Suffizienz als „Strategie des Genug“

Wir leben in einer Zeit multipler ökologischer Krisen und Herausforderungen. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass ein „weiter so” katastrophale Folgen für die Lebensgrundlagen des Menschen haben wird. Nichts zeigt dies eindrücklicher als ein Blick auf die Planetaren Grenzen (siehe Abb.), von denen bereits sechs der neun überschritten sind. Als eine der größten Volkswirtschaften der Erde trägt Deutschland dabei eine entscheidende Mitverantwortung. Umso alarmierender ist es, dass das Land aktuell eine ganze Reihe von Umweltzielen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2030 zu verfehlen droht. Es braucht offensichtlich dringender denn je Maßnahmen und innovative Ansätze zur Minderung des Ressourcenverbrauchs und der Umweltbelastung.

 

Ein Diskussionspapier – 16 Thesen

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) hat vor diesem Hintergrund kürzlich ein Diskussionspapier veröffentlicht. Bemerkenswert ist, dass die bisweilen immer noch vernachlässigte Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz die Hauptrolle spielt. Anhand von ineinander verzahnten 16 Thesen, die jeweils inhaltliche Aspekte rund um Suffizienz fokussieren, wird die Notwendigkeit dieser Nachhaltigkeitsstrategie in einem kondensiert zusammengetragenen wissenschaftlichen Diskurs dargelegt. Das Diskussionspapier bietet dabei einen umfassenden Blick auf die im Rahmen der planetaren Grenzen erforderliche Rolle von Suffizienz im Zusammenspiel von Natur und Kultur. Die Thesen entfalten sich bewusst nicht entlang einer linearen Logik, sondern spannen Bögen innerhalb thematisch gruppierter Blöcke:

Das Fundament: Warum Nachhaltigkeit ohne Suffizienz nicht möglich ist 
These 1: Suffizienz ist für eine Stabilisierung der Erde innerhalb planetarer Grenzen unerlässlich.
These 2: Suffizienz ist Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben aller in planetaren Grenzen.

Die Zusammenhänge: Fünf Thesen für ein systemisches Verständnis von Suffizienz 
These 3: Suffizienz ist notwendiger Teil einer Strategie, um schädliche Eigendynamiken der Technosphäre einzuhegen.
These 4: Suffizienz kann den Bedarf an Rohstoffen reduzieren und zu ihrer langfristigen Verfügbarkeit beitragen. 
These 5: Die Verbreitung suffizienter Praktiken erfordert auch strukturellen Wandel. 
These 6: Ressourcenintensive Lebensstile gefährden die Freiheit anderer und es gibt keinen moralischen Anspruch, dies zu ignorieren. 
These 7: Suffizienz konfrontiert die Gesellschaft mit den Widersprüchen der westlichen Moderne. 

Vier fachliche Perspektiven: Suffizienz in Ökonomie, Kreislaufwirtschaft, Recht und Kultur
These 8: Suffizienz erfordert ein zukunftsfähiges Wohlfahrtsverständnis und ein vorsorgeorientiertes Wirtschaftssystem. 
These 9: Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft setzt Suffizienz voraus.
These 10: Eine Politik der Suffizienz ist verfassungsrechtlich möglich und unter bestimmten Bedingungen sogar geboten.
These 11: Kultureller Wandel ist Voraussetzung für und Resultat von Suffizienzpolitik. 

Die Herausforderungen: Fünf Thesen zu Chancen von und Hindernissen für Suffizienz 
These 12: Suffizienz kann Baustein eines gelingenden Lebens sein.
These 13: Ökonomische Analysen zu Ökologie und Verteilungsgerechtigkeit bereichern den Suffizienzdiskurs.
These 14: Suffizienzpolitik wird auf gesellschaftliche Widerstände treffen. 
These 15: Suffizienzpolitik muss sozial gerecht gestaltet werden und kann Ungleichheit verringern. 
These 16: Es bedarf einer Verständigung auf zentrale Handlungsfelder für Suffizienzmaßnahmen. 

