Nachhaltiges Gemeinwohl im Quartier

Neben Ressourcensparsamkeit befasst sich Suffizienz stets auch mit der Frage nach einem guten Leben. Diese wird in Deutschland immer mehr zu einer nach der Ausgestaltung lebenswerter Städte, denn die Urbanisierung hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen: So lag der Anteil der Stadtbewohner*innen 1990 noch bei 70 Prozent und wuchs binnen rund 30 Jahren bis 2022 auf 77,7 Prozent.

Ein gordischer Knoten

Stadtplaner*innen stellt dies regelmäßig vor schwierige Aufgaben. Fast überall gibt es Flächenkonkurrenzen, die durch widerstreitende Vorstellungen zum städtischen Idealbild befeuert werden. Konflikte um das vermeintliche Gemeinwohl, eine gerechte Lastenverteilung und die besten Lösungen im Sinne der Gesamtheit oder zumindest der Mehrheit der Gesellschaft lassen sich fast täglich in den Nachrichten sehen. Häufig geht es dabei um Maßnahmen, die für sich genommen gut klingen: Nur wenige Menschen werden es zunächst ablehnen, wenn man ihnen eine Verbesserung der Luftqualität, bessere Mobilitätsangebote, neuen Wohnraum oder weitere Einkaufsmöglichkeiten verspricht.

Doch nahezu immer gehen diese Lösungen zu Lasten einzelner Personen oder Akteursgruppen und lassen sich vor allem nicht gleichzeitig realisieren. Bei der Planung und Gestaltung von Städten geht es mithin immer auch um die Verwendung knapper Ressourcen, Akzeptanz für gefundene Lösungen und den Ausgleich divergierender Interessen. Nicht umsonst schrieb der Schriftsteller Gerd Heyse: „Auf der Suche nach dem Schlaraffenland sollte man sich ausreichend mit Proviant versorgen.“

Partizipation im Fokus: ein Gemeinwohl-Index für das Quartier

Gerade weil sich Gemeinwohl schwierig bestimmen lässt und Ressourcen überall knapp sind, sollte erfolgreiche Kommunalentwicklung die Betroffenen und ihre Interessen frühzeitig und umfassend einbeziehen. Wie das gelingen kann, zeigt ein Quartiersentwicklungsprojekt in Münster: Dort wurde 2019 laut eigener Aussage unter dem Motto „Gemeinsam Stadt machen – statt machen lassen!“ der bundesweit erste Quartier-Gemeinwohl-Index (QGI) entwickelt. Mittlerweile wurden auf seiner Basis bereits über 80 Projekte im Viertel ausgewählt und realisiert. Der Index ist dabei in einem mehrstufigen Beteiligungsprozess mit Menschen aus dem Quartier entstanden und wird stetig weiterentwickelt. Dies reflektiert die Erkenntnis, dass Gemeinwohl kein starres Gebilde ist, sondern sich Themen und Präferenzen mit der Zeit verändern können. Aktuell besteht der QGI aus 16 Themen, die die unterschiedlichen Aspekte des alltäglichen Lebens im Viertel adressieren. Sie reichen bspw. von Verkehr und Wohnen über Bildung, Gesundheit und Gerechtigkeit bis hin zu Vernetzung, Nachbarschaft oder Älter werden im Viertel.

Erweitert wurde der QGI zuletzt um ein Gemeinwohl-Barometer. Das im Rahmen eines Citizen-Science-Projektes entwickelte Instrument hat zum Ziel, den Zustand des Gemeinwohls im Quartier zu einem bestimmten Zeitpunkt abzubilden und so kommunalen Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung als Richtungsweiser zu dienen.

Und wie steht es mit der Nachhaltigkeit?

Spannend ist an dieser Stelle die Frage, welche Bedeutung die Bewohner*innen des Hansaviertels Nachhaltigkeit im Allgemeinen und Suffizienz im Besonderen beimessen. Die Antwort lautet: eine bemerkenswert große. So findet sich Nachhaltigkeit als eines der 16 Hauptthemen wieder und wird bspw. über eine Wildbienenkampagne, ein Klimawäldchen oder eine Maßnahme zur Verbreitung von Balkonkraftwerken praktiziert. Darüber hinaus finden sich in den umgesetzten Projekten und den von den Anwohner*innen formulierten Visionen zu den genannten Themen in vielfältiger Weise Bezüge zur Strategie der Suffizienz. Dabei geht es um Ressourcensparsamkeit und die Veränderung etablierter Konsum- und Alltagsmuster. So sollen eine Reihe von Projekten wie bspw. ein gemeinsames Lastenreparaturrad oder gemeinsame Aufenthalts- und Freizeitbereiche ein ressourcenschonendes Miteinander fördern.

Ein best practice, das Schule macht?

Das Hansaviertel in Münster ist ein schönes Beispiel dafür, dass sich der Mut zu trialogischen Prozessen lohnen und neue kommunale Gestaltungskräfte freisetzen kann. Zumindest in diesem Fall korrespondiert die entwickelte Gemeinwohlvorstellung der Menschen im Quartier zudem mindestens in Teilen mit den Erfordernissen einer sozial-ökologischen Transformation. Da sich Gemeinwohl jedoch stets aus den Interessen der Menschen vor Ort bzw. den darauf basierenden Aushandlungsprozessen entwickelt, bleibt abzuwarten, inwieweit dies auch bei einem etwaigen Transfer des Ansatzes in andere Quartiere der Fall sein wird.

Grün statt grau – zur Bedeutung der Einhaltung des 30-Hektar-Ziels​

Bis 2050 werden voraussichtlich zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Wo einst natürlicher Boden lag, entstehen immer mehr Gebäude, Straßen und städtische Infrastruktur. Auch in Deutschland wird immer mehr Fläche bebaut und Boden versiegelt, obwohl die Bevölkerung nicht im gleichen Maße wächst (vgl. IÖR 2018). Durch den enormen Zuwachs an Flächenverbrauch geht nicht nur die endliche Ressource des natürlichen Bodens verloren, dies wirkt sich auch negativ auf die Umwelt und das Klima aus. Um diesem Problem entgegenzuwirken, muss der Bedarf an Nutzfläche sinken. Wie das Ziel von „weniger“ an Fläche erreicht werden kann, beschreiben verschiedene Suffizienzansätze im Bereich der Raumplanung.

