Buchrezension: „Kauf mich! Auf der Suche nach dem guten Konsum“ von Nunu Kaller

In ihrem neuen Sachbuch „Kauf mich! Auf der Suche nach dem guten Konsum“ – erschienen am 08. März 2021 im Kremayr & Scheriau Verlag – untersucht Bestsellerautorin Nunu Kaller verschiedene Facetten des Konsumierens und wie dies gesteuert werden kann. Wie beeinflusst die Industrie den menschlichen Kaufantreib und inwiefern entscheiden Kund*innen eigentlich noch selbst über ihn? Warum, was und wie kauft der Mensch? Die Autorin widmet sich u. a. dem Dopamin-High, das den Menschen bei der Schnäppchenjagd überfällt, entlarvt die verschiedenen Tricks von Supermärkten, wie sie Konsument*innen zum Kauf überreden und zerlegt die Greenwashing-Versuche der Modeindustrie. Sie tritt energisch dafür ein, dass Kund*innen nicht die Alleinverantwortung für nachhaltiges Konsumieren tragen, sondern die Industrie und der Markt verantwortungsbewusster mit ihrem Einfluss auf die menschliche Kaufpsychologie umgehen müssen. So malt Kaller ein fulminantes Bild rund um die Konsumpolemik mit dem Ausblick, dass zum einen die Politik und Wirtschaft gravierend zu einer Richtungsänderung beitragen müssen und zum anderen auch jede*r Einzelne sein/ihr eigenes Kaufbedürfnis reflektieren sollte. Schließlich könne man ihrer Ansicht nach niemanden in guten Konsum hinein „shamen“.

Nunu Kaller, die von 2014 bis 2019 als Konsument*innensprecherin bei Greenpeace arbeitete, möchte die Leser*innen nicht zum Nullkonsum bekehren, sondern ausgehend von der Tatsache, dass der Mensch konsumiert, die psychologische, biologische und wirtschaftliche Perspektive dieses Konsums beleuchten. Anhand ihrer Recherche soll die Leitfrage diskutiert werden, ob es „guten“ Konsum überhaupt gibt und wie dieser gegebenenfalls aussieht. Im Vorwort gelungen hergeleitet begründet sie die eigene Motivation in ihrer Relevanz, zumal die Konsumdebatte in Zeiten der Klimakrise für Viele immer wichtiger wird. Schon mit den ersten Seiten spricht Kaller daher jenen Menschen aus der Seele, die sich bereits mit ökologisch nachhaltigem Konsum auseinandergesetzt haben, durch die Fülle an Informationen im World Wide Web zu diesem Thema jedoch verunsichert sind.

Du bringst Menschen dazu, ihr eigenes umweltschädliches Verhalten zu überdenken, wenn du ihnen zeigst, dass sie möglicherweise selbst, ganz direkt und unmittelbar, gefährdet sind.

Nunu Kaller, S.11

Kaller führt die Leser*innen anhand ihrer eigenen Gedanken durch 236 Seiten und veranschaulicht die gesammelten Fakten durch Anekdoten und Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben sowie aus dem ihres privaten Umfelds. Die insgesamt sechs Kapitel widmen sich jeweils einer übergeordneten Frage und navigieren die Leser*innen anregend durch ihre Recherche. Beginnend mit dem ersten Kapitel „Warum kaufen wir?“ geht die Autorin über zu der Feststellung „Man kann nicht nicht konsumieren“ (Kapiel 2), um danach zu erörtern „Was machen die [Industrie und Werbung] mit uns?“ (Kapitel 3) und „Was macht Konsum eigentlich wirklich mit uns?“ (Kapitel 4). Nachfolgend (Kapitel 5) wird diskutiert, warum Konsum überhaupt schlecht ist, um im abschließenden Kapitel „Was ist denn nun ‚guter Konsum‘?“ alle Resultate zusammenzuführen. Die Überschriften sind aussagekräftig gewählt, jedoch wäre für das Motiv des Buches – die Suche nach „gutem“ Konsum – eine darauf ausgerichtete Kapitelaufteilung sinnvoller. So würde das fünfte Kapitel „Warum ist Konsum eigentlich überhaupt schlecht?“ einen guten Einstieg in die übergeordnete Fragestellung bilden. Durch Unterüberschriften, die die sechs großen Kapitel in thematische Blöcke einteilen, wird dem Buch eine stringente Struktur mit bündigen Überleitungen verliehen. Empfehlenswert wäre allerdings die Aufführung der Unterkapitel im Inhaltsverzeichnis gewesen, damit Fakten und Informationen gezielt nachgelesen oder gesucht werden könnten.

Kaller wirft unabhängig von den Kapitelüberschriften viele (moralische) Fragen auf, deren Beantwortung partiell den Leser*innen überlassen bleiben, wie zum Beispiel warum wir kaufen, obwohl uns die Produktionsbedingungen allgemein bekannt sind. Hierdurch tritt die Hauptfrage „Gibt es guten Konsum?“ teils in den Hintergrund. Der/Die ein oder andere Leser*in wird sich deshalb zwischendurch bei der Suche nach dem Sinn hinter den gelesenen Seiten ertappen, jedoch schnell wieder zum roten Faden zurückfinden. Insgesamt zeigt die Autorin also überwiegend nachvollziehbar und schlüssig die facettenreiche Tragweite der Konsumthematik auf, wobei wenige Passagen, beispielsweise die Psychologie der Industrie, eine noch intensivere Erörterung verlangt hätten. Ihre Argumentation untermauert Kaller durch Quellenangaben verwendeter Artikel und Studien sowie weiterführender Literatur in Fußnoten, die für eine bessere Übersichtlichkeit in einem Quellenverzeichnis am Ende des Buches hätten zusammengetragen werden können.

Die offengelegten Fakten und Rechercheergebnisse unterstreicht die Autorin mit Humor und befreit sich durch ihre eher alltagssprachlich gehaltene Langage vom Stereotypen des anstrengenden Sachbuchs. Dass Nunu Kaller sich als leidenschaftliche Wienerin beschreibt, spiegelt ihre Schreibart wider: Als deutsche*r Leser*in stolpert man über österreichische Ausdrücke und schmunzelt über Begriffe wie „Sackerl“ oder „Packerlsuppe“. Nur selten bleibt man an langen Sätzen hängen, deren Sinn sich jedoch nach erneutem Lesen zu entfalten weiß. Stilistisch liest sich das Buch flüssig, Rechtschreibfehler, die den Gesamteindruck trüben könnten, finden sich kaum. Kaller bedient sich dem Binnen-I, um mit ihrer Sprache Geschlechtergleichheit zu generieren. Dies ist für den Sprachwandel zu begrüßen, da das Gendern für weite Teile der Bevölkerung leider noch nicht selbstverständlich und nachvollziehbar geworden ist.

