Jetzt muss sich was ändern – ein Interview mit Schüler*innen

©Deutsche Umweltstiftung
Brandenburger Tor, Berlin Mitte

Nach dem Vorbild der Klimaaktivistin Greta Thunberg (16 Jahre) starteten Anfang des Jahres, mitunter in München, Berlin und Hamburg Demonstrationen. Jeden Freitag gehen junge Menschen unter dem Namen „Fridays for Future“ (FFF) auf die Straßen, um für den Klimaschutz zu streiken. Im Interview sprechen zwei Schulkinder über ihren Bezug zum Thema Umweltschutz und warum es so wichtig ist, freitags für die Umwelt zu demonstrieren.

Emna (10 Jahre), 4. Klasse

© Emna

„Unsere Welt geht weiter kaputt und sie geben sich keine Mühe.“

– Emna

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Warum gehst du zur Demo? Gehst du jeden Freitag zur Demo?

Emna : Ich war bis jetzt auf keiner Demo. Aber ich habe erst in letzter Zeit gemerkt, wie wichtig es ist und würde deswegen gerne hingehen.

DUS: Was machst du in der Schule oder bei dir Zuhause, um die Umwelt zu schützen?

Emna: In der Schule eher weniger. Ich achte aber darauf, dass ich nicht so viel Energie verbrauche. Ich mache zum Beispiel immer das Licht aus. Und ich fahre viel mit meinem Roller oder mit dem Fahrrad. Früher habe ich viel Fleisch gegessen. Heute gibt es bei uns zuhause weniger Fleisch.

DUS: Sagt dir das Thema Suffizienz etwas?

Emna: Nein.

DUS: „Suffizienz“ kann man übersetzen mit „Weniger“. Genauer gesagt weniger neu kaufen und weniger wegschmeißen. Zum Beispiel gibt es die Möglichkeit,neues Spielzeug auch gebraucht zu kaufen. Auf der anderen Seite müssen Sachen, die wir nicht mehr haben wollen, nicht weggeworfen werden. Stattdessen können wir sie mit anderen Menschen, z.B. Mitschülern tauschen.

Emna: Ja. Sobald ich meine Spielsachen nicht mehr brauche, gebe ich sie an meine Freunde, die damit gerne spielen.

DUS: Gibt es etwas, was du unseren Politikern sagen möchtest?

Emna: Sie sollten sich vorstellen, dass wir mehr so, wie wir wären. Unsere Welt geht weiter kaputt und sie geben sich keine Mühe, sie zu retten.

Paul (17 Jahre), 10. Klasse

© Paul

„Wir lernen voneinander.“

– Paul

DUS: Warum gehst du zur Demo? Gehst du jeden Freitag zur Demo?

Paul: Ich möchte mehr für die Umwelt tun und auf die Thematik aufmerksam machen. Ein Großteil der Menschen hat lange Zeit nicht auf die Umwelt geachtet und sie wenig geschützt. Doch nun muss sich etwas ändern.

Nein, ich befinde mich gerade in der Prüfungsphase (MSA) und ich kann es mir momentan nicht leisten, wichtigen Unterrichtsstoff zu verpassen.

DUS: Welche Ziele verfolgt die Bewegung?

Paul: Lösungen zu finden. Umso mehr Menschen sich auf den Demonstrationen treffen, desto mehr wird über das Thema gesprochen. Ich persönlich würde mich gerne dafür einsetzen, dass die Leute mehr Fahrrad fahren. Auf den Demonstrationen habe ich Menschen kennengelernt, die sich für die gleichen und andere Ziele einsetzen, wovon ich nun auch welche übernommen habe. Wir lernen voneinander.

DUS: Was trägst du oder Personen in deinem Umfeld zum Umweltschutz bei?

Paul: Ich fahre nur Fahrrad. Selbst im Winter verzichte ich auf die öffentlichen Verkehrsmittel. Fliegen tue ich so gut wie gar nicht. Ich brauche das nicht und im Urlaub besuchen ich und meine Familie vorwiegend unsere Nachbarländer. Ich habe auch über einen längeren Zeitraum vegetarisch gelebt.

