird so etwas ersichtlich. Oder man zeigt seinen beruflichen Erfolg vielleicht lieber mit einem teuren Auto als mit viel Freizeit. Dabei würde ein Verzicht auf ein Auto viel Freizeit bringen, weil man für das dafür nötige Geld auch nicht mehr arbeiten müsste. Die Frage was wirklich wichtig ist, welche individuellen Bedürfnisse im nicht materiellen Sinne vorhanden sind und befriedigt werden müssen, ist ein wichtiger Aspekt von Suffizienz.

Zum anderen sind viele Infrastrukturen in unserer Gesellschaft so geschaffen dass sie suffizienzorientiertes Verhalten nicht belohnen. Nehmen wir das Beispiel Lebensmittelkonsum: Konventionelle Lebensmittel im Supermarkt sind gerade deswegen billiger als die ökologischen Biolebensmittel, weil in konventionellen Lebensmitteln der ökologische Schaden, den diese verursachen, nicht eingepreist ist. Kaufe ich die ökologischen Lebensmittel spüre ich vor allem erst einmal, dass ich mehr Geld ausgebe als die meisten anderen. Das kann sich oft nach einem kurzfristigen Verlust anfühlen – zwar zugunsten eines großen Ganzen, aber für den Industrie und Verbraucher nicht gleichmäßig in die Pflicht genommen werden. Industrie und Verbraucher zahlen für die ökologischen Kosten der Produkte nicht – der Schaden wird ausgelagert. Zukünftige Generationen – und auch wir selbst – werden dafür auf die eine oder andere Art in den nächsten Jahren aufkommen müssen.

Deutsche Umweltstiftung: Kann ein Paradigmenwechsel hin zu Suffizienz funktionieren? Wenn ja, wie wäre dies möglich?

Davon bin ich überzeugt! Die Klimakrise zwingt jetzt schon viele Menschen vor allem auf der Südhalbkugel zu einem unfreiwilligen und ungerechten Konsumverzicht. Und auch wir werden mit dem Fortschreiten der ökologischen Probleme immer größere Einschnitte erleben. Das ist die fatalistische Sichtweise: wer die Natur abschafft wird von der Natur abgeschafft. Es gibt aber auch Grund zum Optimismus. Beispielsweise zeigt gerade die Corona-Krise dass viele Menschen bereit sind, ihr Verhalten zu ändern und auch tatsächlich zu verzichten, wenn ihnen ein guter Grund und größere Zusammenhänge aufgezeigt werden, und Änderung vor allem nicht nur an der Eigenverantwortung hängt, sondern Strukturen verändert werden, auf die ein*e Einzelne*r nur wenig Einfluss hat. 

Außerdem sehe ich, dass sich Suffizienz-Praktiken langsam in Lebenswelten einschleichen. Über Suffizienz wird mehr gesprochen als noch vor wenigen Jahren. Der Druck auf die Gesellschaft, sich zu verändern wächst, da die Folgen der Klimakrise auch stärker vor Ort sichtbar werden. Die Frage ist, ob Veränderung in den nächsten Jahren mehr durch Evolution oder Eruption entsteht, und welche Einflüsse eben von außen notwendig sind. 

Deutsche Umweltstiftung: Welche Tipps können Sie geben, um suffizientes Verhalten mehr in den eigenen Alltag zu integrieren?

Die gerade angesprochenen Strukturen sind ein wichtiger Treiber suffizienten Verhaltens. Als einzelner hat man vermeintlich wenig Einfluss auf diese. Allerdings werden diese auch nur von einzelnen Menschen geschaffen. Ist man durch seinen Beruf beispielsweise in der Lage Entscheidungen zu treffen, die dazu führen, dass sich am besten mehrere Menschen suffizienter verhalten können? Oder kann man Prozesse so verändern, dass sie dann zu einem Weniger an tatsächlichem Ressourcenverbrauch führen? Kann man der Chefin oder dem Chef vorschlagen, dass Pendler*innen die mit dem Rad oder den ÖPNV zur Arbeit kommen, einen Zuschuss bekommen? Oder kann man seiner Gemeinde vor Ort vorschlagen, die Radwege auszubauen? Politisches Engagement ist meines Erachtens ein Schlüssel für Veränderung, weil es Druck ausübt und potentiell neue Strukturen schafft, in denen sich Menschen leichter umweltgerecht verhalten können. Und wir alle sind mal mehr mal weniger an der Schaffung solcher Umstände und Strukturen beteiligt. Diese Macht der Mitgestaltung zu erkennen und einzusetzen, ist sehr wichtig. Am Besten schließt man sich noch mit Freund*innen, die ein ähnliches Interesse haben, zusammen. Das gibt das Gefühl kollektiver Wirksamkeit und hat große Erfolgsaussichten, weil eben bereits mehr Menschen für eine Sache einstehen.

