Über lange Zeit leistete das Wirtschaftswachstum einen positiven Beitrag zum Wohlbefinden vieler Menschen. Im Vergleich zu früher können wir uns eine luxuriöse Lebensweise leisten und wir leben im Durchschnitt auch wesentlich länger und gesünder. Doch in neuester Zeit wird es in den wohlhabenden Ländern in Westeuropa, Nordamerika und Japan zunehmend fraglich, ob das Wachstum noch einen Beitrag zum Wohlbefinden der Menschen leistet. Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen und zeigt in seinem Buch „Der Wachstumszwang“ warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben.
Im folgenden Gastbeitrag gewährt Prof. Mathias Binswanger einen Einblick in das Buch.
Gastbeitrag von Mathias Binswanger
Seit Beginn der ersten industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts in England ist Wirtschaftswachstum nach und nach in fast allen Ländern dieser Erde zu einem Dauerzustand geworden. Ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts gilt als Anzeichen einer funktionierenden Wirtschaft, während ein Ausbleiben von Wachstum als pathologische Störung empfunden wird. Schon ein Jahr ohne Wachstum führt zu grosser Nervosität in Politik und Wirtschaft, und man versucht alle Hebel in Gang zu setzen, um wieder auf den Wachstumspfad zurück zu gelangen. Und wächst eine Wirtschaft gar ein paar Jahre nicht, wie das in Griechenland von 2008 bis 2013 der Fall war, dann wird daraus eine nationale Katastrophe. Doch warum sind die nach der industriellen Revolution entstandenen kapitalistischen Wirtschaften dermassen auf Wachstum fixiert?
Dafür gibt es tatsächlich einen Grund. Wächst die Wirtschaft,
kann eine Mehrheit der Unternehmen Gewinne erwirtschaften und ist somit
wirtschaftlich erfolgreich. Bleibt das Wachstum jedoch über mehrere Jahre aus,
dann machen immer mehr Unternehmen Verluste und verschwinden vom Markt. Auf
diese Weise gerät die Wirtschaft in eine Abwärtsspirale mit steigenden
Verlusten, sinkender Nachfrage und steigender Arbeitslosigkeit, aus der man nur
mit Wachstum wieder herauskommt. Es gibt somit zwei Alternativen: Wachstum oder
Schrumpfung.
Zu einer Schrumpfung kommt es aber im Normalfall nicht, weil Unternehmen aus eigenem Interesse stets möglichst hohe Gewinne erzielen wollen, was sich wiederum nur mit ständigen Investitionen in neues und besseres Kapital erreichen lässt. Deshalb wurde der Wachstumszwang, obwohl er seit der Entstehung kapitalistischer Wirtschaften im 19. Jahrhundert existiert, kaum als solcher wahrgenommen. Man sah vor allem den Wunsch nach Verbesserung der Lebensbedingungen und nach mehr materiellem Wohlstand. Doch heute werden sich die Menschen in hochentwickelten Ländern zunehmend bewusst, dass Wirtschaftswachstum zwar das Versprechen von steigendem materiellen Wohlstand eingelöst hat, aber trotzdem wesentliche Bedürfnisse unerfüllt bleiben. Die Menschen werden mit noch mehr materiellem Wohlstand nicht mehr glücklicher oder zufriedener. Und wir sehen auch, dass Wirtschaftswachstum die Umwelt belastet.
Aus dem Heilsversprechen des Wachstums auf eine bessere Zukunft wird so zunehmend eine Zwangshandlung. In Ländern wie Deutschland oder der Schweiz wird die Forderung nach weiterem Wachstum deshalb kaum mehr damit begründet, dass es uns in Zukunft ein noch besseres Leben ermöglicht. Stattdessen wird uns Wachstum als Zwang präsentiert. Bei geringem oder ausbleibendem Wachstum würden wir gegenüber anderen Ländern zurückfallen, als Wirtschaftsstandort an Attraktivität verlieren, an Innovationskraft einbüßen und vor allem Arbeitsplatzverluste erleiden. Also müssen wir weiterwachsen, auch wenn wir dies gar nicht mehr wollen! Genau das ist der Wachstumszwang.
Der eben beschriebene Zusammenhang zwischen Wachstum und Gewinnen wird bis heute allerdings kaum thematisiert. Das liegt vor allem daran, dass die an Universitäten gelehrten Wachstumstheorien diesen Zwang gar nicht erkennen können. Die Wirtschaft wird dort nur von der Angebotsseite her betrachtet, und es stellt sich weder die Frage nach der Finanzierung von zusätzlichen Investitionen, noch die Frage, ob man die produzierten Produkte auch verkaufen kann und Gewinne erzielt. Deshalb ist es notwendig ein realistischeres Bild des Wachstumsprozesses zu vermitteln, wo der Zusammenhang zwischen Geldschöpfung, Investitionen, Wachstum und Gewinnen dargestellt wird. Erst dann lässt sich auch nachvollziehen, weshalb die Aufrechterhaltung des Wachstums in hochentwickelten Ländern immer mehr Anstrengungen erfordert. Es genügt nicht mehr vorhandene Bedürfnisse der Konsument*innen zu decken, sondern es müssen stets neue Bedürfnisse geweckt werden um den Verkauf weiter anzukurbeln. Doch kapitalistische Wirtschaften haben mittlerweile nicht nur ein hohes Innovationstempo erreicht, sondern auch eine Meisterschaft in der Weckung von neuen Bedürfnissen.
Ein Ende des Wachstums ist deshalb trotz stetigen Unkenrufen bis heute nicht in Sicht. Die Weltwirtschaft wächst nach der kurzen Unterbrechung durch die jüngste Finanzkrise im Jahr 2009 wieder regelmässig mit Wachstumsraten zwischen 2 Prozent und 4 Prozent. Die ganze Geschichte der kapitalistischen Wirtschaft war schon immer begleitet durch Prognosen über ihr baldiges Ende und vor allem das Ende des Wirtschaftswachstums, wie es etwa der Club-of-Rome-Bericht im Jahr 1972 prognostizierte. Doch davon kann keine Rede sein. Der Wachstumsdrang hat bis heute alle vermeintlichen Wachstumsbarrieren aus dem Weg geräumt, und auch der momentan viel diskutierte CO2-Anstieg hat bisher nichts daran geändert. Deshalb wächst der globale CO2-Ausstoß weiter an, obwohl die Wertschöpfung immer weniger CO2-intensiv ausfällt.
Über den Autor
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er war zusätzlich Gastprofessor an der Technischen Universität Freiberg in Deutschland, an der Qingdao Technological University in China und an der Banking University in Saigon (Vietnam). Mathias Binswanger ist Autor von zahlreichen Büchern und Artikeln in Fachzeitschriften und in der Presse. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen.
Buchinformation
Autor: Mathias Binswanger Titel: Der Wachstumszwang – Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben Verlag: Wiley-Verlag, Weinheim Erscheinungsjahr: 2019 ISBN: 978-3527509751
Unser heutiges Interview im Rahmen der #kaufnix-Kampagne mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Kemfert dreht sich um das Wachstumsparadigma und mögliche Handlungsoptionen, die zu mehr Nachhaltigkeit führen.
Änderung von Konsummustern?