DUS: Sagt dir das Thema  Suffizienz etwas?

Paul: Nein.

DUS: Welche Forderungen hast du an unsere Politiker?

Paul: Baut die Radwege aus! So viele Menschen würden Fahrrad fahren, wenn sie sich auf den Straßen Berlins sicherer fühlen könnten.

Politiker sollten zudem auf die junge Generation, die durch „Fridays for Future“ vertreten werden, hören und sich ihre Vorschläge zu Herzen nehmen. Uns gibt es noch länger als euch!

Wir bedanken uns bei Emna und Paul für das Interview. Die Schüler tragen ihren Teil zum Umweltschutz bei. Sie können das auch. Am 26. Mai ist Europawahl – setzen Sie Ihr Kreuz. #voteclimate
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Änderung von Konsummustern? – ein Interview mit Claudia Kemfert

Unser heutiges Interview im Rahmen der #kaufnix-Kampagne mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Kemfert dreht sich um das Wachstumsparadigma und mögliche Handlungsoptionen, die zu mehr Nachhaltigkeit führen.

Änderung von Konsummustern?

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Unsere Kampagne fordert ein Ende des maßlosen Konsums. Dies würde sich auch negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Was denken Sie, brauchen wir Wirtschaftswachstum? Warum bzw. warum nicht?

Claudia Kemfert (CK): Wachstum ist eigentlich etwas Wunderbares – nicht nur in der Kindheit wachsen wir, sondern unser ganzes Leben lang. Menschen, Tiere und Pflanzen sind Teil eines ewigen Kreislaufes aus Werden und Vergehen. Leben ist Wachstum. Die Erde ist über Milliarden von Jahren zu dem gewachsen, was sie heute ist. Und sie dreht sich immer weiter. Wäre das Wirtschaftswachstum ähnlich organisiert, würden wir uns darüber freuen.

Problematisch ist ein ungezügeltes Wirtschaftswachstum, das den Planeten zerstört statt ihn zu beleben. Wir müssen das Wirtschaftswachstum vom fossilen Energieverbrauch entkoppeln. Und wir müssen uns abgewöhnen, das Wirtschaftswachstum als Maßstab für Wohlstand zu definieren. Statt vor der Tagesschau Börsenkurse zu zeigen, sollten wir lieber die Indikatoren der Nachhaltigkeit unseres Planeten erfahren: Ressourcenverbrauch, die Sauberkeit der Luft oder der Anteil erneuerbarer Energien.

Wachsender Umweltschutz, wachsende Gesundheit, wachsender Zugang zu sauberem Trinkwasser und sauberer Energie hingegen sind wünschenswert. Der wachsende Einsatz von beispielsweise erneuerbarer Energien, klimaschonender Mobilität, steigender Gesundheitsvorsorge sowie Techniken zur Herstellung von sauberem Trinkwasser kann für wachsenden Wohlstand sorgen. Dann wäre Wirtschaftswachstum nicht die Ursache eines globalen Klimawandels, sondern dessen Lösung.

DUS: Sind die Klimaschutzziele und uneingeschränkter Konsum miteinander vereinbar? Sollten wir unseren jetzigen Konsum einschränken?

CK: Auch hier ist die Frage: Konsum von was? Konsum, der zu Überfischung, Vermüllung und Zerstörung der Erde führt, muss natürlich aufhören und zwar sofort! Aber wir werden die Treibhausgase nicht allein über Verzicht um 95% reduzieren. Ein solches Ziel scheint unerreichbar fern. Wir müssen den Menschen einen machbaren Weg zeigen und dafür auch politisch die Weichen stellen. Statt Askese zu predigen und zu üben, sollten wir uns freuen: Mit Klimaschutz bleibt die Welt lebenswert. Klimaschutz macht Spaß. Und nachhaltig konsumieren ist einfach.