„Wir dürfen auch nicht zu streng mit uns sein. Ja, natürlich darf man hin und wieder sinnlosen Konsum genießen.“

Nunu Kaller, S. 224

Ihre Überzeugung, man könne niemanden in guten Konsum hinein „shamen“, führt insgesamt zu einem selbstkritischen und offenen Blick auf die Thematik, ausgehend von ihrer Person und ihrem Leben. Sie betont authentisch, dass sie sich von ihrer eigenen Konsumkritik nicht ausnehmen möchte und spielt ohne erhobenen Zeigefinger die Rolle des Vorbilds. Erfahrungsberichte, wie sie oder Freund*innen sich sinnlosem Konsum hingaben, rufen Sympathie für die Autorin hervor und führen zu einer größeren Identifikation mit dem Gelesenen. „Wenn Nunu Kaller es schafft, für sich die Bedeutung von ‚gutem‘ Konsum zu erörtern und ihr Kaufbedürfnis demnach anzupassen, wieso ich nicht auch?“ So schafft sie es, die Leser*innen zum Überdenken des eigenen Handelns anzuregen. Hierfür wäre am Ende des Buches eine Zusammenfassung der Möglichkeiten, wie man das eigene Konsumverhalten reflektieren könnte, als Wegweiser nützlich gewesen.

Im Gesamteindruck gewinnt Nunu Kaller die Leser*innen mit ihrem Charme und ihrer Authentizität. Revolutionäre Erkenntnisse bleiben aus, doch scheint dies auch nicht der Anspruch der Autorin zu sein. Viel mehr gibt sie verwirrten Konsument*innen, die sich weiter in Richtung Nachhaltigkeit orientieren möchten, eine Stütze im Informationswirrwarr. Erfrischenderweise begann Kaller ihre Recherchen vor der Corona-Pandemie und geht in ihrem Buch nur kurz auf die Veränderungen, die die Krisenzeit auf unseren Konsum ausübt, ein. Natürlich wäre die Erörterung im Lichte des Online-Shopping-Hochs überaus interessant, doch stellt ihre Forschung dadurch eine angenehme Abwechslung zur aktuellen Berichtserstattung dar.

„Kauf mich! Auf der Suche nach gutem Konsum“ ist eine Erinnerung für diejenigen, die bereits reflektiert und nachhaltig konsumieren, wieso sie dies tun und eine Aufforderung an diejenigen, die bereits „grün affin“ sind, sich aktiv mit ihrem Konsum zu beschäftigen. Ihr Plädoyer für weniger Konsum und mehr Verantwortung mit dem nachhaltigen Grundgedanken im Hinterkopf, weiß angesichts der ausgeprägten Stärken und wenigen Schwächen zu beeindrucken. Mit der richtigen Mischung aus Emotion, Sachlichkeit und Witz hält sie die Lesenden bei Laune und zeichnet ein Bild der Realität, bei dem man nicht sicher ist, ob man lachen oder lieber weinen möchte.

Über die Autorin

Copyright: Julius Hirtzberger

Nunu Kaller, geboren 1981 und seither leidenschaftliche Wienerin, absolvierte ein Studium der Publizistik, Anglistik und Zeitgeschichte. Nach zwei Jahren bei diepresse.com wechselte sie in die NGO-Welt. 2014 bis 2019 arbeitete sie als Konsument*innensprecherin bei Greenpeace. Seit Ende 2019 ist sie selbstständig als Autorin, Speaker, Beraterin und Initiatorin von nunukaller.com, einer Plattform, die heimischen Unternehmen im Corona-Lockdown zu Sichtbarkeit verhalf. Bei KiWi erschienen von ihr die Bestseller „Ich kauf nix!“ und „Fuck Beauty!“.

Suffizienzorientierung – ein Interview mit Josephine Tröger

Suffizienz stellt eine grundsätzliche Verhaltensänderung der Menschen und ein stärkeres Bewusstsein für unseren Konsum in den Mittelpunkt. Für viele ist sie deswegen immer noch die unbeliebteste Nachhaltigkeitsstategie. Wir haben mit der Umweltpsychologin Josephine Tröger über Suffizienz gesprochen und wie ein Paradigmenwechsel durch kollektive Wirksamkeit und Einzelleistungen funktionieren kann.

Deutsche Umweltstiftung: Sie promovieren an der Universität Koblenz-Landau im Bereich der Umweltpsychologie zu Suffizienzorientierung. Was ist eigentlich Umweltpsychologie und was können wir uns unter Suffizienzorientierung vorstellen?

Josephine Tröger: Umweltpsychologie ist eine Teildisziplin der Psychologie, die sich mit Mensch-Umwelt- Interaktionen beschäftigt. Das heißt, sie versucht zu analysieren, wie die Umwelt auf den Menschen wirkt und wie wir Menschen auf die Umwelt wirken, welche Auswirkungen das auf psychische Aspekte wie Kognition, Emotion, und Verhalten hat. Sie ist eine sehr anwendungsorientierte Teildisziplin der Psychologie, in der eigentlich jede Form von Mensch-Umwelt-Interaktionen behandelt werden kann – von Architekturpsychologie bis Mensch-Maschine-Interaktion und der zentralen Frage nach dem Schutz und den Umgang mit unseren Lebensgrundlagen. Was die Umweltpsychologie sehr besonders macht, ist die große Interdisziplinarität. Sie nutzt Erkenntnisse und Methoden anderer Wissenschaftsdisziplinen und vernetzt, um einen Beitrag etwa zur Lösung der Klimakrise zu leisten. Das ist teilweise sehr herausfordernd, bietet aber auch reichlich Chancen. Ein Projekt wie die sozial-ökologische Transformation ist nur zu bewerkstelligen, wenn viele Disziplinen zusammenarbeiten und -denken

Suffizienzorientierung beschreibt suffizientes Verhalten als „Änderungen in Konsummustern, die helfen, innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit der Erde zu bleiben, wobei sich Nutzenaspekte des Konsums ändern“ (Heyen et al. 2013, S. 7)[1]. Die Suffizienz ist die Nachhaltigkeitsstrategie, welche die Endlichkeit der Ressourcen der Erde (auch „planetare Grenzen“ genannt) als oberstes Gut anerkennt und hier eine absolute Grenze, an dem sich z.B. wirtschaftliche Prozesse ausrichten sollen, respektiert. Die Suffizienz hat damit eine große Verwandtschaft mit dem Konzept der starken Nachhaltigkeit.

Als Suffizienzorientierung würde ich die Einstellung und Bereitschaft beschreiben, den Lebensstil an den eben diesen planetaren Grenzen auszurichten. Dabei spielt die Erkenntnis eine Rolle, dass Konsumreduktion einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der sozial-ökologischen Krise liefert.