In diesem Beitrag soll zunächst erklärt werden, worin das Problem des hohen Flächenverbrauchs besteht, woher dieser hohe Bedarf kommt und welche Auswirkungen er hat. Daraufhin werden suffizienzbasierte politische Ansätze zur Verringerung der Siedlungs- und Verkehrsfläche genannt und exemplarische Best-Practice-Beispiele aus der kommunalen Praxis vorgestellt.

Das Problem

Es handelt sich bei natürlichen Böden um eine sehr kostbare, aber auch endliche Ressource, die geschützt werden muss (vgl. IÖR 2018; TAB 2005). In seinem natürlichen Zustand bildet der Boden einen der weltweit größten Kohlenstoffspeicher und trägt damit besonders zum Erhalt und Schutz des Klimas bei (vgl. Niebert 2015). 

Durch die Versiegelung des Bodens, also die luft- und wasserdichte Abdeckung durch Bebauung, Betonierung, Asphaltierung oder anderweitige Befestigung, kann dieser kein CO₂ mehr aufnehmen (vgl. UBA 2024). Die wertvolle klimaregulierende Funktion des Bodens geht durch die Versiegelung verloren. Außerdem wird so deutlich mehr Wärme absorbiert, die natürliche Bodenfruchtbarkeit beeinträchtigt und das Versickern von Niederschlägen verhindert, wodurch sich weniger Grundwasser bildet (vgl. IÖR 2018; UBA 2024).

Dennoch nehmen die Flächeninanspruchnahme und die Versiegelung des Bodens immer weiter zu. Zwar hat die Zunahme im Laufe der letzten 20 Jahre deutlich abgenommen, trotzdem ist die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland zwischen 2018 und 2021 durchschnittlich um 55 Hektar pro Tag gewachsen (vgl. Statistisches Bundesamt 2023a). Dies entspricht einem täglichen Flächenverbrauch von etwa 72 Fußballfeldern (vgl. BMUV 2023).

Damit geht auch für Tiere und Pflanzen wertvoller Boden verloren, der hohe Flächenverbrauch führt zur Zerschneidung der Landschaft, zur Veränderung des Lokalklimas und zu erhöhten Luftschadstoff- und CO₂-Emissionen (vgl. NABU o.J.).

Politische Maßnahmen

Die deutsche Bundesregierung hat dieses Problem durch das 30-Hektar-Ziel aufgegriffen. Bis 2030 soll demnach sichergestellt werden, dass täglich weniger als 30 Hektar neue Fläche für Siedlungen und Verkehr genutzt werden (vgl. Deutsche Bundesregierung 2018; UBA 2018b). Bis 2050 soll die Inanspruchnahme der Fläche pro Tag sogar bei Netto-Null liegen und eine Flächenkreislaufwirtschaft angestrebt werden (vgl. BMUV 2023; UBA 2022). Das heißt, Flächen müssten recycelt bzw. entsiegelt und renaturiert werden (vgl. IÖR 2018).

Eine solche Entsiegelung von Flächen ist zwar möglich, jedoch aufwendig und mit hohen Kosten verbunden. Zudem kann die Wiederherstellung fruchtbarer Böden sehr lange dauern (vgl. UBA 2024). Des Weiteren scheint die Erreichung des 30-Hektar-Ziels bis 2030 bei Betrachtung des anhaltend hohen Flächenverbrauchs nicht realistisch (vgl. NABU 2020). Sowohl für die einzelnen Jahre als auch im 4-Jahres-Mittelwert von 2018 bis 2021 ist das Ziel zur Flächeneinsparung für 2020 deutlich verfehlt worden (vgl. UBA 2023a). Schließlich ist kritisch zu sehen, dass das Erreichen des 30-Hektar-Ziels eigentlich für 2020 vorgesehen war. Infolge der absehbaren Zielverfehlung wurde es 2018 in der leicht veränderten Formulierung „unter 30 Hektar pro Tag“ auf 2030 verschoben (vgl. NABU o.J.; RNE 2007).  

Wofür wird die Fläche genutzt?

Ein Großteil der in Anspruch genommenen Fläche wird für Siedlungen und Verkehr genutzt. 2021 lag der Anstieg der neu genutzten Fläche für Wohnungen, Siedlungen und Gewerbe bei 39 Hektar pro Tag, etwa 8 Hektar pro Tag stieg die Nutzung für den Ausbau des Verkehrs (vgl. Statistisches Bundesamt 2023b). Von 1992 bis 2022 ist die Fläche für Siedlungen und Verkehr um 28,8 Prozent angestiegen (vgl. UBA 2023a). 

Mit 14.159 Quadratkilometern entfällt dabei der Großteil der Fläche auf die Wohnbaufläche (vgl. Statistisches Bundesamt 2023c). Bemerkenswert ist an dieser Stelle ein wachsender Flächenverbrauch pro Kopf: Während die deutsche Bevölkerung von 2011 bis 2020 um 3,5 Prozent gewachsen ist, stieg die Wohnfläche im selben Zeitraum um 6,5 Prozent (vgl. Architektenkammer Baden-Württemberg 2022). 