Deutsche Umweltstiftung (DUS): Unsere Kampagne fordert ein Ende des maßlosen Konsums. Dies würde sich auch negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Was denken Sie, brauchen wir Wirtschaftswachstum? Warum bzw. warum nicht?
Claudia Kemfert (CK): Wachstum ist eigentlich etwas Wunderbares – nicht nur in der Kindheit wachsen wir, sondern unser ganzes Leben lang. Menschen, Tiere und Pflanzen sind Teil eines ewigen Kreislaufes aus Werden und Vergehen. Leben ist Wachstum. Die Erde ist über Milliarden von Jahren zu dem gewachsen, was sie heute ist. Und sie dreht sich immer weiter. Wäre das Wirtschaftswachstum ähnlich organisiert, würden wir uns darüber freuen.
Problematisch ist ein ungezügeltes Wirtschaftswachstum, das den
Planeten zerstört statt ihn zu beleben. Wir müssen das Wirtschaftswachstum vom
fossilen Energieverbrauch entkoppeln. Und wir müssen uns abgewöhnen, das
Wirtschaftswachstum als Maßstab für Wohlstand zu definieren. Statt vor der
Tagesschau Börsenkurse zu zeigen, sollten wir lieber die Indikatoren der
Nachhaltigkeit unseres Planeten erfahren: Ressourcenverbrauch, die Sauberkeit
der Luft oder der Anteil erneuerbarer Energien.
Wachsender Umweltschutz, wachsende Gesundheit, wachsender
Zugang zu sauberem Trinkwasser und sauberer Energie hingegen sind wünschenswert.
Der wachsende Einsatz von beispielsweise erneuerbarer Energien, klimaschonender
Mobilität, steigender Gesundheitsvorsorge sowie Techniken zur Herstellung von
sauberem Trinkwasser kann für wachsenden Wohlstand sorgen. Dann wäre Wirtschaftswachstum
nicht die Ursache eines globalen Klimawandels, sondern dessen Lösung.
DUS: Sind die Klimaschutzziele und uneingeschränkter Konsum miteinander vereinbar? Sollten wir unseren jetzigen Konsum einschränken?
CK: Auch hier ist die Frage: Konsum von was? Konsum, der zu Überfischung, Vermüllung und Zerstörung der Erde führt, muss natürlich aufhören und zwar sofort! Aber wir werden die Treibhausgase nicht allein über Verzicht um 95% reduzieren. Ein solches Ziel scheint unerreichbar fern. Wir müssen den Menschen einen machbaren Weg zeigen und dafür auch politisch die Weichen stellen. Statt Askese zu predigen und zu üben, sollten wir uns freuen: Mit Klimaschutz bleibt die Welt lebenswert. Klimaschutz macht Spaß. Und nachhaltig konsumieren ist einfach.
DUS: Was braucht es, um das angestrebte 2-Grad-Ziel zu erreichen? Denken Sie, es ist machbar, dieses Ziel zu erreichen?
CK: Sicher ist das machbar! Es bedarf aber eines kompletten Umsteuerns in allen Bereichen: Ab sofort muss jede Investition statt in fossile in erneuerbare Energien fließen. Das Motto lautet: „Renewables First“! Also Schluss mit Subventionen für fossile oder atomare Energien. Stattdessen müssen die Folgeschäden endlich eingepreist werden. Wenn Öl, Gas und Kohle so teuer wären, wie sie es in Wahrheit sind, werden die Leute mit großer Begeisterung auf Wind, Wasser, Sonne und Geothermie umsteigen. Wir brauchen eine Regulierung der Finanzmärkte für attraktive Investitionen in die globalen Energiewende. Das ist der Anfang und mit dem entsprechenden politischen Willen leicht umzusetzen. Dann geht’s weiter mit dem nächsten Schritt: Alle Produkte müssen nachhaltig und recycelbar sein. Die Mobilität sollte öko-elektrisch und klimaneutral sein. Auch das kann man durch entsprechende Rahmenbedingungen ermöglichen und einen Wettbewerb klimabewusster Ökonomie in Gang setzen.
Handlungsmöglichkeiten zu mehr Nachhaltigkeit
DUS: Effizienz, Suffizienz und Konsistenz gelten als Strategien der nachhaltigen Entwicklung. Wenn Sie diese Strategien gewichten, wie würde das aussehen und warum?
CK: Das Problem an solchen Begriffen ist leider immer, dass man sich erstmal verständigen muss, was damit gemeint ist. Dabei ist doch klar, dass wir – nach über 40 Jahren Diskussion über die Grenzen des Wachstums, über Umwelt- und Klimaschäden als Folge unseres Wirtschaftens – jetzt endlich handeln müssen.
Effizienz, die Vermeidung von Verschwendung, also mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch ans Ziel zu kommen, ist dabei natürlich wichtig. Andererseits neigt der Mensch dazu, ständig mehr zu wollen. Das führt zu sogenannten Rebound-Effekten. Autos beispielsweise verbrauchen heute theoretisch weniger Sprit als früher, tatsächlich aber verbrauchen sie mehr, weil sie größer und schwerer geworden sind und mit Klimaanlage und elektronischem Service unterm Strich einen höheren Energieverbrauch haben als die Spritfresser früherer Jahrzehnte.
Suffizienz, Genügsamkeit, ist deswegen der logische nächste Schritt. Oder anders gesagt: Verzicht scheint unverzichtbar. Wir brauchen ein Konsumbewusstsein, das den realen Bedarf hinterfragt und vor allem die jeweiligen Folgen eines bestimmten Konsumverhaltens einbezieht. Wenn wir nicht von selbst aufhören, immer mehr zu brauchen, müssen wir eine klimaverträgliche Obergrenze definieren. Eine Art CO2-Budget ist sinnvoll: wenn jeder Mensch nur noch 6,5 Kilogramm CO2 pro Tag ausstoßen darf, dann wird er lernen, wie er mit weniger zurecht kommt. Jedes Land ist gefordert, dass dieses Klima-Budget nicht überschritten wird und muss dies mit entsprechenden Maßnahmen umsetzen.
Konsistenz, Kreislaufwirtschaft, also eine Welt ohne Abfälle,
in der alles wiederverwertet wird, ist ein verlockender Gedanke. Die Natur
macht es uns in wunderbarer Weise vor. Bislang gelingt es uns nur, die
Lebensdauer von Rohstoffen im Verwertungsprozess zu verlängern, von echten
Kreisläufen kann kaum die Rede sein. Es wird zwar viel von „Re-Cycling“
gesprochen, aber vollkommene Kreisläufe sind noch Utopie.
Deswegen ist die Strategie-Diskussion nicht hilfreich, erst
recht nicht die Frage, welche der Strategien die beste ist. Derzeit sollten wir
alle drei Wege beschreiten, gleichzeitig nebeneinander oder am besten
miteinander verzahnt. Hauptsache, wir kommen endlich mit großen Schritten weiter!
DUS: Wie schätzen Sie die Handlungsmöglichkeiten der Politik ein? Wie kann/muss die Politik dazu beitragen, Suffizienz zu verwirklichen?
CK: Die Verantwortlichen in der Politik sind genauso gefragt wie jeder einzelne Mensch. Es geht vor allem darum, jegliches Wirtschaften komplett auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz auszurichten. Dies braucht einem bunten Strauß an Instrumenten aus Ordnungsrecht und ökonomischen Rahmenbedingungen. Die Politik muss die Instrumente bauen und zur Verfügung stellen; die Menschen müssen dann verantwortungsbewusst, kreativ und harmonisch auf ihnen spielen.