Eine Abgrenzung zu den anderen Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz und Konsistenz ist wissenschaftlich sinnvoll. In der Praxis und im tatsächlichen Handeln spielen natürlich Wechselwirkungen und Interdependenzen eine Rolle. 

Deutsche Umweltstiftung: Für viele Menschen ist Suffizienz die anstrengendste und unbeliebteste Nachhaltigkeitsstrategie. Warum fällt suffizientes Handeln so schwer?

Das hat aus meiner Sicht vor allem zwei wesentliche Gründe: Zum einen lassen wir uns gern von außen leiten und erzählen, was wichtig ist und was zu einem scheinbar glücklichem Leben gehöre: vom persönlichen Umfeld, von vorherrschenden Normen und Werten, vermittelt durch so etwas wie Werbung. Konsum und Statussymbole spielen gegenwärtig eine große Rolle in unserer Gesellschaft. Andere Formen von Wohlstand, wie Zeit, Sozialleben, Familie, Selbstverwirklichung oder sonstige immaterielle Güter spielen kaum eine Rolle. Sie sind zwar privat wichtig, aber es gibt wenige öffentliche und sichtbare Strukturen, die diesen Bereichen eine hohe Bedeutung zuweisen. In der Wertschätzung und Belohnung von Care-Arbeit wird so etwas ersichtlich. Oder man zeigt seinen beruflichen Erfolg vielleicht lieber mit einem teuren Auto als mit viel Freizeit. Dabei würde ein Verzicht auf ein Auto viel Freizeit bringen, weil man für das dafür nötige Geld auch nicht mehr arbeiten müsste. Die Frage was wirklich wichtig ist, welche individuellen Bedürfnisse im nicht materiellen Sinne vorhanden sind und befriedigt werden müssen, ist ein wichtiger Aspekt von Suffizienz.

Zum anderen sind viele Infrastrukturen in unserer Gesellschaft so geschaffen dass sie suffizienzorientiertes Verhalten nicht belohnen. Nehmen wir das Beispiel Lebensmittelkonsum: Konventionelle Lebensmittel im Supermarkt sind gerade deswegen billiger als die ökologischen Biolebensmittel, weil in konventionellen Lebensmitteln der ökologische Schaden, den diese verursachen, nicht eingepreist ist. Kaufe ich die ökologischen Lebensmittel spüre ich vor allem erst einmal, dass ich mehr Geld ausgebe als die meisten anderen. Das kann sich oft nach einem kurzfristigen Verlust anfühlen – zwar zugunsten eines großen Ganzen, aber für den Industrie und Verbraucher nicht gleichmäßig in die Pflicht genommen werden. Industrie und Verbraucher zahlen für die ökologischen Kosten der Produkte nicht – der Schaden wird ausgelagert. Zukünftige Generationen – und auch wir selbst – werden dafür auf die eine oder andere Art in den nächsten Jahren aufkommen müssen.

Deutsche Umweltstiftung: Kann ein Paradigmenwechsel hin zu Suffizienz funktionieren? Wenn ja, wie wäre dies möglich?

Davon bin ich überzeugt! Die Klimakrise zwingt jetzt schon viele Menschen vor allem auf der Südhalbkugel zu einem unfreiwilligen und ungerechten Konsumverzicht. Und auch wir werden mit dem Fortschreiten der ökologischen Probleme immer größere Einschnitte erleben. Das ist die fatalistische Sichtweise: wer die Natur abschafft wird von der Natur abgeschafft. Es gibt aber auch Grund zum Optimismus. Beispielsweise zeigt gerade die Corona-Krise dass viele Menschen bereit sind, ihr Verhalten zu ändern und auch tatsächlich zu verzichten, wenn ihnen ein guter Grund und größere Zusammenhänge aufgezeigt werden, und Änderung vor allem nicht nur an der Eigenverantwortung hängt, sondern Strukturen verändert werden, auf die ein*e Einzelne*r nur wenig Einfluss hat. 

Außerdem sehe ich, dass sich Suffizienz-Praktiken langsam in Lebenswelten einschleichen. Über Suffizienz wird mehr gesprochen als noch vor wenigen Jahren. Der Druck auf die Gesellschaft, sich zu verändern wächst, da die Folgen der Klimakrise auch stärker vor Ort sichtbar werden. Die Frage ist, ob Veränderung in den nächsten Jahren mehr durch Evolution oder Eruption entsteht, und welche Einflüsse eben von außen notwendig sind. 

Deutsche Umweltstiftung: Welche Tipps können Sie geben, um suffizientes Verhalten mehr in den eigenen Alltag zu integrieren?

Die gerade angesprochenen Strukturen sind ein wichtiger Treiber suffizienten Verhaltens. Als einzelner hat man vermeintlich wenig Einfluss auf diese. Allerdings werden diese auch nur von einzelnen Menschen geschaffen. Ist man durch seinen Beruf beispielsweise in der Lage Entscheidungen zu treffen, die dazu führen, dass sich am besten mehrere Menschen suffizienter verhalten können? Oder kann man Prozesse so verändern, dass sie dann zu einem Weniger an tatsächlichem Ressourcenverbrauch führen? Kann man der Chefin oder dem Chef vorschlagen, dass Pendler*innen die mit dem Rad oder den ÖPNV zur Arbeit kommen, einen Zuschuss bekommen? Oder kann man seiner Gemeinde vor Ort vorschlagen, die Radwege auszubauen? Politisches Engagement ist meines Erachtens ein Schlüssel für Veränderung, weil es Druck ausübt und potentiell neue Strukturen schafft, in denen sich Menschen leichter umweltgerecht verhalten können. Und wir alle sind mal mehr mal weniger an der Schaffung solcher Umstände und Strukturen beteiligt. Diese Macht der Mitgestaltung zu erkennen und einzusetzen, ist sehr wichtig. Am Besten schließt man sich noch mit Freund*innen, die ein ähnliches Interesse haben, zusammen. Das gibt das Gefühl kollektiver Wirksamkeit und hat große Erfolgsaussichten, weil eben bereits mehr Menschen für eine Sache einstehen.