DUS: Was braucht es, um das angestrebte 2-Grad-Ziel zu erreichen? Denken Sie, es ist machbar, dieses Ziel zu erreichen?

CK: Sicher ist das machbar! Es bedarf aber eines kompletten Umsteuerns in allen Bereichen: Ab sofort muss jede Investition statt in fossile in erneuerbare Energien fließen. Das Motto lautet: „Renewables First“!  Also Schluss mit Subventionen für fossile oder atomare Energien. Stattdessen müssen die Folgeschäden endlich eingepreist werden. Wenn Öl, Gas und Kohle so teuer wären, wie sie es in Wahrheit sind, werden die Leute mit großer Begeisterung auf Wind, Wasser, Sonne und Geothermie umsteigen. Wir brauchen eine Regulierung der Finanzmärkte für attraktive Investitionen in die globalen Energiewende. Das ist der Anfang und mit dem entsprechenden politischen Willen leicht umzusetzen. Dann geht’s weiter mit dem nächsten Schritt: Alle Produkte müssen nachhaltig und recycelbar sein. Die Mobilität sollte öko-elektrisch und klimaneutral sein. Auch das kann man durch entsprechende Rahmenbedingungen ermöglichen und einen Wettbewerb klimabewusster Ökonomie in Gang setzen.

Handlungsmöglichkeiten zu mehr Nachhaltigkeit

DUS: Effizienz, Suffizienz und Konsistenz gelten als Strategien der nachhaltigen Entwicklung. Wenn Sie diese Strategien gewichten, wie würde das aussehen und warum?

CK: Das Problem an solchen Begriffen ist leider immer, dass man sich erstmal verständigen muss, was damit gemeint ist. Dabei ist doch klar, dass wir – nach über 40 Jahren Diskussion über die Grenzen des Wachstums, über Umwelt- und Klimaschäden als Folge unseres Wirtschaftens – jetzt endlich handeln müssen.

Effizienz, die Vermeidung von Verschwendung, also mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch ans Ziel zu kommen, ist dabei natürlich wichtig. Andererseits neigt der Mensch dazu, ständig mehr zu wollen. Das führt zu sogenannten Rebound-Effekten. Autos beispielsweise verbrauchen heute theoretisch weniger Sprit als früher, tatsächlich aber verbrauchen sie mehr, weil sie größer und schwerer geworden sind und mit Klimaanlage und elektronischem Service unterm Strich einen höheren Energieverbrauch haben als die Spritfresser früherer Jahrzehnte.

Suffizienz, Genügsamkeit, ist deswegen der logische nächste Schritt. Oder anders gesagt: Verzicht scheint unverzichtbar. Wir brauchen ein Konsumbewusstsein, das den realen Bedarf hinterfragt und vor allem die jeweiligen Folgen eines bestimmten Konsumverhaltens einbezieht. Wenn wir nicht von selbst aufhören, immer mehr zu brauchen, müssen wir eine klimaverträgliche Obergrenze definieren. Eine Art CO2-Budget ist sinnvoll: wenn jeder Mensch nur noch 6,5 Kilogramm CO2 pro Tag ausstoßen darf, dann wird er lernen, wie er mit weniger zurecht kommt. Jedes Land ist gefordert, dass dieses Klima-Budget nicht überschritten wird und muss dies mit entsprechenden Maßnahmen umsetzen.

Konsistenz, Kreislaufwirtschaft, also eine Welt ohne Abfälle, in der alles wiederverwertet wird, ist ein verlockender Gedanke. Die Natur macht es uns in wunderbarer Weise vor. Bislang gelingt es uns nur, die Lebensdauer von Rohstoffen im Verwertungsprozess zu verlängern, von echten Kreisläufen kann kaum die Rede sein. Es wird zwar viel von „Re-Cycling“ gesprochen, aber vollkommene Kreisläufe sind noch Utopie.

Deswegen ist die Strategie-Diskussion nicht hilfreich, erst recht nicht die Frage, welche der Strategien die beste ist. Derzeit sollten wir alle drei Wege beschreiten, gleichzeitig nebeneinander oder am besten miteinander verzahnt. Hauptsache, wir kommen endlich mit großen Schritten weiter!