DUS: Was denken Sie über die Bewegung “Scientists for Future”? Unterstützen Sie die Bewegung?
CK: Ich habe als eine der Erstunterzeichnerinnen den Appell unterzeichnet unterstütze die Bewegung und war bisher auch beim March for Science dabei. Die Wissenschaft hat die Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntnisse in die aktuelle Debatte einzubringen und auf die Dringlichkeit des Handelns hinzuweisen. Die Schülerinnen und Schüler der „Fridays for Future“ fordern völlig zu recht viel ambitionierteres Handeln ein, sie sind die Betroffen. Die Wissenschaft liefert seit über 40 Jahre wissenschaftliche Fakten, die Politik reagiert zu zögerlich und zu spät. Wir haben keine Zeit mehr. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem.
DUS: Sie arbeiten in einem Institut. Warum haben Sie sich für dieses Institut entschieden und was denken Sie, ist die Rolle des Instituts in der nachhaltigen Entwicklung?
CK: Wir liefern seit über 15 Jahren wissenschaftliche Erkenntnisse zum besseren Verständnis, welche ökonomischen Konsequenzen ein ungebremster Klimawandel und auch Klimaschutzmaßnahmen haben werden. Die Rolle der Wissenschaft ist eindeutig: wissenschaftliche Erkenntnisse müssen in der Politikberatung und in der öffentlichen Diskussion eingebracht werden.
Über die Interviewpartnerin
Frau Prof. Dr. Claudia Kemfert hat Wirtschaftswissenschaften studiert und leitet seit 2004 die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Sie ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der privaten Universität, der Hertie School of Governance, in Berlin und als Gutachterin und Politikberaterin in verschiedenen Nachhaltigkeitsbeiräten und Kommissionen tätig.
Die Forderung unserer #kaufnix-Kampagne „Schluss mit unbedachtem Konsum“ hat Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Daher haben wir im Folgenden den Wirtschaftswissenschaftler Prof. Niko Paech interviewt, der uns seine Sichtweise aufzeigt, warum ein Wandel in der Ökonomie notwendig ist.
Kritik am Wachstum
Deutsche Umweltstiftung (DUS): Sie sind habilitierter Wirtschaftswissenschaftler. In der Ökonomie dominiert immer noch der Glaube an das Wachstumsparadigma. Aus welchen Gründen sehen Sie das kritisch und welche Probleme wird unsere Gesellschaft haben, wenn wir weiterhin Wirtschaftswachstum als Allheilmittel sehen?
Niko Paech (NP): Einerseits ist unser heutiges Wohlstandsmodell ohne Wachstum nicht zu stabilisieren. Andererseits ist es weder theoretisch darstellbar, noch empirisch jemals eingetreten, die Wirtschaft wachsen zu lassen, ohne ökologische Schäden zu verursachen. Die bisherigen Versuche, ein umweltverträgliches Wachstum durch technische Innovationen oder nachhaltige Produktdesigns zu erreichen, sind rigoros gescheitert, weil die Schäden auf diese Weise nur verlagert oder in andere Schadenskategorien überführt wurden. Hinzu kommt, dass materieller Wohlstand in modernen Industriegesellschaften auf einer kostengünstigen und unbeschränkten Verfügbarkeit fossiler Energieträger beruht. Doch sowohl bei Rohöl, Flächen als auch der Verfügbarkeit essenzieller Rohstoffe wächst die Knappheit. Außerdem lässt sich das sozial- bzw. entwicklungspolitische Versprechen des Wachstumsdogmas, nämlich Armut und Ungleichheit über Zuwächse der Verteilungsmasse zu mindern, nicht einlösen. Denn der zwecks Wachstumsstimulierung unabdingbare Strukturwandel steigert die Krisenanfälligkeit und sogar die Verteilungsungleichheit.
DUS: Was bedeutet Ihre Wachstumskritik für die individuelle Lebensgestaltung. Müssen wir uns radikal einschränken?
NP: Suffizienz sollte nicht an basalen Grundbedürfnissen, sondern an jenem Luxus ansetzen, der in jüngster Zeit verbreitet wurde und zugleich die eklatantesten Schäden verursacht. Suffizienz kennt drei Ausprägungen:
Reduktion des Ausmaßes einer Aktivität,
Selbstbegrenzung, also Beibehaltung einer bislang noch
ökologieverträglichen Handlungsweise,
Gänzliche Vermeidung einer bestimmten Option.
Der Erfolg dieser drei Suffizienz-Prinzipien kann nur an der Gesamtbilanz aller ökologischen Schäden, die ein einzelner Mensch verursacht, gemessen werden. Andernfalls droht ein „ökologisches Versteckspiel“, das beispielsweise darin besteht, dass eine suffiziente Ernährung als moralische Kompensation für Flugreisen dient. Allein um das Zwei-Grad-Klimaschutzziel zu erreichen, müssten in Deutschland die ca. 12 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr um vier Fünftel reduziert werden. Das ist erstens mit keiner Technologie zu erreichen und zweitens vor allem nur durch eine harte Reduktion des Verkehrs möglich. Suffizienz heißt vor allem Sesshaftigkeit. Die aus Klimaschutzsicht am wenigsten suffizient lebenden Menschen sind daher Flugreisende.
DUS: Werbebotschaften suggerieren, dass Konsum glücklich macht. Sie hingegen sagen, Konsum mache ab einem gewissen Punkt „krank“ – warum?
NP: Ergebnisse der Glücksforschung
legen nahe, dass eine Steigerung des über Geld vermittelten materiellen
Reichtums das subjektive Wohlbefinden ab einem bestimmten Niveau nicht erhöht.
Konsumhandlungen stiften nur dann Nutzen, wenn ihnen ein Minimum an eigener
Zeit gewidmet wird. Daraus resultiert eine psychische Überforderung: Die zunehmenden
Möglichkeiten an finanzierbaren, jedoch Zeit beanspruchenden Konsumoptionen treffen
auf ein nicht vermehrbares individuelles Zeitbudget. Aus Selbstverwirklichung
wird Reizüberflutung und schließlich Stress.
DUS: Können Sie uns ein Beispiel geben, wie Sie selbst suffizienz-orientiert leben?
NP: Ich selbst nutze unter keinen
Umständen Flugzeuge oder Kreuzfahrtschiffe, habe kein Auto, lebe ohne Handy/Smartphone,
Fernseher, habe keine elektrischen Werkzeuge, keine Mikrowelle, keinen Föhn,
keinen elektrischen Rasierer, keine Kaffeemaschine. Textilien, Möbel und
sonstige Gebrauchsgegenstände beschränke ich auf das nötigste und verlängere
deren Nutzungsdauer maximal. Bücher und CDs kaufe ich gebraucht. Zudem bin ich
Vegetarier, konsumiere regionale/saisonale Nahrungsmittel, vermeide
Verpackungen, lehne insbesondere jede Einweggetränkeverpackung kategorisch
ab.
