Kann Mode nachhaltig sein? – Warum ein Umdenken notwendig ist

Die Fashion Weeks dieser Erde zeigen uns regelmäßig, welcher Schnitt, welche Farbe und welche Kombinationen von Kleidungsstücken gerade angesagt sind. Mode ist Ausdruck eines bestimmten Zeitgeistes, sie zeichnet sich durch Aktualität, Wechselhaftigkeit und Schnelllebigkeit aus. Und genau hier liegt das Problem. Die Textilindustrie hat einen bemerkenswert großen ökologischen Fußabdruck, was uns zur Frage bringt: Geht Mode auch nachhaltig? NEIN. Nachhaltigkeit ist kein Attribut, sondern ein Nutzungskonzept. Aber schauen wir genauer hin:

Fast Fashion vs. Slow Fashion

Schnelllebigkeit und Aktualität definieren den sogenannten „Fast Fashion“­-Trend. Damit sind die immer kürzer werdenden Abstände zwischen neuen Kollektionen, die sich an den aktuellsten Modetrends orientieren, gemeint. Durch Massenproduktion und das Outsourcen in Billiglohnländer kann diese Form von Mode immer schneller und günstiger produziert werden. Aufgrund der niedrigen Preise und der meist minderwertigen Qualität führt Fast Fashion zu einer Wegwerfgesellschaft und damit zu massiven Umweltschäden.  Ist das nachhaltig? Bestimmt nicht.

Wir müssen weg von Mode und hin zur nachhaltigen Kleidung

Es gibt eine Gegenbewegung zu Fast Fashion: Sie wird als „Slow Fashion“, „Green Fashion“ oder auch „Eco Fashion“ bezeichnet – und setzt auf das Konzept Nachhaltigkeit. Sie zeichnet sich neben einer nachhaltigen und fairen Produktion vor allem durch ihre Langlebigkeit aus. Diese Art von Kleidung soll aus qualitativ hochwertigeren Materialien bestehen und folgt weniger den aktuellen Trends, sondern setzt auf ein klassisches und zeitloses Design. Es setzt auf Langlebigkeit.

Aber Vorsicht: Akteure der Modebranche stellen sich gerne als besonders nachhaltig dar. Influencer*innen, die vegane Marken empfehlen und Modehäuser, die recycelte Ware anbieten: Klingt fortschrittlich, aber ist es das auch? In vielen Fällen ist es schlicht Greenwashing. Anders als oft suggeriert, wird bzw. nicht einmal ein Prozent der getragenen Kleidung zu neuer “Mode” recycelt.

Kriterien

Natürlich muss ab und zu trotzdem etwas “Neues” her. Dabei ist es gar nicht so leicht zu erkennen, ob ein Kleidungsstück nachhaltig produziert wurde oder ob es sich um Greenwashing handelt. Im Quellenverzeichnis findet ihr eine Liste mit Öko-Textil-Siegeln, die umweltfreundlich hergestellte Kleidung kennzeichnet.

1. Materialien aus biologischen Rohstoffen
Es ist wichtig, dass bei der Textilherstellung nur Materialien aus umweltverträglichen und zu 100 % biologisch abbaubaren Rohstoffen verwendet werden. Beim Anbau wird auf den Einsatz von Pestiziden, chemischen Düngemitteln, Insektiziden und anderen schädlichen Substanzen verzichtet. So gelangen weniger Chemikalien ins Grundwasser und in die Böden, dem Insektensterben wird entgegengewirkt und die Schadstoffbelastung der Menschen vor Ort wird erheblich reduziert.

2. Ressourcenschonende Produktion
Neben einem möglichst geringen Wasser- und Energieverbrauch ist die Verwendung schnell nachwachsender Rohstoffe wie z. B. Bambus ein weiteres Kriterium. Lieferwege sollten so kurz wie möglich und die gesamte Lieferkette möglichst in derselben Region verortet sein.

3. Recycling & Upcycling
Ein weiterer essenzieller Teil grüner Mode ist das Recyceln und Upcyclen von verschiedenen Materialien zur Herstellung neuer Kleidungsstücke. Mittlerweile werden auch Abfallprodukte, wie z. B. Schnittreste aus der Forstwirtschaft, Plastikflaschen oder Fischernetze immer häufiger genutzt, um daraus neue Stoffe herzustellen. Der Ressourceneinsatz wird auf ein Minimum reduziert, sodass ebenfalls weniger Müll entsteht.

