Rezension: „Kompass Konsumreduktion – der Ratgeber zur Befreiung vom Überfluss“

In einer Welt des Überflusses fordert das Buch „Kompass Konsumreduktion“ dazu auf, nicht nur die eigenen vier Wände zu entrümpeln, sondern auch den persönlichen Umgang mit Konsum kritisch zu prüfen. Die Autor*innen der Heinrich-Böll-Stiftung richten den Blick in dem 2022 erschienenen Werk auf persönliche Bedürfnisse, gesellschaftliche Strukturen und ökologische Auswirkungen unseres Konsumverhaltens.

Moderner Konsum im Blick

Der Aufbau des Buches folgt einer klaren Struktur. Im theoretischen Teil werden die Hintergründe und Folgen der modernen Konsumgesellschaft beleuchtet: ökonomische Anreize, soziale Normen und individuelle Bedürfnisse, die das Konsumverhalten beeinflussen. Die Autor*innen machen deutlich, dass Konsum längst mehr ist als eine private Entscheidung. Er sei Ausdruck gesellschaftlicher Vorstellungen von Wohlstand, Erfolg und Zugehörigkeit.

Ausgehend von der Beobachtung überfüllter Wohnungen zeigen sie, wie ständige Produktverfügbarkeit, Werbung und gesellschaftliche Erwartungen dazu führen, dass viele Menschen weit mehr besitzen, als sie brauchen. Konsum werde zum Mittel der Selbstdefinition und zum Symbol von Status und Identität.

Doch genau darin liege das Problem. Ein Leben, das stark auf materiellen Besitz ausgerichtet sei, steigere die Zufriedenheit kaum. Oft führe es zu Stress, Überforderung und innerer Unruhe. Der Kreislauf aus Kaufen, Nutzen, Aussortieren und erneutem Konsumieren halte uns zwar ständig beschäftigt, führe jedoch selten zu echter Zufriedenheit. Zugleich verweist das Buch auf die ökologischen Folgen dieser Überflusskultur: Ressourcenverbrauch, Müllproduktion und CO₂-Emissionen sind direkte Begleiter unseres Konsumverhaltens.

Gleichzeitig stellt der Ratgeber Gegenbewegungen wie den Minimalismus vor. Wer sich von Überflüssigem trenne, gewinne Platz, Zeit und Klarheit sowie ein Bewusstsein dafür, was wirklich wichtig sei. Das Buch verschweigt jedoch nicht die Ambivalenzen solcher Ansätze. Der Wunsch nach „schöner Leere“ könne selbst neuen Konsum befeuern, etwa durch den Kauf minimalistischer Designobjekte. Auch moralische Selbstrechtfertigung („Ich habe ausgemistet, also darf ich mir wieder etwas gönnen“) wird kritisch beleuchtet.

Deine Dinge im Blick

Im zweiten Teil des Buches wird es praktisch: Der „Kompass Konsumreduktion” führt die Leser*innen Schritt für Schritt durch vier Phasen der Konsumreduktion: Introspektion, Reduktion, Weitergabe und Dranbleiben. In jeder Phase werden theoretische Impulse mit konkreten Übungen verbunden, verknüpft mit der Einladung, die eigene Beziehung zu Dingen neu zu denken.

