Aktionswoche „Entrümpeln! – Befreit in den Frühling“

Ältere Semester kennen noch die in den 90er Jahren bekannte Fernsehshow Glücksrad. Kandidat*innen deckten nacheinander Buchstaben auf und versuchten, verdeckte Wörter schnellstmöglich zu erraten. Vokale mussten dabei zulasten eines Teils des möglichen Gewinns gekauft werden und so hieß es oft: „Ich kaufe ein E und möchte lösen“. Um vier „E’s“ geht es auch beim Thema Suffizienz: Entkommerzialisierung, Entflechtung, Entschleunigung und Entrümpelung. Letztere stand passend zum Frühlingsanfang im Mittelpunkt einer Aktionswoche der Deutschen Umweltstiftung.

E wie Entrümpeln

Zu entrümpeln kann die ideale Gelegenheit sein, um unser Konsumverhalten und die Überflussgesellschaft, in der wir leben, zu hinterfragen. Es ist die Chance, einen Blick auf das Wesentliche zurückzugewinnen und sich von „unnötigem“ Ballast zu befreien. Also einfach alles in die Tonne? Auf keinen Fall! Das Statistische Bundesamt meldete eine Rekordmenge an Haushaltsabfällen, darunter ein klarer Anstieg an Sperrmüll. Das geht auch anders! Auf den Social-Media-Kanälen gab es dazu während der Aktionswoche jeden Tag spannende Beiträge. Sie reichten von der Frage, inwiefern wir unser Glück an Besitztümer binden, über die Vorstellung von Entrümpelungsmethoden auf Basis der Suffizienzpyramide bis hin zum Aufräumen des inneren Zuhauses. Dabei waren alle Interessierten eingeladen, sich einzubringen und die Kampagne mit ihren Erfahrungen und Ansichten zu bereichern.

Der Frühling als Symbol für Wandel – in diesem Verständnis sollte die Aktionswoche Suffizienz als Gefühl des „guten Lebens“ der Community auf eine greifbare und aktive Art näherbringen und zum eigenen Handeln ermutigen. Dabei sollte gegenseitiges Lernen im Mittelpunkt stehen und auf das Wissen jedes und jeder Einzelnen aufgebaut werden. Auf einer digitalen Miro-Plattform wurden die Teilnehmenden entlang der Aktionstage geführt und dazu eingeladen, ihre Gedanken mit Kommentaren und Post-its hinzuzufügen. Nach und nach entstand im Laufe der Aktionswoche eine kleine „Miro-Welt“, die sich aus Fragestellungen, Ideensammlungen und Stimmungsbildern zusammensetzt.

Ausschnitt aus dem Miro-Board „Befreit in den Frühling“

Lebhafte Debatte in der „Miro-Welt“

Mit weit über 150 Beiträgen ist eine Sammlung aus inspirierenden Gedanken, Ideen und Tipps entstanden. Jeder Aktionstag wurde einem speziellen Thema gewidmet. So ging es zunächst um die Empfindung von materiellem und immateriellen Glück. Die Beiträge der Teilnehmer*innen zeigten, dass meist Lebenssituationen und -umstände, besonders bezüglich Freund*innen, Familie, Gesundheit und finanzieller Sicherheit, eine deutlich wichtigere Rolle spielen als materielle Güter. Es zeigte sich zudem, dass die Leitfragen „Was ist genug?“ und „Was macht mich dauerhaft zufrieden?“ hilfreiche Wegweiser sein können, um sich den eigenen Bedürfnissen bewusster zu werden. Anschließend ging es um Methoden der Entrümpelung. Diskutiert wurde u. a. nach welchen Faktoren Menschen entscheiden, welche Dinge losgelassen werden und welche nicht. Außerdem wurde diskutiert, ob getroffene Entscheidungen beim Entrümpeln nachhaltig Einfluss auf das Konsumverhalten nehmen.

Einfach rausschmeißen? Auf keinen Fall!

Endlich hat man sich entschieden, von welchen Dingen man sich trennen möchte. Doch was soll nun mit Ihnen passieren? Wertvolle Hinweise auf diese Frage lieferte während der Aktionswoche stetig die Suffizienzpyramide. Denn Vieles ist zu gut für die Schrotthalde und häufig sind Einzelteile verbrauchter oder aussortierter Güter wertvolle Bauteile für anstehende Reparaturen.

Interessierte reflektierten daher gemeinsam die eigenen Konsum- und Verhaltensweisen und entwickelten Ansätze, um ihren Lebensstil suffizienter zu gestalten. Auf den untersten beiden Stufen der Suffizienzpyramide geht es bekanntlich darum, Besitztümer möglichst lange zu benutzen und sie ggf. einem alternativen Verwendungszweck zuzuführen. Das bedeutet vor allem: reparieren, umfunktionieren und so viel wie möglich selbst herstellen. Viele gute Ideen kamen zusammen und hauchten so dem einen oder anderen ausgemusterten Gegenstand ein zweites Leben ein. So wurden bspw. aus Bierdeckeln Ohrringe und alte Kalenderseiten zu Geschenkpapier.

Die beiden mittleren Stufen der Suffizienzpyramide beschäftigen sich mit dem Tauschen und Leihen von Dingen. Vom Leihlokal, über Kleidertausch-Apps bis hin zum Aushang im eigenen Innenhof – viele Ideen und best practices wurden gesammelt und diskutiert. Munter tauschten sich die Beteiligten dabei über bereits erlebte analoge und digitale Formate wie Flohmärkte oder Leihbörsen in Ihrer Region aus. Es war beeindruckend, zu sehen, wie viele Initiativen es verteilt in ganz Deutschland gibt.

Die letzten zwei Stufen der Pyramide thematisieren Second-Hand- und Neukäufe von Gütern. An dieser Stelle drehte sich die Diskussion während der Aktionswoche sehr stark um den (Weiter-)Verkauf gebrauchter Dinge. So wurde deutlich, dass gerade Möbel auch bei jahrelanger Nutzung häufig nahezu keinem Verschleiß unterliegen und ohne Weiteres eine Zweit- oder Drittnutzung erfahren können. Zugleich wurden vor dem Hintergrund eigener, teilweise negativer Erfahrungen jedoch auch Bedenken gegenüber Tausch- und Leihplattformen geäußert. Es sollte daher noch wirksamere Mechanismen geben, um Betrug und kriminellen Energien sowohl auf Käufer- als auch Verkäuferseite wirksam begegnen zu können, bspw. indem Transparenz und wirksame Garantien geschaffen werden.