Das andere ist und bleibt das individuelle Verhalten in den verschiedenen Alltagssituationen – am Regal im Supermarkt, zu Hause vorm PC wenn der nächste Einkauf auf einer Online-Plattform lockt, oder bei der Urlaubsplanung. Auch hier gilt es, die eigenen Bedürfnisse zu überdenken und sich von äußeren Einflüssen, die zum Konsum animieren, ein Stück weit zu befreien. – Und sich selbst Fragen zu stellen, wie: Muss ich meinen Kollegen wirklich (m)einen neuen SUV vorführen? Oder um was geht es mir eigentlich, wenn ich Anerkennung von meinen Kolleg*innen haben möchte? Würden diese mich tatsächlich belächeln, wenn ich mit dem Rad zur Arbeit käme – oder sehen sie mich dann vielleicht sogar als Vorbild und lassen sich anstecken? Ein anderer Aspekt ist auch, dass es bei vielen Konsumgewohnheiten ja gar nicht nur um die ökologischen Kosten alleine geht, sondern auch die privaten und monetären. Will ich wirklich so viel Geld für einen Flug nach Übersee ausgeben? Brauche ich wirklich einen neuen Laptop oder tut es nicht auch ein gebrauchter für weniger Geld? Viele Menschen nehmen Schulden auf sich, um den ganzen Konsum überhaupt erst zu ermöglichen. Das zwingt wiederum an Arbeitsverhältnissen festzuhalten, die nicht erfüllend sind. Das Gefühl zu wenig Geld zu haben, oder unfrei zu sein weil man sich darauf angewiesen fühlt, Einkommen von gewissen Höhen erzielen zu müssen, sind Dinge die unglücklich und auf lange Sicht sogar krank machen. Das hat Forschung zu Themen wie Zeitwohlstand und Wohlbefinden zeigen können. An der Aussage „Weniger ist Mehr“ scheint also schon etwas Wahres dran zu sein – auch wenn Suffizienz genauso heißt: Weniger ist weniger. Punkt.

Und zuletzt ist es wichtig, sich konkrete Pläne zu machen, sich Zeit zu nehmen, zu überlegen, wann, wie, wo, mit welchen Hilfsmittelnkann ich mich suffizienter verhalten. Wie sieht diese konkrete Handlungsalternative aus und was brauche ich, damit ich nicht in alte Muster zurück falle? Das ist wie mit allen Zielen im Leben: Wenn man sie wirklich erreichen will, muss man sich einen Plan dafür machen. 

Deutsche Umweltstiftung: In unserem Schulwettbewerb „Einfach machen – Die Suffizienzdetektive“ haben wir Schüler*innen der Sekundarstufe 1 dazu aufgefordert, ein eigenes Konzept für eine ressourcensparsamere Lebens- und Freizeitgestaltung zu entwerfen. Inwieweit schätzen Sie, sind Kinder im Alter von 10 bis 16 Jahren (fünfte bis zehnte Klasse) bereit, ihr Verhalten anzupassen und damit auf Konsum bzw. Komfort zu verzichten? 

Grundsätzlich sehe ich es so: Junge Menschen sind kreativ und einfallsreich. Wenn ich mir die FridaysforFuture anschaue, sind Kinder um einiges revolutionärer als wir denken und ihnen lange zugetraut haben. Sie sind bereit, die notwendigen Veränderungen selbst mitzutragen (Koos et al, 2019)[1]. Das ist etwas Beeindruckendes und sollte ein Apell an die Erwachsenen sein, die Maßnahmen umzusetzen, die es für eine lebenswerte Zukunft braucht!

Meine Haltung zu Wettbewerben ist allerdings etwas kritisch: Sie bieten zwar die Möglichkeit, sich mit einem Thema auseinander zu setzen, bergen aber die Gefahr durch kurzfristige Anreize, die langfristigere intrinsische Motivation zu unterbinden. Das heißt: Für die Belohnung strengen sich die Kids an, sie fokussieren sich auf das Produkt, aber setzen sich beispielsweise nicht mit den individuellen Hürden in ihrem persönlichen Umfeld auseinander. Das ist aber wichtig, damit die Kinder ihre Ideen zum suffizienteren Leben erfolgreich umsetzen und sich wirksam fühlen. Wichtig wäre es deshalb, Projekte so zu gestalten, dass vorhandenes Interesse und die intrinsische Motivation auch langfristig gestärkt werden.

Ein anderer Aspekt ist, dass Kinder leider oft einen begrenzteren Handlungsspielraum haben. Sie kaufen nicht für die Familie ein oder entscheiden über den Stromanbieter. In Bezug auf umweltgerechtes Leben hat sich im Kontext von Familie gezeigt, dass Rollenmodelle und Vorbilder sehr wichtig sind. Das heißt, Kinder werden die Ideen, die sie – etwa in so einem Wettbewerb – gewonnen haben, leichter umsetzen können, wenn die Eltern beim genügsameren Leben mitmachen. Es kann aber auch sein, dass die Kinder viel Überzeugungsarbeit in ihrem sozialen Umfeld leisten müssen. Sie können ihre Eltern dann herausfordern und anstecken, gemeinsam etwas zu verändern. – Den Mut der Kinder hierfür zu stärken und Ideen zu entwickeln, wie das gehen könnte, sollte Teil eines solchen Projekts sein.


[1]Heyen, D. ; Fischer, C.; Grießhammer, R.; Wolff, F.; Brunn, C.; Keimeyer, F.; Barth, R. (2013), Für eine Politik der Suffizienz, Politische Steuerung als notwendiger Baustein einer suffizienten Gesellschaft. Freiburg, Öko-Institut. Online abrufbar unter: https://www.oeko.de/oekodoc/1837/2013-506-de.pdf

[2]Sebastian Koos und Elias Naumann (2019): Vom Klimastreik zur Klimapolitik. Die gesellschaftliche Unterstützung der „Fridays for Future“-Bewegung und ihrer Ziele. Forschungsbericht. Konstanz: Universität Konstanz. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-2-1jdetkrk6b9yl4.

Über die Interviewpartnerin

Josephine Tröger ist seit Dezember 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der AG Sozial, Wirtschafts- und Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Seit März 2019 ist sie zudem Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Überprüfung des NBS- Gesellschaftsindikators zum Bewusstsein für Biologische Vielfalt sowie Entwicklung eines alternativen Messverfahrens“ am Steinbeis-Transferzentrum Interventions- und Evaluationsforschung.

© Josephine Tröger

Nachhaltigkeit in der Filmproduktion – ein Interview mit Johannes und Vanouch von Die grüne Filmagentur

Die Filmproduktion Die grüne Filmagentur verbindet das Filmemachen mit einem umweltbewussten Leben und wurde 2020 von den beiden Filmemachern Johannes Kaczmarczyk und Vanouch Balian gegründet. Im Frühjahr 2019 verfestigte sich deren Idee einer Filmproduktion mit nachhaltiger Positionierung. Zur selben Zeit begann auch die Zusammenarbeit mit der Deutschen Umweltstiftung  mit der #kaufnix-Kampagne und setzte sich im Rahmen des Schulwettbewerbs „Einfach machen! Die Suffizienzdetektive“ fort. Es entstanden vier Lernfilme für den Schulunterricht, die Themen zu Nachhaltigkeit und Suffizienz lebensnah vorstellen.

Wir freuen uns, von Johannes und Vanouch von Die grüne Filmagentur einen Einblick zu bekommen, was es eigentlich heißt, nachhaltig Filme zu produzieren. 

© Die grüne Filmagentur

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Ihr seid Gründer von Die grüne Filmagentur – der nachhaltigen Online-Bewegtbildproduktion aus Berlin. Auf eurer Webseite sagt ihr, dass ihr „überzeugt [seid], dass eine bessere Welt möglich ist“. Welche Vision steckt dahinter?