Politische Stellschrauben zur Verringerung des Flächenverbrauch

Um dem 30-Hektar-Ziel näherzukommen, wird eine konsequente Weiterentwicklung von praxisnahen, politischen, rechtlichen, informatorischen und ökonomischen Instrumenten des Flächensparens benötigt (vgl. TAB 2005). Darunter fallen z. B. Entsiegelungs- und Renaturierungskonzepte, die Erneuerung der Grundsteuer und das Schaffen regionaler Kooperationen (vgl. BMUV 2023; TAB 2005; UBA 2022). Generell wird eine dreistufige Handlungsempfehlung zur Vermeidung von neuer Flächenversiegelung vorgeschlagen, die dem Bestandsschutz, der Bestandssanierung und -entwicklung einen klaren Vorrang einräumt. Erst wenn die Erhaltung und Erneuerung von Beständen ausgeschöpft sind, sollte eine vertikale Bestandserweiterung stattfinden. Der Neubau bietet folglich nur die letzte Möglichkeit (vgl. Deutscher Städtetag 2021; UBA 2023b). Auch die Förderung von innovativen Ansätzen wie der Flächenkontingentierung gehört dabei in die öffentliche Diskussion (vgl. BMUV 2023; UBA 2018b; UBA 2022). Hierbei soll der Handel mit begrenzten Flächenzertifikaten für die Steuerung der Flächeninanspruchnahme sorgen und die Bebauung neuer Flächen begrenzen (vgl. IÖR 2018; UBA 2018a).

Hinsichtlich bestehender Siedlungsflächen sollte der Innenentwicklung von Städten der Vorzug gegenüber ihrer Außenentwicklung gegeben werden. Statt auf Neubauten in Randgebieten der Städte zu setzen, sollten folglich zunächst die Potenziale im Inneren ausgeschöpft werden, indem Brachflächen, Freiflächen und Baulücken genutzt werden (vgl. BMUV 2023; NABU o.J.; RNE 2007; UBA 2022). Das Verhältnis von Innen- zu Außenentwicklung sollte bei mindestens 3:1 liegen, während sich das Potenzial der Innenentwicklung auf geschätzte 120.000 bis 165.000 Hektar beläuft (vgl. IÖR 2018; UBA 2018b).

Außerdem braucht es verstärkt die Bereitschaft zum Flächenrecycling, also die Weiter- und Umnutzung bereits genutzter Flächen und von Leerständen (vgl. Architektenkammer Baden-Württemberg 2022; BBSR 2023; BMUV 2023; IÖR 2018; RNE 2007; UBA 2022). Eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung geht davon aus, dass in Deutschland 350 bis 380 Millionen Quadratmeter Bürofläche zur Verfügung stehen, die mit geringem Aufwand umgenutzt werden könnten. Dadurch würden 100.000 neue Wohneinheiten pro Jahr entstehen. Die Wiederbelebung von Leerständen könnte zur Schaffung von 18.000 Wohneinheiten pro Jahr führen, die Aufstockung von Parkhäusern, Einzelhandels- und Verwaltungsgebäuden könnte weitere 49.000 Wohneinheiten schaffen (vgl. BBSR 2023). Von Anfang an sollten flexible Grundrisse geplant werden, um eine Umgestaltung von Gebäuden zu vereinfachen (vgl. Architektenkammer Baden-Württemberg 2022; BBSR 2023).

Auch im Verkehr sollte der Neubau von Bundesfernstraßen und neuen Verkehrsinfrastrukturen reduziert und stattdessen bestehende Strukturen erneuert und verbessert werden. Darüber hinaus sollten Subventionen wie die Pendlerpauschale, die die Außenentwicklung begünstigen, abgebaut werden (vgl. UBA 2022).

Kommunen machen es vor

Dass es auch anders geht, zeigen eine Reihe von Beispielen, die Böcker et al. (2020) im Rahmen der Publikation „Wie wird weniger genug? Suffizienz als Strategie für eine nachhaltige Stadtentwicklung” zusammengetragen haben.

Zum einen können Kommunen eine aktive Bodenpolitik praktizieren, wie es die Städte Ulm und Tübingen tun. Durch das vorausschauende Ankaufen von Flächen sichert sich die Stadt Ulm weitreichende Gestaltungs- und Handlungsmacht. In Tübingen werden Grundstücke und Baurechte anhand des besten Konzeptes statt des höchsten Preises vergeben. Auf diese Weise wirken die Kommunen noch stärker gestalterisch an der Stadtgestaltung mit und können sich für sozial und ökologisch nachhaltige und vor allem flächensparende Lösungen auf diesen Arealen entscheiden (vgl. Böcker et al. 2020). 

Zum anderen können Städte durch eine bewusste Quartiersentwicklung zur Schonung des Flächenverbrauchs beitragen, wie es das Beispiel eines Wohnquartiers in Flensburg zeigt. Bei der Entwicklung wurde dort dezidiert ein geringer Ressourcen- und Flächenverbrauch angestrebt, indem möglichst wenig Fläche versiegelt wird, Frei- und Dachflächen multifunktional genutzt werden, auf flexible Grundrisse geachtet wird und eine geringe Pro-Kopf-Wohnfläche zur Verfügung steht (vgl. BBSR 2023; Böcker et al. 2020; Stadt Flensburg 2023). 

Auch in anderen Bereichen, wie dem Verkehr oder dem Einzelhandel, können Kommunen Maßnahmen ergreifen. In der Stadt Siegen wurde z. B. ein jahrelang existierender Parkplatz für etwa 200 Pkw zurückgebaut und ein begrüntes Flussufer geschaffen. Die Stadt Ravensburg hingegen hat beschlossen, den Einzelhandel nicht am Stadtrand anzusiedeln. Stattdessen soll die Attraktivität der Innenstadt, z. B. durch ein kostenloses Busangebot und vergünstigte Parkplätze, gesteigert werden. Infolgedessen werden leerstehende Gebäude wieder genutzt und es müssen keine neuen Flächen in Anspruch genommen werden (vgl. Böcker et al. 2020).

Akzeptanz von Veränderung

Unbestreitbar ist das politische Ziel einer Verminderung des Flächenverbrauchs ökologisch richtig und wichtig. Doch obwohl es gute Ansätze und Beispiele gibt, gestaltet sich die praktische Umsetzung vielerorts wie so häufig schwierig. Einige politische Stellschrauben und Ansätze wurden dazu in diesem Beitrag umrissen. Ausgehend vom Status quo scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Zielvorstellung, in weniger als 30 Jahren eine Flächenkreislaufwirtschaft zu erreichen, illusorisch. Umso mehr ist jedoch zu hoffen, dass zügig überall in der Republik suffizienzgetriebene Flächennutzungskonzepte Einzug erhalten, die nicht nur punktuelle Leuchtturmprojekte realisieren, sondern systematische und stetige Prozesse im Sinne eines schonenden Umgangs mit der Ressource Boden ermöglichen. 