  1. Introspektion: Zu Beginn steht das bewusste Hinsehen. Übungen zu Bestandsaufnahme, Reflexion und Achtsamkeit machen sichtbar, wie Erinnerungen, Gewohnheiten und gesellschaftliche Erwartungen unser Konsumverhalten prägen. Zugleich rücken Herkunft und Herstellung der Dinge in den Blick und damit auch ihr ökologischer Fußabdruck.
  2. Reduktion: In dieser Phase geht es um das aktive Loslassen. Methoden wie die KonMari-Methode, das Minimalist Game oder die Vier-Kisten-Technik unterstützen dabei, Besitz strukturiert zu reduzieren. Im Mittelpunkt steht kein radikales Ausmisten, sondern bewusstes Entscheiden: Was ist notwendig, was spiegelt meine Werte wider und was darf gehen? So wird Reduktion zur Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen und Prioritäten.
  3. Weitergabe: Anstatt Dinge zu entsorgen, fordert das Buch zu Verantwortung auf. Das Wegwerfen aussortierter Dinge bleibt der letzte Ausweg. Alternativen wie Verschenken, Spenden, Verkaufen oder Reparieren werden praxisnah vorgestellt und im Kontext der Kreislaufwirtschaft verortet. So entsteht Bewusstsein dafür, dass jedes weitergenutzte Objekt Ressourcen spart und Nachhaltigkeit fördert. 
  4. Dranbleiben: Die letzte Phase widmet sich der langfristigen Veränderung. Wie lässt sich ein bewusster Umgang mit Konsum dauerhaft im Alltag verankern? Übungen helfen, dem Reiz des Konsums zu widerstehen, Gewohnheiten zu hinterfragen und neue Routinen zu entwickeln, etwa durch gemeinschaftliche Nutzung, Leihen oder Tauschen.

So wird der Praxisteil zu einem alltagsnahen Leitfaden, der Konsumreduktion als persönliche und gesellschaftliche Lernaufgabe begreift und zeigt, dass Nachhaltigkeit im Kleinen beginnen kann.

Handeln leicht gemacht

Bemerkenswert ist die didaktische Gestaltung des Buches: Zahlreiche Reflexionsfragen, Übungen und Infokästen ermöglichen es, die Inhalte direkt auf das eigene Leben zu übertragen. So verbindet das Buch die theoretische Auseinandersetzung mit Konsum und Reduktion konsequent mit praxisnahen Handlungsschritten. Die klare Trennung zwischen theoretischen Grundlagen und praktischen Anleitungen erleichtert die Orientierung und macht den Aufbau nachvollziehbar. Schritt für Schritt können die Leser*innen ihre Gewohnheiten überprüfen und Wege zu bewussteren, nachhaltigeren Entscheidungen entwickeln.

Fazit

Unsere Gesellschaft lebt in materiellem Überfluss: Wir kaufen mehr, als wir brauchen, besitzen Vieles, das ungenutzt bleibt, und werfen oft noch funktionierende Gegenstände weg. Der „Kompass Konsumreduktion” bietet Orientierung und begleitet die Leser*innen auf dem Weg zu einem bewussteren Umgang mit Besitz und Konsum. 

Das Buch zeigt anschaulich, dass Konsumgewohnheiten nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftlich relevante Auswirkungen haben und dass Veränderung im Alltag beginnen kann, sei es durch Besitzreduktion, die kritische Reflexion der eigenen Bedürfnisse oder einen verantwortungsvolleren Umgang mit Ressourcen. 

Auf diese Weise eröffnet der Ratgeber Wege zu einem entrümpelten Alltag und zu einer Lebensweise, die individuelle Zufriedenheit, Suffizienz und gesellschaftliche Verantwortung miteinander verbindet. Damit wird der „Kompass Konsumreduktion” zu einem praxisnahen Leitfaden für alle, die ihre Konsumgewohnheiten bewusst hinterfragen und nachhaltig verändern möchten.

                         

Buchinformationen

Autor*innen: Marlene Münsch, Maximilian Wloch, Lisa Walsleben, Samira Iran, Viola Muster, Jasmin Beppler
Titel: Kompass Konsumreduktion – Der Ratgeber zur Befreiung vom Überfluss                                                        Verlag: oekom
ISBN: 978-3-98726-120-6
Softcover, 68 Seiten
Erscheinungstermin: 05.09.2024

