Mobilität teilen – Ressourcen sparen

Trotz aller Bemühungen stellt uns der Verkehrssektor weiterhin vor ökologische Herausforderungen. Befürworter*innen der E-Mobilität versprechen sich nun von der Elektrifizierung des Verkehrs die Problemlösung. Doch ist ein „weiter so“ die Lösung oder braucht es ein grundsätzliches Umdenken? Eines, das nicht nur die rurale Mobilität stärkt, sondern zugleich den sozialen Zusammenhalt fördert. Wie dies gelingen kann, zeigt ein Projekt der Deutschen Umweltstiftung in Partnerschaft mit der Universität Kassel. Über eine digitale Mobilitätstafel können Bürger*innen Fahrgemeinschaften bilden und Hilfsangebote organisieren.

Projektleiter Michael Golze der Deutschen Umweltstiftung bei der Eröffnung der Mobilitätstafel in Kahl am Main.

In den vergangenen zehn Jahren wuchs die Anzahl zugelassener PKWs in Deutschland stetig. 2021 besaßen von 1000 Einwohner*innen im Schnitt 580 ein Auto, 2011 hatte die Pkw-Dichte bundesweit noch bei 517 gelegen. 

Trotz der öffentlichen Debatte über die Verkehrswende wird die Anzahl der PKWs auch zukünftig steigen. Sicherlich: Mit dem absehbaren Ende des Verbrennungsmotors werden diese zukünftig mit anderen Energiequellen – insb. elektrisch – betrieben werden (müssen). In der ersten Jahreshälfte 2022 betrug der Anteil von Autos mit ausschließlichem Elektroantrieb bei den Zulassungen bereits 13,6 Prozent oder in absoluten Zahlen ausgedrückt: 356.000 [7, 8]. 

Um das Ziel der Dekarbonisierung des Verkehrs zu erreichen, wird aus Sicht der Politik diese Zahl schnell ansteigen müssen. Immerhin sollen bis 2030 16 Millionen Verbrenner durch Elektroautos ersetzt werden [10]. 

Sind Elektroautos wirklich die Lösung?

Aber lösen Elektroautos wirklich die derzeitigen Probleme der Infrastruktur und die ökologischen Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht? Durch eine Substitution von Verbrennern mit Elektroautos wird es weder weniger Staus in der Rush Hour geben, noch wird der Platzmangel in den Städten und Gemeinden verringert, denn auch Elektroautos benötigen Parkplätze. Einen Betrag zur Verminderung der Nutzungskonkurrenz verschiedener Verkehrsteilnehmer*innen leisten sie nicht. Vielmehr droht auch weiterhin eine Überlastung der Straßen.

Außerdem, wenn bis 2030 16 Mio. E-Autos auf deutschen Straßen rollen sollen, bedeutet es auch, dass diese produziert werden müssen. Die Herstellung elektrobetriebener Pkws verbraucht große Mengen an Ressourcen. Diverse seltene Erden werden u. a. für den Bau der Akkus gebraucht. Ihr Abbau findet zumeist unter menschenrechtlich kritischen Bedingungen statt und stellt eine ökologische Belastung dar [1, 2].

Out of the box gedacht

Dieser kurze Exkurs zeigt, dass unsere Probleme im Verkehrsbereich mitnichten nur durch einen Wechsel von Benzin zu Strom gelöst werden. Erfolgversprechender scheint es, individuell und gemeinsam als Gesellschaft umzudenken und neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen. Diese sollten nicht nur die Mobilität der Menschen sicherstellen, sondern auch vereinbar mit den ökologischen Grenzen unseres Planeten sein. Die Idee der Suffizienz, also die kritische Auseinandersetzung mit der Frage, welche Güter und Lebensweisen ein erfülltes und sinnstiftendes Leben ermöglichen, bietet an dieser Stelle wertvolle Anregungen.  

Sie lädt uns nicht nur dazu ein, die Notwendigkeit etablierter Verhaltensweisen oder den Mehrwert vermeintlich essenzieller Dinge kritisch zu hinterfragen, sondern betont zugleich auch die bisweilen vergessenen Vorzüge von Alternativen. 

Suffizienz – nur eine Möglichkeit in der Stadt?

Dies gilt grundsätzlich sowohl in den Städten als auch auf dem Land. Allerdings besteht ein wichtiger Unterschied: In vielen urbanen Räumen gibt es bereits heute eine Reihe alternativer Angebote, um die eigene Mobilität nachhaltiger und suffizienter zu gestalten. Aufgrund der vielfach kurzen Wege spielen Fahrräder dabei eine zentrale Rolle. Der Wechsel vom PKW auf das Bike schont nicht nur Ressourcen, sondern fördert die Gesundheit und – zugegebenermaßen an sonnigen und warmen Tagen stärker – das persönliche Wohlbefinden. Gemeinsam von der Hausgemeinschaft angeschaffte Sharing-Räder entrümpeln überfüllte Keller und gemeinsame Reparaturwochenenden fördern den sozialen Zusammenhalt. Größere Distanzen lassen sich problemlos mit Bus und Bahn in regelmäßiger Taktung erreichen und falls es doch mal ein Auto sein muss, stehen diverse Sharing-Anbieter schon bereit. 