Insbesondere der anhaltend große Wohnflächenverbrauch zeigt an dieser Stelle deutlich, dass es mehr denn auch auf die individuelle Bereitschaft der Bürger*innen ankommen wird, die eigenen Lebensroutinen zu hinterfragen und Veränderungen zuzulassen.

Literaturverzeichnis

Architektenkammer Baden-Württemberg (2022): Suffizienz: Schlüssel zu mehr nachhaltigem Wohnraum. online unter: https://www.akbw.de/themen/nachhaltigkeit-klima/suffizienz-schluessel-zu-mehr-nachhaltigem-wohnraum. (letzter Aufruf: 19.02.2024, 16:09 Uhr).

Böcker, Maike/ Brüggemann, Henning/ Christ, Michaela/ Knak, Alexandra/ Lage, Jonas/ Sommer, Bernd (2020): Wie wird weniger genug? Suffizienz als Strategie für eine nachhaltige Stadtentwicklung. online unter: https://www.nachhaltige-zukunftsstadt.de/downloads/Wie_wird_weniger_geung_2021.pdf. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 16:46 Uhr).

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (2023): Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich. online unter: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2023/bbsr-online-09-2023-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=2. )letzter Aufruf: 21.02.2024, 13:08 Uhr).

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) (2023): Flächenverbrauch – Worum geht es? online unter: https://www.bmuv.de/themen/nachhaltigkeit/strategie-und-umsetzung/reduzierung-des-flaechenverbrauchs#:~:text=T%C3%A4glich%20werden%20in%20Deutschland%20rund,engeren%20Wortsinn%20nicht%20%22verbrauchen%22. (letzter Aufruf: 15.02.2024, 16:13 Uhr).

Deutsche Bundesregierung (2018): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Aktualisierung 2018. online unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975274/1546450/65089964ed4a2ab07ca8a4919e09e0af/2018-11-07-aktualisierung-dns-2018-data.pdf?download=1. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 9:15 Uhr). 

Deutscher Städtetag (2021): Nachhaltiges und suffizientes Bauen in den Städten. online unter: https://www.staedtetag.de/files/dst/docs/Publikationen/Weitere-Publikationen/2021/handreichung-nachhaltiges-suffizientes-bauen.pdf. (letzter Aufruf: 21.02.2024, 17:20 Uhr).

Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. (IÖR) (2018): Flächenverbrauch und Zersiedelung – Ein Umweltproblem der Siedlungsentwicklung. Katalog zur Ausstellung. online unter: https://www.ioer.de/fileadmin/user_upload/Service/files/ZfBK_Katalog_Web.pdf. (letzter Aufruf: 20.02.2024, 16:26 Uhr).

Naturschutzbund Deutschland (NABU) (2020): 30-Hektar-Tag 2020: Kein Grund zum Feiern. Unser Flächenverbrauch ist noch immer viel zu hoch. online unter: https://www.nabu.de/news/2020/07/30hektartag.html. (letzter Aufruf: 16.02.2024, 11:52 Uhr).

Naturschutzbund Deutschland (NABU) (o.J.): Flächenverbrauch reduzieren – Wie kann nachhaltige Stadtentwicklung gelingen? online unter: https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/bauen/hintergrund/26636.html. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 8:59 Uhr). 

Niebert, Kai (2015): Der Boden – Das unbekannte Land. online unter: https://www.researchgate.net/publication/277310337_Der_Boden_-_Das_unbekannte_Land. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 15:39 Uhr). 

Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) (2007): Erfolgsfaktoren zur Reduzierung des Flächenverbrauchs in Deutschland. Evaluation der Ratsempfehlungen „Mehr Wert für die Fläche: das Ziel 30 ha“. online unter: https://www.nachhaltigkeitsrat.de/wp-content/uploads/migration/documents/Broschuere_Evaluation_30_ha_02.pdf. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 9:26 Uhr). 

Stadt Flensburg (2023): Städtebaulicher Rahmenplan – Flensburg Hafen-Ost. online unter: https://www.ihrsan.de/fileadmin/Content/PDF_und_Images/Hafen-Ost/Download/230206_8Seiter_BroschuereA4_Rahmenplan_Einzelseiten-WEB.pdf. (letzter Aufruf: 22.02.2024, 12:37 Uhr). 

Statistisches Bundesamt (2023a): Flächennutzung. Flächenindikator „Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche“. online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Flaechennutzung/Tabellen/anstieg-suv2.html. (letzter Aufruf: 15.02.2024, 15:50 Uhr.)

Statistisches Bundesamt (2023b): Flächennutzung. Jährliche Zunahme einzelner Nutzungsarten. online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Flaechennutzung/Tabellen/anstieg-suv.html. (letzter Aufruf: 16.02.2024, 12:50 Uhr).

Statistisches Bundesamt (2023c): Flächennutzung. Fläche für Siedlung nach Nutzungsarten in Deutschland. online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Flaechennutzung/Tabellen/siedlungsflaeche.html. (letzter Aufruf: 19.02.2024, 09:18 Uhr). 

Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) (2005): TA-Projekt Reduzierung der Flächeninanspruchnahme – Ziele, Maßnahmen, Wirkungen. Endbericht. online unter: https://www.tab-beim-bundestag.de/projekte_reduzierung-der-flacheninanspruchnahme-ziele-massnahmen-wirkungen.php. (letzer Aufruf: 22.02.2024, 10:09 Uhr).

Umweltbundesamt (UBA) (2018a): Handel mit Flächenzertifikaten. online unter: https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-flaeche/flaechensparen-boeden-landschaften-erhalten/handel-flaechenzertifikaten#modellprojekt-handel-mit-flachenzertifikaten. (letzter Aufruf: 20.02.2024, 17:04 Uhr).