Suffizienzpyramide

Zum Abschluss der Aktionswoche wurde das innere Zuhause thematisiert. Denn allzu oft erschlagen uns Reizüberflutungen aus unterschiedlichsten Quellen: Smartphones sind omnipräsent, viele Freizeitangebote konkurrieren um Aufmerksamkeit und kaum einer kommt noch an Serienstreaming, YouTube und Social Media vorbei. Die Folge ist ungewollter Stress im Privaten anstatt Zufriedenheit, Entschleunigung und Ruhe. Manchmal hilft es an dieser Stelle, die eigene „geistige Haustüre“ auch mal bewusst zu schließen, um sich der wirklich wichtigen Dinge bewusst zu werden. Die Beteiligten diskutierten dazu passende Strategien wie beispielsweise das Hören von Musik oder das Führen eines Tagebuchs.

Befreit in den Frühling – was nehmen wir mit?

Die Aktionswoche der Deutschen Umweltstiftung war ein großer Erfolg, denn sie hat der Community einen Raum geboten, sich rege und tiefgreifend auszutauschen. Es entstand digital eine freundschaftliche Atmosphäre des gemeinsamen Lernens. Der partizipative Charakter der Aktionswoche fand Anklang bei allen Beteiligten. Die Interaktion auf Miro ermöglichte es den Teilnehmenden, ihre Ideen visuell zu organisieren, sie mit anderen zu teilen und sie gemeinsam weiterzuentwickeln. Die Plattform ermöglichte es, auf die Ideen und Gedanken anderer zu reagieren, Kommentare zu hinterlassen und gemeinsam an der Entwicklung von Inhalten zu arbeiten. Diese Form der digitalen Zusammenarbeit förderte eine offene und kreative Atmosphäre, in der die Teilnehmenden in der Lage waren, aktiv mitzugestalten. Schauen Sie sich gerne die Ergebnisse der Diskussion hier noch einmal detailliert an.

Abschließend möchten wir allen Beteiligten für ihre Beiträge und die Bereitschaft danken, gemeinsam mit uns #BefreitindenFrühling zu starten.

Suffizienz in Unternehmen – ein Interview mit André Jäger

Effizienz, Konsistenz und Suffizienz sind drei Strategien für mehr Nachhaltigkeit. Während die ersten beiden in der Wirtschaft zunehmend mehr Aufmerksamkeit erfahren, fristet Suffizienz oft ein stiefmütterliches Dasein. Dass dies nicht so sein muss, zeigt der Ingenieur und systemische Berater André Jäger in seinem kürzlich erschienenen Buch „Suffizienz als Leitstrategie von Unternehmen. Potenziale, Chancen und Risiken am Beispiel der Gemeinwohl-Ökonomie“.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Herr Jäger, in Ihrem kürzlich erschienen Buch erörtern Sie Suffizienz als Leitstrategie von Unternehmen. Worin liegt die Quintessenz Ihrer Arbeit?

A. Jäger: Suffizienz wird im Nachhaltigkeitsdiskurs als komplementäre und gleichrangige Strategie zu Effizienz und Konsistenz gesehen und stellt die Frage nach einem verantwortlichen Lebensstil. Dieser wird zumeist Privathaushalten und Individuen als verantwortliche Gesellschaftsmitglieder in Verbindung mit ihrem Konsumverhalten zugeschrieben.

Die Arbeit untersucht Suffizienz als praktisches Instrumentarium für privatwirtschaftliche Organisationen und gibt Impulse für die Erschließung suffizienten Handlungsrepertoires von Unternehmen. Damit steht die Anschlussfähigkeit von Suffizienz in einem vom Wachstumsparadigma und Rentabilitätslogik bestimmten Marktmechanismus auf dem Prüfstand. Als Quintessenz liefert die Untersuchung in der Praxis fundierte Beispiele, dass suffiziente Strategien in Unternehmen der freien Marktwirtschaft möglich sind. Voraussetzung ist das Vorhandensein von Motivation in den Unternehmen, suffiziente Praktiken auch dann umzusetzen, wenn sie zunächst der Marktlogik als Widerspruch erscheinen.
Umgesetzte Suffizienzstrategien bringen – bezogen auf die unterschiedlichen Strategien und Unternehmen – individuelle Chancen und Risiken mit sich, auf die entsprechend reagiert und mit denen ein individueller Umgang gefunden werden muss. Die ökonomische Nachhaltigkeit muss vorhanden sein (Finanzierung); in den meisten Fällen bedeutet Suffizienz einen Mehraufwand. Im Idealfall entstehen wiederum Potenziale, und deren Umsetzung bewirkt weitere Inspirationen auch für andere Unternehmen (transformatorische Wirkung).

DUS: Herr Jäger, in Ihrem kürzlich erschienen Buch erörtern Sie Suffizienz als Leitstrategie von Unternehmen. Sie konzentrieren sich methodisch auf Unternehmen, die dem Bereich der Gemeinwohl-Ökonomie zugeordnet werden. Woran liegt das?

A. Jäger: Für eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung sind Unternehmen ausgewählt worden, die bereits in signifikanter Weise Suffizienzstrategien umgesetzt haben und diese auch praktizieren. Unternehmen der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) weisen in der GWÖ-Bilanz explizit Suffizienz als ein Abfragekriterium auf. Das bedeutet nicht automatisch, dass Suffizienzstrategien in GWÖ-Unternehmen auch vorhanden sind. Aufgrund einer erweiterten Haltung zu sozial-ökologischen Fragestellungen in GWÖ-bilanzierten Unternehmen sind günstigere Voraussetzungen geschaffen, um auf Suffizienzstrategien zu treffen. Um verwertbare Ergebnisse zu generieren, sind solche Unternehmen ausgewählt worden, die im GWÖ-Bericht mindestens vier Suffizienzstrategien ausdrücklich thematisieren oder bei denen mindestens eine Strategie vorhanden ist, die den Wertschöpfungsprozess des Unternehmens in bedeutender Weise prägt.
Zwei der interviewten Unternehmen sind GWÖ-nahestehend, wofür eine umfassende Behandlung der Stakeholder mit Werten der GWÖ-Matrix nötig war.
Die befragten Unternehmen und Ansprechpartner*innen sind im Klartext benannt, d. h. nicht anonymisiert. Das ermöglicht eine bessere Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse, und die Interviewpartner*innen können persönlich kontaktiert werden.
Alle befragten Unternehmen sind im produzierenden Gewerbe tätig und stehen nicht im Wettbewerb zueinander.
Ein weiterer Grund für die Wahl von Unternehmen der Gemeinwohl-Ökonomie besteht in der zusätzlichen Befragung von Berater*innen der GWÖ aus der Metaperspektive (zuzüglich einer Expertin auf dem Gebiet der Suffizienz), die die Ergebnisse als Expert*innen weiter fundieren.