Wenn das Klima kippt: zur Rolle der Suffizienz

Es steht außer Frage, dass der Klimawandel kein fernes Zukunftsszenario mehr ist, sondern längst unsere Gegenwart prägt: Temperaturen steigen, Extremwetter häufen sich, Gletscher schmelzen. Während frühere Klimaschwankungen teils natürliche Ursachen hatten, ist die heutige Erderwärmung eindeutig menschengemacht. Durch die Verbrennung enormer Mengen fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas gelangen riesige Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre und treiben die Erwärmung weiter an. Seit Langem warnen Forschende davor, dass das Klima ein sensibles, komplexes System ist, das abrupt und dauerhaft kippen kann. Diese Kipppunkte lassen sich als kritische Schwellenwerte beschreiben, bei dessen Überschreitung ein Teil des Erdsystems plötzlich und meist unumkehrbar in einen neuen Zustand übergeht – mit tiefgreifenden Folgen für das Leben auf der Erde. Einmal ausgelöst, lassen sich diese Prozesse kaum oder gar nicht mehr stoppen. Im kürzlich veröffentlichtem „Global Tipping Points Report 2025“ haben über 150 Forschende die Kipppunkte des Erdsystems untersucht – mit alarmierenden Ergebnissen.

Die rote Linie des Klimasystems

Je stärker sich die Erde erwärmt, desto näher rückt die Gefahr, dass kritische Kipppunkte des Erdsystems erreicht oder überschritten werden. Forschende haben bereits eine Vielzahl an Kippelementen identifiziert, darunter der Amazonas-Regenwald, die Eisschilde an den Polkappen und Korallenriffe. Im neuen Kipppunkte-Bericht wurde nun deutlich, dass viele Warmwasser-Korallenriffe ihren Kipppunkt bereits erreicht haben und in den nächsten Jahrzehnten drohen, großflächig abzusterben. Darüber hinaus wird davor gewarnt, dass die Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze weitere Kipppunkte im Erdsystem auslösen könnte. Dies kann langfristig einen Meeresspiegelanstieg und gravierende Folgen für Küsten, Klima und das Leben von Millionen Menschen weltweit bedeuten. Trotz dieser Entwicklungen gibt es auch einen Hoffnungsschimmer: die sogenannten positiven Kipppunkte

Positive Kipppunkte verstehen und gestalten

Positive Kipppunkte sind Entwicklungen, die die Wende zu einer nachhaltigen Zukunft möglich machen: Beispielsweise boomen regenerative Energieerzeugungsformen weltweit. Sie werden immer günstiger und verdrängen zunehmend fossile Brennstoffe. Solche selbstverstärkenden nachhaltigen Veränderungen können helfen, das Klima zu stabilisieren und damit den Klimawandel abzubremsen. Doch was benötigt es, um solche positiven Kipppunkte auszulösen und ihre Wirkung zu verstärken?

Maßgeblich sind klare politische Richtlinien für klimafreundlichere Technologien. Es braucht einen politischen Rahmen, der das Auftreten positiver Kipppunkte nicht nur erlaubt, sondern aktiv fördert und fordert. Doch der Bericht macht auch klar, dass politische Maßnahmen und das Vertrauen in technologische Innovationen allein nicht ausreichen. So muss auch der Wirkung von sozialen Dynamiken eine zentrale Rolle auf dem Weg zu einer langfristig klimafreundlichen Zukunft zugeschrieben werden. Aus dem Global Tipping Points Report geht hervor, dass soziale Dynamiken dazu führen können, positive soziale Rückkopplungen hin zu einer klimafreundlicheren Lebensweise anzustoßen. Neben dem aktiven gesellschaftlichen Engagement als Wirkungshebel auf politische Entscheidungsprozesse lassen sich auch zentrale Prinzipien der Suffizienz im Bericht wiedererkennen.

Der persönliche Beitrag zum Klimaschutz: Suffizienz im Alltag verankern

Großflächige Effizienzgewinne und eine zirkuläre Verwendung von Rohstoffen sind wichtige Voraussetzungen, um als Gesellschaft den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch zu senken. Doch sollte dies nicht verdecken, dass auch auf der persönlichen Ebene große Einsparpotentiale bestehen. Ressourcensparende Verhaltensänderungen können zudem kostengünstig und schnell mittels relativ einfacher Maßnahmen freigesetzt werden, wie die nachfolgende Abbildung des Kompetenzzentrums Nachhaltiger Konsum zeigt:

Eine vegetarische oder vegane Ernährung kann bis zu einer halben Tonne Treibhausgase einsparen. Auch der Verzicht auf einen spontanen Hin- und Rückflug von Berlin nach Rom für ein romantisches Wochenende spart knapp eine halbe Tonne CO₂ ein. Wer regelmäßig für den Weg zur Arbeit oder Kita auf das Auto verzichtet, setzt einen weiteren Big Point um. 