Vergleichbares ist aufgrund der weiteren Distanzen auf dem Land trotz der rasanten Zunahme von E-Bikes nach wie vor schwierig umsetzbar. Zudem ist mit dem ÖPNV auch die zweite Alternative zum eigenen PKW in vielen ruralen Gebieten keine brauchbare Alternative (mehr), da sie schlicht unzureichend verfügbar ist. Häufig verbleibt das Auto somit als letzte Option [4, 5, 6]. 

Fahrgemeinschaften zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts

Wie man aus dieser vermeintlichen Not eine Tugend macht, zeigt eindrucksvoll die gemeinsam von der Deutschen Umweltstiftung und der Universität Kassel entwickelte Mobilitätstafel.

Sie wird aktuell in den drei bayrischen Gemeinden Schöllkrippen, Mömbris, Kahl am Main sowie dem sächsischen Netzschkau erprobt und erlaubt es Bürger*innen kostenlos Mitfahrangebote einzustellen und/oder wahrzunehmen. Dank der privaten Initiative der Bürger*innen entsteht auf diese Weise nicht nur eine bessere Anbindung an den ÖPNV in größeren Ortschaften und ein dichteres Mobilitätsnetz. Es werden außerdem doppelte, ressourcenintensive Wege und unnötige Alleinfahrten eingespart. Dies ist im Einklang mit der Forschung, die gerade in ländlich geprägten Räumen in der Bündelung von Autofahrten einen wirksamen Hebel zur Senkung von umwelt- und klimaschädlichen Emissionen sieht [4,9]. 

Weitere Funktionen auf der Mobilitätstafel unterstützen diese Stärkung des sozialen Zusammenhalts: So können Kulturschaffende auf aktuelle Veranstaltungen hinweisen und Fahrgemeinschaften organisiert werden, Mitbringangebote und -gesuche inseriert werden und Bürger*innen kostenlose Hilfsangebote auf der Plattform einstellen. 

Autos und Kompetenzen auf freiwilliger Basis teilen und einander helfen – auf diese Weise fördert die Mobitafel die Lebensqualität im ländlichen Raum. Sind Sie nun neugierig geworden, wie sie im Detail funktioniert? Dann schauen Sie sich doch einfach einmal an: Zur Mobitafel.

Quellen

[1] BGR (2021): Seltene Erden. Informationen zur Nachhaltigkeit. In: https://www.bgr.bund.de/DE/Gemeinsames/Produkte/Downloads/Informationen_Nachhaltigkeit/seltene_erden.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt aufgerufen am 09.12.2022). 

[2] BMUV (2020): Ressourcenbilanz: Welchen Rohstoffbedarf haben Elektroautos?. In: https://www.bmuv.de/themen/luft-laerm-mobilitaet/verkehr/elektromobilitaet/ressourcenbilanz (zuletzt aufgerufen am 09.12.2022).

[3] Europäisches Parlament (2019): CO₂-Emissionen von Pkw: Zahlen und Fakten (Infografik), in: https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20190313STO31218/co2-emissionen-von-pkw-zahlen-und-fakten-infografik (zuletzt aufgerufen am 07.12.2022).

[4] Kühl, Jana (2020): Gemeinsam fahren als Beitrag zur Mobilitätswende in ländlichen Räumen? Empirische Hinweise auf Potenziale und Grenzen, in: Tagungsband MobilEr 2020, Melanie Herget (Hrsg.), Braunschweig. 

[5] Schering, Johannes/Sandau, Alexander/Jahns, Martina/Samland, Ute/Theesen, Cedrik 2020: Mitfahren als Schlüssel zur Lösung von Mobilitätsproblemen im ländlichen Raum, in: Tagungsband MobilEr 2020, Melanie Herget (Hrsg.), Braunschweig. 

[6] Schröder, Annika (2021): Fahrradstraßen 2.0: Mehr Raum und Aufmerksamkeit für den Radverkehr in Münster. In: Deutscher Verband für Angewandte Geographie (DVAG), 2021, 45, 77-82.

[7] Statistisches Bundesamt (2022a): Presse. Pkw-Dichte im Jahr 2021 auf Rekordhoch, in: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N058_51.html (zuletzt aufgerufen am 07.12.2022).

[8] Statistisches Bundesamt (2022b): Presse. Produktion von Elektroautos 2021 um 86 % gegenüber Vorjahr gestiegen, in: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/05/PD22_N030_51.html (zuletzt aufgerufen am 09.12.2022).

[9] Umweltbundesamt (2019): Fahrgemeinschaften verringern die Kosten und den CO2-Ausstoß, in: https://www.umweltbundesamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/mobilitaet/fahrgemeinschaften#gewusst-wie (zuletzt aufgerufen, am 07.12.2022). 

[10] Umweltbundesamt (2022): Klimaschutz im Verkehr, in: https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/klimaschutz-im-verkehr#pkw (zuletzt aufgerufen, am 09.12.2022).