DUS: Die überwiegende Mehrheit aller Firmen folgt weiterhin dem Postulat einer streng marktwirtschaftlichen Rentabilitätslogik. Sie schließen in Ihrem Buch eine pauschale Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse auf diesen Bereich aus. Sehen Sie dennoch für einzelne Aussagen einen Transferspielraum?

A. Jäger: Die Forschungsergebnisse basieren auf Unternehmen des produzierenden Gewerbes der Gemeinwohl-Ökonomie und damit auf einer einheitlichen Datengrundlage. Dennoch handelt es sich bei den Suffizienzstrategien um stark unternehmensspezifisch individuell geprägte Lösungen. Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, inwieweit die Strategien auf andere Unternehmen (auch abseits der Gemeinwohl-Ökonomie) übertragbar sind. Bei identischer Suffizienzstrategie kann diese bei einem anderen Unternehmen jedoch zu einer anderen Chancen- und Risikobewertung führen und eine angepasste Umsetzung erfordern.  

Die Komplexität ist am besten an Beispielen veranschaulicht: Ein Suffizienzansatz auf Basis von Open-Source funktioniert z. B. bei einem Unternehmen im Lebensmittelbereich, das wie Cola vom Premium-Kollektiv die Rezeptur offenlegt. Sie nehmen damit eine mögliche Rezepturkopie nicht nur in Kauf, sondern fördern auch diese, wenn der Leitgedanke eines sozial-ökologisch-nachhaltigen Wirtschaftens in ähnlicher Weise angestrebt und umgesetzt wird.

Eine erhebliche Gefahr stellt jedoch die gleiche Open-Source-Strategie bei einer neu gegründeten Genossenschaft dar, weil etablierte Unternehmen diese Produktentwicklung in kopierter und adaptierter Form schneller auf den Markt bringen und damit eine Verdrängung des ursprünglichen genossenschaftlichen Produktes stattfindet. Es lohnt sich, über einen Strategie-Transfer nachzudenken und genauer zu analysieren, welche Chancen, Risiken und Potenziale damit einhergehen. Ein Beispiel für eine starke Strategie ist das Aussetzen von Verhandlungen in Lieferketten durch einen Runden Tisch, an dem alle Beteiligten ihre zu kompensierenden Aufwände mit dem Ziel offenlegen, ein für alle Beteiligten stimmiges Ergebnis zu erreichen. Folglich bedeutet das den Verzicht auf einen maximalen Gewinn zugunsten einer vertrauensvollen und freundschaftlichen Basis mit fairer Bezahlung für alle. Das ist zum Beispiel in der Berliner Großbäckerei Märkisches Landbrot Realität.
Eine Übertragung z. B. auf die Lieferkette eines DAX-Konzerns der Automobilindustrie mag gewagt erscheinen, doch als Gedankenexperiment ist es in dieser Hinsicht reizvoll und lohnenswert, um auszuloten, wo die Grenzen der Machbarkeit liegen. Ein Transfer auf andere mittelständische Unternehmen mit übersichtlichen Lieferketten erscheint andererseits vielversprechender.

DUS: In der Theorie stellen Effizienz, Konsistenz und Suffizienz gleichrangige Strategien dar. In der Praxis lesen wir von Green Growth und immerwährender Prosperität in einer Circular Economy. Ist da überhaupt Platz für Suffizienz?

A. Jäger: Green Growth oder die Green Economy zielen auf eine Entkopplung des materiellen Wohlstandes vom Ressourcenverbrauch hin.

Diese Funktionsweise wird in der Fachliteratur kontrovers diskutiert und teilweise verneint. Einer der Gründe für die Ablehnung ist die häufig eintretende Überkompensation von Effizienz- und Konsistenzgewinnen: Eingesparte Ressourcen werden durch Mehrverbrauch oder Verschiebungen in andere Bereiche überkompensiert, auch bekannt als Rebound- Effekt.
Bei Suffizienz geht es darum, den unmittelbaren und einseitigen Zusammenhang zwischen materiellem Wohlstand und Lebensqualität zu entkoppeln. Und hier liegt der entscheidende Punkt: Zielführend ist weniger ein enges Suffizienzverständnis von Verbot und Verzicht, sondern ein Hin zu etwas Neuem mit einem erweiterten Verständnis eines unternehmerischen und gesellschaftlichen Wirtschaftens. 

Die Untersuchung bezieht sich auf Beiträge von Wirtschaftsunternehmen zur Suffizienz als eine der Nachhaltigkeitsstrategien. Hier geht es um ein anderes unternehmerisches Handeln, was zunächst der marktwirtschaftlichen Rentabilitätslogik widerspricht und doch mit entsprechenden Chancen und Risiken auch im Sinne einer ökonomischen Nachhaltigkeit funktioniert. Eine andere Prozessgestaltung und Haltung, beispielsweise ein Runder Tisch mit Konsensabsprache statt Verhandlung, führt in erster Linie zu einem Verzicht auf maximalen Gewinn. Die Folge ist eine stabile Zusammenarbeit aller Stakeholder auf einer vertrauensvollen Basis mit einem anderen Klima der Wertschätzung. Hier ließe sich in klassischer Weise Suffizienz wiederum mit Rentabilitätslogiken begründen (Reduktion auf ökonomische Nachhaltigkeit durch stabile Prozesse und Lieferketten). Entscheidend ist, dass es um die Qualität eines guten Lebens für alle geht, also eine Haltungsfrage, die ein Buen Vivir nicht nur fördert, sondern der eine Motivation für Veränderungen zugrunde liegt. Hier ist das „Gute Leben“ Motivation und Ziel statt eine Begründungslogik für ein weiter wie bisher.

Meiner Einschätzung nach ermöglicht Suffizienz im unternehmerischen Kontext weitreichende Möglichkeiten der Gestaltung eines gelingenden Miteinanders sowie einer anderen Art des Arbeitens und Wirtschaftens mit neuen Möglichkeiten zur Lösung sozial-ökologischer Fragestellungen.

Selbst wenn Green Growth und eine immerwährende Prosperität in einer Circular Economy möglich sein sollten und damit die planetaren Grenzen eingehalten würden, wäre hiermit lediglich die reine Ressourcenwirtschaft auf unserem Planeten abgedeckt. Das wäre ein Aufrechterhalten des Status quo, ein Weitermachen wie bisher. Mit den oben geschilderten darüber hinausgehenden Fragestellungen ist Suffizienz nicht zu ersetzen, sondern immer komplementär.