Lösungen brauchen Dialog und Akzeptanz

Das knapp 100-seitige Dokument erlegt sich bereits zu Beginn selbst die Grenze auf, das „Warum” jedoch nicht das „Wie” zu erörtern. Es geht den Autor*innen darum, evidenzbasiert die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung von Suffizienz neben Effizienz und Konsistenz zu diskutieren. Es geht dem Diskussionspapier nicht darum, finale Lösungen zu präsentieren, sondern einen Debattenbeitrag zu leisten und zu einer pluralen Debatte hinsichtlich einer nachhaltigen Zukunftsfähigkeit und einem zeitgemäßen Wohlfahrtsverständnis anzuregen. 

Dabei zeigt die Lektüre des inhaltlich verdichteten Diskussionspapiers eindrücklich eine wiederkehrende Herausforderung in der Wissenschaftskommunikation sowie allgemeinen Bürgerbeteiligung: Wie gelingt es, komplexe Zusammenhänge zugleich inhaltlich tiefgehend zu behandeln und laienfreundlich darzustellen, sodass eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung ohne unzulässige Simplifizierungen möglich wird. 

Ein erster Schritt zur öffentlichen Debatte mit Fachpublikum wurde bereits mit einer Online-Veranstaltung des SRU Ende April gelegt, die Raum für Diskussionsbeiträge von Akteuren aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft bot. Die fehlenden Antworten auf die Frage des „Wie“ wurden dabei wiederholt durch teilnehmende Impulsgeber*innen während der Veranstaltung angemerkt, insb., da sie die Vermittlung des „Warum“ in den letzten Jahrzehnten als erfolgsarmes Unterfangen resümieren. Zwar hält das Diskussionspapier dafür – wie gesagt – bewusst wenig konkrete Handlungsempfehlungen bereit, legt jedoch schlüssig und eindrücklich dar, dass notwendige Maßnahmen nur auf demokratischen Wege zu finden sind. Dafür wird es jedoch auch weiterhin erheblicher Anstrengungen bedürfen, um die komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisse niederschwellig in die Gesellschaft zu tragen und eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für substantielle Veränderungen zu erreichen. 

Da die Zeit mehr denn je drängt, ist zu hoffen, dass dieser Austausch nur der Auftakt für einen verstetigten, umfassenden und inklusiven Dialogprozess ist – ganz im Sinne der formulierten abschließenden Diskussionseinladung der Autor*innen des vorgestellten Papiers.

Das Diskussionspapier des Sachverständigenrats für Umweltfragen steht hier zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Fachgespräch zu Suffizienz als Nachhaltigkeitspolitik

Der diesjährige deutsche Erdüberlastungstag am 2. Mai steht kurz bevor ­– zwei Tage früher als letztes Jahr. Immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen auf, dass eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs unumgänglich ist, um ein gutes Leben innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen zu ermöglichen. Dieser Bedarf spiegelt sich in den aktuellen politischen Nachhaltigkeitsstratgien allerdings noch nicht wider.

Vor diesem Hintergrund hat das Ökumenische Netzwerk Klimagerechtigkeit vergangenen Herbst ein Positionspapier „Eine Strategie des Genug“ veröffentlicht. Auf dessen Basis fand am 10. April 2024 ein einstündiger Austausch im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung im Paul-Löbe-Haus statt und wurde zugleich online übertragen. Im Anschluss an eine Kurzvorstellung der zentralen Anliegen des Positionspapiers wurden dessen politischen Implikationen diskutiert.

Das Ökumenische Netzwerk tritt in dem von 60 Organisationen unterzeichneten Positionspapier mit zwei konkreten Forderungen an die Politik heran:

1. Suffizienz soll als zentrales Nachhaltigkeitsprinzip neben Effizienz und Konsistenz anerkannt und in einer Bundestags-Enquete-Kommission diskutiert werden.