Neuordnung
als Lösung
DUS: Unsere Kampagne versucht, das Konzept der Suffizienz einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Wieso brauchen wir jenseits von Effizienz und Innovation Suffizienz, um unser Leben und unsere Wirtschaft nachhaltig zu gestalten?
NP: Wie gesagt ist eine Entkopplung des aktuellen Wohlstandes von Umweltschäden nicht möglich. Es ist daher logisch, dass nur die Reduktion der Mobilitäts- und Konsumansprüche dazu verhilft, die ökologischen Grenzen einzuhalten.
DUS: Welche Rolle spielen Green-Growth-Maßnahmen in Zukunft aus Ihrer Sicht?
NP: Die Green-Growth-Strategie ist gescheitert. Mehr noch: Sie hat infolge verheerender Rebound-Effekte sogar bestimmte neue Schäden erst entstehen lassen. Darüber hinaus bildet sie das perfekte Alibi dafür, keine Verantwortung für die eigene Lebensführung übernehmen zu müssen. Gleichwohl können manche Technologien, die oft mit Green Growth assoziiert werden, auch in einer Postwachstumsökonomie zum Einsatz gelangen. Ein Beispiel: Damit Wind- und Solarenergie zur ökologischen Entlastung beitragen können, darf die industrielle Wirtschaft nicht nur nicht wachsen, sondern muss prägnant verkleinert werden.
DUS: Wen sehen Sie in der Verantwortung, diesen Wandel einzuleiten/voranzutreiben? Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Bürger*innen?
NP: Demokratische Regulative, ganz
gleich ob Politik, Bildung, Erziehung oder Medien, sind zu bereitwilligen Erfüllungsgehilfen
einer öko-suizidalen Daseinsform geworden, die als sozialer Fortschritt
verklärt wird. Sie wetteifern darin, jede beliebige Klientel mit ständig neuen
Freiheits- und Wohlstandsangeboten zu beglücken. Politische
Gestaltungsprinzipien sind auf das dumpfe Niveau des Geschenkeausteilens
herabgesunken. Insoweit die meisten kaum weiter von einer nachhaltigen
Lebensführung entfernt sein könnten, müssten sie, wenn sie eine
Suffizienzpolitik wählen würden, damit ihren Lebensstil abwählen. Das würde
niemand verkraften. Deshalb würden nur jene, die längst eine suffiziente
Lebensführung eingeübt haben, eine solche Politik ertragen. Dies wiederum
bedeutet, dass hinreichend viele Menschen autonom und selbst organisiert damit
begonnen haben müssen, Suffizienz nicht nur zu fordern, sondern konsequent
vorzuleben, bevor die Gesellschaft als Ganzes zu einer nachhaltigen Entwicklung befähigt ist. Erst
wenn genügend Reallabore entstanden sind, in denen sich suffiziente Daseins-
und Wirtschaftsformen als gelebtes Erfahrungswissen etabliert haben, kann deren
Verbreitung einsetzen. So entstünde ein Vorrat an imitierbaren Praktiken –
ähnlich wie die von Beuys so bezeichneten „sozialen Plastiken“ –, auf die
zurückgegriffen werden kann und auf die auch die Politik verweisen kann. Es
kommt darauf an, suffiziente und sesshafte Lebenskunst vor dem Verlernen zu
bewahren, also in Nischen fortlaufend zu reproduzieren. Denn nachdem die
Genügsamkeit ausgestorben ist, stirbt als nächstes die menschliche
Zivilisation. Individuen darin zu stärken, unter bescheidenen Bedingungen ein
resilientes und würdiges Dasein zu meistern, ist die demokratische Alternative
zum aussichtlosen Unterfangen, das große politische Rad in Richtung Reduktion
zu drehen, denn die hierzu nötigen Mehrheiten sind absehbar nicht in Sicht.
Über den Interviewpartner
Prof. Dr. Niko Paech ist einer der prominentesten Vertreter der Postwachstumsökonomie. Er forscht und lehrt am Lehrstuhl Produktion und Umwelt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg u.a. in den Bereichen Klimaschutz, nachhaltiger Konsum, Umweltökonomik und Innovationsmanagement. Paech ist u.a. Autor des Buches „Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“.
Wachstum und Konsum bereiten
vielen Menschen große Freude. Sie gehen einher mit Wahlmöglichkeiten und einem
vermeintlichen Gefühl der Freiheit. Konsumverzicht und Genügsamkeit sind nicht
automatisch gleichermaßen beglückend, und dennoch bedeuten sie die neue –
notwendige – Stufe der Zivilisierung.
Der Mensch ist ein Tier, aber ein besonderes. Gewöhnlich
wird hervorgehoben, dass es sich um ein zu herausragender Intelligenz
befähigtes Wesen handelt, Homo sapiens
– der vernünftige Mensch. Diese Vernunft reicht soweit, dass wir derartig
intensiv über uns selbst nachdenken können wie wohl sonst keine anderen
Organismen. Wir machen uns sogar über schier Unvorstellbares Gedanken wie den
eigenen Tod. Eigentlich sind wir Menschen zukunftsfähig, weil wir
Zukunftsszenarien entwickeln können, die über unser eigenes Ende hinausgehen.
Wir sind so schlau, dass wir für etwaige riskante, schlechtere Zeiten vorsorgen
können. Wir können aktuelle Bedürfnisse zurückstellen, um Ressourcen für die
Zukunft zu sammeln und aufzubewahren oder uns gar auf ein angenommenes Leben im
Jenseits vorbereiten. Wir empfinden Empathie mit Mitmenschen – unter Umständen
sogar mit solchen, die noch nicht geboren sind, und wir kooperieren mit
unseresgleichen. Diese Gefühle zeichnen den Menschen in besonderem Maße aus:
ein vernunftbegabtes und soziales Wesen mit einem gewissen Faible für
zukunftsorientiertes Risikomanagement durch Anhäufen von Ressourcen. Aus dieser
Mischung wurde ein Erfolgsmodell – und gleichzeitig ein ‚evolutiver Sprengsatz‘.
Keine Art vor uns hat es aus eigener Kraft geschafft, den gesamten Planeten zu
besiedeln, die unterschiedlichsten Ökosysteme für das Überleben zu nutzen,
fossile Ressourcen aus vergangenen Erdzeitaltern anzuzapfen, sich global zu
vernetzen und letztlich ein exponentielles Wachstum von Population und
Ressourcenumsatz zu erreichen.
Durch Wachstum zum
Erfolg – und zurück
Der sein eigenes Wachstum entfesselnde Mensch hat die
Regulation durch das globale Ökosystem scheinbar außer Kraft gesetzt … endlich
die Fesseln der Natur gesprengt, die unsere Freiheit über Jahrtausende beschränkte.