DUS: Zum Abschluss noch eine private Frage: Wie stark und in welchen Bereichen prägt der Suffizienzgedanke Ihren Alltag?

A. Jäger: Ich persönlich nutze materielle Gegenstände eher längerfristig und hatte seit meiner Kindheit weniger das Verlangen, stets das Neuste besitzen zu wollen. Dafür nutze ich vielmehr ausgesuchte und auch höherwertige Gegenstände.

Vor ein paar Jahren bin ich privat auf Linux als Betriebssystem umgestiegen, welches ich als Teil von Open Source lieber unterstütze als die verbreiteten gängigen Betriebssysteme. Inwieweit das als Suffizienz bezeichnet werden kann, ist noch zu diskutieren. Open-Source-Entwicklung im Softwarebereich beruht in Teilen auf Spenden und birgt noch viel Potenzial.

Bei meiner Kleidung achte ich auf Siegel oder besorge diese möglichst im nachhaltigen Handel mit einer längerfristigen Nutzung. An Grenzen komme ich beim Reisen. Innerhalb der Nachbarländer fahre ich mittlerweile grundsätzlich mit dem Zug. Eine Herausforderung stellt sich, weiter entfernte Orte zu erreichen.

Prägend war für mich ein dreijähriges Arbeiten und Leben in einem Benediktinerkloster. Aus dem Blickwinkel eines bewussteren Umgangs mit Ressourcen würde ich die Zeit im Rückblick auch als suffizienzprägend bezeichnen, auch wenn das Wort in diesem Kontext nicht genutzt wurde.

Für mich persönlich ist Entschleunigung wichtig; oft steht diese allerdings im Gegensatz zu den Anforderungen des Alltags. Doch sind es Inseln, die sich in meinem Leben immer wieder verwirklichen. Diese bestärken mich darin, dass Suffizienz als Komplementäransatz ein lohnenswerter Weg ist. 

ÜBER DEN INTERVIEWPARTNER

André Jäger arbeitete als Maschinenbau-Ingenieur mehrere Jahre für eine Softwareberatung in Japan und anschließend als systemischer Berater in der Begleitung von Menschen und Teams. Drei Jahre Leben und Arbeiten in einem Benediktinerkloster gaben ihm den Impuls, im anschließenden MBA-Studiengang das Thema Suffizienz im Unternehmenskontext näher zu erforschen. Derzeit arbeitet er als Personalleiter in einem mittelständischen Unternehmen.

André Jäger

Mobilität teilen – Ressourcen sparen

Trotz aller Bemühungen stellt uns der Verkehrssektor weiterhin vor ökologische Herausforderungen. Befürworter*innen der E-Mobilität versprechen sich nun von der Elektrifizierung des Verkehrs die Problemlösung. Doch ist ein „weiter so“ die Lösung oder braucht es ein grundsätzliches Umdenken? Eines, das nicht nur die rurale Mobilität stärkt, sondern zugleich den sozialen Zusammenhalt fördert. Wie dies gelingen kann, zeigt ein Projekt der Deutschen Umweltstiftung in Partnerschaft mit der Universität Kassel. Über eine digitale Mobilitätstafel können Bürger*innen Fahrgemeinschaften bilden und Hilfsangebote organisieren.

Projektleiter Michael Golze der Deutschen Umweltstiftung bei der Eröffnung der Mobilitätstafel in Kahl am Main.

In den vergangenen zehn Jahren wuchs die Anzahl zugelassener PKWs in Deutschland stetig. 2021 besaßen von 1000 Einwohner*innen im Schnitt 580 ein Auto, 2011 hatte die Pkw-Dichte bundesweit noch bei 517 gelegen. 

Trotz der öffentlichen Debatte über die Verkehrswende wird die Anzahl der PKWs auch zukünftig steigen. Sicherlich: Mit dem absehbaren Ende des Verbrennungsmotors werden diese zukünftig mit anderen Energiequellen – insb. elektrisch – betrieben werden (müssen). In der ersten Jahreshälfte 2022 betrug der Anteil von Autos mit ausschließlichem Elektroantrieb bei den Zulassungen bereits 13,6 Prozent oder in absoluten Zahlen ausgedrückt: 356.000 [7, 8]. 

Um das Ziel der Dekarbonisierung des Verkehrs zu erreichen, wird aus Sicht der Politik diese Zahl schnell ansteigen müssen. Immerhin sollen bis 2030 16 Millionen Verbrenner durch Elektroautos ersetzt werden [10]. 

Sind Elektroautos wirklich die Lösung?

Aber lösen Elektroautos wirklich die derzeitigen Probleme der Infrastruktur und die ökologischen Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht? Durch eine Substitution von Verbrennern mit Elektroautos wird es weder weniger Staus in der Rush Hour geben, noch wird der Platzmangel in den Städten und Gemeinden verringert, denn auch Elektroautos benötigen Parkplätze. Einen Betrag zur Verminderung der Nutzungskonkurrenz verschiedener Verkehrsteilnehmer*innen leisten sie nicht. Vielmehr droht auch weiterhin eine Überlastung der Straßen.

Außerdem, wenn bis 2030 16 Mio. E-Autos auf deutschen Straßen rollen sollen, bedeutet es auch, dass diese produziert werden müssen. Die Herstellung elektrobetriebener Pkws verbraucht große Mengen an Ressourcen. Diverse seltene Erden werden u. a. für den Bau der Akkus gebraucht. Ihr Abbau findet zumeist unter menschenrechtlich kritischen Bedingungen statt und stellt eine ökologische Belastung dar [1, 2].

Out of the box gedacht

Dieser kurze Exkurs zeigt, dass unsere Probleme im Verkehrsbereich mitnichten nur durch einen Wechsel von Benzin zu Strom gelöst werden. Erfolgversprechender scheint es, individuell und gemeinsam als Gesellschaft umzudenken und neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen. Diese sollten nicht nur die Mobilität der Menschen sicherstellen, sondern auch vereinbar mit den ökologischen Grenzen unseres Planeten sein. Die Idee der Suffizienz, also die kritische Auseinandersetzung mit der Frage, welche Güter und Lebensweisen ein erfülltes und sinnstiftendes Leben ermöglichen, bietet an dieser Stelle wertvolle Anregungen.  