Umweltbundesamt (UBA) (2018b): Instrumente zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme. Aktionsplan Flächensparen. online unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2018-05-24_texte_38-2018_reduzierung-flaecheninanspruchnahme.pdf. (letzter Aufruf: 21.02.2024, 17:53 Uhr).

Umweltbundesamt (UBA) (2022): Flächensparen – Böden und Landschaften erhalten. online unter: https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-flaeche/flaechensparen-boeden-landschaften-erhalten#flachenverbrauch-in-deutschland-und-strategien-zum-flachensparen. (letzter Aufruf: 15.02.2024, 16:27 Uhr).

Umweltbundesamt (UBA) (2023a): Siedlungs- und Verkehrsfläche. online unter: https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/flaeche/siedlungs-verkehrsflaeche#anhaltender-flachenverbrauch-fur-siedlungs-und-verkehrszwecke-. (letzter Aufruf: 16.02.2024, 13:40 Uhr).

Umweltbundesamt (UBA) (2023b): Protecting the Environment and Climate – Creating Living Space. Improving Quality of Life UBA and KNBau Recommendations for Sustainable Housing and Urban Development. online unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2023_uba_pos_wohnraumbeschaffung_engl_bf.pdf. (letzter Aufruf: 21.02.2024, 17:33 Uhr).

Umweltbundesamt (UBA) (2024): Bodenversiegelung. online unter: https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/boden/bodenversiegelung#was-ist-bodenversiegelung. (letzter Aufruf: 15.02.2024, 15:42 Uhr).

Suffizienz als „Strategie des Genug“

Wir leben in einer Zeit multipler ökologischer Krisen und Herausforderungen. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass ein „weiter so” katastrophale Folgen für die Lebensgrundlagen des Menschen haben wird. Nichts zeigt dies eindrücklicher als ein Blick auf die Planetaren Grenzen (siehe Abb.), von denen bereits sechs der neun überschritten sind. Als eine der größten Volkswirtschaften der Erde trägt Deutschland dabei eine entscheidende Mitverantwortung. Umso alarmierender ist es, dass das Land aktuell eine ganze Reihe von Umweltzielen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2030 zu verfehlen droht. Es braucht offensichtlich dringender denn je Maßnahmen und innovative Ansätze zur Minderung des Ressourcenverbrauchs und der Umweltbelastung.

 

Ein Diskussionspapier – 16 Thesen

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) hat vor diesem Hintergrund kürzlich ein Diskussionspapier veröffentlicht. Bemerkenswert ist, dass die bisweilen immer noch vernachlässigte Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz die Hauptrolle spielt. Anhand von ineinander verzahnten 16 Thesen, die jeweils inhaltliche Aspekte rund um Suffizienz fokussieren, wird die Notwendigkeit dieser Nachhaltigkeitsstrategie in einem kondensiert zusammengetragenen wissenschaftlichen Diskurs dargelegt. Das Diskussionspapier bietet dabei einen umfassenden Blick auf die im Rahmen der planetaren Grenzen erforderliche Rolle von Suffizienz im Zusammenspiel von Natur und Kultur. Die Thesen entfalten sich bewusst nicht entlang einer linearen Logik, sondern spannen Bögen innerhalb thematisch gruppierter Blöcke:

Das Fundament: Warum Nachhaltigkeit ohne Suffizienz nicht möglich ist 
These 1: Suffizienz ist für eine Stabilisierung der Erde innerhalb planetarer Grenzen unerlässlich.
These 2: Suffizienz ist Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben aller in planetaren Grenzen.

Die Zusammenhänge: Fünf Thesen für ein systemisches Verständnis von Suffizienz 
These 3: Suffizienz ist notwendiger Teil einer Strategie, um schädliche Eigendynamiken der Technosphäre einzuhegen.
These 4: Suffizienz kann den Bedarf an Rohstoffen reduzieren und zu ihrer langfristigen Verfügbarkeit beitragen. 
These 5: Die Verbreitung suffizienter Praktiken erfordert auch strukturellen Wandel. 
These 6: Ressourcenintensive Lebensstile gefährden die Freiheit anderer und es gibt keinen moralischen Anspruch, dies zu ignorieren. 
These 7: Suffizienz konfrontiert die Gesellschaft mit den Widersprüchen der westlichen Moderne. 

Vier fachliche Perspektiven: Suffizienz in Ökonomie, Kreislaufwirtschaft, Recht und Kultur
These 8: Suffizienz erfordert ein zukunftsfähiges Wohlfahrtsverständnis und ein vorsorgeorientiertes Wirtschaftssystem. 
These 9: Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft setzt Suffizienz voraus.
These 10: Eine Politik der Suffizienz ist verfassungsrechtlich möglich und unter bestimmten Bedingungen sogar geboten.
These 11: Kultureller Wandel ist Voraussetzung für und Resultat von Suffizienzpolitik. 

Die Herausforderungen: Fünf Thesen zu Chancen von und Hindernissen für Suffizienz 
These 12: Suffizienz kann Baustein eines gelingenden Lebens sein.
These 13: Ökonomische Analysen zu Ökologie und Verteilungsgerechtigkeit bereichern den Suffizienzdiskurs.
These 14: Suffizienzpolitik wird auf gesellschaftliche Widerstände treffen. 
These 15: Suffizienzpolitik muss sozial gerecht gestaltet werden und kann Ungleichheit verringern. 
These 16: Es bedarf einer Verständigung auf zentrale Handlungsfelder für Suffizienzmaßnahmen. 

Lösungen brauchen Dialog und Akzeptanz

Das knapp 100-seitige Dokument erlegt sich bereits zu Beginn selbst die Grenze auf, das „Warum” jedoch nicht das „Wie” zu erörtern. Es geht den Autor*innen darum, evidenzbasiert die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung von Suffizienz neben Effizienz und Konsistenz zu diskutieren. Es geht dem Diskussionspapier nicht darum, finale Lösungen zu präsentieren, sondern einen Debattenbeitrag zu leisten und zu einer pluralen Debatte hinsichtlich einer nachhaltigen Zukunftsfähigkeit und einem zeitgemäßen Wohlfahrtsverständnis anzuregen. 