4. Soziale und faire Produktionsbedingungen/ Arbeitsbedingungen
Green Fashion muss immer gerechte Bezahlung, gute und sichere Arbeitsbedingungen bedeuten. Sie darf nicht aus Kinderarbeit entstehen und Rohstoffpreise entlang der gesamten Produktionskette müssen angemessen bezahlt werden.

Aber wir müssen nicht gänzlich auf Abwechslung im Kleiderschrank verzichten! Es gibt viele Alternativen zum Neukauf: wie z. B. Second Hand, Kleidertauschpartys, Flohmärkte oder Kleidervermietung. In unserer Checkliste haben wir ein paar Tipps zusammengestellt:

Was Verbraucher*innen tun können

Uns als Verbraucher*innen kommt eine entscheiden Rolle zu. Es ist wichtig, dass wir unsere Beziehung zu Kleidung und Konsum grundsätzlich hinterfragen und unser Bewusstsein hin zu einem suffizienten Modekonsum umstellen. Dinge sollten nur dann gekauft werden, wenn sie wirklich benötigt werden und nicht nur zur Freizeitbeschäftigung oder Belohnung. Außerdem müssen wir die Lebensspanne unserer Kleidungsstücke verlängern, um der Wegwerfmentalität und dem dadurch entstehenden Müll entgegenzuwirken. Suffizienz und Degrowth sind dabei wichtige Stichwörter.

Quellen:

Minimalismus und Wohlbefinden

Raffiniert verleitet uns die Werbeindustrie zum Konsum – auch weil Kaufen Glück und Anerkennung versprechen soll. In den letzten Jahren mehren sich aber Studien, die uns zeigen, dass gesteigerter Konsum nicht unbedingt glücklich macht. Weniger Besitz sei sogar gut für Körper und Geist. Ist da was dran?

Wieviel brauchen wir wirklich?

Im Jahr 2020 brachten Lloyd und Pennington die Studie Towards a Theory of Minimalism and Wellbeing heraus, in der es um die Zusammenhänge zwischen Minimalismus und Wohlbefinden ging. Die Autor*innen der Studie wollten die Hintergründe des minimalistischen Lebensstils verstehen und mit den Ergebnissen dieser Studie eine vorläufige Theorie des Minimalismus aus Sicht der Positiven Psychologie konstruieren. Laut ihrer Hypothese führt der freiwillige Konsumverzicht zu einer Steigerung von Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit.

Positive Psychologie beschäftigt sich mit den positiven Seiten des Lebens. Sie möchte Wohlbefinden und Glück von Menschen fördern. Eine zentrale Frage dieser Strömung der Psychologie ist, wie und warum Individuen und Gruppen „flourishen“, also aufblühen, und wann Personen einen Flow-Zustand erleben. (3)
Definition

Minimalismus und Suffizienz

Bei besagtem freiwilligen Konsumverzicht setzt der Minimalismus an. Es geht darum, einfacher, bewusster und nachhaltiger zu leben, das Überflüssige aus dem Leben zu entfernen. Eine zentrale Frage ist, ob eine Person oder ein Gegenstand Freude bringt. Ist dem nicht so und es belastet einen, ist eine Trennung davon zu bevorzugen. Durch diese eigentlich „leichte“ Frage, wird Raum und Zeit für Menschen und Dinge geschaffen, die wirklich wichtig sind. Es geht im Minimalismus nicht darum, asketisch zu leben und den gesamten Besitz aufzugeben. Es geht um nötige Besitztümer für ein gutes Leben.

Mit dieser persönlichen Reflexion und der Frage, ob die Anschaffung eines Gegenstandes wirklich notwendig ist, zeigt sich die Brücke zwischen Minimalismus und Suffizienz. Beide Lebensstile zeichnen sich durch hohes Bewusstsein des Konsums aus und damit einhergehend den Rückgang des Konsumierens.

Auch beim suffizienten Handeln wird überlegt konsumiert. Die zentrale Frage lautet: „Brauche ich diesen Gegenstand wirklich?“. Nur bei einer positiven Antwort soll ein Kauf getätigt werden. Hiermit lässt sich eine Brücke schlagen, die den minimalistischen und den suffizienten Lebensstil verbindet. Durch die kritische Reflexion geht bei beiden Prinzipien ein Rückgang des Konsums einher. 