Suffizienz kann so schrittweise zu einem selbstverstärkenden Prozess werden, indem nachhaltige Lebensstile nicht mehr als Einschränkung, sondern als neue Normalität wahrgenommen werden. Je stärker suffizientes Verhalten jedoch zur neuen gesellschaftlichen Norm wird, umso mehr erhöht dies auch den Druck auf Politik und Märkte, sich mit Maßnahmen bzw. Angeboten im Sinne nachhaltiger Lebensweisen zu befassen. 

Laut Global Tipping Points Report 2025 sind es genau diese einfachen Anpassungen, die das größte Potenzial haben, positive Kipppunkte zu erzeugen. Die positiven Auswirkungen sind potentiell enorm: Immerhin zeigt die Abbildung, dass bereits mit den Big-Point-Maßnahmen eine Halbierung des durchschnittlichen CO₂-Fußabdrucks möglich ist. Würde jede*r der rund 50 Millionen erwachsenen Bundesbürger*innen rund 5 Tonnen Treibhausgase jährlich einsparen, wären das gigantische 250 Millionen Tonnen jedes Jahr. Der Versuch lohnt sich also, im Freundes- und Bekanntenkreis darüber zu reden. 

Was kippt zuerst, das Klima oder wir?

Der Bericht macht deutlich: Wir stehen an einer Schwelle, an der über die Zukunft entschieden wird. Wie diese Zukunft aussehen wird, liegt bei uns und den Entscheidungen, die wir heute treffen – auf persönlicher ebenso wie auf hochrangiger politischer Ebene. Auf Letzterer steht in wenigen Tagen eine neue Verhandlungsrunde an: Vom 10. bis 21. November 2025 findet in der brasilianischen Stadt Belém im Herzen des Amazonasgebiets die 30. Weltklimakonferenz statt. Zum Wohle der Weltgemeinschaft ist zu hoffen, dass von diesem besonderen Ort ein neuer Wind für den Klimaschutz ausgeht. 

Buchvorstellung: „Wege zur Suffizienz“

In einer Zeit, in der ökologische Krisen dringender denn je nach konkreten Handlungsansätzen verlangen, bietet das vorliegende Buch ,,Wege zur Suffizienz. Grundlagen und Anleitung für die Gestaltung von Zukunftsworkshops” eine fundierte und praxisnahe Anleitung für die Gestaltung von Workshops, die sich mit der Umsetzung einer suffizienten Zukunft beschäftigen. 

Für wen die Publikation geeignet ist

Hervorgegangen ist das Buch aus dem interdisziplinären Forschungsprojekt „Wege zur Suffizienz”, das am Zurich Knowledge Centre for Sustainable Development in Kooperation mit mehreren Hochschulen durchgeführt wurde. Das Kernstück des Buches bildet die Anleitung für einen etwa dreistündigen Zukunftsworkshop, der sich an all jene richtet, die sich – sei es aus persönlichem Interesse oder im Rahmen eines Bildungsformates – mit dem Konzept der Suffizienz und der Gestaltung einer suffizienten Zukunft beschäftigen möchten. Es sind weder Vorkenntnisse erforderlich noch eine bestimmte Vorbildung – alle nötigen Inhalte werden im Laufe des Workshops vermittelt.

Die Zielgruppe ist bewusst breit gefasst: Jugendliche ab 15 Jahren, Erwachsene, Schulklassen, Studierende, Vereinsgruppen oder auch Mitarbeitende in Organisationen. Prinzipiell kann der Workshop von jedem durchgeführt werden, Moderationserfahrung ist allerdings von Vorteil. Zudem kann eine Durchführung zu zweit vorteilhaft sein, u. a. um gezielter anleiten zu können, bei Bedarf besser Hilfestellung geben und das Geschehen besser beobachten zu können. 

