Was Suffizienz mit einem Tiny House zu tun hat

Eigentlich geht der Trend der Wohnfläche in den letzten Jahrzehnten steil aufwärts. 2018 betrug die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in Deutschland 46,7 Quadratmeter, in den USA sogar bis zu 74 Quadratmetern (Umweltbundesamt, 2019; Boeckermann, 2017).  In den Besitzmaximierung gesprägten Konsumgesellschaften sind Häuser und ihre Größe immer mehr zum Statussymbol geworden. Dazu im Gegensatz steht die Tiny House Bewegung. In kleinen, meist mobilen, Häusern leben die Menschen auf geringstem Raum mit möglichst wenig Besitz. Gründe dafür sind die immer stärker steigenden Kosten der Anschaffung und Erhaltung von Immobilien, vor allem in Ballungsgebieten, der Wunsch nach mehr Mobilität und Selbstverwirklichung und die Überdenkung des eigenen Lebensstils und des eigenen ökologischen Fußabdrucks (Biron).

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Tiny Houses gibt es in verschiedenen Größen, doch ihrem Namen bleiben sie alle treu: Nur zehn bis 55 Quadratmeter groß sind die meisten Häuser. Sie werden häufig auf einen PKW-Anhänger gebaut, um möglichst mobil zu sein, aber es gibt zum Beispiel auch Tiny Houses aus Containern, die unbeweglich sind. Auch wenn es mitttlerweile eine große Vielzahl von Varianten und Designs gibt, ist die traditionelle Bauform mit einem Satteldach, unter dem sich die Schlafebene befindet. Ansonsten besteht das Tiny House meist aus einem großen Raum, der Küche und Wohnzimmer vereint. Typische Einrichtungselemente sind einziehbare Sofas, einklappbare Tische und intelligente Aufbewahrungssysteme, um den vorhandenen Platz möglichst effizient zu nutzen. Die Badezimmer sind ebenfalls deutlich kleiner, teilweise trotzdem mit normalen Toiletten und Duschen ausgestattet, ansonsten mit einer Komposttoilette (Kilman, 2016).

Die Preise für Tiny Houses variieren stark nach Größe, Anbieter*innen und in welchem Zustand das Tiny House ausgeliefert wird und wie viel Arbeit man selbst hineinsteckt. So beginnt ein Rohbau-Haus in Deutschland bei ca. 18.000€ inklusive Trailer, Bodenplatte, Holzkonstruktion und Wandverkleidung. Für ein bezugsfertiges Tiny House, in das man direkt einziehen kann, sollte man jedoch mit mindestens 45.000€ rechnen. Eine Grenze nach oben gibt es, genau wie bei konventionellen Häusern, nicht (Sven und Sig, 2020).

Die Tiny House Bewegung nahm ihren Anfang am Ende des 20. Jahrhunderts in den USA. 1998 veröffentliche die Architektin Sarah Susanka das Buch „The Not So Big House – A Blueprint For the Way We Really Live“ und ihre Ideen wurden zunächst vor allem von Bastlern und Aussteigern aufgegriffen und verbreitet. Mit Hilfe von TV-Formaten, weiteren Büchern, Blogs und YouTube-Kanälen kamen die Kleinsthäuser auch schnell im Mainstream und in anderen Ländern an (Biron).

Ursprünglich begann die Bewegung vermehrt wegen einer notwendigen Kostenreduktion, mittlerweile ist aber auch der Wunsch nach einem nachhaltigen Wohnen und Leben eine große Motivation, um in ein Tiny House zu ziehen. Doch nicht jedes Tiny House ist ein langfristiges Zuhause: Tiny Houses werden auch vermehrt als Gästehäuser oder als Geschäftsbüros genutzt.

Auch in Deutschland ist die Bewegung schon seit längerem angekommen. Um sich für die Entstehung von Tiny House Siedlungen und minimalistisches Wohnen einzusetzen bilden sich Interessengemeinschaften und Vereine. Denn einfach ist die rechtliche Lage in Deutschland nicht: Ein Tiny House kann man nicht einfach hinstellen, wo man möchte. Auf einigen Campingplätze ist die Anmeldung eines Wohnsitzes zugelassen, auf jedem anderen Grundstück muss in jedem Fall ein Bauantrag gestellt werden und der geplante Stellplatz muss mit Wasser- und Abwasserentsorgung, Strom und verkehrsgerechter Anbindung an eine Straße voll erschlossen sein (Focus.de, 2019).