Studiendesign

Dem bisher wenig erforschten Kontext von Wohlbefinden und Minimalismus näherten sich die Autor*innen der Studie in einem qualitativen Design mithilfe semistrukturierter Interviews. Zehn Personen zwischen 24 und 52 Jahren, die alle minimalistisch leben, nahmen an der Studie teil. Sie kamen u. a. aus Deutschland, Kanada und den USA.

Lloyd und Pennington fanden in ihren Interviews eindeutige Ergebnisse, die ihre Hypothese bestätigten: Durch den minimalistischen Lebensstil hatte sich das Wohlbefinden aller zehn Studienteilnehmer*innen gesteigert. Sie stellten eine verbesserte Einstellung in den Bereichen Autonomie, Kompetenz, mentalem Raum, Achtsamkeit und positiven Emotionen fest. Wo vorher ein „gefangenes“ Gefühl und Unsicherheit war, fühlten sich die Interviewten seit der minimalistischen Lebensweise sicherer und frei. Außerdem sprachen die Interviewten von mehr Zeit für erfüllende Aktivitäten. 

Auch wenn diese Studienergebnisse klar für die minimalistische Lebensweise sprechen, sind diese Ergebnisse unter Vorbehalt zu betrachten: Die Interviewten waren alle aus einem „Weird-Country“ und haben sich aus innerem Antrieb eigenständig für diesen „einfachen“ Lebensstil entschieden. Personen mit einem niedrigeren sozio-ökonomischen Status, die aufgrund externaler und nicht internaler Gründe dieses einfache Leben leben, würden ihr Leben vermutlich anders konnotieren.

Der minimalistische und suffiziente Lebensstil kann – womöglich zunächst kontraintuitiv – eine Bereicherung für unser Leben sein. Vorausgesetzt man entscheidet sich aktiv dazu und wird nicht durch äußere Umstände gezwungen. Durch die Reduktion des Besitzes kann eine mentale Freiheit entstehen. Zu Beginn steht aber der bewusste Konsum. Der Vorteil ist, dass jeder einfach mitmachen kann, ohne gleich die ganze Welt verändern zu müssen. Wir treffen sowieso jeden Tag Konsumentscheidungen – es kostet nur ein paar Gedanken, sie bewusst zu treffen.

Die komplette Studie ist hier abrufbar.

(1) Lloyd, K. & Pennington, W. (2020). Towards a Theory of Minimalism and Wellbeing, International Journal of Applied Positive Psychology (5), 121-136. https://doi.org/10.1007/s41042-020-00030-y

(2) Seligman, M. & Csikszentmihályi, M. (2000). Positivy psychology: An introduction. American Psychologist, 55, 5-14. https://doi.org/10.1037//0003-066X.55.1.5

(3) Positive Psychologie. http://www.positive-psychologie.ch/?page_id=24 (Abruf: 21.06.2022)

Ästhetik und Suffizienz – Interview mit Alien Spiller

Suffizienz gilt neben Konsistenz und Effizienz als ein wichtiger Bestandteil effektiver Nachhaltigkeitsstrategien[1]. Mittlerweile hält das Konzept Einzug in verschiedene Lebens- und Alltagsbereiche. Unsere Interviewpartnerin Alien Spiller berichtet auf ihrem Blog über die Marke „Your Loving Nature“ (YLN), die Suffizienz im Bereich Kosmetik etabliert. Alien arbeitete im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Nachhaltigkeitsprojekts in ihrem Masterstudium mit YLN zusammen. Die Friseurin Marion Garz entwickelt seit 2018 Haarpflegeprodukte für YLN, die ohne aggressive Waschtenside, synthetische Weichmacher, überflüssige Verpackungen und lange Handelswege auskommen. Das Projekt steht unter dem Motto „Vom minimalistischen Design zu bewusstem Konsum“. Im Jahr 2021 wurde YLN beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis von der Jury ins Finale gewählt und konnte sich gegen eine Vielzahl anderer Unternehmen, Agenturen und Startups durchsetzen.

Im Zuge unseres Interviews sprachen wir mit Alien darüber, was das Produkt so besonders macht und warum die Verbindung von Ästhetik und Suffizienz ein für unsere Gesellschaft relevantes Zukunftskonzept ist.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Dein Blog trägt den Namen „Ästhetik und Suffizienz“. Wie bist du auf das Thema gekommen? Und wie lassen sich deiner Meinung nach Ästhetik und Suffizienz verbinden oder welcher Zusammenhang besteht bereits?