Dabei zeigt die Lektüre des inhaltlich verdichteten Diskussionspapiers eindrücklich eine wiederkehrende Herausforderung in der Wissenschaftskommunikation sowie allgemeinen Bürgerbeteiligung: Wie gelingt es, komplexe Zusammenhänge zugleich inhaltlich tiefgehend zu behandeln und laienfreundlich darzustellen, sodass eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung ohne unzulässige Simplifizierungen möglich wird. 

Ein erster Schritt zur öffentlichen Debatte mit Fachpublikum wurde bereits mit einer Online-Veranstaltung des SRU Ende April gelegt, die Raum für Diskussionsbeiträge von Akteuren aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft bot. Die fehlenden Antworten auf die Frage des „Wie“ wurden dabei wiederholt durch teilnehmende Impulsgeber*innen während der Veranstaltung angemerkt, insb., da sie die Vermittlung des „Warum“ in den letzten Jahrzehnten als erfolgsarmes Unterfangen resümieren. Zwar hält das Diskussionspapier dafür – wie gesagt – bewusst wenig konkrete Handlungsempfehlungen bereit, legt jedoch schlüssig und eindrücklich dar, dass notwendige Maßnahmen nur auf demokratischen Wege zu finden sind. Dafür wird es jedoch auch weiterhin erheblicher Anstrengungen bedürfen, um die komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisse niederschwellig in die Gesellschaft zu tragen und eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für substantielle Veränderungen zu erreichen. 

Da die Zeit mehr denn je drängt, ist zu hoffen, dass dieser Austausch nur der Auftakt für einen verstetigten, umfassenden und inklusiven Dialogprozess ist – ganz im Sinne der formulierten abschließenden Diskussionseinladung der Autor*innen des vorgestellten Papiers.

Das Diskussionspapier des Sachverständigenrats für Umweltfragen steht hier zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Fachgespräch zu Suffizienz als Nachhaltigkeitspolitik

Der diesjährige deutsche Erdüberlastungstag am 2. Mai steht kurz bevor ­– zwei Tage früher als letztes Jahr. Immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen auf, dass eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs unumgänglich ist, um ein gutes Leben innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen zu ermöglichen. Dieser Bedarf spiegelt sich in den aktuellen politischen Nachhaltigkeitsstratgien allerdings noch nicht wider.

Vor diesem Hintergrund hat das Ökumenische Netzwerk Klimagerechtigkeit vergangenen Herbst ein Positionspapier „Eine Strategie des Genug“ veröffentlicht. Auf dessen Basis fand am 10. April 2024 ein einstündiger Austausch im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung im Paul-Löbe-Haus statt und wurde zugleich online übertragen. Im Anschluss an eine Kurzvorstellung der zentralen Anliegen des Positionspapiers wurden dessen politischen Implikationen diskutiert.

Das Ökumenische Netzwerk tritt in dem von 60 Organisationen unterzeichneten Positionspapier mit zwei konkreten Forderungen an die Politik heran:

1. Suffizienz soll als zentrales Nachhaltigkeitsprinzip neben Effizienz und Konsistenz anerkannt und in einer Bundestags-Enquete-Kommission diskutiert werden.

2. Suffizienz soll als fester Bestandteil der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie verankert werden.

Um dem Thema Suffizienz politisch gerecht zu werden, wird vorgeschlagen, das Querschnittsthema als 7. Transformationsbereich „Soziale Innovationen/Suffizienz“ an die Arbeit in den Ministerien anzugliedern. Als Aufgaben leiten sich daraus für alle Transformationsbereiche Maßnahmen mit dem Ziel der absoluten Verbrauchsreduktion sowie eine Einbeziehung von Suffizienz in die Nachhaltigkeitsprüfung von Gesetzen ab. Zur Entwicklung erfolgreicher Suffizienzmaßnahmen legt das Ökumenische Netzwerk außerdem die Initiierung eines „Nationalen Forschungsprogramms Suffizienz“ nahe. In dessen Rahmen könnten z. B. Studien dazu dienen, ein besseres Verständnis der Wirksamkeit einer erfolgreichen Kommunikation von Suffizienzpolitiken zu liefern. Langfristig steht die große Frage im Raum, wie das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden kann, um das nachhaltige Funktionieren der gesellschaftlichen Systeme zu sichern.

Diskussion zum Verhältnis von Suffizienzpolitik und Freiheit

In der Debatte mit Mitgliedern des Parlamentarischen Beirats zeigten sich die unterschiedlichen politischen Zugänge zum Thema Suffizienz. Sorgen um die nachhaltigkeitspolitisch begründete Einschränkung von Gestaltungsfreiheiten der Bürger*innen begegneten Sorgen um Freiheitseinschränkungen in Folge der multiplen Krisen.

Die eingeladenen Sachverständigen betonten in ihren Reaktionen auf die Beiträge, dass Suffizienz bereits für viele Bürger*innen gelebter Alltag ist. Sie verwiesen hierbei auch auf Studien, die eine mehrheitliche Akzeptanz von Suffizienzmaßnahmen nahelegen, beispielsweise eine Auswertung der vorgeschlagenen Nachhaltigkeitsmaßnahmen elf europäischer Bürger*innenräte. Parallel wurde ein Mangel an politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen herausgestellt, die suffizientes Verhalten zur einfachen, bequemen und günstigen Variante befördern. Carina Zell-Ziegler vom Öko-Institut betonte an dieser Stelle die Bedeutung aktuell bestehender Preisverzerrungen zu Lasten der Nachhaltigkeit: „Ich würde noch hinzufügen, dass ja die Preise im Moment auch nicht die ökologischen Schäden widerspiegeln und dass auch eine Abschaffung von umweltschädlichen Subventionen eigentlich Teil einer Suffizienzpolitik sein müsste […], um die wahren ökologischen Kosten zu zeigen und damit erst mal eine Preistransparenz zu schaffen für die ökologischen Schäden, die mit dem Konsum einhergehen.“