Johannes und Vanouch: Eine bessere Welt ist auf jeden Fall möglich, wenn jeder für sich und in seinem Umfeld Missstände erkennt, diese benennt und sein Verhalten und die eigenen Gewohnheiten ändert. Das beginnt bei der Mülltrennung und der Ernährung bis zu der Frage, welches Fortbewegungsmittel für die nächste Urlaubsreise benutzt wird. Jeder von uns kann einen Unterschied machen und etwas verändern. Und so versuchen wir als Filmproduktion mit den Ressourcen, die wir haben, positive Veränderungen anzustoßen – unsere Stärken und Talente in den Dienst einer guten Sache zu stellen.

DUS: Was bedeutet das konkret für eure Arbeit?

Unser Ziel ist es, Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften, auf den Umweltschutz achten und soziale und ökologische Standards befolgen, bekannter und erfolgreicher zu machen. Mit authentischen Geschichten und ansprechenden Bildern helfen wir Menschen ihre nachhaltigen Visionen nach außen zu tragen. Gleichzeitig gestalten wir die Produktion unserer Filme in jeder Phase möglichst ressourcensparend und versuchen unseren ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten.

DUS: Welche Rolle spielt überhaupt Nachhaltigkeit in der Filmbranche?

Es gibt immer mehr Initiativen und Workshops, die dabei helfen Filmproduktionen nachhaltiger zu gestalten. Das ist nicht immer einfach, weil der Kosten- und Zeitdruck bei Filmproduktionen sehr hoch ist. Manches Filmequipment, wie zum Beispiel mobile Stromgeneratoren, waren bis vor kurzem noch gar nicht in nachhaltigen „Ausführungen“ vorhanden, aber auch da tut sich sehr viel. Zum Beispiel sind herkömmliche Stromgeneratoren sehr umweltschädlich, weil sie mit Diesel betrieben werden und keine Luftfilter haben. Mittlerweile gibt es neue Stromgeneratoren bei einigen Filmgeräteverleihern zur Ausleihe, die mit Akkus, Solarpanels und LPG betrieben werden können. Wenn die Akkus nun noch über erneuerbare Energie geladen werden, ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung.

DUS: Ihr habt mit Die grüne Filmagentur Lernfilme für den bundesweiten Schulwettbewerb “Einfach Machen! Die Suffizienzdetektive” produziert und seid mit dem Thema Suffizienz in Berührung gekommen. Lässt sich Suffizienz auch in der Filmbranche umsetzen? Habt ihr konkrete Beispiele, wo ihr bereits suffiziente Entscheidungen trefft?

Ja, wir denken schon, dass man Filme suffizient produzieren kann und in unseren Projekten versuchen wir genau das. Zu Beginn und auch im Laufe einer Produktion fragen wir uns immer wieder, wie wir bestimmte Abläufe möglichst ressourcensparend gestalten. Das ist für uns im Prinzip nichts Neues, da es bei einer Film-Produktion auch immer darum geht eine kreative Vision im Spannungsfeld eines begrenzten Geld- und Zeitrahmens umzusetzen. Muss eine Szene bei künstlichem Regen stattfinden, für die viel Wasser benötigt wird oder geht es auch ohne? Ist ein neuer Computer für die Postproduktion (Nachbearbeitung) des Films notwendig, obwohl der alte noch funktioniert? Muss man in ein anderes Land fahren oder gibt es in der Nähe auch einen passenden Drehort für den geplanten Film?

Allerdings darf man nicht vergessen, dass es beim Film um den Aufbau einer Illusion geht. Viele Zuschauer*innen wollen sich in fantastischen Welten verlieren, das Außergewöhnliche sehen, das nichts mit ihrer alltäglichen Realität zu tun hat. Um diese alternativen Realitäten mit wenig Materialeinsatz herzustellen, erfordert es viel Kreativität und Umdenken.

DUS: Was verbindet ihr persönlich, über das Filmemachen hinaus, mit Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit bedeutet für uns bewusst zu konsumieren und darauf zu achten, woher die Konsumgüter kommen. Wir versuchen Dinge nicht einfach wegzuwerfen, sondern überlegen uns wie wir sie reparieren und möglicherweise auch in neuer Funktion weiterverwenden können. Viele unserer Möbel sind 2nd-Hand. Zum Beispiel haben wir ein altes Gewürzregal, das wir auf der Straße gefunden haben, geklebt und es erweist uns nun gute Dienste. Für uns ist Kreativität eben nicht nur im Beruf relevant, sondern auch in der Gestaltung unseres nachhaltigen Alltags.

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNER

Johannes und Vanouch sind die Gründer von Die grüne Filmagentur. Mit authentischen Werbefilmen unterstützen sie Unternehmen und Organisationen, die nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Ihr Ziel ist es, die Visionen von Menschen nach außen zu tragen und somit die Bekanntheit und den Erfolg solcher Unternehmen zu steigern. Die Produktion ihrer Filme gestaltet das Team dabei möglichst ressourcensparend und suffizient.

Suffizienz an Hochschulen – Eine Good-Practice-Sammlung

Wie wird Suffizienz an Hochschulen bereits umgesetzt? Was lässt sich aus existierenden Projekten lernen und wie könnte man diese noch weiterführen? Diesen Fragen gehen Dr. Michael Flohr und Lucas Markus in ihrer Good-Practice-Sammlung „Suffizienz an Hochschulen im ländlichen Raum“ nach. Indem sie untersuchen, wie Suffizienz an Hochschulen gelingen kann, setzen sie einen Gegenpunkt zur bequemen aber zugleich riskanten Wette auf eine alleinig effiziente Zukunft. 

Übersichtskarte suffizienter Initiativen an Hochschulen, die in der Good-Practice-Sammlung aufgeführt werden, © Dr. Michael Flohr

Suffizienz im ländlichen Raum

In Deutschland ist grundsätzlich auffällig, dass vor allem kleinere und mittlere Hochschulen nachhaltige Maßnahmen umsetzen. Ländliche Räume haben gewisse Merkmale, die Suffizienz befördern können. Überschaubare Sozialgefüge und enge Netzwerke führen beispielsweise dazu, dass solidarische Aktivitäten wie Tauschen leichter umgesetzt werden können, als das in der Anonymität von Großstädten der Fall ist. Außerdem können gerade ländliche Räume zu Reallaboren werden, um gewohnte Wachstumspfade zu verlassen und neue, suffiziente Wege zu erproben. Das geschieht, indem neue Lebens-, Lern- und Arbeitsformen gewagt werden. Ländliche Hochschulen haben daher häufig eine Innovations- und Vorbildfunktion inne.