Alien Spiller (AS): Mich hat grundsätzlich der Ansatz fasziniert, dass die reduzierte Ästhetik eines Produktes Wirkungen erzeugen könnte, die sich schrittweise auf andere Lebensbereiche übertragen lassen, dem Wunsch nach einem nachhaltigeren Lebensstil sozusagen eine Form verleiht. Design und Ästhetik haben ja grundsätzlich die Aufgabe, sich auf eine wesentliche Aussage zu konzentrieren. Und da landen wir auch gleich bei der Suffizienz, die auf ein Genug oder Weniger abzielt und somit ebenso die Frage nach dem Wesentlichen stellt.

DUS: Bevor wir nun zu deinem Thema von Suffizienz und Ästhetik kommen, magst du vielleicht zu Beginn zunächst kurz erläutern, was genau unter dem Suffizienz-Gedanken deiner Ansicht nach zu verstehen ist?

AS: In der Nachhaltigkeitsdebatte leitet sich das Konzept der Suffizienz aus der Annahme der Ressourcengerechtigkeit innerhalb und zwischen den Generationen ab und dass sich das aktuelle Konsumverhalten in der westlichen Welt nicht auf die gesamte Menschheit übertragen lässt, sondern eine Genügsamkeit in den Lebensstilen erfordert. Der Suffizienzgedanke lässt sich dann in verschiedene Strategien übersetzen, die Reduktion, Entschleunigung, Entkommerzialisierung und Regionalisierung umfassen.

DUS: In deinem ersten Blogpost gehst du zum einen auf das Konzept Suffizienz und zum anderen auf deine Zusammenarbeit mit dem Berliner Unternehmen YLN ein. Warum hast du dich für diese Kooperation im Bereich der Kosmetikprodukte entschieden?

AS: Ich bin schon seit vielen Jahren Kundin von Marion Garz, der Inhaberin von YLN, und war im wahrsten Sinne des Wortes hautnah bzw. haarnah bei der Produktentwicklung dabei. Ihr konzeptioneller Ansatz, Ästhetik, Funktion und den Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit in einem Produkt aufeinander zu beziehen, hat mich überzeugt. Dem wollte ich im Rahmen meines Nachhaltigkeitsprojekts auf den Grund gehen und bot dem Unternehmen eine Zusammenarbeit an.

DUS: Inwiefern entspricht die Kosmetikmarke YLN deiner Meinung nach dem Konzept der Suffizienz?

AS: Während unserer Kooperation haben wir eine Lebenszyklusanalyse der festen YLN Shampoos im Vergleich zu konventionellen Shampoos in Plastikflaschen durchgeführt. Hier hat sich das Suffizienzkonzept vom Design bis zur Entsorgung durch den gesamten Produktlebenszyklus gezogen. Klar, die Verwendung biologischer statt konventioneller Inhaltsstoffe ist der Konsistenzstrategie zuzuordnen, also Produkte umweltfreundlicher herzustellen. Aber das minimalistische, platzsparende Design, die regionale Produktion mit kurzen Lieferwegen, die Einsparung von Wasser bei der Verwendung (z.B. durch Leave-in Conditioner) sowie der Wegfall von Verpackungsmüll sind Suffizienzstrategien und verursachen weniger Umweltwirkungen als etwa ein konventionelles Shampoo. Auch die bewusste Entscheidung des Unternehmens, das Wachstum zu begrenzen und im Kiez verankert zu bleiben, gehört in den Kontext der Suffizienz.

DUS: Insbesondere im Bereich Kosmetik ist Nachhaltigkeit inzwischen zum absoluten Trendthema geworden. In Drogerien lassen sich neben Zahnbürsten und Abschminktüchern, die nach eigener Angabe Nachhaltigkeitsversprechen erfüllen, seit einiger Zeit auch Produkte wie festes Shampoo und Duschgel von nahezu allen Kosmetikmarken finden. Inwiefern unterscheiden sich die Produkte von YLN von nachhaltigen Haarpflegeprodukten anderer Marken?