In der Kommunikation empfiehlt das Ökumenische Netzwerk, mit Positiv-Beispielen zu motivieren und Chancen zum gemeinsamen Lösen sozialer und ökologischer Probleme aufzuzeigen. In ihrer Arbeit ist es ihnen wichtig den informativen Austausch in einem Miteinander zu führen, erzählte Isabell Rutkowski von Bund katholische Jugend. Ein zentrales Element sei es dabei, die Ängste vieler Menschen wahrzunehmen und politisch widerzuspiegeln. Astrid Hake vom Ökumenischen Netzwerk beschrieb ein Ping-Pong-Spiel zwischen dem Bedarf von kulturellen Veränderungen in der Wahrnehmung von Genügsamkeit und den benötigten politischen Rahmenbedingungen. Der aktive kulturelle Wandel soll die Resilienz stärken und eben jenen Ängsten vor Skeptikern der Suffizienzpolitik vorbeugen: Einer Gesellschaft im Krisenmodus mit reduziert verfügbaren, rationierten Ressourcen. Jörg Göpfert von der Evangelischen Akademie reagierte auf die seitens des AFD-Vertreters geäußerte Befürchtung einer rationierenden Planwirtschaft: „Dieses Zuteilungsmodell das ist ja eben das denkbar für uns unschönste Szenario. Das wird aber auf [die Menschheit] zukommen, wenn wir nicht den Weg, den wir jetzt beschreiten, verlassen und versuchen ihn doch verträglicher zu gestalten. Und deswegen regen wir ja diese Debatte an.“

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat den Impuls zur Diskussion von Suffizienzpolitiken erfreut aufgenommen und Interesse an einem weiteren Austausch zu diesem Thema geäußert. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat kürzlich ein Diskussionspapier mit 16 Thesen zu Suffizienz als „Eine Strategie des Genug“ veröffentlicht und eine öffentliche Diskussionsveranstaltung angestoßen.

Insgesamt lässt sich die Veranstaltung folglich als kompakter und konstruktiver Austausch einordnen. Es lässt sich an dieser Stelle hoffen, dass aufgrund der akuten Dringlichkeit der ökologischen Herausforderungen dies nur der Auftakt für eine Reihe zeitnah folgender Formate ist, die die Bedeutung von Suffizienz ins politische Rampenlicht rücken. Denn da gehört sie hin.

Die Aufzeichnung der Veranstaltung des parlamentarischen Beirats vom 10. April 2024 können Sie sich hier im Nachhinein anschauen.

Suffizienzorientierte Lebensstile – ein Interview mit Dr. Elisabeth Dütschke und Dr. Sabine Preuß

Suffizienz ist neben Effizienz und Konsistenz eine der drei gleichrangigen Nachhaltigkeitsstrategien. Im Gegensatz zu den beiden stärker technisch und regulatorisch ausgerichteten Strategien setzt Suffizienz beim Bewusstsein und Handeln jedes Einzelnen an. Sie lädt uns ein, unsere etablierten Konsum- und Verhaltensmuster kritisch zu reflektieren und Neues zu erproben. Dennoch braucht es entsprechende Rahmenbedingungen, um suffiziente Lebensstile Realität werden zu lassen. Welche das sind, wird gegenwärtig im mehrjährigen, länderübergreifenden Forschungsvorhaben FULFILL erforscht.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Sie forschen gerade im Rahmen des mehrjährigen Projekts FULFILL zum Thema Suffizienz. Bitte erläutern Sie uns kurz, worum es in Ihrem Vorhaben geht.

Dr. Preuß: FULFILL ist eine Abkürzung für den langen Projektnamen „Fundamentale Dekarbonisierung durch Suffizienz und Lebenstilveränderungen“. Aus dem Titel kann man schon erahnen, um was es geht: Wir schauen uns an, wie CO₂-Emissionen durch Veränderungen im Lebensstil und Suffizienz verringert werden können. Suffizienz kann grob beschrieben werden als „mit weniger besser leben“. Das Projekt ist international ausgerichtet, sodass wir nicht nur in Deutschland repräsentative Befragungen in der Allgemeinbevölkerung und Interviews mit Suffizienz-Initiativen durchführen, sondern dies auch in Frankreich, Italien, Dänemark, Lettland und Indien machen. Aber natürlich schaffen wir das nicht alleine. Wir sind ein Forschungskonsortium mit acht Partnern aus der Wissenschaft wie das Fraunhofer ISI, das Wuppertal Institut, EURAC und der Universität Politecnico di Milano, aber auch Think-Tanks und NGOs wie négaWatt, Jacques Delors Institut, Inforse und Zala Briviba.

Dr. Dütschke: Im weiteren Verlauf des Projektes werden auch noch umfangreiche Analysen folgen, mit welchen Politikmaßnahmen sich Suffizienz vorantreiben lässt. Und es wird noch eine umfangreiche Bewertung zu wirtschaftlichen Auswirkungen und Klimawirkungen gemacht.

DUS: In Ihrem Forschungsdesign behandeln Sie u. a. regulatorische und infrastrukturelle Maßnahmen, um suffizientes Verhalten zu ermöglichen. Wieso brauchen individuelle Verhaltensveränderungen eigentlich derartige politische Weichenstellungen?

Dr. Preuß: Weil es oftmals ohne sie nicht möglich ist. Wenn ich beispielsweise keine Möglichkeit habe, mein Fahrrad am Arbeitsplatz sicher abzustellen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich für den Weg zur Arbeit ins Auto statt aufs Fahrrad steige, sehr viel größer – auch wenn mir das Fahrradfahren gesundheitlich und mental guttun würde. Das ist nur ein Beispiel von vielen.