Konsum und Glück – Interview mit Prof. Dr. Ingo Hamm

Was macht uns glücklich? Diese Frage beschäftigt Menschen seit Ewigkeiten. Hinweise auf die Antwort gibt Prof. Dr. Ingo Hamm von der Hochschule Darmstadt im Interview. Der Wirtschaftspsychologe unterscheidet dazu unterschiedliche Motive, die beim Konsum wirken und spricht über die magische Wirkung des Prozentzeichens.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Hamm, dass Sie heute für ein Interview zur Verfügung stehen. Sie haben sich mit einer Studiengruppe der Hochschule Darmstadt den Zusammenhang von Glück und Konsum erforscht. Was können wir von ihrer Forschung lernen?

Prof. Dr. Hamm: Ich muss vorwegschicken, dass es ein echt großes Thema ist. Was wir aber in diesen konkreten Projekten und darüber hinaus an interessanten Zusammenhängen aufdecken konnten, ist nicht wirklich überraschend. Aber es ist eine Bestätigung für das, was viele Menschen denken. Und zwar, dass Soziales im Leben einen deutlich positiveren Einfluss wie das Materielle hat, zumindest bei vielen Menschen. Es ist kein universelles Gesetz – es gilt aber für viele Menschen in unserer Gesellschaft, vielleicht auch in Deutschland. Ich habe wenige Erkenntnisse, die über unseren deutschen Sprachraum hinausgehen. Die Studie von 2019 ergab, dass Menschen sich unheimlich gerne mit anderen Menschen treffen, diese unkomplizierten Momente mit anderen Menschen unter anderem in der Familie schätzen und dass sie diese tatsächlich als Glück begreifen. Vielleicht nicht unbedingt in dem Moment als ein euphorisches Glück, aber gerade auch in Rückblick und in der Lebensplanung als etwas, was am meisten glücklich sein verspricht, und das finde ich ganz interessant.

DUS: In der öffentlichen Wahrnehmung wird doch häufig Glück assoziiert mit Häusern, neuen Autos oder Reisen. Wie kommt es zu dieser Wahrnehmung und gibt es letztendlich die Formel für ein glückliches Leben?

Also DIE FORMEL gibt es nicht. Ich fange noch einmal mit den teilweisen materiellen Aspekten von Glück an. Wir haben Möglichkeiten des Konsums, die uns zumindest häufig Glück versprechen. Es gibt da sehr viele Arten von Motiven, die beim Konsum wirken. Man kann unterscheiden zwischen den positiven Wirkungen von Kaufen – im aller weitesten Sinne das Kaufen von Dingen, von Dienstleistungen und von Erlebnissen. Es handelt sich dabei nicht nur um Luxusprodukte. Was hier eher glücklich macht, ist der Umstand, dass es zur Selbsterweiterung beiträgt. Also, dass ich mehr aus mir und meinen Fähigkeiten machen kann.

Produkte, die meine Individualität unterstreichen, mit denen ich meine Einzigartigkeit beispielsweise durch Mode zum Ausdruck bringen kann oder auch der Konsum und das Kaufen als moralischer Ausdruck. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht nur ein beliebiges Produkt kaufe, sondern mit diesem Produkt etwas Gutes tue, oder etwas Schlechtes vermeide. Damit fördere ich eine Denke in der Gesellschaft oder überhaupt ein gesellschaftliches oder wirtschaftliches Leben, das meinen moralischen Überzeugungen folgt. Im Konsumkontext sind dies positiv wahrgenommene Käufe, die ich tätigen kann. (Ich fördere eine Denke in der Gesellschaft oder überhaupt ein gesellschaftliches oder wirtschaftliches Leben was meinen moralischen Überzeugungen folgt.. Wie gesagt nicht nur von Produkten, auch Dienstleistungen und Erlebnisse fallen darunter. Was häufig nicht nachhaltig glücklich macht, sondern nach kurzer Zeit wieder verschwindet an Glücksgefühl, ist das, was wir so üblicherweise kaufen um uns im sozialen Vergleich mit anderen zu messen) Um uns auf einer Art von Statusleiter nach oben zu bewegen und anderen – unter anderem durch den Kauf von teureren Produkten – zu demonstrieren, ich kann mir das leisten, ich kann mir vielleicht auch mehr leisten als andere Menschen. Alle Menschen tun dies. Niemand ist grundsätzlich dagegen gefeit.

Viele Menschen erleben oder erleben eben nicht diese sehr kurzfristig wirkenden Facetten des Konsums, die vielleicht schon im eigentlichen Augenblick oder nur für Minuten oder Stunden wirken. Nach Tagen, nach Monaten fördert dieses Verhalten aber auch dieses noch mehr, noch weiter, noch höher. Das ist letztlich psychologisch nicht förderlich oder gesund.

DUS: Und die Formel für ein glückliches Leben?