Der Mensch maximiert die Ressourcenverfügbarkeit für sich selbst – aber auf
Kosten der Ressourcen für andere Arten und die Funktionstüchtigkeit des großen
Ganzen. Eine verhängnisvolle Falle, die sehr groß ist und deshalb nur langsam
und unmerklich zuschnappt. Denn das globale Ökosystem wird auch unser Wachstum
wieder einhegen, so wie es die starke Vermehrung von Algen, Krankheitserregern
oder Heuschrecken früher oder später wieder einfängt. Im Moment zählt aber nur:
Während die Verfügbarkeit fundamentaler Lebensressourcen für jüngere und
spätere Generationen schwindet, gelingt es zumindest einer großen Gruppe der aktuell
lebenden Menschen, ein historisch einzigartiges Wohlergehen zu erreichen, indem
der materielle und energetische Einsatz von Ressourcen ins Unermessliche
gesteigert wird. Dieses Wachstum zahlt sich kurzfristig aus, ist angenehm,
macht Spaß, regt an, vermehrt Handlungsoptionen und die Selbstwirksamkeit. Zugegeben,
das neue Zeitalter der großen Beschleunigung, nennen wir es Tachyzän, überfordert uns inzwischen
auch schon mal. Aber der Stress mit „Hülle und Fülle“ ist nichts gegen
Hungertod und Unfreiheit. Als Hochkultur berauschen wir uns an vor Kurzem noch
kaum absehbaren Leistungen der Menschheit: Wir überwinden die Grenzen der
früheren Generationen, fliegen mit Überschallgeschwindigkeit umher, besuchen
andere Planeten, fotografieren schwarze Löcher, bauen kilometergroße Gebäude,
die uns unsere eigene Größe spiegeln, entwickeln Apparate mit künstlicher
Intelligenz, die uns immer mehr mühselige Arbeiten abnehmen. Ist das alles nicht
großartig? Natürlich ist es das. Nicht viel scheint deshalb dafür zu sprechen,
diesen Trip freiwillig zu beenden. Außer vielleicht das zukünftige Leid
Jüngerer und Nichtgeborener, die vom beschädigten globalen Ökosystem nicht mehr
ernährt und beschützt werden können? Nach einigen Jahrzehnten des
exponentiellen Wachstums von Material- und Energieumsatz, technologischer
Entwicklung und unserer Population ist es schwieriger geworden, die Folgekosten
zu ignorieren oder zu verbergen. Energie- und Platzbedarf unseres
Wachstumshungers sind die größten Probleme. Ursprünglich setzten Menschen mit
ihrem Körper ca. 3,5-5 Giga-Joule (GJ) pro
Jahr und Person um – inzwischen ist der Energieumsatz bis um das Hundertfache
gesteigert. Um eine Nahrungs-Kalorie bereitzustellen, setzen wir für manche
Produkte ein Vielfaches an (meist fossiler) Energie ein. Inzwischen haben wir
allein ca. die Hälfte der Biomasse auf den Kontinenten verbraucht … gegessen,
verbrannt, verdrängt. Die allermeisten bioproduktiven Flächen nutzen wir für
unsere Zwecke und lassen anderen Mitbewohnern der Erde immer weniger Platz. Die
letzten sich mehr oder weniger selbst steuernden Ökosysteme zerschneiden und
stören wir mit Straßen und anderer Infrastruktur. Allesamt – zu Lande und zu
Wasser – traktieren wir sie mit Giftstoffen und setzen sie einem sich
beschleunigenden Klimawandel aus. Die Folgewirkungen schlagen inzwischen auch
auf die Menschen zurück: Wetterkatastrophen, Ernteeinbußen oder neuartige
Erkrankungen sind nur einige Beispiele.
Aber dies alles lässt sich ja vielleicht reparieren und
zukünftig vermeiden, weil uns noch großartigere Erfindungen einfallen, die uns
ein fortgesetztes Wachstum ermöglichen: künstliche Manipulation der Atmosphäre
zum Beenden des Klimawandels, unbegrenzte Energieverfügbarkeit durch
Kernfusion, künstliche Photosynthese und im Labor gezüchtetes Fleisch zur
Ernährung der wachsenden Bevölkerung, letztlich die Besiedelung von Ozeanen und
des Alls … – Was nur, wenn nicht? Was, wenn wir die Rechnung ohne den Wirt
machen – das globale Ökosystem?
Haste was, biste was –
wie in der Gesellschaft, so in der Natur?!
Die individuelle Erfahrung der meisten Menschen sowie auch die Kollektiverfahrung der globalen Zivilisation mit ihrer vermeintlichen Fortschrittskultur besagen, dass ein Mehr an Ressourcen – für mich und die meinen, heute und morgen – größeren Wohlstand, bessere Gesundheit und die Verringerung vieler unmittelbarer Risiken bedeutet. „Schaffe, schaffe, Häusle baue“, „Haste was, biste was“, „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden“ (Bibel, Matthäus 25:29). So ist das nämlich. Wir haben gelernt, Mitmenschen nicht nur durch unsere Fähigkeiten zu beeindrucken, sondern vor allem durch unseren Besitz, unseren Schmuck und unsere Kleidung, die anzeigen, dass wir erfolgreich und vertrauenswürdig sind. Besitz um des Scheins willen und Statussymbole finden sich weltweit wohl in den meisten Kulturen. Federschmuck, Amtskette, Frack, Porsche und iPhone verleihen uns Würde, Respekt oder Anerkennung. Digitalisierung und Informationstechnologie haben nicht nur unseren Zugang zu vorher unerreichbaren Ressourcen erleichtert, sondern auch das Wünschbare vervielfältigt. Die ganze Erde ist nicht ein Dorf, sondern ein globales Schaufenster geworden, eine Shopping-Mall sowie ein weltweites Theater, in dem sich alle Nutzer*innen der sozialen Medien etwas mit ihrem Konsum vorspielen können.
Nach wie vor sind die materiellen Vorteile von größerem Besitz nicht von der Hand zu weisen. Wenn unser Kapital abundant ist oder gar wächst, können wir es einsetzen, um es zu vermehren. Tatsächlich ein recht natürliches Geschehen, das auch in Ökosystemen zu beobachten ist. Wenn nach einem Vulkanausbruch ein nackter Fels von Bakterien, Flechten und ersten Pflanzen besiedelt wird, kommt es ebenfalls zu einem exponentiellen Wachstum. Wo viele Pflanzen wachsen, können mehr Sonnenenergie und weitere Ressourcen gebunden werden, entsteht mehr Biomasse, die günstig auf die Produktivität wirkt … es kommt zu einer Eskalation des Lebens. Schnelles nichtlineares Wachstum ist eine wichtige Strategie der belebten Natur, um Lücken zu füllen, Gelegenheiten zu nutzen und neue Chancen zu eröffnen. Wenn allerdings der physisch verfügbare Raum aufgebraucht ist, schalten Ökosysteme um, ohne ihre Funktionen einzustellen: Es reduziert sich das Massewachstum und strebt letztlich gegen Null. Im System erfolgt nur noch qualitatives Wachstum in Form von immer neuer genetischer Information, einer Zunahme von unterschiedlichen Arten, Lösungen und Lebensstrategien, die zu einer effizienteren Ressourcennutzung, einer erhöhten Systemintegration und vor allem zu einer immer besseren Selbstorganisation und –regulation im System führen. Dies bedeutet in ‚reifen‘ Ökosystemen einen Rückgang von Konkurrenz und eine Steigerung der Bedeutung von Kooperation und positiver Interaktion zwischen den Systemkomponenten. Ressourcen werden effizient aufgenommen, verwendet und – sofern möglich – recycelt. Die Wahrscheinlichkeit von abruptem Wandel und Zusammenbruch wird zumindest reduziert. Das System operiert an den Grenzen des Wachstums und ist suffizient. Kann uns als menschliche Gesellschaft Vergleichbares gelingen? Können wir Triebe und Wachstumswünsche regulieren und hintanstellen? Können Solidarität und Kooperation Konkurrenz- und Wachstumszwang eindämmen?