Sie lädt uns nicht nur dazu ein, die Notwendigkeit etablierter Verhaltensweisen oder den Mehrwert vermeintlich essenzieller Dinge kritisch zu hinterfragen, sondern betont zugleich auch die bisweilen vergessenen Vorzüge von Alternativen. 

Suffizienz – nur eine Möglichkeit in der Stadt?

Dies gilt grundsätzlich sowohl in den Städten als auch auf dem Land. Allerdings besteht ein wichtiger Unterschied: In vielen urbanen Räumen gibt es bereits heute eine Reihe alternativer Angebote, um die eigene Mobilität nachhaltiger und suffizienter zu gestalten. Aufgrund der vielfach kurzen Wege spielen Fahrräder dabei eine zentrale Rolle. Der Wechsel vom PKW auf das Bike schont nicht nur Ressourcen, sondern fördert die Gesundheit und – zugegebenermaßen an sonnigen und warmen Tagen stärker – das persönliche Wohlbefinden. Gemeinsam von der Hausgemeinschaft angeschaffte Sharing-Räder entrümpeln überfüllte Keller und gemeinsame Reparaturwochenenden fördern den sozialen Zusammenhalt. Größere Distanzen lassen sich problemlos mit Bus und Bahn in regelmäßiger Taktung erreichen und falls es doch mal ein Auto sein muss, stehen diverse Sharing-Anbieter schon bereit. 

Vergleichbares ist aufgrund der weiteren Distanzen auf dem Land trotz der rasanten Zunahme von E-Bikes nach wie vor schwierig umsetzbar. Zudem ist mit dem ÖPNV auch die zweite Alternative zum eigenen PKW in vielen ruralen Gebieten keine brauchbare Alternative (mehr), da sie schlicht unzureichend verfügbar ist. Häufig verbleibt das Auto somit als letzte Option [4, 5, 6]. 

Fahrgemeinschaften zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts

Wie man aus dieser vermeintlichen Not eine Tugend macht, zeigt eindrucksvoll die gemeinsam von der Deutschen Umweltstiftung und der Universität Kassel entwickelte Mobilitätstafel.

Sie wird aktuell in den drei bayrischen Gemeinden Schöllkrippen, Mömbris, Kahl am Main sowie dem sächsischen Netzschkau erprobt und erlaubt es Bürger*innen kostenlos Mitfahrangebote einzustellen und/oder wahrzunehmen. Dank der privaten Initiative der Bürger*innen entsteht auf diese Weise nicht nur eine bessere Anbindung an den ÖPNV in größeren Ortschaften und ein dichteres Mobilitätsnetz. Es werden außerdem doppelte, ressourcenintensive Wege und unnötige Alleinfahrten eingespart. Dies ist im Einklang mit der Forschung, die gerade in ländlich geprägten Räumen in der Bündelung von Autofahrten einen wirksamen Hebel zur Senkung von umwelt- und klimaschädlichen Emissionen sieht [4,9]. 

Weitere Funktionen auf der Mobilitätstafel unterstützen diese Stärkung des sozialen Zusammenhalts: So können Kulturschaffende auf aktuelle Veranstaltungen hinweisen und Fahrgemeinschaften organisiert werden, Mitbringangebote und -gesuche inseriert werden und Bürger*innen kostenlose Hilfsangebote auf der Plattform einstellen. 

Autos und Kompetenzen auf freiwilliger Basis teilen und einander helfen – auf diese Weise fördert die Mobitafel die Lebensqualität im ländlichen Raum. Sind Sie nun neugierig geworden, wie sie im Detail funktioniert? Dann schauen Sie sich doch einfach einmal an: Zur Mobitafel.

Quellen

[1] BGR (2021): Seltene Erden. Informationen zur Nachhaltigkeit. In: https://www.bgr.bund.de/DE/Gemeinsames/Produkte/Downloads/Informationen_Nachhaltigkeit/seltene_erden.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt aufgerufen am 09.12.2022). 

[2] BMUV (2020): Ressourcenbilanz: Welchen Rohstoffbedarf haben Elektroautos?. In: https://www.bmuv.de/themen/luft-laerm-mobilitaet/verkehr/elektromobilitaet/ressourcenbilanz (zuletzt aufgerufen am 09.12.2022).

[3] Europäisches Parlament (2019): CO₂-Emissionen von Pkw: Zahlen und Fakten (Infografik), in: https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20190313STO31218/co2-emissionen-von-pkw-zahlen-und-fakten-infografik (zuletzt aufgerufen am 07.12.2022).

[4] Kühl, Jana (2020): Gemeinsam fahren als Beitrag zur Mobilitätswende in ländlichen Räumen? Empirische Hinweise auf Potenziale und Grenzen, in: Tagungsband MobilEr 2020, Melanie Herget (Hrsg.), Braunschweig. 

[5] Schering, Johannes/Sandau, Alexander/Jahns, Martina/Samland, Ute/Theesen, Cedrik 2020: Mitfahren als Schlüssel zur Lösung von Mobilitätsproblemen im ländlichen Raum, in: Tagungsband MobilEr 2020, Melanie Herget (Hrsg.), Braunschweig. 

[6] Schröder, Annika (2021): Fahrradstraßen 2.0: Mehr Raum und Aufmerksamkeit für den Radverkehr in Münster. In: Deutscher Verband für Angewandte Geographie (DVAG), 2021, 45, 77-82.

[7] Statistisches Bundesamt (2022a): Presse. Pkw-Dichte im Jahr 2021 auf Rekordhoch, in: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N058_51.html (zuletzt aufgerufen am 07.12.2022).

[8] Statistisches Bundesamt (2022b): Presse. Produktion von Elektroautos 2021 um 86 % gegenüber Vorjahr gestiegen, in: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/05/PD22_N030_51.html (zuletzt aufgerufen am 09.12.2022).

[9] Umweltbundesamt (2019): Fahrgemeinschaften verringern die Kosten und den CO2-Ausstoß, in: https://www.umweltbundesamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/mobilitaet/fahrgemeinschaften#gewusst-wie (zuletzt aufgerufen, am 07.12.2022). 

[10] Umweltbundesamt (2022): Klimaschutz im Verkehr, in: https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/klimaschutz-im-verkehr#pkw (zuletzt aufgerufen, am 09.12.2022).

Konsum und Glück – Interview mit Prof. Dr. Ingo Hamm

Was macht uns glücklich? Diese Frage beschäftigt Menschen seit Ewigkeiten. Hinweise auf die Antwort gibt Prof. Dr. Ingo Hamm von der Hochschule Darmstadt im Interview. Der Wirtschaftspsychologe unterscheidet dazu unterschiedliche Motive, die beim Konsum wirken und spricht über die magische Wirkung des Prozentzeichens.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Hamm, dass Sie heute für ein Interview zur Verfügung stehen. Sie haben sich mit einer Studiengruppe der Hochschule Darmstadt den Zusammenhang von Glück und Konsum erforscht. Was können wir von ihrer Forschung lernen?