Suffizienz – Orientierung am rechten Maß

Suffizienz meint, das „richtige“ und „notwendige“ Maß von Ressourcenverbrauch anzustreben, sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene. Häufig werden die 4 E’s nach Wolfgang Sachs genutzt – Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung – um sich am richtigen Maß zu orientieren. 

Bei der Entschleunigung geht es um das richtige Maß an Zeit. Der Rhythmus soll angepasst und damit langsamer und zuverlässiger werden – im Verkehrsbereich, in der Arbeitswelt und in den Produktzyklen von Gütern. So werden Qualität und Langlebigkeit erzielt. Entflechtung meint das richtige Maß für den Raum. Globales und regionales Wirtschaften soll neu aufgeteilt werden, zum Beispiel durch eine Regionalisierung der Lebensmittelproduktion und der Energieversorgung. Entrümpelung bezeichnet das richtige Maß an Besitz hin zu „einfacher“ und „weniger“. Dabei geht es vor allem darum, Gerümpel gar nicht erst entstehen zu lassen, indem zum Beispiel Güter langlebig und reparierbar produziert werden. Das vierte E, die Entkommerzialisierung, betrifft das richtige Maß für den Markt. Der zunehmenden Kommerzialisierung soll entgegengewirkt werden, indem Menschen zu Glück jenseits von Konsum befähigt werden. 

Die vier E‘s wurden im Paper genutzt, um Ansätze und Projekte nach ihrem primären Fokus geordnet darzustellen. Im Folgenden wird zu jedem „E“ ein Beispiel einer Hochschule vorgestellt, welche ein suffizientes Projekt im jeweiligen Bereich umsetzt. 

Entschleunigung

Lebenswelt Campus der Leuphana Universität Lüneburg © Leuphana Universität Lüneburg

Einen Fokus auf Entschleunigung setzt das Projekt „Lebenswelt Campus“ der Leuphana Universität Lüneburg. Studierende, Lehrende, Verwaltungsmitarbeitende und die Hochschulleitung versuchen in diesem Projekt, den Campus so zu gestalten, dass alle sich wohlfühlen, miteinander ins Gespräch kommen und sich unterstützen können. Zunächst wurde dafür der Campus zu einem verkehrsberuhigten Raum gemacht. Nachfolgend sollen die Straßen entsiegelt werden, um einen Campuspark zu gestalten. Diverse Nutzungsanforderungen an den Campus sollen in das neu entwickelte Konzept einbezogen werden. Dazu gehören unter anderem Orte zum Verweilen, Repräsentativität, Biodiversität, Lehre, Lernen, Bewegungen, essbarer Campus und Barrierefreiheit. Der partizipative Prozess und ein langfristiger Blick auf die Gestaltung des Campus zeigen neben dem gemeinsam genutzten Raum, der reduzierten Abgasbelastung und angebautem Obst, Gemüse und Kräutern auf dem Campus die deutlichen Bezüge zur Suffizienz. Das Projekt könnte gut an andere Hochschulen übertragen werden, wobei Themen und Schwerpunkte von der jeweiligen Hochschule selbst gesetzt werden können. Aber auch für die Universität Lüneburg geht es noch weiter mit der Entschleunigung: „Das Projekt Lebenswelt Campus lebt davon, dass sich die Ideen weiterentwickeln und mit allen Stakeholdern abgestimmt realisiert werden. So sind wir gespannt und offen, was in den nächsten Jahren noch kommt.“

Entflechtung

Klimaschutz-Mensa des Studentenwerks Schleswig-Holstein © Studentenwerk Schleswig-Holstein

Das Studentenwerk Schleswig-Holstein wirkt mit einer „Klimaschutz-Mensa“ auf dem Campus Flensburg im Bereich der Entflechtung. Ein wachsendes Angebot an vegetarischen und veganen Gerichten und Maßnahmen zur Energieeinsparung und Müllvermeidung wurden seit 2018 erfolgreich umgesetzt. Auch in diesem Projekt arbeiten Studierende, Hochschulleitung, Lehrende und Verwaltungsmitarbeitende zusammen für eine suffizientere Hochschule. Mitarbeitende der Mensa werden regelmäßig geschult, sodass sich Auswahl und Qualität an vegetarischen und veganen Gerichten vergrößert. Regionale Produkte und kurze Transportwege werden bevorzugt. Außerdem werden mit einem Stand in der Mensa Studierende für das Thema Klimaschutzmanagement sensibilisiert. Durch gute Öffentlichkeitsarbeit rund um das Thema Nachhaltigkeit und ein attraktives Angebot klimagerechter Speisen konnte auf dem Campus Flensburg Genuss verbunden mit Klimaschutz zu moderaten Preisen in die Mensa gebracht werden. Übertragen werden kann das Konzept der Klimamensa auf jede Hochschule mit Mensabetrieb.

Entrümpelung

CREAPOLIS Makerspace der Hochschule Coburg © CREAPOLIS Makerspace

An der Hochschule Coburg wurde von Lehrenden der „CREAPOLIS Makerspace“ geschaffen, eine offene Werkstatt, wo sowohl digitale als auch anaolge Werkzeuge geteilt werden. Dem ganzen liegt die Idee zugrunde eine neue Art von Begegnungsplattform für die Hochschule und Region Coburg zu schaffen. Ein Erfolg zeichnet das Repair Café, welches zweimal im Monat angeboten wird und sich großer Beliebtheit erfreut. Darüber hinaus bietet das Projekt Bürger*innen, Initiativen und Unternehmen Infrastruktur in Form von Räumlichkeiten, um Vorhaben umzusetzen und (in Kooperation) nachhaltige Innovationen entstehen zu lassen. Für die Entwicklung ähnlicher Projekte an anderen Orten wird das Wissen zum Makerspace bereits genutzt. Darüber hinaus ist in Planung, einen Arbeitsbericht zu veröffentlichen, der es neuen Projektstarter*innen noch einfacher macht. 

Entkommerzialisierung

Klimamap der Europa-Universität Flensburg, Quelle: Screenshot KlimaMap Flensburg,  https://klimaschutz.campus-flensburg.de/?page_id=3210

Vom Klimaschutzmanagement der Universität Flensburg wurde die „Klimaschutzmap“ ins Leben gerufen. Diese beschreibt eine Online Karte mit über 250 Einträgen in neun Kategorien. Ziel ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sich in Flensburg für Klimaschutz eingesetzt werden kann. Aufgenommen sind Repair Cafés, Secondhand-Läden, Foodsharing-Angebote, Unverpackt-Läden und vieles mehr. Eine Besonderheit dieses Projektes ist, dass es nicht nur Hochschulmitglieder erreicht, sondern darüber hinaus auch von Interessierten Bürger*innen genutzt werden kann. Eine KlimaMap mit Angeboten zum klimafreundlichen Handeln kann grundsätzlich mit genügend Engagement ganz einfach ins Leben gerufen werden. Wichtig ist, die Klimaschutzmap kontinuierlich zu pflegen, da sich in einigen Kategorien Angaben laufend ändern, wie beispielsweise die Anzahl an Stromtankstellen in der Stadt.