Im Fichtelgebirge hat sich das erste Tiny House Village Deutschlands gegründet: Auf dem Gelände eines ehemaligen Campingplatzes befinden sich nun 35 Grundstücke für kleine Häuser. 30 Bewohner*innen leben in diesem Dorf, die sich Lagerfeuerplätze, Permakulturgärten und Erholungsflächen teilen. Außerdem bieten sie ein Tiny House Hotel für Interessierte an (tinyhousevillage.de). Laut einer Umfrage von Interhyp können sich immerhin 13% der Deutschen vorstellen, dauerhaft in einem Tiny House zu leben (Interhyp, 2019)

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Die Antwort auf die Frage, was Tiny Houses mit Suffizienz, dem Bemühen um einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch, zu tun haben, liegt eigentlich auf der Hand: Eine geringere Wohnfläche führt auch zu einem kleineren CO2-Fußabdruck.

Gebäude sind für knapp ein Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich, Tiny Houses allerdings beschränken sich nur auf das Nötigste und nutzen den vorhandenen Platz effizient aus. Je kleiner das Haus, desto weniger Ressourcen werden auch für den Bau und Betrieb benötigt (Schmid, 2019). So haben kleine Häuser einen geringeren Energieverbrauch als konventionelle Häuser, da weniger Fläche beheizt, weniger Lampen beleuchtet werden und generell weniger Haushaltsgeräte als in einem normalen Haus benutzt werden. Die Wissenschaftlerin und Tiny House Bewohnerin Mary Murphy stellt heraus, dass der geringere Energieverbrauch sogar nicht nur auf die geringere Fläche zurückzuführen ist, sondern auch darauf, dass alles auf die Bedürfnisse der Bewohner*innen angepasst werden kann (Kilman, 2016).

Tiny Houses haben die Möglichkeit möglichst autark und damit maximal nachhaltig zu sein. Durch Solarzellen für Warmwasser, Photovoltaik-Anlagen für den Strom, Sammeln von Regenwasser oder das Verwenden einer Komposttoilette, die kein Wasser benötigt, lassen sich die CO2-Emissionen des Hauses noch weiter reduzieren.

Allerdings bedeutet das alles nicht, dass jedes Tiny House automatisch vollkommen suffizient ist: Schlechte Dämmung, als Folge davon, dass das Haus möglichst leicht sein soll und dicke Wände zulasten der Wohnfläche gehen, kann zu einem hohen Energieverbrauch führen. Außerdem werden viele Kleinsthäuser nicht als Hauptwohnsitz, sondern als Ferien- oder Wochenendhaus genutzt und verbrauchen so zusätzliche Ressourcen. Was ebenfalls beachtet werden muss ist, dass die ökologischen Vorteile auch an der Lebensweise und Einstellung der Zielgruppe liegen. Wer sich für ein reduziertes Leben im Tiny House entscheidet, lebt meist grundsätzlich auch generell schon nachhaltiger und bewusster (Schmid, 2019).

Quellen:

Biron, B.: Kleiner Wohnen, URL: https://www.ubm-development.com/magazin/tiny-houses-sind-ein-grosser-trend-beim-wohnen/ Abgerufen am 24.02.2020.
Boeckermann, L.: Dreaming Big and Living Small: Examining Motivations and Satisfaction in Tiny House Living, 10.5.2017, URL: https://scholarcommons.sc.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1133&context=senior_theses, Abgerufen am 24.02.2020.
Focus.de: Tiny-House-Boom in Deutschland: Nach dem Kauf beginnen jedoch die Probleme, 08.10.2019, URL: https://www.focus.de/immobilien/wohnen/tiny-house-boom-in-deutschland-nach-dem-kauf-beginnen-jedoch-die-probleme_id_11213818.html, Abgerufen am 24.02.2020.
Interhyp: Ökohaus, Tiny House und Co.: Studie zeigt Trend zu nachhaltigen und alternativen Wohnformen, 13.02.2019, URL: https://www.interhyp.de/ueber-interhyp/presse/oekohaus-tiny-house-und-co-studie-zeigt-trend-zu-nachhaltigen-und-alternativen-wohnformen.html, Abgerufen am 24.02.2020.
Kilman, C.: Small House, Big Impact: The Effect of Tiny Houses on Community and Environment. In: Undergraduate Journal of Humanistic Studies, Carleton College, 2016. URL:https://pdfs.semanticscholar.org/2732/8c4ba21b4f6ae467210ddffd3edb2da8fa4b.pdf, Abgerufen am 24.02.2020.
Schmid E.: Tiny House und Nachhaltigkeit: Wie nachhaltig sind die Mini-Häuser? 07.05.2019, URL: https://wohnglueck.de/artikel/tiny-house-nachhaltigkeit-3343 ,Abruf am 24.02.2020.
Sven und Sig: Tiny Houses: Wohnen auf kleinem Raum, 16.01.2020, URL: https://www.otto.de/reblog/tiny-houses-1308/ ,Abgerufen am 24.02.2020.
Tinyhousevillage.de: Tiny House Village, URL: https://www.tinyhousevillage.de/ Abgerufen am 24.02.2020.
Umweltbundesamt: Wohnfläche, 22.11.2019, URL: https://www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/wohnen/wohnflaeche#zahl-der-wohnungen-gestiegen Abgerufen am 24.02.2020.

#kaufnixChallenge

Suffizienz liegt im Trend, ob beim Wohnen, Konsumieren oder im Bereich der Mobilität. Eine wachsende Zahl an Umweltschützer*innen ist sich einig, dass nur ein suffizientes Leben langfristig die nachhaltige Entwicklung auf unserer Erde garantieren kann.

In unserer einwöchigen #kaufnixChallenge wollen wir Beispiele suffizienter Lebensweisen vorstellen. Wir laden Sie ein, Ihren suffizienten Alltag mit uns zu teilen. Schauen Sie sich die Stufen der Anti-Verbraucher-Pyramide an und prüfen Sie, welche Gewohnheiten Sie bereits jetzt leben – was leihen, tauschen und fertigen Sie?

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Für alle Teilnehmer*innen gibt es eine kostenlose Leseprobe der „35-Tage-Challenge“ von Benjamin und Fabian Eckert, erschienen im oekom Verlag. Darüber hinaus verlosen wir am Ende der Challenge 3×2 Kinotickets für den Film „Vergiftete Wahrheit“ und 5×2 Tickets für die NachhaltigkeitsmesseVeggienale&FairGoods.

Wir freuen uns auf Ihre Einsendungen!

Alle Materialien und eine Kurzbeschreibung der Challenge finden Sie hier.

Warum in die Ferne schweifen

Die Möglichkeit auf Reisen zu gehen, hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellen- und Statuswert, auf den wir nicht verzichten möchten. Deutsche unternahmen im Jahr 2017 circa 70 Millionen Reisen, die länger als 5 Tage dauerten- 50 Millionen davon ins Ausland. (UBA, 2019) Das derzeitige Tourismusmodell ist allerdings alles andere als nachhaltig, sondern geprägt von Kurzurlauben und Flugreisen. (Bah et al., 2017)
Für Natur und Umwelt bedeuten unsere Reisen viel Stress.  Durch An- und Abreise sowie vor Ort genutzte Verkehrsmittel, wird die Natur immens belastet. Die entstehenden Emissionen treiben den Klimawandel deutlich voran. Ein Kreuzfahrtschiff verbraucht zum Beispiel am Tag 476 850 kg CO2 – das ist so viel wie der Verbrauch von 83 678 Autos. (NABU, 2012) Generell sind 75% des Energieverbrauchs und der CO2 Emissionen einer Reise von der Wahl des Verkehrsmittels abhängig. (Gössling; Peeters, 2015)