AS: Der große Unterschied ist, dass die Marke YLN aus dem Friseursalon heraus entwickelt wurde, basierend auf den Bedürfnissen und Wünschen von Kund*innen. Ich erinnere mich, dass ich vor einigen Jahren mit meiner eigenen Shampooflasche zum Haareschneiden gekommen bin, weil ich die konventionellen Produkte aus dem Salon nicht mehr verwenden wollte. Marion Garz ist dann noch einen Schritt weiter gegangen, einerseits biologische Inhaltsstoffe zu verarbeiten und gleichzeitig auf die Plastikverpackung zu verzichten. Irgendwann stellte sie mir dann ihre ersten festen Shampoos vor. So haben sich die Produkte im direkten Kund*innenkontakt immer weiter entwickelt und 2018 unter dem Label YLN in neuem Produktdesign und mit hochwertigen konzentrierten Inhaltsstoffen einen Relaunch erfahren. YLN ist da dem Boom der festen Kosmetikprodukte immer noch zeitlich voraus gewesen und hat eine echte Produktinnovation geschaffen.

DUS: Inwiefern ist der Ansatz von vielen unterschiedliche Pflegeprodukte (von Spülung, über Öl, bis zur Kur) deiner Meinung nach überhaupt mit dem Suffizienzgedanken und einer suffizienten Lebensweise vereinbar?

AS: Nein, so viele Produkte zu verwenden, hat meiner Meinung nach wenig mit Suffizienz zu tun. In der Kosmetikbranche wurden sicher auch Bedarfe geschaffen, dass für schönes Haar dieses und jenes Produkt benötigt wird. Ich selbst habe über die Jahre gemerkt, dass ich bestimmte Produkte gar nicht oder sehr selten benutze (wie Spülung oder Kur) und dann irgendwann wegschmeiße. Deshalb frage ich mich jetzt vor dem Kauf immer, brauche ich das wirklich?

DUS: In welchen anderen Bereichen des alltäglichen Konsums oder des generellen Konsums denkst du, kann man Suffizienz noch ausweiten und auf Resonanz/ positive Reaktionen in der Gesellschaft treffen? Wie kann man deiner Meinung nach mehr Menschen mit solchen nachhaltigen Produktideen erreichen und überzeugen?

AS: Ich denke, dass sich Suffizienz auf alle Lebensbereiche ausdehnen lässt oder sogar einen Lebensstil prägen kann. Der Gedanke ist meiner Ansicht nach leider nicht so populär, weil er oft mit Verzicht in Verbindung gebracht wird. Wenn man jedoch eine andere Rahmung nutzt, könnte man sich von einem möglichen Verzicht weg und auf die Frage zubewegen, was ein gutes Leben wirklich ausmacht und beim Konsum entsprechend bewusster vorgehen. Wie eingangs bereits angedeutet, lassen Produktideen wie die von YLN eine mögliche Zukunftsvision eines solchen ressourcenschonenden Lebens Realität werden. Sie stärken so die Selbstwirksamkeit der Menschen, ein nachhaltigeres Leben auf unserem Planeten Erde mitzugestalten. Man erreicht die Menschen wahrscheinlich am aller ehesten, wenn sie Teil dieser Geschichte sind und diese mit erzählen können.

[1] Zell-Ziegler, Corinna/Förster, Hannah: Mit Suffizienz mehr Klimaschutz modellieren. Relevanz von Suffizienz in der Modellierung. Übersicht über die aktuelle Modellierungspraxis und Ableitung methodischer Empfehlungen, im Auftrag des Umweltbundesamtes, Berlin 2018, S. 13-14, URL: Mit Suffizienz mehr Klimaschutz modellieren – Relevanz von Suffizienz in der Modellierung, Übersicht über die aktuelle Modellierungspraxis und Ableitung methodischer Empfehlungen – Zwischenbericht (researchgate.net), letzter Zugriff am 28.03.2022.

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN

© Hoffotografen

Alien Spiller ist im Politikumfeld tätig und befindet sich gerade in beruflicher Umorientierung. An der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde studiert sie berufsbegleitend strategisches Nachhaltigkeitsmanagement.  Aktuell schreibt Alien an ihrer Masterarbeit, die sich auch um das Thema Suffizienz  und Ästhetik dreht.

Black Friday – same procedure as every year

Klimaaktivistin Greta Thunberg sprach sich in der letzten Woche gegen den alljährlichen Konsumwahnsinn am Black Friday aus: „Kauft kein Zeug, das ihr nicht braucht!“, mahnte die 17-jährige Schwedin in den sozialen Medien und fügte an: „Überkonsum zerstört die gegenwärtigen und künftigen Lebensbedingungen und den Planeten selbst“ [1].