Fazit

Die vier vorgestellten Projekte bilden nur eine kleine Auswahl an Beispielen aus der Good Practice Sammlung zu Suffizienz an Hochschulen. Vom Umweltcampus der Hochschule Trier über Foodsharing an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt bis hin zu einem Fahrradverleihsystem an der Hochschule Emden-Leer gibt es noch viele weitere spannende Projekte zu Suffizienz zu entdecken. Der Projektinitiator vom Fahrradverleihsystem sagt als Tipp für alle, die selbst ein Nachhaltigkeitsprojekt starten wollen: „Einfach loslegen!“ 

Wer gerne erstmal Ideen sammeln, sich inspirieren lassen oder weitere wertvolle Tipps erhalten möchte, findet all dies ausführlich im besagten Paper. Neben der Good Practice Sammlung gibt es noch weitere Beiträge. Zum Beispiel geben zwei Umweltpsychologinnen im Interview Anregungen, wie studentische Initiativen andere Menschen an der Hochschule von einem suffizienten Projekt überzeugen können.

Quellen

https://www.researchgate.net/publication/342991904_Suffizienz_an_Hochschulen_im_landlichen_Raum

Suffizienzpolitik – Praktiken und wie diese gelingen können

Nachhaltigkeit zu wollen, ist leicht. Erwartet wird dabei jedoch häufig, Nachhaltigkeit lasse sich allein durch Innovation erreichen. Die Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz bezeichnet die bewusste Verringerung des Bedarfs und des Verbrauchs an endlichen Rohstoffen und Energie. Dieser wird mit deutlicher Zurückhaltung, häufig sogar mit Empörung und Widerständen, begegnet. Durch verpflichtende und fördernde Maßnahmen der öffentlichen Hand zielt Suffizienzpolitik auf eine Begrenzung von Produktion und Konsum ab. Dadurch greift sie in das persönliche Leben ein und wird schnell als Beeinträchtigung gesehen, vor allem von denjenigen, die ihren eigenen Wohlstand im Vordergrund sehen und diesen beibehalten möchten oder sogar zu verbessern erstreben. In einem Gastbeitrag auf unserer Seite hat Manfred Linz bereits beispielhaft an Politiken erklärt, wie Suffizienz den Weg vom Alltag in die Politik finden kann. Darauf aufbauend wird im Folgenden basierend auf seiner Handreichung „Wie Suffizienzpolitik gelingen kann“ genauer auf verschiedene Herangehensweisen bei der Gestaltung von Suffizienzpolitiken eingegangen, die förderlich oder erschwerend auf die Akzeptanz und Umsetzung einwirken können.

Do’s and Don’ts bei der Gestaltung von Suffizienzpolitiken 

Um Suffizienzpolitik künftig Erfolg bringend gestalten zu können, ist es von großer Bedeutung zu wissen, durch welche Mittel und Methoden diese staatlichen Maßnahmen von der breiten Bevölkerung annehmbar werden. Hierfür hat Dr. Manfred Linz in seiner Handreichung „Wie Suffizienzpolitik gelingen kann“ 8 unterschiedliche Politiken und deren Akzeptanz und Umsetzung durch die Bevölkerung untersucht. Die Auswertung dieser Beispiele – im Folgenden kurz zusammengefasst – zeigt, welche Erkenntnisse daraus gewonnen werden und was wir daraus für die Entwicklung kommender Politiken lernen können.

Merkmale, die das Gelingen von Suffizienzpolitik befördern

  • Leicht einsehbare Ziele aufstellen – staatliche Maßnahmen, die ein klares, leicht einsehbares Ziel haben, werden leichter umgesetzt als Maßnahmen mit unklaren, zusammenhängenden oder komplexeren Zielen
  • Gewinn im Verzicht erkennbar machen – die Bereitschaft zur Annahme von Maßnahmen steigt, wenn neben der Restriktion ein gleichzeitiger Nutzen erkennbar wird
  • Veränderung in mehreren Stufen – es fällt leichter Veränderungen zu akzeptieren, die nicht mit einem Mal eine große Umstellung verlangen, sondern durch mehrere Teilschritte herbeigeführt werden können
  • Gemeinwohl entscheidet – Vorgaben, die im Allgemeinen dazu beitragen, Schaden von der Gemeinschaft abzuwenden, werden eher angenommen
  • Zustimmung mobilisieren – Maßnahmen können leichter akzeptiert werden, wenn mit der Zustimmung des größten Teils der Bevölkerung gerechnet werden kann

Merkmale, die das Gelingen von Suffizienzpolitik erschweren

Damit die Umsetzung von Suffizienzpolitiken erfolgreich gelingen kann, ist es neben den förderlichen Aspekten auch wichtig die Merkmale zu betrachten, die das Gelingen erschweren können. Auch diese sind im Folgenden zusammengefasst. 

  • Konkurrierende Ziele vermeiden es sollte vermieden werden, komplizierte und inhaltlich nicht zusammenhängende Ziele zu setzen, da diese von der Bevölkerung weniger akzeptiert werden
  • umstrittene Sachverhalte hemmen – schwerer umzusetzen sind Maßnahmen, denen trotz guter Gründe auch berechtigte Einwände entgegenstehen
  • Vermeidung von unmittelbaren Kosten bei erst langfristigem Nutzen – Maßnahmen, die die Betroffenen unmittelbar mit Kosten belasten, jedoch erst über längere Zeit Wirkung zeigen, können die Akzeptanz verringern
  • Bevormundung durch den Staat unerwünscht – Wenn der Staat als Vormund der persönlichen Lebensweise erscheint, ist die Bevölkerung weniger gewillt sich dessen Vorgaben anzunehmen
  • Überforderung vermeiden – politische Maßnahmen, die die Veränderungsbereitschaft der Bürger emotional überfordern sind schwerer umzusetzen
  • Freiheitswünsche bedenken – weniger anerkannt werden Maßnahmen, wenn durch diese persönliche Gefühle, vor allem die der eigenen Unabhängigkeit, als eingeschränkt empfunden werden
  • Wirtschaftliche Interessen einbeziehen – schwerer zu akzeptieren sind Restriktionen, wenn diesen starke ökonomische Interessen entgegenstehen. Besonders hinderlich ist das, wenn diese Interessen von einem Teil der Bürger und bedeutenden Entscheidungsträgern vertreten werden
  • Hindernis Wachstumsglaube – wenn der Glaube gefestigt ist, dass das Wirtschaftswachstum notwendige Voraussetzung für Wohlstand ist, wird es wesentlich schwieriger sein bestimmte Maßnahmen durchzusetzen

Folgerungen für die Gestaltung von Suffizienzpolitik

1. Gemeinwohl ist der ausschließliche Bezugspunkt aller Suffizienzpolitiken

Restriktionen im Rahmen von Suffizienzpolitiken stoßen häufig auf Gegenwehr, da sie mit den persönlichen Wünschen sowie kurzfristigen Gedanken, Gefühlen und Handlungen einzelner Individuen konkurrieren. Um diesen Konflikt auszugleichen, muss das gemeinsame Wohl als langfristiges Ziel in den Vordergrund gestellt werden. Es muss gezeigt werden, dass die Forderungen unverzichtbar sind, um langfristig das Fortbestehen und Wohl der Gesamtgesellschaft zu sichern.