Menschliche
Selbstzähmung und ökologische Zivilisierung
Basta! Es muss doch reichen. Menschen können nachgewiesenermaßen mit sehr viel weniger Konsum glücklich sein, gegebenenfalls sogar deutlich glücklicher als der von sozialem Verbrauchs- und Darstellungszwang, Dauerwerbebeschallung und Beschleunigung gestresste Mensch der entfesselten Konsumgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Tatsache ist zudem, dass uns ein enormes Potenzial der Selbstzähmung innewohnt. Im Rahmen der Zivilisierung haben wir gelernt, uns Regeln des Zusammenlebens zu geben und sie mehr oder weniger zu respektieren; wir sind überwiegend in der Lage, Flucht- und Angriffsreflexe zu unterdrücken. Unsere Kultur hat uns beschert, dass sogar bei steigender Bevölkerungsdichte das Risiko, gewaltsam in Konflikten zu Schaden zu kommen, erheblich reduziert wurde. Den Individuen fallen das Unterordnen und Zurücknehmen in vielerlei Lebenslagen durchaus schwer, aber gesellschaftliche Normen, Erziehung und Bildung geben uns einen lenkenden Rahmen. Dabei sind wir in der Lage, unsere eigenen Bedürfnisse und Wünsche hintanzustellen, vor allem, wenn wir von der Gesellschaft bzw. vom Staat nicht gezwungen werden, sondern wenn uns Anerkennung und Belohnung winken. Menschen sind nicht nur veranlagt, möglichst viel haben zu wollen und sich alles zu nehmen, was sie bekommen können. Wir sind auch empathisch und solidarisch, wir sind bereit, Not zu lindern. Und uns ist die Vernunft gegeben, uns selbst kritisch zu hinterfragen und unser Handeln zu überdenken. Das fällt leichter, wenn es dafür Anerkennung gibt. Auch mit guten Taten kann man sich darstellen, Anhänger*innen und Follower gewinnen – viele Celebrities machen es vor.
Alle Menschen können sich dafür einsetzen, dass sie nicht mehr in erster Linie als Verbraucher*innen bezeichnet und angesehen werden. Sie können mit Eigeninitiative vorangehen und müssen gleichzeitig die angemessenen politischen Rahmensetzungen einfordern. Nur mit einer gesamtgesellschaftlichen ergebnisoffenen Anstrengung, Entwicklung und Zivilisierung wirklich neu zu denken und die Wurzelgründe unserer Probleme abzustellen, können wir eine echte Transformation schaffen. Wir müssen eine Kultur anstreben, in dem das soziale oder ökologische Jahr und die in ihm gewonnenen Erfahrungen mehr zählen als ein Porsche. Teilzeitarbeit, unvergütete Beschäftigungen und Beiträge zur Selbstversorgung gehören politisch aufgewertet und unterstützt. Tätigkeiten für Menschen und Natur verdienen eine besondere Förderung – z.B. durch freien Zugang zu bestimmten Leistungen etwa im kulturellen Bereich. Konsum und Schadschöpfung durch Produktion müssen angemessen besteuert werden. Eine CO2-Steuer kann nur der Anfang sein, genauso müssen Wasser- und Landverbrauch sowie die Störung von Ökosystemen angemessen verteuert werden. Konsumvermeidende Geschäftsideen, Reparatur und Recycling bedürfen der massiven Förderung. Bildungspolitisch ist die Bedeutung der Ethik aufzuwerten. Wir benötigen eine intensivere Reflektion über die Folgewirkungen unseres Handelns und deren Vermeidung sowie ein Nachdenken darüber ‚was wirklich zählt‘.
Bereits
1993 erfand der Soziologe Wolfgang Sachs das Konzept der Suffizienz. Im selben
Jahr warb Walther Kösters für eine „ökologische Zivilisierung“. Beides hat ein
Vierteljahrhundert später erheblich an Brisanz gewonnen. Allem Wachstum zum
Trotz, das damals noch gar nicht vorstellbar schien. Wachstum verringert die
Halbwertzeit von so mancher Technologie und vielerlei Wissen – unbequeme
Wahrheiten und richtige Ideen schafft es nicht aus der Welt.
Über den Autor
Prof. Dr. Pierre Ibisch ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Umweltstiftung, Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde und Mitherausgeber des Buchs „Der Mensch im globalen Ökosystem. Eine Einführung in die nachhaltige Entwicklung“. Er wirbt für eine ökologische Radikalität und ökosystembasierte nachhaltige Entwicklung. Er verfasste bereits vor einem Jahrzehnt u.a. für ZEIT ONLINE Beiträge zur Suffizienz und Nachhaltigkeit wie etwa „Das Primat des Wirtschaftswachstums beenden“ „Nicht die Armut, das Wachstum muss bekämpft werden“. Siehe auch Interview „Wirtschaftswachstum ist schädlich“ auf Deutschlandfunk Kultur.
Die Absage der EU an Einweg-Plastik, aber auch die durchaus kontroversen Debatten um den deutschen Kohlaussteig zeigen, dass die drängenden Probleme des Umweltschutzes endlich ihren Weg in die Politik gefunden haben. Während Abgeordnete sich jedoch von den Lobbyverbänden der Energiewirtschaft einlullen lassen, haben aktive Umweltschützer*innen längst eigene Maßnahmen ergriffen, um ihr Leben klimaneutraler zu gestalten. Eine davon ist die Umsetzung eines suffizienten Lebensstils.
Suffizienz liegt im Trend, ob beim Wohnen, Konsumieren oder im Bereich der Mobilität. Eine wachsende Zahl an Umweltschützer*innen ist sich einig, dass nur ein suffizientes Leben langfristig die nachhaltige Entwicklung auf unserer Erde garantieren kann. Aber was genau bedeutet das eigentlich, suffizient leben? Und müssen wir uns dafür wirklich vom wirtschaftlichen Wachstum verabschieden?
Unsere Erde braucht eine nachhaltige Entwicklung – und wir auch
Im September 2015 legte die Generalversammlung der Vereinten Nationen sich auf 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (engl. Sustainable Development Goals, kurz: SDGs) fest. Mithilfe dieser Ziele soll eine nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene gesichert werden. Eine Entwicklung also, die es Menschen überall auf der Welt ermöglicht, ein Leben ohne Armut und mit hoher Lebensqualität zu führen, ohne dabei die Erde über Gebühr zu belasten.
Für eine wirklich nachhaltige Entwicklung ist es daher unerlässlich, die planetaren Grenzen unserer Erde zu respektieren. Das sind biophysikalische Grenzen, die einen sicheren Handlungsrahmen für uns Menschen abstecken – zum Beispiel der Anteil von CO2 in der Atmosphäre, der maximal erreicht werden darf, um eine Temperaturerhöhung über 2° Celsius zu verhindern.