Was mit dem Format erreicht werden soll

Ziel der Session ist es, bei den Teilnehmenden ein Bewusstsein für die Bedeutung von Suffizienz und ihrer Notwendigkeit für eine nachhaltige Zukunft zu schaffen. Sie sollen zum kritischen Hinterfragen der aktuellen Situation bewegt und darin ermutigt werden, im eigenen Kontext suffiziente Lebensweise zu erproben. Dafür vermittelt der Workshop zum einen relevantes Wissen zum Thema Suffizienz und nachhaltige Entwicklung. Zum anderen ermöglicht er den Mitwirkenden, gemeinsam vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Beschreibung des Ist-Zustands Visionen einer suffizienten Zukunft zu entwickeln und Hindernisse und Herausforderungen auf dem Weg dahin zu identifizieren sowie Transformationsstrategien zu entwickeln. 

Ein umfangreiches Paket

Das Buch kann wahlweise in gedruckter Form für 22 Euro beim oekom-Verlag bestellt werden oder kostenlos als PDF heruntergeladen werden. Ergänzend zum Buch wird ein umfangreiches Arbeitspaket mit einer Einstiegspräsentation und diversen Arbeitsmaterialien zur Verfügung gestellt, das an dieser Stelle zum Download zur Verfügung steht

Buchinformationen:

Autor*innen: Furrer, Wiktoria/Inderbitzin, René/Fontana, Giulia/Probst,Johannes/Creutzburg, Leonard/Behringer, Jeannette/Hilty, Lorenz
Titel: Wege zur Suffizienz. Grundlagen und Anleitung für die Durchführung von Zukunftsworkshops
Verlag: oekom 
ISBN: 978-3-98726-117-6 
Softcover, 80 Seiten  
Erscheinungstermin: 01.08.2024

Obsoleszenz und Verbraucherverantwortung

Man kennt Sätze wie diese: ,,Produkte halten heute einfach nicht mehr so lange wie damals” oder ,,Früher konnte ich diese Schrauben einzeln nachkaufen, jetzt muss ich auf einmal gleich das ganze Teil austauschen.” Häufig sind sie von älteren Menschen zu hören. Oft reagieren jüngere Leute mit einem Augenrollen oder Schmunzeln – tun sie als nostalgische Erinnerungen ab. 

Ein genauer Blick zeigt allerdings recht schnell, dass diese Aussagen einen wahren Kern besitzen. Wer hat sich nicht auch schon einmal darüber geärgert, dass die neue Waschmaschine schon nach zwei Jahren defekt ist? Dass sich für die Kaffeemaschine keine Ersatzteile finden lassen oder der Akku in einem Gerät fest verbaut ist? Oder, dass es manchmal schlichtweg günstiger ist, ein Produkt neu zu kaufen, anstatt es reparieren zu lassen? Hinter all diesen Beispielen könnte eine Praxis stecken, die wissenschaftlich als geplante Obsoleszenz bezeichnet wird. 

Geplanter Verschleiß für mehr Umsatz?

Das Konzept fußt auf der Annahme bzw. Behauptung, dass Hersteller diesen skizzierten Verschleiß gezielt herbeiführen. Ziel sei es mithin, die Lebensdauer eines Produktes gezielt künstlich zu begrenzen, um den Konsum und folglich den Absatz anzukurbeln. Dies werde bereits beim Produktdesign – also insb. der Konzeption der Funktionalitäten, des technischen Designs und der Auswahl der Materialien sowie deren Verarbeitung berücksichtigt. 

Formen der Obsoleszenz

Neben der qualitativen Obsoleszenz, bei der ein Produkt so konstruiert wird, dass bestimmte Bauteile schneller verschleißen oder nur schwer austauschbar sind, kennt die Forschung noch weitere Formen:

In die Kategorie der funktionalen Obsoleszenz gehören Fälle, in denen neue Modelle mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet werden. Maßgeblich ist dabei, dass diese bewusst so gestaltet werden, dass sie mit älteren Geräten inkompatibel werden. Im Ergebnis muss zwangsläufig auch das alte Gerät ersetzt werden, obwohl es technisch noch einwandfrei funktioniert. 