Ich würde gerne auf einen anderen Aspekt eingehen, den ich durch meine jüngere Forschung im Arbeitskontext „New Work“ gefunden habe. Und dazu passt dann zufällig diese Frage, die Sie stellen. Ich habe festgestellt, dass heutzutage in der Arbeitswelt häufig von Menschen die Frage nach dem Sinn gestellt wird. Was soll das alles? Macht mich mein Job glücklich oder nicht? Da wird eigentlich dieselbe Frage gestellt, vielleicht noch viel fundamentaler als beim Kaufen oder beim Einkaufen. 

Verkürzt dargestellt habe ich herausgefunden, dass vor allem die Selbstwirksamkeit ein wichtiger Faktor ist. Also, wenn ich in einer Arbeit oder durch meine Arbeit, aber auch beim privaten Engagement (Ehrenamt, Hobbys etc.) die Möglichkeit habe, Kompetenzen und Neigungen zu zeigen, zu verwirklichen, und ich dazu auch ein gewisses positives Feedback bekomme, dann ist das ungemein befriedigend. Viele Leute sagen sogar, das macht glücklich. Es macht vielmehr glücklich, als wenn ich mir bestimmte Dinge oder Dienstleistungen kaufe. Ich glaube, das ist der Punkt, wo wir Selbstverwirklichung erfahren können, wenn wir diesen gewissen Fokus auf die Arbeit, Alternativen zur Arbeit im Privatleben oder im Engagement setzten und mit diesem Fokus überlegen, wo wir denn Kompetenzen verwirklichen könnten oder ausleben könnten.

Ganz nebenbei, es zählt auch das Helfen dazu. Anderen Menschen ganz selbstlos mit guten Taten zu helfen, ist eine ungemein und universell wirksame SelbstwirksamkeitserfahrungWir haben dies bei großen Katastrophen, wie z.B. letztes Jahr im Ahrtal festgestellt. Ich war fast überrascht, dass so viele Menschen selbstlos geholfen haben, hingefahren sind, angepackt haben und alle waren unheimlich glücklich und zufrieden dadurch, dass sie einfach nur helfen konnten. Ich glaube, die Selbstwirksamkeitserfahrung des Helfens zählt wahrscheinlich viel mehr als jede Art von käuflichem Konsum.

DUS: Am 25. November ist Black Friday. Wie würden Sie es psychologisch erklären, dass Menschen von diesem Event so angezogen werden?

Ja, das ist vielleicht nicht einmal wahnsinnig psychologisch, sondern teilweise auch ein ökonomisches Verhalten. Und das zählt heute mehr denn je, dass Menschen sparen wollen. Und wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, die schon vorab bekannt ist, und weitestgehend kommuniziert ist, sodass man bestimmte Dinge stark rabattiert bekommt, kann fast niemand dazu nein sagen. Derartige Vorteile – ja mit dieser fast magischen Wirkung eines Prozentzeichens – ergreift man im Alltag fast immer. Das hat eine wahnsinnige symbolische Bedeutung bekommen. Man realisiert kaum noch, was eigentlich die wahren Wertigkeiten sind, oder welche Vergleichspreise es gibt, die ich anderswo auch so bekäme. Sondern da wirkt ja das Prozentzeichen an sich fast schon überzeugend. Das ist dann die Dimension, dass man hier ein Schnäppchen machen will.

DUS: Wir von der Deutschen Umweltstiftung betonen in unserer Arbeit immer wieder den Suffizienzgedanken. “Suffizienz” steht für ein “Weniger”. Es zielt auf den bewussten Umgang unserer begrenzten natürlichen Ressourcen ab – auf das, was wirklich notwendig ist – ohne auf das gute Leben zu verzichten. Wie sehen sie die Strategie, vielleicht auch in Verbindung mit dem Konsum?

Aus Sicht der Wirtschaftspsychologie kann ich das in einem kurzen Satz zusammenfassen. Es geht nicht um weniger, sondern um weniger mehr.

Das ist das, was in der Psychologie eigentlich eine Rolle spielt. Wir Menschen haben nämlich eine Art Verlustaversion. Alle Menschen – davor kann sich niemand ernsthaft schützen – haben diese fast schon Angst davor oder diese Reflexe etwas abzugeben, von dem, was sie haben. Und Programme zu fahren, um den Konsum zu reduzieren, die sind vielleicht gut gemeint, aber ich glaube, jeder kann sicherlich von sich sagen: in gewissen Punkten des Lebens oder des Alltags habe ich in den eigenen vier Wänden das oder jenes Mal weggeschmissen oder auf ein bisschen verzichtet. Auf Dauer und im großen Stil fällt uns das als Menschen unheimlich schwer. Das ist einfach Psychologie.