Werden diese planetaren Grenzen übertreten, können Ökosysteme auf der Erde ins Wanken geraten. In der Folge würden Teile der Erde nicht nur weniger lebenswert, sondern auch die Bemühungen um das Erreichen der SDGs erschwert. So ist zum Beispiel die Artenvielfalt im südvietnamesischen Mekongdelta bereits jetzt durch klimatische Veränderungen bedroht; in den unüblich langen Dürreperioden der vergangenen Jahre stellte insbesondere das eintretende Meereswasser ein Problem dar. Mit der zunehmenden Versalzung des Deltas sterben allerdings nicht nur etliche Arten in Flora und Fauna – auch die knapp 20 Millionen Menschen, die das Mekongdelta bewirtschaften, verlieren dadurch ihre Lebensgrundlage.
Kein Wachstum ohne Ressourcenraubbau
Um die Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, müssen wir uns also innerhalb der planetaren Grenzen bewegen. Gleichzeitig aber wächst die Weltwirtschaft kontinuierlich, wir konsumieren und produzieren immer mehr. Dieses Konsum- und Wirtschaftswachstum findet hauptsächlich in den entwickelteren Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) statt.
Und in der aktuellen Geschwindigkeit kann die globale Wirtschaft nicht wachsen, ohne natürliche Ressourcen extensiv auszuschöpfen: Allein in Deutschland stammen 85% der Energie, die für industrielle Produktion benötigt wird, aus der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle und Mineralöl.
Wir brauchen eine gesellschaftliche Transformation
Die Entwicklung zu einer nachhaltigeren Gesellschaft, die die Grenzen unseres Planeten respektiert, können wir nur schaffen, indem wir alle radikal umdenken. Als Politiker*innen, Unternehmer*innen, Wissenschaftler*innen – vor allem aber als Bürger*innen. Denn als Privatpersonen haben wir es zwar nicht direkt in der Hand, wie umweltfreundlich die Industrie produziert. Was wir allerdings beeinflussen können, ist unser Konsum, der im Gegenzug wirtschaftliche Produktionsweisen und das Maß des wirtschaftlichen Wachstums mitbestimmt.
Wenn wir als Kaufende beispielsweise auf das nächste neue Smartphone-Modell verzichten, wirkt sich das auch auf die Produktion aus: Werden weniger neue Smartphones nachgefragt, werden langfristig auch weniger neue Smartphones produziert. Denn für Unternehmen ist es unwirtschaftlich, viel mehr zu produzieren, als sie letztlich verkaufen können. Weniger bedeutet in diesem Fall also tatsächlich weniger.
Mit Suffizienz zum achtsamen Konsum
Ein solcher Wandel unserer persönlichen Konsummuster wird häufig mit dem Begriff der Suffizienz bezeichnet. Dieser Begriff kommt ursprünglich von dem lateinischen Wort „sufficere“, das so viel wie „ausreichen“ oder „genügen“ bedeutet. Hinter dem Konzept von Suffizienz steht also die Frage, welches Maß an Konsum ausreichend ist, sodass wir unseren Umwelt- und Ressourcenverbrauch und damit unseren Einfluss auf die Erde minimieren können.
Ein suffizientes Leben wirkt sich in vier Dimensionen aus. Innerhalb der Suffizienzforschung prägte der Soziologe Wolfgang Sachs den Begriff der „vier Es“: Entkommerzialisierung, Entflechtung, Entrümpelung und Entschleunigung. Diese Begriffe können als Leitlinien für ein individuell suffizienteres Handeln, aber auch als Orientierung für die Politik dienen.
Die Entkommerzialisierung ist eine Strategie, die darauf abzielt, dem Leben und Wirtschaften außerhalb neoliberaler, kapitalistischer Märkte wieder mehr Bedeutung beizumessen. Das bedeutet lediglich, dass nicht alles, was wir zum Leben benötigen, aus dem Supermarkt oder dem Internet kommen muss. Viele Dinge können auch zu Hause hergestellt werden, zum Beispiel Gemüse im eigenen Garten.
Die wichtigsten Ressourcen sind dabei allerdings ausreichend Platz und freie Zeit, um sich zum Beispiel um den Gemüsegarten zu kümmern. Insbesondere in Großstädten weiß man sich heutzutage Abhilfe zu schaffen, wenn diese Zeit oder der nötige Platz fehlen: In Gemeinschaftsgärten wird, wie der Name ahnen lässt, gemeinschaftlich Obst und Gemüse angebaut.
Die Entflechtung bezieht sich vornehmlich auf Strukturen, die unserem Konsum zugrunde liegen. Je verflechteter die Welt, desto größer werden die Entfernungen zwischen Produzierenden und Konsumierenden. Kein Produkt erreicht uns ohne Transport: In unserer globalen Welt kommen Tomaten aus Spanien, Milch mit etwas Glück aus dem Alpenraum und Obst im besten Fall aus Europa.
Dabei könnten sowohl Milch als auch Obst und Tomaten, zumindest im Sommer, auch aus der Region kommen – oder vielleicht sogar aus dem eigenen Garten. Die Umsetzung dieses Prinzips ist daher umso einfacher. Wer lokal oder regional kauft, trägt maßgeblich zur Entflechtung wirtschaftlicher Kreisläufe bei.
Das Prinzip der Entrümpelung soll dagegen dazu dienen, das eigene Leben von den Dingen zu befreien, die den Alltag verstopfen. Gerade dieses Prinzip liegt im Trend, nicht nur innerhalb der Suffizienz-Bewegung. Der Streamingdienst Netflix produzierte unlängst sogar eine Serie, in der die japanische Autorin Marie Kondo Menschen in den USA dabei hilft, ihr Zuhause zu entrümpeln.
Auch in Deutschland ist es an der Zeit, einmal gründlich über Entrümpelung nachzudenken: Jede*r Deutsche besitzt etwa 10.000 Gegenstände, die meisten davon sind allerdings selten bis gar nicht in Benutzung. Die Rechnung ist einfach: Je weniger wir besitzen, desto mehr Zeit haben wir, den Dingen in unserem Leben Aufmerksamkeit zu schenken.
Die Umsetzung von Entflechtung, Entrümpelung und Entkommerzialisierung führt schließlich zum vierten E, der Entschleunigung. Denn wer statt der Quantität an Besitztümern die Qualität des Besitzes schätzt und sich Zeit nimmt, den eigenen oder gemeinschaftlichen Garten zu bebauen, lebt nicht nur bewusster, sondern auch entspannter. Gerade in Zeiten, in welchen wir in eine unsichere, unübersichtliche Zukunft blicken, drängt nichts zur Eile, möglichst schnell in dieser Zukunft anzukommen. Viel eher lohnt es sich, den wortwörtlichen Gang runterzuschalten, innezuhalten und damit zur Sicherung dieser Zukunft beizutragen.
Suffizienz bedeutet Verzicht letztlich also nur in dem Sinn, als dass für ein suffizienteres Leben auf ständiges Wachstum verzichtet wird. Auf Wohlbefinden und ein gutes Leben verzichten suffizient lebende Menschen dagegen nicht – ganz im Gegenteil. Der britische Ökonom Richard Easterlin stellte schon 1974 fest, dass ein höheres Einkommen ab einer bestimmten Schwelle nicht mehr zu einer Steigerung des subjektiv empfundenen Glücks führt. 2010 bestätigte er dieses sogenannte Easterlin-Paradox in einer erneuten Studie. Darin zog Easterlin den Schluss, dass Einkommen und Glücksempfinden in keinem Zusammenhang zueinander stehen. Suffizienz ist demnach viel mehr als nur ein Mittel, das Stresslevel des gut situierten, aber ausgelaugten Mittelstands zu senken. Wer sein Leben entrümpelt, gewinnt nicht nur mehr Zeit mit verbleibendem Eigentum, sondern ist obendrein glücklicher.