Bei der psychologischen Obsoleszenz spielen Design und Marketing eine zentrale Rolle: Durch die stetige Veröffentlichung von immer neuen Modellen und Versionen soll bei Konsument*innen bewusst der Drang erzeugt werden, diese neuen Produkte besitzen zu müssen. 

Eine weitere Form ist die sogenannte Software-Obsoleszenz, die in Bezug auf technische Geräte wie Smartphones oder Computer diskutiert wird. Für ältere Geräte wird der technische Support eingestellt und neue Updates werden nicht mehr zur Verfügung gestellt. Dadurch lassen sich diese Geräte nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr nutzen.

Rentiert sich schließlich für Verbraucher*innen ein Neukauf mehr als die Reparatur eines alten Produktes, wird dies auch als ökonomische Obsoleszenz bezeichnet. 

Gemeinsames Ziel bzw. handlungsleitende Motivation all dieser Praktiken ist es theoretisch, den Konsum anzukurbeln. Unternehmen wollen demnach ihren Umsatz steigern und zugleich ihre Kosten senken, etwa durch die Verwendung von preiswerteren Materialien und einfacheren Verarbeitungsweisen. 

Zwei Seiten der gleichen Medaille 

Ob es in der Praxis allerdings eine gezielte Manipulation auf Seiten der Hersteller gibt, ist bis jetzt nicht eindeutig belegt. Eine Auswertung von Dauertests der Stiftung Warentest zeigte, dass beispielsweise Haushaltsgeräte heute nicht schneller kaputt gehen als früher. In einer Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahre 2016 wurde zwar festgestellt, dass der Anteil an untersuchten Haushaltsgeräten, die wegen eines Defektes bereits nach fünf bis sechs Jahren ausgetauscht wurden, von 3,5 auf über 8 Prozent gestiegen ist, ein absichtlich herbeigeführter Verschleiß im Sinne einer „Sollbruchstelle“  als Ursache konnte allerdings nicht nachgewiesen werden. Zwar zeigte sich, dass die Gestaltung einiger Bauteile eher lebensdauerverkürzend wirkt, grundsätzlich können jedoch alle Komponenten eines Geräts versagen. Hersteller verfolgen laut der Studie vielmehr das Ziel, die Lebensdauer einzelner Bestandteile möglichst einander anzugleichen – Produkte sollen so lange wie nötig, aber nicht zwingend möglichst lange halten. Dabei sehen sich Produktdesigner stets dem Spannungsfeld aus technischen, funktionellen und optischen Aspekten, Erwartung und Zahlungsbereitschaft der Zielgruppe(n) sowie Gewinn- und Renditeerwartungen des Unternehmens gegenüber.

Dennoch steht an dieser Stelle unweigerlich die Frage im Raum, ob der Produktgestaltung im Sinne der Nachhaltigkeit nicht stärker Grenzen gesetzt werden sollte, bspw. indem eine Mindesthaltbarkeitsdauer vorgegeben wird. Ein weiteres Problem an dieser Stelle ist, dass Verbraucher*innen die tatsächliche Qualität des Produktes oft nur indirekt abschätzen können. Mit einem höheren Preis oder einem höherwertig anmutenden Design geht bei vielen Kund*innen die Erwartung einher, insgesamt ein qualitativ besseres Produkt zu erwerben. Gerade bei technischen Geräten sagen diese Details jedoch nicht zwingend etwas über die Langlebigkeit aus. Hier bräuchte es mehr Transparenz bspw. in Form eines Ausweises der erwartbaren Nutzungsstunden.  

Darüber hinaus kam die Studie des Umweltbundesamtes allerdings auch zu dem wichtigen Ergebnis, dass beispielsweise knapp 60 Prozent der Fernsehgeräte nicht wegen eines technischen Defekts, sondern aufgrund des Wunsches der Verbraucher*innen nach einem neuen Gerät bereits nach relativ kurzer Zeit ausgetauscht werden. In der heutigen Konsum- und Wegwerfgesellschaft verlieren Produkte bei vielen Menschen schnell an Wert, wenn sie nicht mehr den neuesten Trends entsprechen oder eine brandaktuelle Funktionalität nicht besitzen. Es wäre daher zu einfach, die Verantwortung ausschließlich den Unternehmen zuzuschieben. Vielmehr ist es auch jeder Einzelne, der mit seinen Konsumentscheidungen den Markt mitgestaltet.  