Prof. Dr. Hamm: Ich muss vorwegschicken, dass es ein echt großes Thema ist. Was wir aber in diesen konkreten Projekten und darüber hinaus an interessanten Zusammenhängen aufdecken konnten, ist nicht wirklich überraschend. Aber es ist eine Bestätigung für das, was viele Menschen denken. Und zwar, dass Soziales im Leben einen deutlich positiveren Einfluss wie das Materielle hat, zumindest bei vielen Menschen. Es ist kein universelles Gesetz – es gilt aber für viele Menschen in unserer Gesellschaft, vielleicht auch in Deutschland. Ich habe wenige Erkenntnisse, die über unseren deutschen Sprachraum hinausgehen. Die Studie von 2019 ergab, dass Menschen sich unheimlich gerne mit anderen Menschen treffen, diese unkomplizierten Momente mit anderen Menschen unter anderem in der Familie schätzen und dass sie diese tatsächlich als Glück begreifen. Vielleicht nicht unbedingt in dem Moment als ein euphorisches Glück, aber gerade auch in Rückblick und in der Lebensplanung als etwas, was am meisten glücklich sein verspricht, und das finde ich ganz interessant.

DUS: In der öffentlichen Wahrnehmung wird doch häufig Glück assoziiert mit Häusern, neuen Autos oder Reisen. Wie kommt es zu dieser Wahrnehmung und gibt es letztendlich die Formel für ein glückliches Leben?

Also DIE FORMEL gibt es nicht. Ich fange noch einmal mit den teilweisen materiellen Aspekten von Glück an. Wir haben Möglichkeiten des Konsums, die uns zumindest häufig Glück versprechen. Es gibt da sehr viele Arten von Motiven, die beim Konsum wirken. Man kann unterscheiden zwischen den positiven Wirkungen von Kaufen – im aller weitesten Sinne das Kaufen von Dingen, von Dienstleistungen und von Erlebnissen. Es handelt sich dabei nicht nur um Luxusprodukte. Was hier eher glücklich macht, ist der Umstand, dass es zur Selbsterweiterung beiträgt. Also, dass ich mehr aus mir und meinen Fähigkeiten machen kann.

Produkte, die meine Individualität unterstreichen, mit denen ich meine Einzigartigkeit beispielsweise durch Mode zum Ausdruck bringen kann oder auch der Konsum und das Kaufen als moralischer Ausdruck. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht nur ein beliebiges Produkt kaufe, sondern mit diesem Produkt etwas Gutes tue, oder etwas Schlechtes vermeide. Damit fördere ich eine Denke in der Gesellschaft oder überhaupt ein gesellschaftliches oder wirtschaftliches Leben, das meinen moralischen Überzeugungen folgt. Im Konsumkontext sind dies positiv wahrgenommene Käufe, die ich tätigen kann. (Ich fördere eine Denke in der Gesellschaft oder überhaupt ein gesellschaftliches oder wirtschaftliches Leben was meinen moralischen Überzeugungen folgt.. Wie gesagt nicht nur von Produkten, auch Dienstleistungen und Erlebnisse fallen darunter. Was häufig nicht nachhaltig glücklich macht, sondern nach kurzer Zeit wieder verschwindet an Glücksgefühl, ist das, was wir so üblicherweise kaufen um uns im sozialen Vergleich mit anderen zu messen) Um uns auf einer Art von Statusleiter nach oben zu bewegen und anderen – unter anderem durch den Kauf von teureren Produkten – zu demonstrieren, ich kann mir das leisten, ich kann mir vielleicht auch mehr leisten als andere Menschen. Alle Menschen tun dies. Niemand ist grundsätzlich dagegen gefeit.

Viele Menschen erleben oder erleben eben nicht diese sehr kurzfristig wirkenden Facetten des Konsums, die vielleicht schon im eigentlichen Augenblick oder nur für Minuten oder Stunden wirken. Nach Tagen, nach Monaten fördert dieses Verhalten aber auch dieses noch mehr, noch weiter, noch höher. Das ist letztlich psychologisch nicht förderlich oder gesund.

DUS: Und die Formel für ein glückliches Leben?

Ich würde gerne auf einen anderen Aspekt eingehen, den ich durch meine jüngere Forschung im Arbeitskontext „New Work“ gefunden habe. Und dazu passt dann zufällig diese Frage, die Sie stellen. Ich habe festgestellt, dass heutzutage in der Arbeitswelt häufig von Menschen die Frage nach dem Sinn gestellt wird. Was soll das alles? Macht mich mein Job glücklich oder nicht? Da wird eigentlich dieselbe Frage gestellt, vielleicht noch viel fundamentaler als beim Kaufen oder beim Einkaufen. 

Verkürzt dargestellt habe ich herausgefunden, dass vor allem die Selbstwirksamkeit ein wichtiger Faktor ist. Also, wenn ich in einer Arbeit oder durch meine Arbeit, aber auch beim privaten Engagement (Ehrenamt, Hobbys etc.) die Möglichkeit habe, Kompetenzen und Neigungen zu zeigen, zu verwirklichen, und ich dazu auch ein gewisses positives Feedback bekomme, dann ist das ungemein befriedigend. Viele Leute sagen sogar, das macht glücklich. Es macht vielmehr glücklich, als wenn ich mir bestimmte Dinge oder Dienstleistungen kaufe. Ich glaube, das ist der Punkt, wo wir Selbstverwirklichung erfahren können, wenn wir diesen gewissen Fokus auf die Arbeit, Alternativen zur Arbeit im Privatleben oder im Engagement setzten und mit diesem Fokus überlegen, wo wir denn Kompetenzen verwirklichen könnten oder ausleben könnten.

Ganz nebenbei, es zählt auch das Helfen dazu. Anderen Menschen ganz selbstlos mit guten Taten zu helfen, ist eine ungemein und universell wirksame SelbstwirksamkeitserfahrungWir haben dies bei großen Katastrophen, wie z.B. letztes Jahr im Ahrtal festgestellt. Ich war fast überrascht, dass so viele Menschen selbstlos geholfen haben, hingefahren sind, angepackt haben und alle waren unheimlich glücklich und zufrieden dadurch, dass sie einfach nur helfen konnten. Ich glaube, die Selbstwirksamkeitserfahrung des Helfens zählt wahrscheinlich viel mehr als jede Art von käuflichem Konsum.