Auch der Flächenverbrauch ist ein ernst zunehmender Aspekt. Immer mehr Gebäude werden für den wachsenden Tourismussektor gebaut. Durch die vermehrte Versiegelung von Flächen und Zerschneidung der Landschaft, kommt es zu Veränderungen im Wasser- und Bodenhaushalt, was das Risiko für Überflutungen erhöht. Außerdem reisen wir gerne in Länder, die im Sommer oft mit Wasserknappheit zu kämpfen haben. Der durch Touristen verursachte Wasserverbrauch verschärft diese Situation und es kann zu Konkurrenzen zwischen dem Trinkwasserbedarf der Bevölkerung, der Landwirtschaft und dem Tourismus kommen. Nicht selten verlangt es Maßnahmen, wie das energieintensive Aufbereiten von Meerwasser. (UBA, 2019)

Alternative Reisekonzepte: Slow Tourism

Es scheint daher nahezuliegen, die eigene Art des Reisens noch einmal zu überdenken. Das alternative Reisekonzept „Slow Tourism“ zielt auf bestimmte Verhaltensweisen von Reisenden ab. Im Fokus steht ein verändertes Verhältnis des Reisenden zu Zeit, Qualität und Ziel der Reise. Es soll nicht so viel wie möglich in kürzester Zeit gesehen, sondern vielmehr das Vorhandene betrachtet und genossen werden. (Nistoreanu et. al., 2011) Es handelt sich um eine umfassende Tourismuserfahrung, zu der auch Hin- und Rückweg maßgeblich beitragen. (Dickinson; Lumsdon, 2010) Ganz bewusst wird deswegen auf schnelle Transportmittel, wie Flugzeuge verzichtet und lieber Bahn, Bus oder Schiff gewählt. Die Reisedistanzen sind kürzer und die Aufenthaltsdauer an den Zielen länger. Land, Leute und Kultur können auf diese Weise vertieft kennengelernt werden. (Nistoreanu et. al., 2011) Der Begriff „Langsam“ steht daher nicht für Faulheit, sondern kann vielmehr als Entschleunigung bezeichnet werden. (Sachs, 1993)

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Suffizienz und Nachhaltigkeit werden in dem Reisekonzept zwar nicht direkt angesprochen, die Verknüpfung ist jedoch deutlich. Alle Werte des „Slow Traveling“ implizieren einen Abstand zu Konsum, Masse und Schnelllebigkeit. Ganz automatisch verringern sich die Emissionen, wenn man mit der Bahn statt mit dem Flugzeug reist, wenn man nahe Zielorte und die lokalen Speisen sowie kulturellen Angebote wählt. Die Umwelt profitiert vom „Slow Tourism“, ohne das dies das Hauptaugenmerk des Reisenden ist. (Schrader, 2017)
Dabei stützt sich „Slow Travelling“ auf zwei Leitprinzipien:
1. Verbringe mindestens eine Woche am gleichen Ort.
2. Betrachte dein unmittelbares Umfeld. Konkret heißt das am gewählten Zielort anzukommen – nicht nur physisch, sondern auch mit dem Geist und allen Sinnen. (Nistoreanu et. al, 2011)

Die Natur in ihrer Fülle zu erfahren gelingt beim Wandern oder Radfahren ganz leicht. Egal ob Flüsse, Berge, Seen – durch das eigen gewählte Tempo wird die Reise zu einem selbstgestalteten Erlebnis. Apps wie „Komoot“ bieten hierfür eine Vielzahl an Wander- und Radrouten an, die entweder vom Team selbst getestet oder von anderen Nutzern geprobt und bereitgestellt werden. Die Idee für das Start Up hatten 6 „Outdoor-Enthusiasten“ aus Deutschland und Österreich. Seit 2010 kann man mit Karten und Navigationssystem der App, die verschiedensten Orte entdecken. Das Wahlgebiet kann einfach gesucht und die passende Route ausgewählt werden – wieso nicht mal nach Routen in der eigenen Heimat suchen? Wer weiß was es dort noch alles zu entdecken gibt… (komoot.com)