2. Suffizienz soll als fester Bestandteil der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie verankert werden.

Um dem Thema Suffizienz politisch gerecht zu werden, wird vorgeschlagen, das Querschnittsthema als 7. Transformationsbereich „Soziale Innovationen/Suffizienz“ an die Arbeit in den Ministerien anzugliedern. Als Aufgaben leiten sich daraus für alle Transformationsbereiche Maßnahmen mit dem Ziel der absoluten Verbrauchsreduktion sowie eine Einbeziehung von Suffizienz in die Nachhaltigkeitsprüfung von Gesetzen ab. Zur Entwicklung erfolgreicher Suffizienzmaßnahmen legt das Ökumenische Netzwerk außerdem die Initiierung eines „Nationalen Forschungsprogramms Suffizienz“ nahe. In dessen Rahmen könnten z. B. Studien dazu dienen, ein besseres Verständnis der Wirksamkeit einer erfolgreichen Kommunikation von Suffizienzpolitiken zu liefern. Langfristig steht die große Frage im Raum, wie das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden kann, um das nachhaltige Funktionieren der gesellschaftlichen Systeme zu sichern.

Diskussion zum Verhältnis von Suffizienzpolitik und Freiheit

In der Debatte mit Mitgliedern des Parlamentarischen Beirats zeigten sich die unterschiedlichen politischen Zugänge zum Thema Suffizienz. Sorgen um die nachhaltigkeitspolitisch begründete Einschränkung von Gestaltungsfreiheiten der Bürger*innen begegneten Sorgen um Freiheitseinschränkungen in Folge der multiplen Krisen.

Die eingeladenen Sachverständigen betonten in ihren Reaktionen auf die Beiträge, dass Suffizienz bereits für viele Bürger*innen gelebter Alltag ist. Sie verwiesen hierbei auch auf Studien, die eine mehrheitliche Akzeptanz von Suffizienzmaßnahmen nahelegen, beispielsweise eine Auswertung der vorgeschlagenen Nachhaltigkeitsmaßnahmen elf europäischer Bürger*innenräte. Parallel wurde ein Mangel an politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen herausgestellt, die suffizientes Verhalten zur einfachen, bequemen und günstigen Variante befördern. Carina Zell-Ziegler vom Öko-Institut betonte an dieser Stelle die Bedeutung aktuell bestehender Preisverzerrungen zu Lasten der Nachhaltigkeit: „Ich würde noch hinzufügen, dass ja die Preise im Moment auch nicht die ökologischen Schäden widerspiegeln und dass auch eine Abschaffung von umweltschädlichen Subventionen eigentlich Teil einer Suffizienzpolitik sein müsste […], um die wahren ökologischen Kosten zu zeigen und damit erst mal eine Preistransparenz zu schaffen für die ökologischen Schäden, die mit dem Konsum einhergehen.“

In der Kommunikation empfiehlt das Ökumenische Netzwerk, mit Positiv-Beispielen zu motivieren und Chancen zum gemeinsamen Lösen sozialer und ökologischer Probleme aufzuzeigen. In ihrer Arbeit ist es ihnen wichtig den informativen Austausch in einem Miteinander zu führen, erzählte Isabell Rutkowski von Bund katholische Jugend. Ein zentrales Element sei es dabei, die Ängste vieler Menschen wahrzunehmen und politisch widerzuspiegeln. Astrid Hake vom Ökumenischen Netzwerk beschrieb ein Ping-Pong-Spiel zwischen dem Bedarf von kulturellen Veränderungen in der Wahrnehmung von Genügsamkeit und den benötigten politischen Rahmenbedingungen. Der aktive kulturelle Wandel soll die Resilienz stärken und eben jenen Ängsten vor Skeptikern der Suffizienzpolitik vorbeugen: Einer Gesellschaft im Krisenmodus mit reduziert verfügbaren, rationierten Ressourcen. Jörg Göpfert von der Evangelischen Akademie reagierte auf die seitens des AFD-Vertreters geäußerte Befürchtung einer rationierenden Planwirtschaft: „Dieses Zuteilungsmodell das ist ja eben das denkbar für uns unschönste Szenario. Das wird aber auf [die Menschheit] zukommen, wenn wir nicht den Weg, den wir jetzt beschreiten, verlassen und versuchen ihn doch verträglicher zu gestalten. Und deswegen regen wir ja diese Debatte an.“

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat den Impuls zur Diskussion von Suffizienzpolitiken erfreut aufgenommen und Interesse an einem weiteren Austausch zu diesem Thema geäußert. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat kürzlich ein Diskussionspapier mit 16 Thesen zu Suffizienz als „Eine Strategie des Genug“ veröffentlicht und eine öffentliche Diskussionsveranstaltung angestoßen.