DUS: Wie schätzen Sie die Handlungsmöglichkeiten der Politik ein? Wie kann/muss die Politik dazu beitragen, Suffizienz zu verwirklichen?

CK: Die Verantwortlichen in der Politik sind genauso gefragt wie jeder einzelne Mensch. Es geht vor allem darum, jegliches Wirtschaften komplett auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz auszurichten. Dies braucht einem bunten Strauß an Instrumenten aus Ordnungsrecht und ökonomischen Rahmenbedingungen. Die Politik muss die Instrumente bauen und zur Verfügung stellen; die Menschen müssen dann verantwortungsbewusst, kreativ und harmonisch auf ihnen spielen.

DUS: Was denken Sie über die Bewegung “Scientists for Future”? Unterstützen Sie die Bewegung?

CK: Ich habe als eine der Erstunterzeichnerinnen den Appell unterzeichnet unterstütze die Bewegung und war bisher auch beim March for Science dabei. Die Wissenschaft hat die Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntnisse in die aktuelle Debatte einzubringen und auf die Dringlichkeit des Handelns hinzuweisen. Die Schülerinnen und Schüler der „Fridays for Future“ fordern völlig zu recht viel ambitionierteres Handeln ein, sie sind die Betroffen. Die Wissenschaft liefert seit über 40 Jahre wissenschaftliche Fakten, die Politik reagiert zu zögerlich und zu spät. Wir haben keine Zeit mehr. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem.

DUS: Sie arbeiten in einem Institut. Warum haben Sie sich für dieses Institut entschieden und was denken Sie, ist die Rolle des Instituts in der nachhaltigen Entwicklung?

CK: Wir liefern seit über 15 Jahren wissenschaftliche Erkenntnisse zum besseren Verständnis, welche ökonomischen Konsequenzen ein ungebremster Klimawandel und auch Klimaschutzmaßnahmen haben werden. Die Rolle der Wissenschaft ist eindeutig: wissenschaftliche Erkenntnisse müssen in der Politikberatung und in der öffentlichen Diskussion eingebracht werden.

Über die Interviewpartnerin

© D. Güthenke

Frau Prof. Dr. Claudia Kemfert hat Wirtschaftswissenschaften studiert und leitet seit 2004 die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Sie ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der privaten Universität, der Hertie School of Governance, in Berlin und als Gutachterin und Politikberaterin in verschiedenen Nachhaltigkeitsbeiräten und Kommissionen tätig.

Kritik am Wachstum – ein Interview mit Niko Paech

Die Forderung unserer #kaufnix-Kampagne „Schluss mit unbedachtem Konsum“ hat Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Daher haben wir im Folgenden den Wirtschaftswissenschaftler Prof. Niko Paech interviewt, der uns seine Sichtweise aufzeigt, warum ein Wandel in der Ökonomie notwendig ist.

Kritik am Wachstum

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Sie sind habilitierter Wirtschaftswissenschaftler.  In der Ökonomie dominiert immer noch der Glaube an das Wachstumsparadigma. Aus welchen Gründen sehen Sie das kritisch und welche Probleme wird unsere Gesellschaft haben, wenn wir weiterhin Wirtschaftswachstum als Allheilmittel sehen?

Niko Paech (NP): Einerseits ist unser heutiges Wohlstandsmodell ohne Wachstum nicht zu stabilisieren. Andererseits ist es weder theoretisch darstellbar, noch empirisch jemals eingetreten, die Wirtschaft wachsen zu lassen, ohne ökologische Schäden zu verursachen. Die bisherigen Versuche, ein umweltverträgliches Wachstum durch technische Innovationen oder nachhaltige Produktdesigns zu erreichen, sind rigoros gescheitert, weil die Schäden auf diese Weise nur verlagert oder in andere Schadenskategorien überführt wurden. Hinzu kommt, dass materieller Wohlstand in modernen Industriegesellschaften auf einer kostengünstigen und unbeschränkten Verfügbarkeit fossiler Energieträger beruht. Doch sowohl bei Rohöl, Flächen als auch der Verfügbarkeit essenzieller Rohstoffe wächst die Knappheit. Außerdem lässt sich das sozial- bzw. entwicklungspolitische Versprechen des Wachstumsdogmas, nämlich Armut und Ungleichheit über Zuwächse der Verteilungsmasse zu mindern, nicht einlösen. Denn der zwecks Wachstumsstimulierung unabdingbare Strukturwandel steigert die Krisenanfälligkeit und sogar die Verteilungsungleichheit.