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Quellen:
BAH, A. et al.: „Berlin Declaration on „Transforming Tourism“, 03/2017, URL: http://www.transforming-tourism.org/fileadmin/baukaesten/sdg/downloads/Berlin_Declaration.pdf, online, Abruf am 19.12.2019
DICKINSON, J., LUMSDON, L.: „Slow Travel and Tourism“, 01.01.2010, New York
Gössling, S., Peeters, P.: „Eine Bewertung der Ressourcennutzung des Tourismus – Szenarien einer nicht nachhaltigen Zukunft“, 18.09.2015, in Internetseite Tourism Watch, URL: https://www.tourism-watch.de/de/schwerpunkt/eine-bewertung-der-ressourcennutzung-des-tourismus, online, Abruf am 19.12.2019
Komoot newsroom- Webseite, URL: http://newsroom.komoot.com/?page=3, online, Abruf am 19.12.2019
NABU: „Luftschadstoffemissionen – Vergleich von Kreuzfahrtschiff und PKW“, 2012, URL: https://www.nabu.de/downloads/TabelleVergleichKreuzfahrschiff_Pkw.pdf, online, Abruf am 19.12.2019
Nistoreanu, P., Dorobantu, M., Tuclea, C.: „THE TRILATERAL RELATIONSHIP ECOTOURISM – SUSTAINABLE TOURISM – SLOW TRAVEL AMONG NATURE IN THE LINE WITH AUTHENTIC TOURISM LOVERS.“ 06/2011, in Journal of tourism no. 11, URL: http://www.revistadeturism.ro/rdt/article/view/67/38, online, Abruf am 19.12.2019
Sachs, W.: „Die vier E’s : Merkposten für einen maß-vollen Wirtschaftsstil“, 1993, in  Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, URL: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/66/file/66_Sachs.pdf, online, Abruf 19.12.1019
Schrader, D.: „Suffizienz im und durch Tourismus – Gestaltungsmöglichkeiten einer Tourismustransformation durch produzenten und Konsumenten touristischer Leistungen“ , Bachelorthesis, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geisling, 04.07.2017 URL: https://www.tourism-watch.de/system/files/migrated/bt_d._schrader_suffizienz_im_tourismus_-_kopie.pdf, online, Abruf am 19.12.2019
Umweltbundesamt: „Nachhaltiger Tourismus“, 12.12.2019, URL: https://www.umweltbundesamt.de/themen/wirtschaft-konsum/nachhaltiger-tourismus#textpart-1, online, Abruf am 19.12.2019

Die 2000-Watt-Gesellschaft der Stadt Zürich- Interview mit dem Umwelt- und Gesundheitsschutz

In Zürich ist der Wunsch nach einer nachhaltigeren Gesellschaft in der Gemeindeordnung verankert. Durch unterschiedliche Maßnahmen und Anreize der Stadtverwaltung, soll der Energieverbrauch der Bevölkerung verringert werden. Die Lebensqualität hingegen soll darunter nicht leiden. Tina Billeter erklärt wie dieses Modell funktioniert und was sich in Zürich dadurch verändert hat.

Der Weg zu einer suffizienten Gesellschaft

Deutsche Umwelstiftung: Sie wenden in Zürich das Modell 2000-Watt-Gesellschaft an. Um was genau handelt es sich und was sind die Ziele?

Tina Billeter: Die 2000-Watt-Gesellschaft ist ein energie- und klimapolitisches Ziel, um eine messbar nachhaltige und umweltfreundliche Gesellschaft zu werden. Dieses Ziel wurde bereits 2008 aufgrund einer demokratischen Volksabstimmung in der Gemeindeordnung der Stadt Zürich verankert. Konkret bedeutet es, dass der Primärenergiekonsum auf 2000 Watt pro Person und der Treibhausgasausstoss bis 2050 auf 1 Tonne pro Person und Jahr gesenkt wird. Energieeffizienz, erneuerbare Energien und die nachhaltige Ernährung werden gefördert; auf Atomkraft verzichtet.

Deutsche Umweltstiftung: In dem Ergebnisbericht „Suffizienz: Ein handlungsleitendes Prinzip zur Erreichung der 2000-Watt-Gesellschaft“ der Arbeitsgruppe Suffizienz, sprechen Sie darüber, dass Suffizienz neben Effizienz und Konsistenz einen erheblichen Einfluss auf die Realisierung der 2000-Watt-Gesellschaft hat. Wieso ist dies der Fall?