Ein Kompass für den eigenen Konsum

Auch wenn sich eine geplante Obsoleszenz nicht nachweisen lässt, so sind unsere aktuellen Konsummuster unzweifelhaft mit gravierenden ökologischen und sozialen Konsequenzen verknüpft. Insgesamt hat sich die Nutzungsdauer von Produkten vielfach verkürzt. Zudem können Produkte oft nur schlecht oder gar nicht recycelt werden. Schon seit langem forderten Umweltschützer*innen daher mehr Transparenz, langlebigere Produkte und ein Recht auf Reparatur. Eine entsprechende EU-Richtlinie ist 2024 in Kraft getreten und muss bis 31. Juli 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Sie umfasst insbesondere die folgenden fünf Punkte:

  • Reparaturpflicht der Hersteller: Hersteller müssen für bestimmte Produkte nach Ablauf der Gewährleistung Reparaturen zu angemessenen Preisen anbieten, nicht nur den Austausch.
  • Verfügbarkeit von Ersatzteilen: Hersteller müssen Ersatzteile für eine bestimmte Dauer nach dem Kauf vorhalten. 
  • Zugang zu Informationen und Software: Reparaturwerkstätten und Verbraucher sollen Zugang zu Reparaturanleitungen und Software erhalten, um die Reparatur zu erleichtern.
  • Designvorgaben: Neue Produkte müssen einfacher reparierbar sein und langlebigere Komponenten (z. B. Akkus) enthalten.
  • Transparenz für Verbraucher: Ein EU-Formular soll dabei helfen, die Kosten und Dauer von Reparaturen zu vergleichen.

Das Recht auf Reparatur stellt jedoch nur einen ersten – allerdings wichtigen – Schritt dar, der sich gezielt gegen mögliche Obsoleszenzstrategien wendet – mag es sie nun geben oder nicht. Es trägt zugleich dazu bei, die Lebensdauer von Produkten deutlich zu verlängern. Damit wird jedoch nur ein positiver ökologischer Effekt einhergehen, wenn Verbraucher*innen ihrer ökologischen Verantwortung nachkommmen – funktionierende Geräte also auch noch verwenden, wenn sie nicht mehr die allerneusten Funktionen haben oder das Design bereits etwas in die Jahre gekommen ist.

Mindestens genauso wichtig ist es jedoch, sich und seine Konsumerwartungen kritisch zu hinterfragen: Wie wahrscheinlich ist es, dass für einen Kleiderschrank Holz aus nachhaltiger und regionaler Waldbewirtschaftung verarbeitet wird, zugleich auf die Verwendung von problematischen Chemikalien oder fragwürdigen Arbeitsbedingungen verzichtet wird und dies zu einem „Spottpreis“ geschieht? Wie realistisch ist es, dass eine neue und hochwertige Bohrmaschine für weniger als 50 € angeboten wird? Und schließlich: Muss man das betreffende Produkt überhaupt persönlich besitzen oder nutzt man es nur sehr selten?

Ein Blick auf die Anti-Verbraucher-Pyramide der Deutschen Umweltstiftung verdeutlicht, dass sich mittels derartiger Überlegungen Verhaltensveränderungen ebenfalls nutzen lassen, um kurzlebigen Produkten das Dasein zu erschweren.

Egal, ob es sich um kommerzielle Angebote oder selbst organisierte private Projekte handelt: Es bilden sich immer mehr Projekte vom Kleingartenverein bis hin zum städtischen Quartier, die Gebrauchsgüter wie bspw. Werkzeuge gemeinsam nutzen. Auch große Unternehmensketten bieten zunehmend die Möglichkeit, Produkte auszuleihen. So werden zum einen weniger Güter erworben. Zum anderen wird es auf diese Weise möglich, auch mit beschränkten finanziellen Mitteln hochwertige Produkte mit einer besseren Verarbeitung und tendenziell längeren Lebensdauer zu verwenden. 