DUS: Am 25. November ist Black Friday. Wie würden Sie es psychologisch erklären, dass Menschen von diesem Event so angezogen werden?

Ja, das ist vielleicht nicht einmal wahnsinnig psychologisch, sondern teilweise auch ein ökonomisches Verhalten. Und das zählt heute mehr denn je, dass Menschen sparen wollen. Und wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, die schon vorab bekannt ist, und weitestgehend kommuniziert ist, sodass man bestimmte Dinge stark rabattiert bekommt, kann fast niemand dazu nein sagen. Derartige Vorteile – ja mit dieser fast magischen Wirkung eines Prozentzeichens – ergreift man im Alltag fast immer. Das hat eine wahnsinnige symbolische Bedeutung bekommen. Man realisiert kaum noch, was eigentlich die wahren Wertigkeiten sind, oder welche Vergleichspreise es gibt, die ich anderswo auch so bekäme. Sondern da wirkt ja das Prozentzeichen an sich fast schon überzeugend. Das ist dann die Dimension, dass man hier ein Schnäppchen machen will.

DUS: Wir von der Deutschen Umweltstiftung betonen in unserer Arbeit immer wieder den Suffizienzgedanken. „Suffizienz“ steht für ein „Weniger“. Es zielt auf den bewussten Umgang unserer begrenzten natürlichen Ressourcen ab – auf das, was wirklich notwendig ist – ohne auf das gute Leben zu verzichten. Wie sehen sie die Strategie, vielleicht auch in Verbindung mit dem Konsum?

Aus Sicht der Wirtschaftspsychologie kann ich das in einem kurzen Satz zusammenfassen. Es geht nicht um weniger, sondern um weniger mehr.

Das ist das, was in der Psychologie eigentlich eine Rolle spielt. Wir Menschen haben nämlich eine Art Verlustaversion. Alle Menschen – davor kann sich niemand ernsthaft schützen – haben diese fast schon Angst davor oder diese Reflexe etwas abzugeben, von dem, was sie haben. Und Programme zu fahren, um den Konsum zu reduzieren, die sind vielleicht gut gemeint, aber ich glaube, jeder kann sicherlich von sich sagen: in gewissen Punkten des Lebens oder des Alltags habe ich in den eigenen vier Wänden das oder jenes Mal weggeschmissen oder auf ein bisschen verzichtet. Auf Dauer und im großen Stil fällt uns das als Menschen unheimlich schwer. Das ist einfach Psychologie.

Aber zu sagen, ich versuche nicht noch etwas darauf zu packen, diesen Wachstumsgedanken in den Griff bekommen und zu verstehen, dass diese Formen von Wachstum immer mit bestimmten Investitionen psychologischer Art, aber auch von Ressourcenseite her verbunden sind, das muss mal erstmal verinnerlichen. Dann fällt es aber auch leicht zu sagen: Ok, ich kann einen hohen Lebensstandard behalten und ich kann bestimmte Dinge weiter machen. Ich muss sie nicht abgeben und ich muss mein Leben nicht komplett umkrempeln, sondern ich vermeide einfach ein „immer mehr“ und „immer weiter“ und somit auch in mancher Hinsicht nicht nur diesen stetigen oder wachsenden Konsum, sondern vielleicht auch den Wettbewerb. Einen Leistungsgedanken, den ich vielleicht ein bisschen reduziere, der aus einer Mühe heraus kommt, die viele an sich in der Arbeit auch nur noch ungern mitmachen. Das ist so der Kerngedanke von dem, was Sie Suffizienz nennen.

DUS: Zum Abschluss noch eine etwas süffisante Frage. Werden Sie auch bei dem einen oder anderen Angebot am Back Friday zuschlagen?

Nein, eigentlich nicht, ich hätte aber nichts dagegen, wenn ich für die ein oder anderen Weihnachtseinkäufe, die ich schon fest geplant habe, also ich weiß genau wen ich was schenke, wenn ich da das ein oder andere auch günstiger erwerben könnte, dann würde ich auch zuschlagen.

ÜBER DEN INTERVIEWPARTNER

Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie, war McKinsey-Berater, arbeitete in einem internationalen Konzern und folgte schließlich seinem forscherischen Freiheitsdrang. Er hat seitdem zahlreiche Bücher publiziert und unterstützt Menschen und Organisationen beim Wandel der Arbeitswelt.

Ingo Hamm (by Julian Beekmann Fotografie)

KI und Suffizienz – Wie passt das zusammen?

KI-Systeme bestimmen unseren Alltag. Sie personalisieren Musik-, Film- oder Kaufempfehlungen, generieren automatische Untertitel und optimieren Übersetzungen [1]. Insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnologie, der Fahrzeugbau sowie unternehmerische Dienstleistungen machen bereits seit langem einen Großteil der KI-Anwendungen aus und wachsen rasant [2]. Aber was bedeutet KI überhaupt?

Definition: „Künstliche Intelligenz“
KI bezeichnet scheinbar intelligentes Verhalten von digitalen Anwendungen.
„KI wird im engeren Sinne wird definiert als ‚Lernende Systeme‘, die auf Methoden des maschinellen Lernens basieren. Warum „lernend“? Anders als in der klassischen Programmierung gibt ein Algorithmus hier nicht jeden Schritt der Lösung vor. Stattdessen „lernt“ das KI-System den Weg zur Lösung ähnlich wie ein Mensch auf Basis von Beobachtungen – den Daten – in vielen aufeinander aufbauenden „Trainingsläufen“. Dies geschieht, indem maschinelle Lernverfahren komplexe Muster oder Abweichungen in Datensätzen erkennen und auf ihrer Basis Vorhersagen treffen.“[3]
Abgrenzung: „Bei künstlichen Intelligenzen wird zwischen schwacher und starker KI unterscheiden. Während sich die schwache KI in der Regel mit konkreten Anwendungsproblemen beschäftigt, geht es bei der starken KI darum, eine allgemeine Intelligenz zu schaffen, die der des Menschen gleicht oder diese übertrifft. Oft wird davon gesprochen, dass schwache KI Intelligenz nur simuliert, während starke KI wirklich intelligent ist und dazulernt.“[4]

Beispiel: Reboundeffekte beim Streamen

KI-Systeme finden sich auch im Alltag wieder. Das Empfehlungssystem von Netflix analysiert tagtäglich unsere Sehgewohnheiten anhand der Tageszeiten, die verwendeten Geräte sowie die Nutzungsdauer [5]. Netflix nutzt KI, um Filme, uns Serien passgenau zu empfehlen. Der damit verbundene Mehrkonsum führt zu einer Erhöhung des Energieverbrauchs.