Dr. Dütschke: Das geht dann für viele andere Bereiche ähnlich weiter: Um auf den Trockner zu verzichten, braucht es geeignete Möglichkeiten, die Wäsche aufzuhängen – sei es im Außenbereich oder im Waschkeller. Damit verbunden ist dann aber auch die wichtige Frage, wer das im Haushalt übernimmt. In den meisten Fällen sind die Frauen dafür zuständig – hier gilt es weiterzudenken, dass Suffizienz nicht zulasten bestimmter Bevölkerungsgruppen geht.

DUS: Wenn es um ökonomische Verhaltensänderungen geht, stehen Entscheider*innen traditionell Anreiz- und Sanktionsinstrumente zur Verfügung. Welche Instrumente braucht es für eine aktive Suffizienzpolitik?

Dr. Preuß: Basierend auf den Ergebnissen aus FULFILL wissen wir das noch nicht genau, denn die Forschungsarbeiten dazu laufen gerade noch (das Projekt läuft bis September 2024). Aus anderen Forschungsprojekten wissen wir jedoch, dass ein Mix aus Push- und Pull-Maßnahmen sinnvoll erscheint. Aus psychologischer Sicht sollten Push-Maßnahmen, also Sanktionen, vor allem dann genutzt werden, wenn es um essenzielle oder gar fatale Entscheidungen bzw. Verhaltensveränderungen geht – und das tut es ja beim Klimawandel, zumindest langfristig. Aber natürlich sollten auch Anreize umgesetzt werden, um die Menschen nicht nur durch Verbote zu suffizienten Lebensstilveränderungen zu leiten. Diese Pull-Maßnahmen haben meist eine höhere Akzeptanz in der breiten Bevölkerung (im Vergleich zu Push-Maßnahmen), sind aber oft weniger effektiv, was tatsächliche Verhaltensveränderungen angeht.

Dr. Dütschke: In Frankreich gibt es für so eine Maßnahmenkombination gerade ein gutes Beispiel. Dort werden Kurzstreckenflüge verboten, wenn es alternativ eine Direktverbindung mit einem Hochgeschwindigkeitszug gibt.

DUS: Eine ergänzende Frage zu politischen Instrumenten: Aktuell wird im Zuge einer Stärkung der demokratischen Strukturen der EU viel über dialogische Bürgerbeteiligung gesprochen. Welche Bedeutung messen Sie dieser im Rahmen einer aktiven Suffizienzpolitik bei?

Dr. Dütschke: Ich denke, Suffizienz unterscheidet sich hier nicht von anderen Bereichen. Ein umfassender gesellschaftlicher Wandel wird nur gelingen, wenn er von und mit der Gesellschaft entwickelt wird. Das geschieht über bestehende demokratische Prozesse, aber auch über neue Formate.

Dr. Preuß: Auch hier gilt es natürlich wieder alle Bevölkerungsgruppen abzuholen und niemanden außen vorzulassen.

DUS: FULFILL wird länderübergreifend umgesetzt. Können Sie länderspezifische Unterschiede ausmachen? Und welche Rückschlüsse ziehen Sie daraus im Hinblick auf die Frage, auf welcher föderalen Ebene Suffizienzpolitik ansetzen sollte?

Dr. Dütschke: Was die individuellen Lebensstile angeht, finden wir interessanterweise einige ähnliche Muster über die Länder hinweg, etwa was den Zusammenhang zwischen Einkommen und Ressourcenverbrauch angeht. Die strukturellen Faktoren und die politischen Rahmenbedingungen sind jedoch unterschiedlich. Hier sind wir aber noch mitten in der Analyse.

DUS: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: „Damit gutes Leben einfacher wird“, heißt ein bekanntes Buch zum Thema Suffizienz von Uwe Schneidewind. Welchen Ratschlag würden Sie unseren Leser*innen geben, um ihr Leben suffizienter zu gestalten?

Dr. Preuß: Wirklich zu hinterfragen, ob ich das brauche und warum – egal, ob es um das neue Oberteil, den Flug nach Mallorca, den Umzug in die sehr viel größere Wohnung oder im Supermarkt um die Avocado aus Mexiko geht. Oft sind uns unsere Bedürfnisse gar nicht richtig bewusst. Was wir wirklich brauchen, wird manchmal deutlich, wenn jede*r reflektiert, was er oder sie auf einer einsamen Insel definitiv für sich brauchen würde. Für manche mag es das Make-up sein, für andere vielleicht ein gutes Buch oder Musik und für wieder andere gar nichts – für viele vermutlich das Handy, um mit den Liebsten in Kontakt zu bleiben. Darüber hinaus ist auch der suffiziente Umgang mit Zeit etwas, das mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Ich persönlich – ohne es mit wissenschaftlichen Artikeln untermauern zu können – kann einen Trend erkennen zu einer Reduktion der Arbeitszeit und dem Wunsch nach gemeinsamer Zeit, beispielsweise das gemeinsame Arbeiten im Garten oder ein gemeinsamer Zoobesuch als Geburtstagsgeschenk  – ganz weg von materiellen Dingen.

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERINNEN

Dr. Elisabeth Dütschke ist Diplom-Psychologin und forscht seit fast 15 Jahren am Fraunhofer ISI in Karlsruhe zur gesellschaftlichen Perspektive auf die Energiewende. Sie koordiniert das interdisziplinäre Geschäftsfeld Akteure und Akzeptanz in der Transformation des Energiesystems.

Dr. Sabine Preuß hat in Psychologie promoviert und erforscht seit 2019 am Fraunhofer ISI den „Faktor Mensch“ in der Energiewende. Sie untersucht Verhaltens- und Einstellungsänderungen sowie die Akzeptanz von Technologien und Politiken – mit einem besonderen Fokus auf Energiegerechtigkeit und diversen Bevölkerungsgruppen.

Zusammen leiten Dr. Dütschke und Dr. Preuß das Forschungsprojekt FULFILL.

Dr. Sabine Preuß (links) und Dr. Elisabeth Dütschke (rechts)