Wenn Sie also das nächste Mal vor der Frage stehen, welcher neue Rasenmäher es sein soll, sprechen Sie zunächst erst mit Ihren Nachbar*innen. Es lohnt sich finanziell und ökologisch.

Junge Menschen für Suffizienz begeistern

Jugendliche

Digitale Anwendungen können neue Wege eröffnen, um den eigenen Ressourcenverbrauch sichtbar zu machen und konkrete Alternativen zu erproben. Interaktive Selbsttests helfen, individuelle Konsummuster einzuordnen, deren Umweltauswirkungen in Zahlen zu fassen und dadurch persönliche Handlungsspielräume nachvollziehbar zu machen. Ein bekanntes Beispiel ist der CO2-Rechner des Umweltbundesamtes, mit dem Nutzer*innen ihren CO2-Fußabdruck bspw. bei einer Flugreise ermitteln können. Eine stärker ganzheitlich auf das Thema Suffizienz ausgerichtete Alternative ist der SuffizienzCheck des ifeu, über den hier berichtet wird. In diesem Beitrag steht nun der schulische Fokus und die Lebenswirklichkeit junger Menschen im Mittelpunkt der Betrachtung.

Suffizienz entdecken 

Mit Unterstützung des Umweltbundesamtes und dem Umweltministerium hat die Deutsche Umweltstiftung 2020 die Suffizienzdetektive entwickelt: suffizienzdetektive.de

Es handelt sich um eine multimediale Internetseite für junge Menschen, die auf spielerische und leicht zugängliche Weise erklärt, was es bedeutet, die eigene Lebens- und Freizeitgestaltung ressourcenschonend vorzunehmen und wie dies im Alltag gelingen kann.

In einem Prozess des Erforschens und Entdeckens können die jungen Nutzer*innen mehr über die Methoden erfahren, mit denen sie das Prinzip der Suffizienz in ihr Leben integrieren können. Auf der Internetseite finden sich dazu neben vielen Tipps und Tricks auch Poetry Slams, Videos und ein Browsergame, bei dem die junge Emma durch die vielfältig auftretenden Dilemma einer suffizienten Lebensgestaltung geführt werden muss. Auf diese Weise verbindet die Internetseite spielerischen Wissenserwerb mit der Einladung zur kritischen Selbstreflexion und persönlichen Veränderung.

Browsergame „Emma im Dilemma“

Ein kleiner Hinweis für Lehrkräfte 

Die Internetseite ist auch hervorragend geeignet, um das Thema in den Unterricht oder einen Projekttag zu integrieren. Sie enthält dazu diverse Unterrichtsmaterialien, um Schüler*innen mit dem Thema Nachhaltigkeit allgemein und insbesondere Suffizienz vertraut zu machen.

Lehrkräfte können kostenlos einen Ablaufplan für eine videogestützte Unterrichtseinheit herunterladen. Die Videos sind bewusst auf junge Menschen und ihre Alltagswirklichkeit zugeschnitten. Dabei werden Themen wie der eigene Lebensstil, die persönliche Ernährung, der Umgang mit elektronischen Geräten oder Kleidung sowie das eigene Mobilitätsverhalten betrachtet. Experteninterviews und ein Audioguide zur suffizienteren Gestaltung des schulischen Alltags runden das Angebot ab.

Suffizienz im eigenen Leben verankern

Sicherlich: Damit sich Menschen suffizient verhalten können, braucht es zukünftig noch mehr politische Weichenstellungen und entsprechende Angebote. Dennoch sollte dies keine Ausrede sein, um das eigene Verhalten nicht kritisch reflektieren zu müssen. Denn oft lassen sich suffiziente Veränderungen im persönlichen Kontext bereits heute mit kleinen Maßnahmen erreichen. Digitale Anwendungen wie der CO2-Rechner des Umweltbundesamtes, der SuffizienzCheck des ifeu oder die Suffizienzdetektive helfen dabei – egal, ob jung oder alt.