Insgesamt lässt sich die Veranstaltung folglich als kompakter und konstruktiver Austausch einordnen. Es lässt sich an dieser Stelle hoffen, dass aufgrund der akuten Dringlichkeit der ökologischen Herausforderungen dies nur der Auftakt für eine Reihe zeitnah folgender Formate ist, die die Bedeutung von Suffizienz ins politische Rampenlicht rücken. Denn da gehört sie hin.

Die Aufzeichnung der Veranstaltung des parlamentarischen Beirats vom 10. April 2024 können Sie sich hier im Nachhinein anschauen.

Rezension: „Lust auf Verzicht“

Der Wirtschaftswissenschaftler und Konsumforscher Ingo Balderjahn erkundet in seinem neuen Sachbuch „Lust auf Verzicht“ die gesellschaftliche und wirtschaftliche Rolle von Konsum bzw. Konsumverzicht. Frisch im Oekom Verlag  am 11. Januar 2024 erschienen, bietet es ein aktuelles Portrait des polarisierenden Themas ‚Verzicht‘ als Bestandteil von Klimaschutz. 

Meinungsumfragen zu Umwelteinstellungen zeigen in Deutschland hohe Zustimmungswerte zu Umwelt- und Klimaschutz auf. In der Praxis klafft jedoch häufig eine Lücke zwischen sozial erwünschten Lippenbekenntnissen über das eigene umweltbewusste Konsumverhalten und dem, was am Ende im Einkaufswagen landet – digital oder analog. In diesem Spannungsfeld beleuchtet der Autor, wie Konsumentscheidungen getroffen werden und warum ein sparsam gefüllter Einkaufswagen ein Gewinn für das Gemeinwohl sowie das persönliche Wohlbefinden sein kann.

Der rote Faden

Ausgangspunkt des 216 Seiten starken Buches ist der globale Klimawandel – eine existenzielle Bedrohung für das Leben, wie wir es kennen. Es wird das Dilemma beschrieben, zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum entscheiden zu müssen ­– laut dem Autor ist aktuell nicht beides gleichzeitig möglich. Wenn wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten möchten, ergibt sich daraus, dass eine Reduktion des mit Konsum einhergehenden Umweltverbrauchs unumgänglich ist. Das ist leichter gesagt als getan, findet Balderjahn und skizziert die Entstehung und persönliche Bedeutung von Konsummustern sowie die resultierende gesellschaftliche Verantwortung.

Im Anschluss schlüpft der Konsumforscher in die Rolle eines Ökonomen sowie eines Politikers und beschreibt ein aus seiner Sicht bisweilen verzerrtes Bild der beiden Akteursgruppen von Konsument*innen. Aber wie verhalten sich Konsument*innen wirklich? Was bewegt sie? Und was bedeutet dies für nachhaltigen Konsum? Die Ergründung dieser Fragen führt auf das große Thema des Konsumverzichts hin. Balderjahn beschreibt mögliche Motivatoren, selbstbestimmt auf Konsum zu verzichten und erkundet darunterliegende Werte und Einstellungen. Der Bedeutung des ‚Empowerments‘ auf dem Weg zum Konsumverzicht wird hierbei viel Platz eingeräumt. Doch auch ermächtigte Konsument*innen sind von zahlreichen Barrieren betroffen, die einem nachhaltigen Lebensstil im Weg stehen. Der Autor beschreibt diese Hindernisse ausführlich und liefert im abschließenden Teil des Buches einige Lösungsansätze zu deren Bewältigung.