Schriftzug Black Friday

Diese und ähnliche Worte prägen immer mehr die öffentliche Kommunikation – aber wirkt es sich tatsächlich auf unser materielles Konsumverhalten aus? Immerhin stammt ein großer Teil unserer Treibhausgasemissionen unmittelbar oder mittelbar aus der Produktion, dem Transport und der Verwendung von Gütern. Und das betrifft auch vermeintlich „grüne“ Dinge wie E-Autos oder (Lasten-)Fahrräder. 

Unübersehbar bleibt auf jeden Fall der Widerstand der Fridays-for-Future-Bewegungen: Kurz vor der Weltklimakonferenz in Madrid hatten noch Hunderttausende Menschen in Deutschland und weltweit für eine wirksame Politik gegen den Klimawandel demonstriert. Allein in Deutschland waren es nach Angaben von Fridays for Future über 630.000 Menschen [1]. Hinzu kommt die Hoffnung, dass die neue Ampel-Regierung endlich konsequente Klimapolitik umsetzt.

Alles auf die Politik zu schieben, ist aber zu einfach. Was ist mit uns – den Bürger*innen? Folgen wir den Appellen der Wissenschaftler*innen und Klimaaktivist*innen? In der Nachhaltigkeitsblase auf den sozialen Kanälen kann man gar das Gefühl einer heilen Welt bekommen. Ein guter Realitätscheck ist der alljährliche Black Friday.

Online-Shopping und die Auswirkungen auf die Umwelt

Reduzierte Preise, Rabattaktionen und dazu unglaublich viel Verpackungsmüll werden leider auch dieses Jahr wieder das bundesweite Bild prägen. In Deutschland werden hunderte Shops offline – aber vor allem auch online – vermeintliche Schnäppchen anbieten, um Verbrauchende zum Kaufen anzuregen [2]. Der Handelsverband Deutschland (HDE) rechnet mit einem Umsatz von rund 4,9 Milliarden Euro für den diesjährigen Black Friday und Cyber-Monday. Das wäre eine Steigerung von 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Immer mehr Kund*innen nutzen dabei gezielt die Online-Angebote [3]. Das erzeugt nicht nur zusätzlichen Verpackungsmüll, sondern auch immense ökologische Transportkosten. 

Globaler Versand auf Kosten der Ressourcen

Deutschland verschifft den entstandenen Müll dabei überwiegend ins Ausland – so viel wie kein anderes EU-Land. Der Müll landet in Malaysia und – seit dem Importstopp nach China – auch in den Niederlanden, Frankreich, Polen und Bulgarien. Nur ein Teil davon wird auch recycelt und für die wertlosen Reste existieren häufig keine umweltgerechten Entsorgungsstandards. Die Folge: Diese Abfälle werden oft illegal in der Umwelt entsorgt oder verbrannt. Die dabei freigesetzten hochgiftigen Schadstoffe sickern dann in den Boden und ins Grundwasser [4].  Mit dem erhöhten Konsum am Black Friday verschärft sich die Problematik 

Stopp!

Am Black Friday liegt es vor allem in der Hand der Verbraucher*innen. Das heißt nicht, dass niemand konsumieren soll. Vielmehr sollten wir uns hinterfragen, ob die Produkte wirklich neu gekauft werden müssen, oder ob es alternative Erwerbsmodelle wie das Leihen und Teilen gibt. Und ja, manchmal muss etwas gekauft werden. Dann achtet aber auf eine umweltschonende Verpackung und Lieferung sowie sozial-ökologische Produktionsstandards. Let’s make it green!

Quellenangaben

[1] Spiegel, 2021: »Kauft kein Zeug, das ihr nicht braucht«. https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/greta-thunberg-am-black-friday-kauft-kein-zeug-das-ihr-nicht-braucht-a-aace299f-2eb4-488e-8526-3a22890d1105

[2] Utopia, 2021: Green Friday: Schnäppchen machen mit gutem Gewissen? https://utopia.de/ratgeber/green-friday-alternative-black-friday/

[3] Handelsverband Deutschland, 2021: Black Friday und Cyber Monday. https://einzelhandel.de/blackfriday[4] MDR, 2021: Verbraucher machen in der Corona-Pandemie mehr Müll. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/mehr-verpackungsmuell-durch-corona-100.html

[4] MDR, 2021: Verbraucher machen in der Corona-Pandemie mehr Müll. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/mehr-verpackungsmuell-durch-corona-100.html