Tina Billeter: Im Masterplan Energie sind die drei handlungsleitenden Prinzipien festgehalten: Suffizienz, Effizienz, Konsistenz. Diese beruhen auf Analysen und Szenarien, die u.a. in der Roadmap 2000-Watt-Gesellschaft festgehalten sind: Sie zeigten, dass alleine mittels der zwei Stellschrauben Effizienz und Konsistenz die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft nicht erreicht werden können. Deshalb müssen wir verstärkt auf die Genügsamkeit setzen. Ohne Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs können wir den Primärenergiekonsum nicht auf 2000 Watt reduzieren und die Treibhausgasemissionen nicht in den Griff bekommen.

Deutsche Umweltstiftung: Wenn wir von Suffizienz sprechen, ist oftmals Verzicht gemeint. Wie kann der Begriff Verzicht, der in der Regel negative Konnotationen hervorruft, in die Gesellschaft getragen werden?

Tina Billeter: Zurzeit ist die Multifunktionalität im urbanen Kontext nicht negativ konnotiert. Sie zielt aber auf eine Mehrfachnutzung von limitierten Ressourcen und Räumen (z.B. Mindestbelegungsvorgabe in städtischen Wohnungen). Die ‚Stadt der kurzen Wege‘ klingt ebenfalls nach Lebensqualität: Erholungsräume in unmittelbarer Umgebung, Einkaufsmöglichkeiten und Märkte in Gehdistanz, Arbeitswege per Fahrrad, Schulen und Bibliothek um die Ecke. Die Stadt versucht, suffiziente Massnahmen positiv erlebbar zu machen – ohne dies als Suffizienz direkt beim Namen zu nennen.

Deutsche Umweltstiftung: In welchen Lebensbereichen sollte Suffizienz Ihrer Meinung nach zuerst umgesetzt werden?

Tina Billeter: Wir müssen verstärkt auf Suffizienz-Massnahmen setzen, wo die grösste Treibhausgasreduktion bewirkt werden kann: Konsum, Gebäude, Mobilität.

Deutsche Umweltstiftung: Die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft sind schon seit gut zehn Jahren in der Stadtplanung verankert. Was hat sich seither getan? Welche Erfolge konnten erzielt werden?

Tina Billeter: Pro Person konnte in den vergangenen zehn Jahren der Primärenergieverbrauch um rund 20 Prozent auf 3500 Watt und der jährliche Treibhausgasausstoss um zehn Prozent auf 4.4 Tonnen reduziert werden. Wichtige städtische Strategien wie der Masterplan Energie, Masterplan Umwelt, Verkehr2025 oder die 7-Meilen-Schritte bezüglich Gebäude wurden zielkonform angepasst. Der Kommunale Richtplan ist erarbeitet; viele zertifizierte 2000-Watt-Areale wurden errichtet. Die Beschaffungskoordination sowie die Pensionskasse arbeiten mit strengen Nachhaltigkeitskriterien. Den Bürgern wird automatisch Ökostrom geliefert: nebst der Wasserkraft wird die Solar- und Windkraft gefördert. Das Kehrichtheizkraftwerk versorgt bereits Zehntausende von Wohnungen mit Wärme und Strom und das Fernwärmenetz wird erweitert. Erste stadteigene Gebäude wurden gemäss dem Label Minergie-P-Eco gebaut und produzieren mehr Energie als sie benötigen. Die Beratungsstelle Energie-Coaching begleitet Private beim Heizungsersatz respektive beim Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger. Der Öko-Kompass berät KMUs im allen Umweltbelangen. Fuss- und Velowege sowie das öffentliche Verkehrsnetz werden stetig ausgebaut und attraktiver gestaltet. Der Erfolg ist sichtbar: Bereits mehr als die Hälfte aller Zürcher Haushalte besitzt kein Auto mehr.

Deutsche Umweltstiftung: Wie kann das Konzept von anderen Städten/Gemeinden adaptiert werden?