Aber zu sagen, ich versuche nicht noch etwas darauf zu packen, diesen Wachstumsgedanken in den Griff bekommen und zu verstehen, dass diese Formen von Wachstum immer mit bestimmten Investitionen psychologischer Art, aber auch von Ressourcenseite her verbunden sind, das muss mal erstmal verinnerlichen. Dann fällt es aber auch leicht zu sagen: Ok, ich kann einen hohen Lebensstandard behalten und ich kann bestimmte Dinge weiter machen. Ich muss sie nicht abgeben und ich muss mein Leben nicht komplett umkrempeln, sondern ich vermeide einfach ein “immer mehr” und “immer weiter” und somit auch in mancher Hinsicht nicht nur diesen stetigen oder wachsenden Konsum, sondern vielleicht auch den Wettbewerb. Einen Leistungsgedanken, den ich vielleicht ein bisschen reduziere, der aus einer Mühe heraus kommt, die viele an sich in der Arbeit auch nur noch ungern mitmachen. Das ist so der Kerngedanke von dem, was Sie Suffizienz nennen.

DUS: Zum Abschluss noch eine etwas süffisante Frage. Werden Sie auch bei dem einen oder anderen Angebot am Back Friday zuschlagen?

Nein, eigentlich nicht, ich hätte aber nichts dagegen, wenn ich für die ein oder anderen Weihnachtseinkäufe, die ich schon fest geplant habe, also ich weiß genau wen ich was schenke, wenn ich da das ein oder andere auch günstiger erwerben könnte, dann würde ich auch zuschlagen.

ÜBER DEN INTERVIEWPARTNER

Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie, war McKinsey-Berater, arbeitete in einem internationalen Konzern und folgte schließlich seinem forscherischen Freiheitsdrang. Er hat seitdem zahlreiche Bücher publiziert und unterstützt Menschen und Organisationen beim Wandel der Arbeitswelt.

Ingo Hamm (by Julian Beekmann Fotografie)

KI und Suffizienz – Wie passt das zusammen?

KI-Systeme bestimmen unseren Alltag. Sie personalisieren Musik-, Film- oder Kaufempfehlungen, generieren automatische Untertitel und optimieren Übersetzungen [1]. Insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnologie, der Fahrzeugbau sowie unternehmerische Dienstleistungen machen bereits seit langem einen Großteil der KI-Anwendungen aus und wachsen rasant [2]. Aber was bedeutet KI überhaupt?

Definition: „Künstliche Intelligenz“
KI bezeichnet scheinbar intelligentes Verhalten von digitalen Anwendungen.
„KI wird im engeren Sinne wird definiert als ‚Lernende Systeme‘, die auf Methoden des maschinellen Lernens basieren. Warum „lernend“? Anders als in der klassischen Programmierung gibt ein Algorithmus hier nicht jeden Schritt der Lösung vor. Stattdessen „lernt“ das KI-System den Weg zur Lösung ähnlich wie ein Mensch auf Basis von Beobachtungen – den Daten – in vielen aufeinander aufbauenden „Trainingsläufen“. Dies geschieht, indem maschinelle Lernverfahren komplexe Muster oder Abweichungen in Datensätzen erkennen und auf ihrer Basis Vorhersagen treffen.“[3]
Abgrenzung: „Bei künstlichen Intelligenzen wird zwischen schwacher und starker KI unterscheiden. Während sich die schwache KI in der Regel mit konkreten Anwendungsproblemen beschäftigt, geht es bei der starken KI darum, eine allgemeine Intelligenz zu schaffen, die der des Menschen gleicht oder diese übertrifft. Oft wird davon gesprochen, dass schwache KI Intelligenz nur simuliert, während starke KI wirklich intelligent ist und dazulernt.“[4]

Beispiel: Reboundeffekte beim Streamen

KI-Systeme finden sich auch im Alltag wieder. Das Empfehlungssystem von Netflix analysiert tagtäglich unsere Sehgewohnheiten anhand der Tageszeiten, die verwendeten Geräte sowie die Nutzungsdauer [5]. Netflix nutzt KI, um Filme, uns Serien passgenau zu empfehlen. Der damit verbundene Mehrkonsum führt zu einer Erhöhung des Energieverbrauchs.

Der Studie „Shift Project“ (2019) zufolge, setzen sich bereits heute 80 Prozent des globalen Datenverkehrs aus Video-Daten zusammen. 34 Prozent (100 Millionen Tonnen CO2-Equivalent) entstehen durch „Video-on-Demand-Services“. Die dadurch entstandene CO2-Fußabdruck bezifferte der Konzern Netflix im Jahr 2020 auf rund 1,1 Millionen Tonnen – und dabei sind die Rechenzentren nicht einmal mit berücksichtigt [6].

Heutige Onlinedienste bieten die Möglichkeit, Filme und Videos an jedem Tag und zu jeder Stunde zu streamen. 29 Prozent der Deutschen nutzen den Streamingdienst mindestens wöchentlich und 13 Prozent sogar täglich (Stand 11.11.2021) [7]. Bis 2027 soll sich der Umsatz durch das deutschlandweite Streaming sogar nahezu verdoppeln [8]. Der Energieverbrauch ist immens. Zwar sparen wir – aufgrund des verminderten Verkaufs einer DVD – Ressourcen ein, dennoch leiten uns Streamingdienste dazu, mehr zu sehen als jemals zuvor. Dieser Effekt, dass Leute zwar auf den DVD-Kauf verzichten und damit eigentlich diesen Ressourceneinsatz minimieren, sie im Umkehrschluss aber mehr streamen, dämpft das Einsparpotential. Dieses Prinzip wird in der Wissenschaft und Politik als Reboundeffekt benannt.