DUS: Was bedeutet Ihre Wachstumskritik für die individuelle Lebensgestaltung. Müssen wir uns radikal einschränken?

NP: Suffizienz sollte nicht an basalen Grundbedürfnissen, sondern an jenem Luxus  ansetzen, der in jüngster Zeit verbreitet wurde und zugleich die eklatantesten Schäden verursacht. Suffizienz kennt drei Ausprägungen:

  • Reduktion des Ausmaßes einer Aktivität,
  • Selbstbegrenzung, also Beibehaltung einer bislang noch ökologieverträglichen Handlungsweise,
  • Gänzliche Vermeidung einer bestimmten Option.

Der Erfolg dieser drei Suffizienz-Prinzipien kann nur an der Gesamtbilanz  aller ökologischen Schäden, die ein einzelner Mensch verursacht, gemessen werden. Andernfalls droht ein „ökologisches Versteckspiel“, das beispielsweise darin besteht, dass eine suffiziente Ernährung als moralische Kompensation für Flugreisen dient. Allein um das Zwei-Grad-Klimaschutzziel zu erreichen, müssten in Deutschland die ca. 12 Tonnen CO2 pro Kopf  und Jahr um vier Fünftel reduziert werden. Das ist erstens mit keiner Technologie zu erreichen und zweitens vor allem nur durch eine harte Reduktion des Verkehrs möglich. Suffizienz heißt vor allem Sesshaftigkeit.  Die aus Klimaschutzsicht am wenigsten suffizient lebenden Menschen sind daher Flugreisende.

DUS: Werbebotschaften suggerieren, dass Konsum glücklich macht. Sie hingegen sagen, Konsum mache ab einem gewissen Punkt „krank“ – warum?

NP: Ergebnisse der Glücksforschung legen nahe, dass eine Steigerung des über Geld vermittelten materiellen Reichtums das subjektive Wohlbefinden ab einem bestimmten Niveau nicht erhöht. Konsumhandlungen stiften nur dann Nutzen, wenn ihnen ein Minimum an eigener Zeit gewidmet wird. Daraus resultiert eine psychische Überforderung: Die zunehmenden Möglichkeiten an finanzierbaren, jedoch Zeit beanspruchenden Konsumoptionen treffen auf ein nicht vermehrbares individuelles Zeitbudget. Aus Selbstverwirklichung wird Reizüberflutung und schließlich Stress.

DUS: Können Sie uns ein Beispiel geben, wie Sie selbst suffizienz-orientiert leben?

NP: Ich selbst nutze unter keinen Umständen Flugzeuge oder Kreuzfahrtschiffe, habe kein Auto, lebe ohne Handy/Smartphone, Fernseher, habe keine elektrischen Werkzeuge, keine Mikrowelle, keinen Föhn, keinen elektrischen Rasierer, keine Kaffeemaschine. Textilien, Möbel und sonstige Gebrauchsgegenstände beschränke ich auf das nötigste und verlängere deren Nutzungsdauer maximal. Bücher und CDs kaufe ich gebraucht. Zudem bin ich Vegetarier, konsumiere regionale/saisonale Nahrungsmittel, vermeide Verpackungen, lehne insbesondere jede Einweggetränkeverpackung kategorisch ab. 

Neuordnung als Lösung

DUS: Unsere Kampagne versucht, das Konzept der Suffizienz einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Wieso brauchen wir jenseits von Effizienz und Innovation Suffizienz, um unser Leben und unsere Wirtschaft nachhaltig zu gestalten?