Die mit aussagekräftigen Titeln untergliederte Kapitelstruktur bietet eine hilfreiche Orientierung, um sich in den Inhalten zurechtzufinden. Der rote Faden führt klar von einer Problemlage und deren Beschreibung hin zu Lösungsansätzen. Dabei zieht sich ein kritischer Tenor gegenüber dem immer noch vorherrschenden normativen Verständnis in der Wissenschaft vollständig rationalen Verhaltens ökonomisch denkender Individuen durch das gesamte Buch.

Perspektiven auf Konsum

Durch seine langjährige Forschungspraxis gelingt es dem Autor, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Konsumentenverhalten in ein größeres Gesamtbild einzubetten. Stilistisch greift er hierbei vielfach auf Wiederholungen inhaltlicher Aspekte in unterschiedlichen Kontexten zurück. Dadurch entsteht einerseits eine Art nuancierter Rundumblick über die verhaltenswissenschaftlichen Hintergründe von Konsum, andererseits liest sich das Buch dadurch streckenweise etwas langatmiger. Sprachlich ist das Buch dennoch gut verständlich, da es keine Fachausdrücke voraussetzt, sondern sie als bewusstes Extra ergänzt und erklärt. Gelegentlich bringt die vereinfachte Ausdrucksart auch zunächst plakativ erscheinende Aussagen hervor, die jedoch anschließend erläutert werden:

„Nur ist die Quelle für Lebensglück nicht der Konsum, sondern der bewusste Verzicht darauf“ (Ingo Balderjahn, S. 137).

Ob Konsumverzicht nun in erster Linie mit persönlichen Vorzügen oder Entbehrungen einhergeht, wird im Buch der individuellen Situation und Wahrnehmung zugeschrieben. Jedoch wird die bereits im Titel erkennbare Einschätzung des Autors, dass ein bewusster Konsum nachhaltig glücklicher machen kann, ausführlich beschrieben und wissenschaftlich untermauert. Trotzdem wird nicht verkannt, dass bewusster Konsum auch seine Schattenseiten im persönlichen Komfort beinhalten kann. Mal stellen Aussagen die Vorzüge, mal die Kosten in den Vordergrund. Mit Lesen des Buches ergibt sich so trotz des lenkenden Titels ein differenziertes Gesamtbild.

Balderjahn legt dar, dass Bürger*innen verstärkt von der Politik gefordert und gefördert werden sollen. Eine politische Kommunikation, die Selbstverantwortung und Selbstbestimmung ermutigt, ist daher gefragt. Das Buch regt seine Leser*innen an, sich der Macht und Verantwortung des eigenen Konsums bewusst zu werden und ihre Dosierung zu reflektieren.

Fazit

„Lust auf Verzicht“ richtet sich an alle Menschen, die offen sind, sich dem Thema Konsum aus einer kritischen, konsumwissenschaftlichen Perspektive zu nähern. Wer sich konkrete Hands-on Inspirationen für einen persönlich bewussteren Konsum erhofft, ist hier an der falschen Adresse. Die Umsetzung des Titels bleibt vorwiegend im abstrakten Bereich. Angehende Leser*innen sollten also Interesse an theoretischen Konzepten und den Erkenntnissen empirischer Studien mitbringen. Verzichtet wird dabei auf sprachlich hochtrabende Abstraktionen im Sinne eines niedrigschwelligen Einstiegs in komplexe Sachverhalte. Wer sich inspirieren lassen möchte, positive Betrachtungsweisen für das unbeliebte Thema Verzicht zu gewinnen, ist hier genau richtig.

Buchinformationen

Autor: Ingo Balderjahn
Titel: Lust auf Verzicht. Warum bewusster Konsum glücklich macht und dem Klima hilft.
Verlag: Oekom
ISBN: 978-3-98726-081-0
Softcover, 216 Seiten
Erscheinungstermin: 11.01.2024

 

Studie zu Suffizienz im Gebäudesektor

Deutschland hat sich ambitionierte Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Um diese zu erreichen, werden in vielen Bereichen gegenwärtig vor allem Effizienz- und Konsistenzstrategien angewendet. Sehr viel seltener hingegen stehen suffizienzbasierte Ansätze im Fokus der Betrachtung. Dies ist im Gebäudesektor nicht anders, der ebenfalls vor erheblichen Herausforderungen wie dem anhaltend großen Flächenverbrauch oder der Umsetzung einer ökologisch- und sozialverträglichen Wärmewende steht. Die immense Sprengkraft letzterer zeigte sich zuletzt in der aufgeheizten Debatte um den vermeintlichen „Heizungshammer“.