Ist UNOWN das neue Haben? – Interview mit Linda Ahrens

Die meisten von uns kennen es: Der Kleiderschrank platzt wieder einmal aus allen Nähten, obwohl wir viele Teile darin oft nur selten tragen. Zudem steht besonders die Modeindustrie häufig in der Kritik, wenn es um nachhaltige Ressourcennutzung, Umweltverschmutzung oder die oft kurze Lebenszeit der Kleidungsstücke geht. Das 2019 gegründete Start-up UNOWN will mit einem Leasingmodel das System Mode revolutionieren. Wir haben eine der beiden Gründerinnen Linda Ahrens zum Thema suffiziente Mode interviewt.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Auf Ihrer Webseite „UNOWN“ werben Sie mit nachhaltigem Fashion-Leasing. Was genau ist das? Und wie funktioniert das Prinzip?

Linda Ahrens (LA): Wir glauben, dass wir nicht alles kaufen und besitzen müssen, was wir tragen. Unser Leasing-Prinzip macht es möglich, Kleidung wochen- und monatsweise zu leihen. Am Ende schickt man sie in unseren wiederverwendbaren Versandtaschen zurück, wir bereiten sie auf und die nächste Person kann sie leasen.

DUS: Wie sind Sie auf diese suffiziente Idee gekommen?

LA: Wir wollten in der Mode endlich eine Lösung für Kopf und Bauch. Der Kopf sagt doch: Ich will weniger und bewusster konsumieren. Und der Bauch sagt: Ich will was Neues und mich inspirieren lassen. Nachhaltige Modelabels sind deshalb nur ein Teil der Lösung. Für uns ist es entscheidend, dass wir auch das Nutzungskonzept überdenken!

DUS: Nach Ihrer Beschreibung ist Ihr Geschäftsmodell auf die Verlängerung der Lebensdauer von Kleidungsstücken ausgerichtet. Haben Sie hierzu schon Erfahrungswerte wie häufig Kleidung bei Ihnen geliehen wird und wie sich dies tatsächlich auf die Lebensdauer auswirkt?

LA: Ja, wir sammeln permanent Daten zu unserem Modell und messen daran nicht zuletzt den Erfolg. Und glücklicherweise konnten wir auf Grundlage dieser Daten unsere ersten Annahmen über die Lebensdauer schon deutlich erhöhen. Es gibt viele Stücke, die seit Herbst 2019 in unserem System verleast werden und noch immer in einem guten Zustand sind! Von Umfragen wissen wir, dass sie geleaste Kleidungsstücke mind. 1-2 Mal pro Woche tragen. Nach 20 Leasing-Zyklen kann ein Stück also locker 150 Mal getragen worden sein. Statistiken zeigen, dass uns das mit den aller wenigsten Kleidungsstücken in unserem Schrank gelingt! Greenpeace 1 hat bspw. geschätzt, dass bis zu 40% eines Kleidungsschranks nur zwei bis drei Mal getragen werden !

DUS: Sie sagen, dabei geht es Ihnen um Nachhaltigkeit. Für viele ist der Begriff immer noch schwammig. Was bedeutet Nachhaltigkeit konkret für Sie?

LA: Für uns ist ein Baustein für nachhaltigen Modekonsum, Kleidung so lange wie möglich im Umlauf zu halten und möglichst viel „Leben“ aus ihnen zu holen. Ein sehr großer Anteil der Emissionen entstehen nämlich bereits in der Produktion. Tragen wir ein Kleidungsstück lange, dann holen wir aus dem bereits produzierten Kleidungsstück mehr “Leben” raus. Die Realität ist, wie eben beschrieben, aber komplett anders: Viele Kleidungsstücke werden extrem wenig getragen und schnell vergessen oder weggeschmissen. Genau da setzen wir an!

DUS: Wie stellen Sie sicher, dass die Brands auf Ihrer Plattform wirklich nachhaltig sind und bleiben?

LA: Wir messen uns an der Nutzungsdauer, hier machen wir den Unterschied. Unsere Aufgabe ist es deshalb nicht, permanent die Nachhaltigkeitsstandards unserer Partnermarken zu überprüfen. Ein nachhaltig und fair produziertes Kleidungsstück ist auch nur dann sinnvoll, wenn es lange getragen wird. 
Nicht alle unsere Partnermarken sind Fair Fashion und das behaupten wir auch nicht. Wir setzen auf qualitativ hochwertige Marken, die entweder bereits etablierte Nachhaltigkeits-Zertifizierungen haben oder auf dem Weg dorthin sind.