Tina Billeter: Das Bilanzierungskonzept ist öffentlich verfügbar. Die nationale Fachstelle 2000-Watt-Gesellschaft berät interessierte Gemeinden. Schweizweit wurden bereits 45 Gemeinden mit dem Label ‚Energiestadt Gold‘ ausgezeichnet – sie alle befinden sich ebenfalls auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft.

Über die Interviewpartnerin

©Tina Billeter

Tina Billeter, diplomierte Umwelt-Naturwissenschaftlerin ETH,  ist als Senior Projektleiterin Energiestrategie im Umwelt- und Gesundheitsschutz der Stadt Zürich tätig.

Black Friday – Der alljährliche Konsumwahnsinn

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Der Freitag nach Thanksgiving ist für viele Menschen ein Tag des extremen Konsums geworden. Ursprünglich aus den USA kommend, gibt es den Black Friday seit einiger Zeit auch in Deutschland. Aus welchen Gründen genau der Tag entstanden ist und wieso er Black Friday heißt, ist nicht vollständig belegt. Oft wird auf die Geschäftsinhaber verwiesen, die nach Thanksgiving endlich wieder schwarze, statt rote Zahlen schrieben. Offensichtlich waren die Verbraucher durch den Feiertag und das anstehende Weihnachtsfest, zu einem höheren Konsum bereit. Eine andere Erklärung für den Black Friday stammt aus Philadelphia in den 50er Jahren. Dort sollen Polizisten das durch Touristen und Shopper entstandene Chaos in der Stadt am Tag nach Thanksgiving, als Black Friday bezeichnet haben. Diese konnten sich den Tag nicht freinehmen und mussten oft extra lange Schichten arbeiteten, um die wegen dem Army-Navy football game in die Stadt gekommen Menschenmassen, unter Kontrolle zu bringen. (Pruitt, 2015)

Eine fundierte Erklärung und Rechtfertigung für den übermäßigen Konsum an diesem Tag, gibt es demnach nicht. Sicher ist jedoch, dass der Black Friday nicht ohne erhebliche negative Auswirkungen auf Natur, Umwelt und Produzenten stattfinden kann. Denn das Prinzip ist einfach: Anbieter werben mit Schnäppchen-Preisen, reduzierter Ware und „Top-Deals“, die es im restlichen Jahr nicht gibt. An jeder Ecke wird zu einem ausnahmslosen Konsum aufgerufen und die Verbraucher kaufen und bestellen reichlich. Im letzten Jahr gaben Bürger aus Deutschland an, im Schnitt 200 Euro am Black Friday ausgeben zu wollen. (Rabe, 2019) Die größten Verkaufsbereiche sind hierbei Mode und Accessoires, Kosmetika und Drogerieartikel, sowie technische Haushaltsgeräte. (Suhr, 2019) Der Umsatz am diesjährigen Black Friday und Cyber Monday, soll laut Handelsverband Deutschland bei 3,1 Milliarden Euro liegen. Das ist eine Steigerung von 22 % im Vergleich zum Vorjahr. (IFH Köln, 2019)

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Dieser Konsumwahnsinn endet zum Großteil in unbedachten Käufen von Dingen, die wir eigentlich gar nicht brauchen. Die „Wegwerfgesellschaft“ findet einen weiteren Anreiz blind zu konsumieren- ohne Gedanken an mögliche Folgen. Denn für die billig Preise zahlen andere – die Löhne in den meisten Herstellungsfabriken sind sehr gering und Sicherheitsstandards selten gewährleistet. (Gmeiner, 2019) Viel Konsum bedeutet außerdem auch viel Verpackung und viel Müll. Deutschlands pro Kopf Verbrauch an Plastik- und Verpackungsmüll ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Ein wesentlicher Grund dafür sind Online-Einkäufe, die uns einschließlich hohem Emissionsverbrauch, bis vor die Haustür geliefert werden. Häufig werden diese Produkte wieder zurückgeschickt, woraufhin sie ungenutzt vernichtet oder weggeworfen werden. Die Greenpeace Sprecherin Viola Wohlgemuth, bezeichnet den Black Friday daher passend als „schwarzen Tag für die Umwelt“. (Miller, 2018)

