Es steht außer Frage, dass der Klimawandel kein fernes Zukunftsszenario mehr ist, sondern längst unsere Gegenwart prägt: Temperaturen steigen, Extremwetter häufen sich, Gletscher schmelzen. Während frühere Klimaschwankungen teils natürliche Ursachen hatten, ist die heutige Erderwärmung eindeutig menschengemacht. Durch die Verbrennung enormer Mengen fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas gelangen riesige Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre und treiben die Erwärmung weiter an. Seit Langem warnen Forschende davor, dass das Klima ein sensibles, komplexes System ist, das abrupt und dauerhaft kippen kann. Diese Kipppunkte lassen sich als kritische Schwellenwerte beschreiben, bei dessen Überschreitung ein Teil des Erdsystems plötzlich und meist unumkehrbar in einen neuen Zustand übergeht – mit tiefgreifenden Folgen für das Leben auf der Erde. Einmal ausgelöst, lassen sich diese Prozesse kaum oder gar nicht mehr stoppen. Im kürzlich veröffentlichtem „Global Tipping Points Report 2025“ haben über 150 Forschende die Kipppunkte des Erdsystems untersucht – mit alarmierenden Ergebnissen.
Die rote Linie des Klimasystems
Je stärker sich die Erde erwärmt, desto näher rückt die Gefahr, dass kritische Kipppunkte des Erdsystems erreicht oder überschritten werden. Forschende haben bereits eine Vielzahl an Kippelementen identifiziert, darunter der Amazonas-Regenwald, die Eisschilde an den Polkappen und Korallenriffe. Im neuen Kipppunkte-Bericht wurde nun deutlich, dass viele Warmwasser-Korallenriffe ihren Kipppunkt bereits erreicht haben und in den nächsten Jahrzehnten drohen, großflächig abzusterben. Darüber hinaus wird davor gewarnt, dass die Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze weitere Kipppunkte im Erdsystem auslösen könnte. Dies kann langfristig einen Meeresspiegelanstieg und gravierende Folgen für Küsten, Klima und das Leben von Millionen Menschen weltweit bedeuten. Trotz dieser Entwicklungen gibt es auch einen Hoffnungsschimmer: die sogenannten positiven Kipppunkte.
Positive Kipppunkte verstehen und gestalten
Positive Kipppunkte sind Entwicklungen, die die Wende zu einer nachhaltigen Zukunft möglich machen: Beispielsweise boomen regenerative Energieerzeugungsformen weltweit. Sie werden immer günstiger und verdrängen zunehmend fossile Brennstoffe. Solche selbstverstärkenden nachhaltigen Veränderungen können helfen, das Klima zu stabilisieren und damit den Klimawandel abzubremsen. Doch was benötigt es, um solche positiven Kipppunkte auszulösen und ihre Wirkung zu verstärken?
Maßgeblich sind klare politische Richtlinien für klimafreundlichere Technologien. Es braucht einen politischen Rahmen, der das Auftreten positiver Kipppunkte nicht nur erlaubt, sondern aktiv fördert und fordert. Doch der Bericht macht auch klar, dass politische Maßnahmen und das Vertrauen in technologische Innovationen allein nicht ausreichen. So muss auch der Wirkung von sozialen Dynamiken eine zentrale Rolle auf dem Weg zu einer langfristig klimafreundlichen Zukunft zugeschrieben werden. Aus dem Global Tipping Points Report geht hervor, dass soziale Dynamiken dazu führen können, positive soziale Rückkopplungen hin zu einer klimafreundlicheren Lebensweise anzustoßen. Neben dem aktiven gesellschaftlichen Engagement als Wirkungshebel auf politische Entscheidungsprozesse lassen sich auch zentrale Prinzipien der Suffizienz im Bericht wiedererkennen.
Der persönliche Beitrag zum Klimaschutz: Suffizienz im Alltag verankern
Großflächige Effizienzgewinne und eine zirkuläre Verwendung von Rohstoffen sind wichtige Voraussetzungen, um als Gesellschaft den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch zu senken. Doch sollte dies nicht verdecken, dass auch auf der persönlichen Ebene große Einsparpotentiale bestehen. Ressourcensparende Verhaltensänderungen können zudem kostengünstig und schnell mittels relativ einfacher Maßnahmen freigesetzt werden, wie die nachfolgende Abbildung des Kompetenzzentrums Nachhaltiger Konsum zeigt:
Eine vegetarische oder vegane Ernährung kann bis zu einer halben Tonne Treibhausgase einsparen. Auch der Verzicht auf einen spontanen Hin- und Rückflug von Berlin nach Rom für ein romantisches Wochenende spart knapp eine halbe Tonne CO₂ ein. Wer regelmäßig für den Weg zur Arbeit oder Kita auf das Auto verzichtet, setzt einen weiteren Big Point um.
Suffizienz kann so schrittweise zu einem selbstverstärkenden Prozess werden, indem nachhaltige Lebensstile nicht mehr als Einschränkung, sondern als neue Normalität wahrgenommen werden. Je stärker suffizientes Verhalten jedoch zur neuen gesellschaftlichen Norm wird, umso mehr erhöht dies auch den Druck auf Politik und Märkte, sich mit Maßnahmen bzw. Angeboten im Sinne nachhaltiger Lebensweisen zu befassen.
Laut Global Tipping Points Report 2025 sind es genau diese einfachen Anpassungen, die das größte Potenzial haben, positive Kipppunkte zu erzeugen. Die positiven Auswirkungen sind potentiell enorm: Immerhin zeigt die Abbildung, dass bereits mit den Big-Point-Maßnahmen eine Halbierung des durchschnittlichen CO₂-Fußabdrucks möglich ist. Würde jede*r der rund 50 Millionen erwachsenen Bundesbürger*innen rund 5 Tonnen Treibhausgase jährlich einsparen, wären das gigantische 250 Millionen Tonnen jedes Jahr. Der Versuch lohnt sich also, im Freundes- und Bekanntenkreis darüber zu reden.
Was kippt zuerst, das Klima oder wir?
Der Bericht macht deutlich: Wir stehen an einer Schwelle, an der über die Zukunft entschieden wird. Wie diese Zukunft aussehen wird, liegt bei uns und den Entscheidungen, die wir heute treffen – auf persönlicher ebenso wie auf hochrangiger politischer Ebene. Auf Letzterer steht in wenigen Tagen eine neue Verhandlungsrunde an: Vom 10. bis 21. November 2025 findet in der brasilianischen Stadt Belém im Herzen des Amazonasgebiets die 30. Weltklimakonferenz statt. Zum Wohle der Weltgemeinschaft ist zu hoffen, dass von diesem besonderen Ort ein neuer Wind für den Klimaschutz ausgeht.