Beispiel: Nachhaltiger Suchassistent

Künstliche Intelligenz kann aber auch genutzt werden, um unser nachhaltiges Konsumverhalten zu beeinflussen. Ein Beispiel ist der „Green Consumption Assistent“ der Technischen Universität Berlin. 2020 entwickelten Sie in Zusammenarbeit eine KI-basierte Produktdatenbank. Das System setzt auf maschinelles Lernen, indem grüne Produktalternativen genannt und Informationen über nachhaltigere Alternativen zum Neukauf dargelegt werden. Durch grüne Banner der Kategorien „nachhaltig“, „B-Ware“ oder „gebraucht“, können sich Konsument*innen über nachhaltigere Konsumalternativen, also Produkte mit geringeren sozialen und ökologischen Kosten informieren. Repair-, Verleih- und Sharing-Optionen werden auf der Seite des Projektpartners ECOSIA prioritär angezeigt. Die vereinfachte Darstellung („Nudging“) soll die Konsument*innen zum nachhaltigen Konsum „stupsen“ und dem ausbleibenden Nachhaltigkeitsanspruch im entscheidenden Moment entgegenwirken (die „Value-Action-Gap“ schließen). Das maschinelle Lernen der GreenDB soll außerdem Gefahren des Greenwashings eindämmen, indem die Relevanz und Validität entsprechender Nachhaltigkeitslabel überprüft werden [9]

Bis heute ist die grüne Datenbank auf ca. 220.000 Produkte  (Kleidung und Elektronik) aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien angewachsen (Stand: Mai 2022). Neben einer wöchentlichen Aktualisierung der Produktinformationen sollen zukünftig auch die Siegel, Nachhaltigkeitsinformationen sowie Produktbewertungen diversifiziert werden, indem z. B. ein dunkles Kohle-Symbol, als Klassifikation unternehmerischer Förderung fossiler Energie, vergeben wird [10].

Es zeigt sich, mit Künstlicher Intelligenz gehen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken einher. Wo der Mensch wirkt, werden Ressourcen verbraucht. KI-Systeme können auch gegen uns verwendet werden. Dabei geht es nicht um die vielfach prophezeite „Weltherrschaft“, sondern um die Möglichkeit der Manipulation unseres Konsumverhaltens in positiver aber auch negativer Richtung. Fakt ist: Der Einsatz Künstlicher Intelligenz benötigt Ressourcen. KI kann uns bei der Bearbeitung komplexer Sachverhalte unterstützen. Es nimmt uns aber nicht das selbstbestimmte, verantwortungsvolle Denken und Handeln ab.

Quellen

[1] Sustain Magazin (2022): sustain. Nachhaltige KI in der Praxis. Im Internet unter: https://algorithmwatch.org/de/sustain-magazin-2022 

[2] Boucher, Philip; European Parliamentary Research Service (Hg.) (2020): Artificial intelligence: How does it work, why does it matter, and what can we do about it? DOI: 10.2861/ 44572 

[3] BMU, Arbeitsgruppe „Umwelt- informationen, Daten, Künstliche Intelligenz“ (2021): Fünf-Punkte-Programm „Künstliche Intelligenz für Umwelt und Klima“. Im Internet unter: https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Digitalisierung/factsheet_ki_bf.pdf

[4] Uni Oldenburg (2008/2009): Schwache KI und Starke KI, in: http://www.informatik.uni-oldenburg.de/~iug08/ki/Grundlagen_Starke_KI_vs._Schwache_KI.html

[5] Netflix (o.J.): Wie funktioniert das Empfehlungssystem von Netflix?, in: https://help.netflix.com/de/node/100639

[6] Schmidt, Katharina (2021): Netflix, Youtube, Spotify: So klimaschädlich ist Streaming wirklich, in: Utopia (Hrsg.), https://utopia.de/ratgeber/streaming-dienste-klima-netflix-co2/

[7] Statista (2021): Nutzungshäufigkeit von Mediatheken und Streamingdiensten in Deutschland im Jahr 2022, in: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/627483/umfrage/nutzungshaefigkeit-von-videostream-anbietern-in-deutschland/

[8] Statista (o.J.): Video-Streaming (SVoD) – Deutschland, in: https://de.statista.com/outlook/dmo/digitale-medien/video-on-demand/video-streaming-svod/deutschland

[9] Staiger, Teresa (2022): Reparieren statt kaufen, alt statt neu: Wie eine Datenbank nachhaltigeren Konsum fördern will, in: reframe[Tech] (Hrsg.), https://www.reframetech.de/2022/07/25/reparieren-statt-kaufen-alt-statt-neu-wie-eine-datenbank-nachhaltigeren-konsum-foerdern-will/

[10] Green Konsumtion Assistant (2022): Produkt-Update III: Ecosia Shopping und Green Database sind verfügbar, in: https://green-consumption-assistant.de/update-iii/

Projektarbeit zu Suffizienz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE)

Im Wintersemester 2021/22 haben Studierende mögliche Lösungswege für mehr Nachhaltigkeit und weniger Leistungsdruck an der HNEE formuliert. Auf Ihrem Plakat (siehe Bild 1) zeigen sie anhand verschiedener Bereiche des Hochschulsystems, inwiefern diese im Rahmen der 4 E’s der Suffizienz angepasst werden könnten.