 2. Lokal und regional statt national und europaweit

Die Durchsetzung von neuen Vorgaben gelingt auf regionaler Ebene besser als im nationalen oder europaweiten Raum. Dies resultiert vor allem daraus, dass Probleme auf kleinerer Ebene überschaubarer und greifbarer sind und vieles unmittelbar durch personenbezogene Beziehungen geklärt werden kann. Außerdem sind hierfür lokale Initiatoren entscheidend, die oft durch Engagement und Ausdauer die politische Durchsetzung ermöglichen.

3. Gebote vor Verboten

Ein entscheidender Punkt ist es auch, den Bürgern möglichst viel Wahlfreiheit zu gewährleisten. Diese möchten weitestgehend das Recht behalten, selbst über ihre persönliche Lebensführung entscheiden zu können. Daher ist es von Vorteil, Suffizienzpolitik möglichst durch Vorgaben im Sinne von Begünstigungen, Geboten oder Reglementierungen zu betreiben. Es sollten nur dann Verbote eingesetzt werden, wenn die Ziele nicht auf eine andere Weise zu erreichen sind.

4. Ausgleich für die sozial Schwachen

Einige der Politiken haben zur Folge, dass sie die Lebenskosten erhöhen, was vor allem die sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen übermäßig trifft. Diese Mehrbelastungen für Geringverdienende sollten, beispielsweise durch Ausgleichszahlungen, aufgefangen werden.

5. Neue Gewohnheiten stützen die Suffizienz

Die Bildung von neuen Gewohnheiten, die die Vorgaben in das alltägliche Leben integrieren, können zusätzliche Zustimmung geben. Vor allem ist das der Fall, wenn durch die tatsächliche Umsetzung der gesellschaftliche Nutzen erkennbar wird. Ein Beispiel ist das so umstrittene Tempolimit. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass viele Regelungen sehr schnell von den Meisten akzeptiert und zur Gewohnheit werden, wenn sie erst einmal umgesetzt wurden. 

6. Von den leicht zugänglichen zu den herausfordernden Politiken

Suffizienzpolitiken lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen, die sich in Bezug auf verschiedene Kriterien, wie Kosten oder Schwierigkeitsgrad, unterscheiden. Die Politiken, die mit spürbaren Einschränkungen verbunden sind, können einen größeren Erfolg erzielen, wenn sie mit kleineren Schritten begonnen werden. So können die Anfänge ohne größere Proteste hingenommen, es können neue Gewohnheiten gebildet werden und die weitere Durchführung hat bessere Chancen.

7. Das Verhältnis von Gewinn und Verlust

Für einen Großteil der Menschen ist Suffizienz ein unerwünschter Verzicht, der gegen den Erhalt ihres materiellen Wohlstands gerichtet ist. Die meisten Menschen wollen nicht weniger. Nur ein kleiner Teil der Gesellschaft kann Suffizienz als Gewinn interpretieren und diesen beispielsweise als Befreiung vom Überfluss ansehen. Nach einer These von Daniel Kahneman und Amos Tversky haben jedoch Verluste und Nachteile einen größeren positiven Einfluss auf uns als Gewinne oder Vorteile. Diese Ungleichmäßigkeit von positiver und negativer Erfahrung ist zudem evolutionsbedingt, denn Lebewesen, die Bedrohungen vorzeitlich behandeln, haben höhere Überlebenschancen. Diese Einsicht vermittelt ein neues Bild über die durch Suffizienz entstehenden vermeintlichen Verluste und könnte die Akzeptanz von Suffizienzpolitiken positiv beeinflussen.

Fazit

Ob Suffizienzpolitiken erfolgreich von der Regierung beschlossen, vom Parlament verabschiedet und von der Bevölkerung akzeptiert werden, hängt von vielen Faktoren ab. Suffizienzpolitiken können gegenwärtig nicht in ihrer vollen Ausprägung durchgesetzt werden, da Klimaschäden unser aktives Lebensumfeld sowie unser Bewusstsein nicht spürbar genug erreichen. Das Gelingen und die Bereitschaft zur Akzeptanz kann jedoch gefördert werden, wenn bestimmte Herangehensweisen bei der Gestaltung der Politiken berücksichtigt werden. Damit die Wirksamkeit der staatlichen Vorgaben und damit die vereinbarten Klimaziele erreicht werden können, muss sich vor allem die gesamtgesellschaftliche Erwartung und Einstellung ändern. Wenn wir dies als Gesellschaft nicht von alleine schaffen, werden wir voraussichtlich früher oder später durch die sich zuspitzenden Ereignisse und die daraus resultierenden Folgen dazu gezwungen. Der steigende Protest von Menschen, die ihre besondere Betroffenheit vom Klimawandel nicht mehr hinnehmen, könnte bereits zu einer Veränderungsbereitschaft der Bevölkerung in gemäßigten Zonen führen. Noch haben wir die Möglichkeit unsere Ansichten zu ändern, als Gesellschaft näher zusammenzurücken und auch von uns aus die nationalen Regierungen zum Handeln zu bewegen. Öffentliche Diskussionen und das Werben für leichte Suffizienzpolitiken können die Aufmerksamkeit für dieses Thema vergrößern und es kann ein Umdenken zur vorher oft kritisch betrachteten Suffizienz stattfinden. Dadurch wird es uns in der Gesellschaft vielleicht leichter fallen, den langfristigen und notwendigen Zielen zur Erhaltung und zum Wohl unserer Gemeinschaft Vorrang zu verschaffen und unseren persönlichen Drang nach übermäßigem Konsum und materiellem Wohlstand hinten anzustellen. 

Quellen

Manfred Linz: Suffizienz als politische Praxis . Ein Katalog. Wuppertal 2015, ISBN 978-3-929944-96-9

Manfred Linz: Wie Suffizienzpolitiken gelingen: Eine Handreichung. Wuppertal 2017, ISBN 978-3-946356-02-8 (Wuppertal Spezial Nr. 52)

Link zur Handreichung “Suffizienz als politische Praxis”: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/5735/file/WS49.pdf

Link zur Handreichung “Wie Suffizienzpolitiken gelingen”: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/6611/file/WS52.pdf