DUS: Es ist nicht neu, dass Kleidung viel Wasser in der Produktion verbraucht. Auf Ihrer Webseite machen Sie Angaben dazu, wie viel Wasser durch das Leihen gespart werden konnte. Wie werden die Wasser- oder CO2-Ersparnisse errechnet?

LA: Eine Beispielrechnung: Eine typische Kund:in bleibt bei uns sechs Monate und hat unsere mittlere Membership “Extended”. Damit kann sie vier Teile gleichzeitig zum Festpreis von 69 € leasen. In der Zeit spart sie gegenüber dem Neukauf 83 % an Wasserverbrauch und 76 % an CO2e-Emissionen ein. Wir rechnen dabei immer den Vergleich von Leasing versus Kauf. Die häufigeren Versandwege im Leasing sind natürlich schon einkalkuliert. 

DUS: Sie sprechen gerade den Versand an. Dieser steht ja oft in der Kritik, wenn es um die Nachhaltigkeit geht. Welche Konzepte haben Sie, um den Versand so ökologisch wie möglich zu gestalten? Lohnt es sich z.B. im Vergleich zum Kauf im regionalen Einzelhandel eine Krawatte bei Ihnen zu leihen, wenn wir die Klimabilanz betrachten? Um es konkret zu machen, wie stellen Sie sicher, dass der CO2-Fußabdruck tatsächlich kleiner ist als bei der Neuanschaffung?

LA: Wenn die Krawatte nicht häufig getragen wird, dann ist das Leihen bei uns sicher sinnvoller! Mir ist es wichtig mit einer falschen Annahme zu brechen: Regionale Einzelhandel sind nicht grundsätzlich emissionsärmer als der Onlinehandel! Es fallen ganz andere Fahrtwege, Strom- und Heizkosten, Umschlagzentren etc. ins Gewicht. Das Öko-Institut hat in einer Studie 2 gezeigt: Ein mit dem Auto in der Stadt getätigter Kauf kann einen 3x höheren Fußabdruck haben als ein Online-Kauf inklusive Retoure. Unabhängig von dieser grundsätzlichen Betrachtung setzen wir bei UNOWN aber auch wieder verwendbare Versandtaschen ein, verzichten komplett auf Plastik-Umverpackungen und kompensieren unvermeidbare CO2-Ausstöße. Das spart mindestens 80% an Verpackungsmüll ein! 

DUS: Zum Schluss noch eine Frage zur Zukunft der Mode. Wie soll die Modeindustrie Ihrer Meinung nach in 30 Jahren aussehen? Wird es noch endlos Kleidung zu kaufen geben?

LA: Ich erinnere mich an eine Statistik die besagt, dass wir genug Kleidung für die nächsten 50 Jahre hätten, wenn wir ab sofort nichts mehr produzieren würden. So viel Ware liegt nämlich ungenutzt in Lagerhallen und ist auf den Secondhand-Märkten verfügbar. Trotzdem wachsen die Produktionsraten Jahr für Jahr! Ich bin mir sicher, dass die Modeindustrie in den nächsten Jahren stärker klimabesteuert und reglementiert wird, weil sie einen so großen Fußabdruck hat. Und in 30 Jahren werden Zugangsmodelle wie unseres, aber auch andere Kreislaufmodelle (Cradle-to-Cradle) sowieso Normalität sein. 

[1] Greenpeace: Wegwerfware Kleidung – Repräsentative Greenpeace-Umfrage zu Kaufverhalten,
Tragedauer und der Entsorgung von Mode:  https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20151123_greenpeace_modekonsum_flyer.pdf (Abruf am 26.11.2021)

[2] Süddeutsche Zeitung: Wie klimaschädlich ist der Onlinehandel?: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/online-shopping-co2-klima-laden-1.4429396 (Abruf am 26.11.2021)

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN

© Tomas Engel

Linda Ahrens ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von UNOWN und dort verantwortlich für die Partnerschaften mit Marken und Marketing. Sie studierte an der University of Oxford und Zeppelin Universität Wirtschaft und Soziologie und leitete zuvor als Strategin Innovationsprojekte für die Beauty-, Mode- und Mobilitätsindustrie.