Suffizienz meint in dem Kontext, das „richtige“ und „notwendige“ Maß von Ressourcenverbrauch anzustreben, sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene. Häufig werden die vier E’s nach Wolfgang Sachs genutzt – Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung – um sich am richtigen Maß zu orientieren.

Bild 1: Suffizienz an der HNEE

Wie sind die vier E´s an der HNEE umsetzbar?

Die Studierenden sehen das größte Potenzial zur Verbesserung der Strukturen in den Bereichen Vernetzung, Bürokratieab- und umbau und der Material-Ressourceneinsparung.

Vernetzung: Die Intensivierung der Vernetzung, d. h. verbesserter Austausch und Kontakt zwischen den Hochschulangehörigen, sowie der Ausbau von fachübergreifenden Lehrveranstaltungen, soll zu Entschleunigung führen. Um das zu bewerkstelligen, sei es notwendig, reale Orte am Standort der Hochschule zu schaffen. Das können sein (1) Silence Space für Ruhe und Achtsamkeit; (2) Aufenthaltsräume, Cafés etc. zum Austausch und für Pausen; (3) Orte der Beratung für Familien und internationale Studierende und Burn-Out-Prävention; und (4) Food-Sharing und Schenkschränke als Orte nach dem Common-Prinzip. Diese Orte sollten gleichermaßen für alle Hochschulangehörigen zugänglich sein.

Bürokratieab- und umbau: Entflechtung werde insbesondere durch Bürokratieabbau erzeugt, indem Zugang zu den Angeboten für alle Menschen z. B. mit Familie, Job und anderen Sondersituationen ermöglicht wird. Die Umstrukturierung, vorwiegend die Vereinfachung der Bürokratie, führe dazu, dass der Transferprozess von Informationen intensiviert wird. Das bedeute, dass transferiertes Wissen z. B. im Rahmen von Amtswechseln in Gremien vereinfacht zugänglich ist.

Material-Ressourceneinsparung: Die Wiederverwendung und Einsparung von Materialien und Ressourcen wird als Maßnahme der materiellen Entrümplung vorgestellt. Eine Umfrage hat ergeben, dass die Studierenden Möglichkeiten der Einsparung vor allem in den Bereichen Heizung/Wärme, Druckerpapier, Wasser, Lehrinhalte und Strom sehen. An der HNEE gibt es bereits einen Beschaffungsleitfaden, welcher den Materialkauf und die Frage „Wann wird etwas weggeworfen?“ regelt. Die Studierenden fordern zudem die Einsparung von z. B. Labormaterialien.

Wie kann der Leistungsdruck an der Hochschule verringert werden?

Neben der materiellen Suffizienz fokussierten die Studierenden auch den sozialen Bereich der Suffizienz. Laut einer Umfrage empfinden 11,38 Prozent der Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden der Hochschule sehr starken und 45,51 Prozent der Befragten starken Leistungsdruck. Können Ansätze der Suffizienz dem Empfinden hoher Belastung und Leistungsdruck entgegenwirken?

Zur Verbesserung der Lebensqualität an der Hochschule brauche es grundlegende Rahmenbedingungen, die Entschleunigung sowie Entkommerzialisierung hervorrufen. Da Stress auf subjektiver Wahrnehmung beruht, dürfen die Maßnahmen jedoch nicht zu spezifisch formuliert sein. Nachjustieren könnte die HNEE etwa, indem flexible Möglichkeiten der Zeiteinteilung geschaffen werden. Die Auswahl zwischen Voll- und Teilzeit sollte frei wählbar sein und das Angebot von Prüfungszeiträumen müsse ausgebaut werden. Zudem sind das Vertrauen und die Wertschätzung zwischen den Hochschulangehörigen essentiell, um das Gefühl des Leistungsdrucks zu vermindern.

Fazit/Ausblick

Um ein optimales Maß zwischen Einsparung und Verzicht zu finden, sollte Suffizienz in der Hochschulpolitik und -kultur offen besprochen werden. Eine Suffizienzstrategie kann dazu beitragen, die Lebensqualität für alle an der Hochschule zu verbessern. In einem Interview mit Studierenden aus dem Projekt wird deutlich, an welchen Stellen die HNEE bereits Suffizienz praktiziert und wo es Verbesserungsbedarf gibt.