Kauf Nix Tag“ und „Whitemonday“ – den Konsum in Frage stellen

Doch es gibt auch Bewegungen und Initiativen gegen den Massenkonsum. Der „Kauf Nix Tag“ wurde Anfang der 90er von Ted Dave in Vancouver ins Leben gerufen. Er findet am Samstag nach dem Black friday statt und ruft als Pendant dazu auf, einen Tag ohne Konsum zu verbingen. Im Mittelpunkt soll an diesem Tag der bewusste Umgang mit Ressourcen und unserer Umwelt stehen, sowie eine Infragstellung des eigenen Lebensstils: Brauche ich dieses Produkt wirklich? Kann ich mir es vielleicht ausleihen oder gebraucht besorgen?  Kann mich immaterielles nicht genauso glücklich machen? (Knirsch, 2008)

Der „White Monday“ ist eine neuere Bewegung aus Schweden, die Kreislaufwirtschaft und Kreislaufkonsum als Strategie sieht. Er findet seit 2017 am Montag vor dem Black Friday statt. Wege zum Teilen, Mieten, Reparieren, Recyclen, Leihen und Upcyclen werden von Organisationen, Influencern und individuellen Teilnehmern online und offfline verbreitet. Der Konsum wird hierbei nicht komplett ausgeschlossen, aber nur bereits im Kreislauf vorhandene Güter sollen konsumiert werden. (whitemonday.info)

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Es gibt ausreichend Gründe, den Black Friday dieses Jahr ausfallen zu lassen und im Gegenzug den eigenen Konsum zu betrachten. Dabei geht es nicht grundsätzlich um kompletten Verzicht, sondern viel mehr um die Frage, wie man konsumiert. Ein bewusster Umgang mit Produkten und ein gesundes Maß an Genügsamkeit, trägt nicht nur zum Klimaschutz bei, sondern reicht oft auch zum glücklich sein.

Quellen:
Gmeiner, E.: „Black Friday: Schwarzer Tag für nachhaltigen Konsum Transfair fordert ein verbindliches Lieferkettengesetz“ in: Internetseite Presseportal, 26.11.2019, URL: https://www.presseportal.de/pm/52482/4450536, Abgerufen am 27.11.2019
IFH Köln im Auftrag vom Handelsverband Deutschland: „Black Friday und Cyber Monday“ in: Internetseite Handelsverband Deutschland, 2019, URL: https://einzelhandel.de/blackfriday#pagetop, Abgerufen am 27.11.2019
Knirsch, J.: „Erde retten statt Konsumieren“, Hamburg, 11/2008, URL: https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/Kauf_nix_Tag_2008_0.pdf, Abruf am 27.11.2019
Miller, S.: „Nicht nur am „Black Friday“: Bestellen für den Müll“ in Internetseite: Greenpeace, Hamburg 16.11.2018, URL: https://www.greenpeace.de/presse/presseerklaerungen/nicht-nur-am-black-friday-bestellen-fuer-den-muell, Abruf am 27.11.2019
Priutt, S: „What’s the Real History of Black Friday?“ in: Internetseite History, 20.11.2018, URL: https://www.history.com/news/whats-the-real-history-of-black-friday, Abruf am 27.11.2019
Rabe, L.: „Durchschnittliche geplante Ausgaben pro Kopf am Black Friday in ausgewählten Ländern weltweit im Jahr 2018“ in: Internetseite Statista, 26.11.2019, URL:https://de.statista.com/statistik/daten/studie/943683/umfrage/durchschnittliche-ausgaben-am-black-friday-in-ausgewaehlten-laendern-weltweit/, Abruf am 27.11.2019
Suhr, F.: „Was die Deutschen am Black Friday kaufen“ in: Internetseite Statista, 26.11.2019, URL: https://de.statista.com/infografik/20107/meistgekaufte-produkte-am-black-friday-in-deutschland/, Abruf am 27.11.2019
Whitemonday, FAQ – Website, URL: https://www.whitemonday.info/about, Abruf am 27.11.2019