NP: Wie gesagt ist eine  Entkopplung des aktuellen Wohlstandes von Umweltschäden nicht möglich. Es ist daher logisch, dass nur die Reduktion der Mobilitäts- und Konsumansprüche dazu verhilft, die ökologischen Grenzen einzuhalten.

DUS: Welche Rolle spielen Green-Growth-Maßnahmen in Zukunft aus Ihrer Sicht?

NP: Die Green-Growth-Strategie ist gescheitert. Mehr noch: Sie hat infolge verheerender Rebound-Effekte sogar bestimmte neue Schäden erst entstehen lassen. Darüber hinaus bildet sie das perfekte Alibi dafür, keine Verantwortung für die eigene Lebensführung übernehmen zu müssen. Gleichwohl können manche Technologien, die oft mit Green Growth assoziiert werden, auch in einer Postwachstumsökonomie zum Einsatz gelangen. Ein Beispiel: Damit Wind- und Solarenergie zur ökologischen Entlastung beitragen können, darf die industrielle Wirtschaft nicht nur nicht wachsen, sondern muss prägnant verkleinert werden.

DUS: Wen sehen Sie in der Verantwortung, diesen Wandel einzuleiten/voranzutreiben? Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Bürger*innen?

NP: Demokratische Regulative, ganz gleich ob Politik, Bildung, Erziehung oder Medien, sind zu bereitwilligen Erfüllungsgehilfen einer öko-suizidalen Daseinsform geworden, die als sozialer Fortschritt verklärt wird. Sie wetteifern darin, jede beliebige Klientel mit ständig neuen Freiheits- und Wohlstandsangeboten zu beglücken. Politische Gestaltungsprinzipien sind auf das dumpfe Niveau des Geschenkeausteilens herabgesunken. Insoweit die meisten kaum weiter von einer nachhaltigen Lebensführung entfernt sein könnten, müssten sie, wenn sie eine Suffizienzpolitik wählen würden, damit ihren Lebensstil abwählen. Das würde niemand verkraften. Deshalb würden nur jene, die längst eine suffiziente Lebensführung eingeübt haben, eine solche Politik ertragen. Dies wiederum bedeutet, dass hinreichend viele Menschen autonom und selbst organisiert damit begonnen haben müssen, Suffizienz nicht nur zu fordern, sondern konsequent vorzuleben, bevor die Gesellschaft als Ganzes zu einer  nachhaltigen Entwicklung befähigt ist. Erst wenn genügend Reallabore entstanden sind, in denen sich suffiziente Daseins- und Wirtschaftsformen als gelebtes Erfahrungswissen etabliert haben, kann deren Verbreitung einsetzen. So entstünde ein Vorrat an imitierbaren Praktiken – ähnlich wie die von Beuys so bezeichneten „sozialen Plastiken“ –, auf die zurückgegriffen werden kann und auf die auch die Politik verweisen kann. Es kommt darauf an, suffiziente und sesshafte Lebenskunst vor dem Verlernen zu bewahren, also in Nischen fortlaufend zu reproduzieren. Denn nachdem die Genügsamkeit ausgestorben ist, stirbt als nächstes die menschliche Zivilisation. Individuen darin zu stärken, unter bescheidenen Bedingungen ein resilientes und würdiges Dasein zu meistern, ist die demokratische Alternative zum aussichtlosen Unterfangen, das große politische Rad in Richtung Reduktion zu drehen, denn die hierzu nötigen Mehrheiten sind absehbar nicht in Sicht.

Über den Interviewpartner
© Niko Paech

Prof. Dr. Niko Paech ist einer der prominentesten Vertreter der Postwachstumsökonomie. Er forscht und lehrt am Lehrstuhl Produktion und Umwelt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg u.a. in den Bereichen Klimaschutz, nachhaltiger Konsum, Umweltökonomik und Innovationsmanagement. Paech ist u.a. Autor des Buches „Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“.