Das andere ist und bleibt das individuelle Verhalten in den verschiedenen Alltagssituationen – am Regal im Supermarkt, zu Hause vorm PC wenn der nächste Einkauf auf einer Online-Plattform lockt, oder bei der Urlaubsplanung. Auch hier gilt es, die eigenen Bedürfnisse zu überdenken und sich von äußeren Einflüssen, die zum Konsum animieren, ein Stück weit zu befreien. – Und sich selbst Fragen zu stellen, wie: Muss ich meinen Kollegen wirklich (m)einen neuen SUV vorführen? Oder um was geht es mir eigentlich, wenn ich Anerkennung von meinen Kolleg*innen haben möchte? Würden diese mich tatsächlich belächeln, wenn ich mit dem Rad zur Arbeit käme – oder sehen sie mich dann vielleicht sogar als Vorbild und lassen sich anstecken? Ein anderer Aspekt ist auch, dass es bei vielen Konsumgewohnheiten ja gar nicht nur um die ökologischen Kosten alleine geht, sondern auch die privaten und monetären. Will ich wirklich so viel Geld für einen Flug nach Übersee ausgeben? Brauche ich wirklich einen neuen Laptop oder tut es nicht auch ein gebrauchter für weniger Geld? Viele Menschen nehmen Schulden auf sich, um den ganzen Konsum überhaupt erst zu ermöglichen. Das zwingt wiederum an Arbeitsverhältnissen festzuhalten, die nicht erfüllend sind. Das Gefühl zu wenig Geld zu haben, oder unfrei zu sein weil man sich darauf angewiesen fühlt, Einkommen von gewissen Höhen erzielen zu müssen, sind Dinge die unglücklich und auf lange Sicht sogar krank machen. Das hat Forschung zu Themen wie Zeitwohlstand und Wohlbefinden zeigen können. An der Aussage „Weniger ist Mehr“ scheint also schon etwas Wahres dran zu sein – auch wenn Suffizienz genauso heißt: Weniger ist weniger. Punkt.

Und zuletzt ist es wichtig, sich konkrete Pläne zu machen, sich Zeit zu nehmen, zu überlegen, wann, wie, wo, mit welchen Hilfsmittelnkann ich mich suffizienter verhalten. Wie sieht diese konkrete Handlungsalternative aus und was brauche ich, damit ich nicht in alte Muster zurück falle? Das ist wie mit allen Zielen im Leben: Wenn man sie wirklich erreichen will, muss man sich einen Plan dafür machen. 

Deutsche Umweltstiftung: In unserem Schulwettbewerb „Einfach machen – Die Suffizienzdetektive“ haben wir Schüler*innen der Sekundarstufe 1 dazu aufgefordert, ein eigenes Konzept für eine ressourcensparsamere Lebens- und Freizeitgestaltung zu entwerfen. Inwieweit schätzen Sie, sind Kinder im Alter von 10 bis 16 Jahren (fünfte bis zehnte Klasse) bereit, ihr Verhalten anzupassen und damit auf Konsum bzw. Komfort zu verzichten? 

Grundsätzlich sehe ich es so: Junge Menschen sind kreativ und einfallsreich. Wenn ich mir die FridaysforFuture anschaue, sind Kinder um einiges revolutionärer als wir denken und ihnen lange zugetraut haben. Sie sind bereit, die notwendigen Veränderungen selbst mitzutragen (Koos et al, 2019)[1]. Das ist etwas Beeindruckendes und sollte ein Apell an die Erwachsenen sein, die Maßnahmen umzusetzen, die es für eine lebenswerte Zukunft braucht!

Meine Haltung zu Wettbewerben ist allerdings etwas kritisch: Sie bieten zwar die Möglichkeit, sich mit einem Thema auseinander zu setzen, bergen aber die Gefahr durch kurzfristige Anreize, die langfristigere intrinsische Motivation zu unterbinden. Das heißt: Für die Belohnung strengen sich die Kids an, sie fokussieren sich auf das Produkt, aber setzen sich beispielsweise nicht mit den individuellen Hürden in ihrem persönlichen Umfeld auseinander. Das ist aber wichtig, damit die Kinder ihre Ideen zum suffizienteren Leben erfolgreich umsetzen und sich wirksam fühlen. Wichtig wäre es deshalb, Projekte so zu gestalten, dass vorhandenes Interesse und die intrinsische Motivation auch langfristig gestärkt werden.

Ein anderer Aspekt ist, dass Kinder leider oft einen begrenzteren Handlungsspielraum haben. Sie kaufen nicht für die Familie ein oder entscheiden über den Stromanbieter. In Bezug auf umweltgerechtes Leben hat sich im Kontext von Familie gezeigt, dass Rollenmodelle und Vorbilder sehr wichtig sind. Das heißt, Kinder werden die Ideen, die sie – etwa in so einem Wettbewerb – gewonnen haben, leichter umsetzen können, wenn die Eltern beim genügsameren Leben mitmachen. Es kann aber auch sein, dass die Kinder viel Überzeugungsarbeit in ihrem sozialen Umfeld leisten müssen. Sie können ihre Eltern dann herausfordern und anstecken, gemeinsam etwas zu verändern. – Den Mut der Kinder hierfür zu stärken und Ideen zu entwickeln, wie das gehen könnte, sollte Teil eines solchen Projekts sein.


[1]Heyen, D. ; Fischer, C.; Grießhammer, R.; Wolff, F.; Brunn, C.; Keimeyer, F.; Barth, R. (2013), Für eine Politik der Suffizienz, Politische Steuerung als notwendiger Baustein einer suffizienten Gesellschaft. Freiburg, Öko-Institut. Online abrufbar unter: https://www.oeko.de/oekodoc/1837/2013-506-de.pdf

[2]Sebastian Koos und Elias Naumann (2019): Vom Klimastreik zur Klimapolitik. Die gesellschaftliche Unterstützung der „Fridays for Future“-Bewegung und ihrer Ziele. Forschungsbericht. Konstanz: Universität Konstanz. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-2-1jdetkrk6b9yl4.

Über die Interviewpartnerin

Josephine Tröger ist seit Dezember 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der AG Sozial, Wirtschafts- und Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Seit März 2019 ist sie zudem Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Überprüfung des NBS- Gesellschaftsindikators zum Bewusstsein für Biologische Vielfalt sowie Entwicklung eines alternativen Messverfahrens“ am Steinbeis-Transferzentrum Interventions- und Evaluationsforschung.

© Josephine Tröger