Suffizienz allein ist nicht genug – die drei Strategien der Nachhaltigkeit
Um der Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung gerecht zu werden, gibt es zahlreiche Strategien und Handlungsempfehlungen. Die Suffizienz-Strategie ist darunter nur einer von drei Ansätzen, die zusammen als Strategien der Nachhaltigkeit gehandelt werden. Neben Ansätzen für suffizienteres Konsumieren und Leben arbeiten Menschen auch mithilfe der Strategien von Effizienz und Konsistenz darauf hin, Nachhaltigkeit zu erreichen.
Gerade im Kontext des Ressourcenverbrauchs nimmt die Effizienz einen zentrale Stellung ein. Effizient ist eine Produktionsweise, ein Gegenstand oder ein Lebensstil dann, wenn die dafür benötigten Rohstoffe sowie die notwendige Energie möglichst ergiebig genutzt werden. Dabei ist letztlich das Verhältnis der eingesetzten Rohstoffe zum Endprodukt entscheidend. Autofahren ist also beispielsweise dann effektiv, wenn die Ressourcen für die Herstellung eines Autos und dessen Standzeiten möglichst gering gehalten werden, zum Beispiel durch Carsharing.
Eine Effizienzsteigerung kann durch verschiedene Maßnahmen erreicht werden. Grundsätzlich gilt es, entweder bei gleichem Nutzen die eingesetzten Ressourcen zu verringern (wie im Carsharing-Beispiel) oder bei gleichbleibendem Ressourcenaufwand den Nutzen zu steigern (zum Beispiel durch neue Technologien).
Problematisch wird das erst dann, wenn die gesteigerte Effizienz zu noch mehr Konsum und Wachstum führt. Eine solche Entwicklung bezeichnet man als Rebound-Effekt. Wenn neue Automodelle durch Effizienzsteigerungen günstiger werden, entscheiden Fahrende sich beim nächsten Kauf unter Umständen für das größere, verbrauchsintensivere Modell. Aber auch kleinere, sparsame Autos können einen Rebound-Effekt bewirken. Denn ein verbrauchsarmes Auto verursacht geringere Benzinkosten pro gefahrenem Kilometer, Autofahren wird also günstiger. In der Folge verändert sich meist das Fahrverhalten: Das eigene Auto wird häufiger und für längere Strecken genutzt.
Im Bereich der Effizienz kommt am ehesten eine wirtschaftliche Denkweise zum Tragen. Dennoch ist die ökonomische von der ökologischen Effizienz zu unterscheiden. Während ökonomische Effizienz in der Regel Kosteneffizienz bedeutet, dient ökologische Effizienz vornehmlich dem Erhalt natürlicher Ressourcen.
Dem gleichen Ziel dient die Strategie der Konsistenz. Auch dieser Begriff lässt sich aus dem Lateinischen herleiten. Das lateinische Wort „consistere“ bedeutet übersetzt „bestehen“ oder „fortdauern“. Das beschreibt den Kern von Konsistenz recht treffend: Denn dieses Prinzip zielt darauf ab, Natur und Technik zu vereinbaren, der Natur also ein Fortbestehen trotz menschlicher und technischer Einwirkungen zu sichern. Nicht konsistent ist also beispielsweise die Produktion von Futtermitteln, für die in großem Umfang Regenwald abgeholzt wird.
Anders als bei Effizienzstrategien steht im Bereich der Konsistenz allerdings nicht eine Einsparung von Ressourcen- oder Energie, sondern eine zukunftsorientierte und umweltverträgliche Nutzung bestehender Ressourcen im Vordergrund. Das umfasst natürlich vorkommende ebenso wie Ressourcen, die nicht natürlichen Ursprungs sind und sich deshalb nicht ohne Weiteres in die Natur zurückführen lassen. Darunter fallen zum Beispiel industriell hergestellte Stoffe und Güter wie Auto- oder Gebäudeteile, aber auch sämtliche Arten von Müll, die nicht biologisch abbaubar sind.
Strategien der Konsistenz zielen darauf ab, solche naturgefährdende Stoffe in geschlossenen Kreisläufen zu halten oder gar nicht mehr auf sie zurückzugreifen. Die End- und Abfallprodukte einer Produktionskette landen bei konsistentem Wirtschaften daher nicht mehr auf dem Müll, sondern gehen, zum Beispiel in Form wiederverwendbarer Maschinenteile, als Ausgangsstoffe in die nächste Produktionskette ein. Eine solche Form der Kreislaufwirtschaft versteht man als „Cradle-to-Cradle-Prinzip“. Übersetzt beutet das so viel wie „von der Wiege zur Wiege“. Möglich ist im Rahmen der Konsistenz allerdings auch, dass Abfallprodukte der Produktion in so guter Qualität bereitgestellt werden, dass die Umwelt einen Nutzen daraus ziehen kann. Eine Fabrik also, bei der Abwässer in Trinkwasserqualität anfallen, kann unter Umständen konsistent sein.
Keine Nachhaltigkeit ohne Suffizienz
Effizienz und Konsistenz stellen durchaus geeignete Ansätze dar, um unsere Gesellschaft etwas nachhaltiger zu gestalten. Um den aktuellen, übermäßigen Ressourcenverbrauch zu beschränken und den menschlichen Einfluss auf die Natur auf ein verträgliches Maß zu reduzieren, reichen diese beiden Strategien jedoch nicht aus. Eine reine Effizienzstrategie scheitert, wenn ihre Ergebnisse durch den Rebound-Effekt ausgeglichen werden. Auch Ansätze der Konsistenz stoßen an ihre Grenzen, wenn die Nutzung der Natur nicht auf ein verträgliches Maß beschränkt wird.
Wir Menschen sind Gewohnheitstiere – alte Muster, Denkweisen und Lebensstile aufzugeben braucht Mut und Energie. Insbesondere im privaten Umfeld aber sind Strategien der Suffizienz ein leicht gangbarer Weg, um aus alten Mustern auszubrechen und unser Leben nachhaltiger zu gestalten. Die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg hat eines richtig erkannt: „Anstatt nach Hoffnung zu suchen, suchen Sie nach Handlungsmöglichkeiten. Dann – und nur dann – wird die Hoffnung kommen.“
Quellen
Easterlin, Richard A. et al. (2010): „The happiness-income paradox revisited“. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Vol. 107, Nr. 52. Abrufbar unter: https://www.pnas.org/content/107/52/22463. Abgerufen: 04.04.2019.
Jäger, Jill (2016): „Was verträgt unsere Erde noch?“. In: Mut zur Nachhaltigkeit. 12 Wege in die Zukunft. Hg. von Wiegandt, Klaus. Berlin: Fischer Verlag. S. 15-79.
Sachs, Wolfgang (1993): „Die vier E’s. Merkposten für einen maßvollen Wirtschaftsstil“. In: Politische Ökologie. Jg. 11, Nr. 33. S. 69-72.
Wille, Joachim (2016): „Es geht um die Befreiung vom Ballast“. In: Movum. Briefe zur Transformation. Nr. 10. S. 7.