Der Studie „Shift Project“ (2019) zufolge, setzen sich bereits heute 80 Prozent des globalen Datenverkehrs aus Video-Daten zusammen. 34 Prozent (100 Millionen Tonnen CO2-Equivalent) entstehen durch „Video-on-Demand-Services“. Die dadurch entstandene CO2-Fußabdruck bezifferte der Konzern Netflix im Jahr 2020 auf rund 1,1 Millionen Tonnen – und dabei sind die Rechenzentren nicht einmal mit berücksichtigt [6].

Heutige Onlinedienste bieten die Möglichkeit, Filme und Videos an jedem Tag und zu jeder Stunde zu streamen. 29 Prozent der Deutschen nutzen den Streamingdienst mindestens wöchentlich und 13 Prozent sogar täglich (Stand 11.11.2021) [7]. Bis 2027 soll sich der Umsatz durch das deutschlandweite Streaming sogar nahezu verdoppeln [8]. Der Energieverbrauch ist immens. Zwar sparen wir – aufgrund des verminderten Verkaufs einer DVD – Ressourcen ein, dennoch leiten uns Streamingdienste dazu, mehr zu sehen als jemals zuvor. Dieser Effekt, dass Leute zwar auf den DVD-Kauf verzichten und damit eigentlich diesen Ressourceneinsatz minimieren, sie im Umkehrschluss aber mehr streamen, dämpft das Einsparpotential. Dieses Prinzip wird in der Wissenschaft und Politik als Reboundeffekt benannt.

Beispiel: Nachhaltiger Suchassistent

Künstliche Intelligenz kann aber auch genutzt werden, um unser nachhaltiges Konsumverhalten zu beeinflussen. Ein Beispiel ist der „Green Consumption Assistent“ der Technischen Universität Berlin. 2020 entwickelten Sie in Zusammenarbeit eine KI-basierte Produktdatenbank. Das System setzt auf maschinelles Lernen, indem grüne Produktalternativen genannt und Informationen über nachhaltigere Alternativen zum Neukauf dargelegt werden. Durch grüne Banner der Kategorien „nachhaltig“, „B-Ware“ oder „gebraucht“, können sich Konsument*innen über nachhaltigere Konsumalternativen, also Produkte mit geringeren sozialen und ökologischen Kosten informieren. Repair-, Verleih- und Sharing-Optionen werden auf der Seite des Projektpartners ECOSIA prioritär angezeigt. Die vereinfachte Darstellung („Nudging“) soll die Konsument*innen zum nachhaltigen Konsum „stupsen“ und dem ausbleibenden Nachhaltigkeitsanspruch im entscheidenden Moment entgegenwirken (die „Value-Action-Gap“ schließen). Das maschinelle Lernen der GreenDB soll außerdem Gefahren des Greenwashings eindämmen, indem die Relevanz und Validität entsprechender Nachhaltigkeitslabel überprüft werden [9]

Bis heute ist die grüne Datenbank auf ca. 220.000 Produkte  (Kleidung und Elektronik) aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien angewachsen (Stand: Mai 2022). Neben einer wöchentlichen Aktualisierung der Produktinformationen sollen zukünftig auch die Siegel, Nachhaltigkeitsinformationen sowie Produktbewertungen diversifiziert werden, indem z. B. ein dunkles Kohle-Symbol, als Klassifikation unternehmerischer Förderung fossiler Energie, vergeben wird [10].

Es zeigt sich, mit Künstlicher Intelligenz gehen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken einher. Wo der Mensch wirkt, werden Ressourcen verbraucht. KI-Systeme können auch gegen uns verwendet werden. Dabei geht es nicht um die vielfach prophezeite „Weltherrschaft“, sondern um die Möglichkeit der Manipulation unseres Konsumverhaltens in positiver aber auch negativer Richtung. Fakt ist: Der Einsatz Künstlicher Intelligenz benötigt Ressourcen. KI kann uns bei der Bearbeitung komplexer Sachverhalte unterstützen. Es nimmt uns aber nicht das selbstbestimmte, verantwortungsvolle Denken und Handeln ab.

Quellen

[1] Sustain Magazin (2022): sustain. Nachhaltige KI in der Praxis. Im Internet unter: https://algorithmwatch.org/de/sustain-magazin-2022 

[2] Boucher, Philip; European Parliamentary Research Service (Hg.) (2020): Artificial intelligence: How does it work, why does it matter, and what can we do about it? DOI: 10.2861/ 44572 

[3] BMU, Arbeitsgruppe „Umwelt- informationen, Daten, Künstliche Intelligenz“ (2021): Fünf-Punkte-Programm „Künstliche Intelligenz für Umwelt und Klima“. Im Internet unter: https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Digitalisierung/factsheet_ki_bf.pdf

[4] Uni Oldenburg (2008/2009): Schwache KI und Starke KI, in: http://www.informatik.uni-oldenburg.de/~iug08/ki/Grundlagen_Starke_KI_vs._Schwache_KI.html

[5] Netflix (o.J.): Wie funktioniert das Empfehlungssystem von Netflix?, in: https://help.netflix.com/de/node/100639

[6] Schmidt, Katharina (2021): Netflix, Youtube, Spotify: So klimaschädlich ist Streaming wirklich, in: Utopia (Hrsg.), https://utopia.de/ratgeber/streaming-dienste-klima-netflix-co2/

[7] Statista (2021): Nutzungshäufigkeit von Mediatheken und Streamingdiensten in Deutschland im Jahr 2022, in: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/627483/umfrage/nutzungshaefigkeit-von-videostream-anbietern-in-deutschland/

[8] Statista (o.J.): Video-Streaming (SVoD) – Deutschland, in: https://de.statista.com/outlook/dmo/digitale-medien/video-on-demand/video-streaming-svod/deutschland

[9] Staiger, Teresa (2022): Reparieren statt kaufen, alt statt neu: Wie eine Datenbank nachhaltigeren Konsum fördern will, in: reframe[Tech] (Hrsg.), https://www.reframetech.de/2022/07/25/reparieren-statt-kaufen-alt-statt-neu-wie-eine-datenbank-nachhaltigeren-konsum-foerdern-will/

[10] Green Konsumtion Assistant (2022): Produkt-Update III: Ecosia Shopping und Green Database sind verfügbar, in: https://green-consumption-assistant.de/update-iii/