Umso interessanter ist die bereits 2022 im Rahmen des Forschungsprogramms „Zukunft Bau“ vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen durchgeführte Studie „Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich“.

Ziel der Studie ist es, auf Basis einer Darstellung der Umweltauswirkungen des Gebäudesektors und der bisherigen Nachhaltigkeitsbemühungen unterschiedliche Suffizienzansätze im Gebäudebereich herauszuarbeiten und darüber hinaus Empfehlungen für die Gestaltung des politischen Rahmens zu geben. Sie beschränkt sich dazu vorrangig auf eine Betrachtung von Wohngebäuden mittels einer Lebenszyklusperspektive.

Konzepte zur Bewertung von Suffizienz

Begriffsklärungen in Verbindung mit der Einführung in analytische Konzepte zur Bewertung von Suffizienz im Gebäudesektor stellen den Ausgangspunkt der Betrachtung dar. Bezugnehmend auf die deutschen Nachhaltigkeitsziele werden Suffizienz, Konsistenz und Effizienz als einander ergänzende Nachhaltigkeitsstrategien vorgestellt. Entsprechend der Stoßrichtung der Arbeit wird Suffizienz an dieser Stelle am meisten Raum gegeben. Die Darstellung mehrerer methodischer Bausteine zum besseren Verständnis der folgenden Abschnitte komplettiert den Grundlagenabschnitt. Dazu gehören u. a. die Vorstellung einer entscheidungsunterstützenden Suffizienzpyramide zum Umgang mit Gebäuden sowie eine Systematik zur Berücksichtigung von Suffizienzstrategien in unterschiedlichen Themenfeldern wie bspw. Projektentwicklung, Gebäudestruktur oder -management.

Status quo des Gebäudesektors

Das zweite Kapitel widmet sich dem Status quo des Gebäudesektors. Dazu werden die Umweltauswirkungen in Form anfallender Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbräuche sowie die strukturellen Entwicklungen im Gebäudesektor thematisiert. Deutlich wird an dieser Stelle, dass die aktuellen Nachhaltigkeitsbemühungen in vielerlei Hinsicht unzureichend sind und sich das Problem durch nachweisbare Reboundeffekte bspw. aufgrund steigender durchschnittlicher Raumtemperaturen noch verstärkt. Ursächlich sind dafür eine Reihe von Barrieren, deren Auswirkungen sodann dargestellt werden. Ehe das Kapitel mit einer Auswahl von best practices aus dem kommunalen Raum wie dem Züricher Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft endet, gehen die Autor*innen zunächst noch auf sozio-ökonomische und politisch-rechtliche Rahmenbedingungen ein. Dabei zeigen sie zum einen, dass eine Erklärung für den akuten Wohnungsmangel in vielen Städten auch in der gestiegenen pro-Kopf-Wohnfläche liegt. Zum anderen führen sie aus, dass in rechtlicher Perspektive Effizienz- und Konsistenzansätze weiterhin die dominanten Strategien darstellen und es vielfach an ökonomischen Anreizen zur Förderung/Unterstützung suffizienten Verhaltens fehlt.

Suffizienzpotentiale im Gebäudesektor

Auf Basis dieser umfangreichen Darstellung werden im dritten Kapitel modellbasierte Abschätzungen der Suffizienzpotentiale im Gebäudesektor präsentiert. Dazu werden Einsparmöglichkeiten hinsichtlich der Variablen Wohnflächen, Treibhausgasemissionen, Energiebedarf, Ressourcenbedarf sowie Flächeninanspruchnahme berücksichtigt. Die vorgestellten Rechnungen sind beeindruckend. Sie zeigen, dass der akute Wohnraummangel fast vollständig aus dem Bestand gedeckt werden könnte und Neubaumaßnahmen von marginaler Bedeutung wären. Neben Bauen im Bestand und umfangreichen Sanierungsmaßnahmen setzt dies jedoch auch eine bedarfsorientierte Bereitschaft zur Senkung der genutzten Pro-Kopf-Wohnflächen bspw. durch Wohnungstausch, Untervermietung oder Umzüge je nach Lebenssituation voraus.

Politikinstrumente zur Umsetzung und Verankerung von Suffizienzstrategien

Um die genannten Potenziale nutzen zu können, braucht es laut der Autor*innen Politikinstrumente, die die Umsetzung und Verankerung von Suffizienzstrategien im Gebäudebereich fördern. Ihren Vorschlägen zur Ausgestaltung etwaiger politischer Maßnahmen widmen sie das vierte und fünfte Kapitel. Dazu identifizieren sie zunächst die drei großen Maßnahmenbereiche „Kommunikation von Suffizienz“, „Förderung von Suffizienz in der Beratung, bei der Integration in die Planung und Maßnahmenumsetzung“ sowie „Impulse für die Integration von Suffizienzansätzen in rechtliche Rahmenbedingungen und bundesweite Standards“. Diese werden mit insgesamt acht konkreten Handlungsempfehlungen operationalisiert (Kapitel 4). Im fünften Kapitel werden sie exemplarisch anhand von Beispielen kombiniert, um mögliche Synergieeffekte mehrerer gekoppelter Instrumente zu verdeutlichen. So ließe sich aus Sicht der Autor*innen auf diese Weise bspw. eine ganzheitliche Bestandsentwicklung leichter erreichen. Diese sollte neben gezielten Förderungen für einen Um- statt Neubau auch verbesserte Rahmenbedingungen für die Erneuerung von Bestandsgebäuden, eine zielgruppengerechte Kommunikation und schließlich die Vorbildrolle des Bundes umfassen.

Die umfangreiche Studie steht hier kostenlos zur Verfügung.

Adieu Weihnachtsstress

Alle Jahre wieder ist es im Dezember so weit. Zum Ausklang des Jahres kommt zunächst die Adventszeit, gefolgt vom Großereignis Weihnachten. Besinnlichkeit, Barmherzigkeit, Solidarität, Nächstenliebe und soziales Miteinander – die Advents- und Weihnachtszeit bringen auch durch die Brille der Suffizienz betrachtet viel Gutes mit sich. Zugleich ist es jedoch auch immer eine der umsatzstärksten Zeiten des Jahres im Handel und viele Menschen wirken gestresster denn je. Es ist diese unnötige Diskrepanz, die im Folgenden näher betrachtet wird. 

Tradition Weihnachten   

Weihnachten ist ein fest verankerter Feiertag in unserer Gesellschaft und geprägt von Traditionen und Ritualen. Festlich geschmückte Fenster und Weihnachtsbäume, Lichterketten und Kerzen erhellen die Straßen und Wohnungen. Überall gibt es leckere Naschereien. Die Krippe mit den Figuren der Weihnachtsgeschichte wird aufgestellt und die Deko am Weihnachtsbaum verschönert den Raum. Die Pflege althergebrachter Traditionen sorgt für Vertrautheit und Gemütlichkeit. Doch das wirklich Besondere an der Weihnachtszeit ist das Soziale und die Gemeinschaft – die Zeit, die sich Familie und Freunde füreinander nehmen. Es vermag eine entschleunigende Zeit zu sein, mit gutem Essen, Weihnachtsfilmen, Gesellschaftsspielen und besinnlicher Musik.

Konsumstress und Ressourcenverschwendung

Doch allzu oft sieht es anders aus. Schuld daran ist nicht zuletzt der Shoppingstress. Dieser ließe sich natürlich am einfachsten vermeiden, wenn man auf Präsente gänzlich verzichten würde. Das wäre nebenbei auch sehr ressourcenschonend. Doch Geschenke an Weihnachten haben eine lange, gesellschaftlich fest verankerte Tradition, die aus dem christlichen Glauben resultiert und Wertschätzung und Nächstenliebe ausdrücken soll.

Insofern ist die weniger radikale Frage nicht ob, sondern wie bzw. was geschenkt wird. Dass dabei leider sehr häufig blinder Aktionismus gegenüber wohlbedachten Einkäufen den Vorzug erhält, zeigen die hohen Retourenquoten nach den Feiertagen. Das ist gleich in mehrfacher Weise kontraproduktiv: Den Schenkenden kostet es Zeit, Geld und Nerven, das Geschenk zu erwerben. Der Beschenkte freut sich nicht, ist möglicherweise sogar wegen des unpersönlichen Geschenks enttäuscht und hat am Ende seinerseits Stress beim Umtausch bzw. der Rückgabe. Oder noch schlimmer: Das Mitbringsel landet direkt im Müll. Und im Schatten leidet still die Umwelt aufgrund der immensen Ressourcen-verschwendung. 

Bewusst schenken

Was lässt sich nun tun, um dieses Dilemma zu lösen? Eine wertvolle Orientierung bietet an dieser Stelle die Suffizienzpyramide.

Auch an Weihnachten gilt mithin das Credo, möglichst wenig Neues zu kaufen. Falls es dennoch etwas Gekauftes sein soll, lohnt es sich vorher, das Geschenk abzustimmen. Das ist zwar weniger romantisch, da der Überraschungseffekt verschwindet, doch zugleich kommt es auch nicht zu „Fehlschenkungen“. Natürlich gilt auch in diesem Fall, dass viele Produkte ein zweites Leben verdienen und Second-Hand bzw. über Tauschplattformen erworben werden können. Bei Neukäufen sollte am Fest der Liebe noch mehr als sonst auf die sozialen und ökologischen Herstellungsbedingungen geachtet werden. Ein großer Bogen sollte auch um kurzlebigen Ramsch gemacht werden. Entsprechende Produkte sind häufig nicht reparierbar und haben nur eine kurze Lebensdauer, ehe sie im Müll landen. 

Noch besser ist es, Geschenke persönlich zu gestalten und dazu möglichst vorhandene Materialien zu verwenden. Das Internet wimmelt dabei nur so von Inspirationen und Bauanleitungen. Egal, ob es Backen, Heimwerken, Basteln oder Nähen ist – für jede Fähigkeit ist etwas dabei. Und ja: Es kann passieren, dass das Ergebnis am Ende nicht perfekt aussieht. Doch das ist ein geringer Preis dafür, dass es mit persönlichem Arbeitseinsatz für eine geliebte Person erstellt wurde. Mehr Wertschätzung geht nicht. Die Kirsche auf der Torte ist dann noch das nachhaltige Geschenkpapier.

Übrigens: Generell gilt, dass Zeit für viele Menschen in unserer hektischen Zeit das kostbarste Geschenk ist. Zudem können gemeinsame Aktivitäten häufig ressourcensparsamer gestaltet werden als herkömmliche Güter. Gemeinsame Ausflüge, Konzertbesuche oder ein raffiniertes Abendessen bescheren allen Beteiligten bleibende Erinnerungen und verstauben nicht im Regal. 

Weniger ist mehr

Zum Abschluss soll noch einmal der radikale Gedanke des Traditionsbruchs aufgegriffen werden. Mehr Menschen als man gemeinhin erwartet, teilen das Gefühl einer falschen Erwartungshaltung an Weihnachten und können dem Geschenkewahn wenig abgewinnen. Insofern lohnt es sich immer, bei einem gemeinsamen Abendessen den Vorschlag zu unterbreiten, zumindest einmal ein Weihnachten ohne Geschenke zu erproben. Als Zwischenschritt bzw. Kompromiss bietet sich auch Wichteln an. Hier schenken sich nicht alle gegenseitig etwas, sondern jede*r beschenkt nur eine andere Person.