Veröffentlichungen zum Thema Suffizienz an der HNEE

Allan Dietz (2021): Die Gewaltfreie Kommunikation als Ansatz zur Förderung von suffizientem Handeln an Hochschulen. Eine Fallstudie zur Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

Radka Geißler (2022): Mehr ist weniger. Suffizienz an der HNEE. Online unter URL: https://www.ackerdemiker.in/post/mehr-ist-weniger-suffizienz-an-der-hnee (Abruf: 13.10.2022).

Marcel Pfeifer (2022): Konzeptvorschlag zur Entwicklung einer Suffizienz-Strategie für die HNEE. Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

Recht und Suffizienz – Interview mit Ulrike Jürschik

Im Rahmen eines Interviews mit der Juristin Ulrike Jürschik sprachen wir über ihre Doktorarbeit zum Thema „Recht und Suffizienz“.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Suffizienz ist neben Konsistenz und Effizienz eine der drei Säulen der Nachhaltigkeit. Es ist ein viel genutzter Begriff, der häufig mit Verzicht des Individuums gleichgesetzt wird. Daher würde mich interessieren, mit was für einem Suffizienzbegriff und -konzept Sie arbeiten?

U. Jürschik: In unserer Überflussgesellschaft setze ich Suffizienz gerne mit Mäßigung gleich. Es geht also um eine Begrenzung, Reduktion, aber auch Substitution durch etwas anderes. Ein anderes Synonym für Suffizienz ist auch „Genügsamkeit“, man braucht nicht zu viel und nicht zu wenig. In Kontexten, in denen Menschen von Armut betroffen sind, bedeutet Suffizienz ein mehr, in Kontexten, in denen Menschen im Überfluss leben, ein weniger und anders. Ich arbeite mit folgender Definition:

Suffizienz ist die Begrenzung, Reduktion oder Substitution menschlicher Aktivitäten als Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation, auch wenn sich dabei die Art und Weise der Bedürfniserfüllung ändert. Ich denke, dass vor allem das letzte Merkmal – also die Änderung der Art und Weise der Bedürfniserfüllung – in Abgrenzung zu Konsistenz und Effizienz sehr wichtig ist, da es bei Suffizienz nicht darum geht, dass wir einen Status quo erhalten oder dass wir alle Handlungen mit anderen Mitteln gleichermaßen fortführen können, ohne dass sich etwas für uns verändert. Wir müssen akzeptieren, dass sich die Art, wie wir essen, wie wir uns fortbewegen, wie wir produzieren, verändert, um ökologische Grenzen einzuhalten und gerechter gegenüber vulnerablen Gruppen und zukünftigen Generationen zu leben. Suffizienz muss dabei nicht eng allein als nachfrageseitige Strategie oder nur auf Individuen bezogen, verstanden werden. Sie kann auch Orientierung für über das Individuum hinaus gehende, gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontexte bieten. Es gibt auch eine politische Suffizienz, im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Verständigung darüber, wie viele Ressourcen insgesamt verbraucht werden. Wie viele CO₂-Emissionen gestehen wir uns als Gesamtgesellschaft noch zu? Gleichermaßen können sich auch Wirtschaftsunternehmen am Leitbild Suffizienz orientieren. Suffizienz ist eben nicht allein eine Frage der Verhaltens- oder Lebensstiländerung, sondern es geht auch um Produktionsweisen und die Art und Weise, wie wir Infrastrukturen gestalten sowie eine Verständigung auf Obergrenzen für Ressourcennutzungen.

Was kein passendes Merkmal für Suffizienz ist, sind Signalwörter der öffentlichen Debatte, wie „Verzicht“ oder „Verbot“. Zu dem Verzichtsargument gab es in der Suffizienz-Community den Versuch, Suffizienz als positive Vision zu formulieren und zu betonen, dass durch das „weniger“ ein „mehr“ an Lebenszufriedenheit entsteht. Ich denke aber, dass eine solche Wertung nicht hilfreich ist, wenn wir Suffizienz rechtswissenschaftlich betrachten. Wir müssen diese individuellen Wertungen aus den Begrifflichkeiten herauslassen, denn sowohl der Begriff „Verzicht“ als auch der Begriff „Gewinn“ sind wertend und irreführend. Sie führen zu emotional aufgeladenen Argumenten, die dann eine Sachlichkeit der wissenschaftlichen Diskussion nicht mehr ermöglichen. Daher habe ich als Kernmerkmale Begrenzung, Reduktion, Substitution oder Änderung verwendet. Zur Subsumption dieser leichter auslegbaren Merkmale ist es irrelevant, ob eine Person dies als negativ oder positiv bewertet. Eine solche Bewertung wird allenfalls als Motivation hinter einer rechtlichen Einforderung oder Abwehr von Suffizienz relevant, aber nicht für die rechtliche Systematisierung.

DUS: An die Suffizienzdefinition anknüpfend, stellt sich nun die Frage, inwiefern im heutigen Umweltrecht oder auch in anderen Rechtsbereichen sich der Suffizienzgedanke widerspiegelt, auch wenn es sich dabei um keinen rechtswissenschaftlichen Begriff handelt. Oder gibt es dahingehende Gesetzesvorhaben?

U. Jürschik: Das Umweltrecht wurde seit den 1970er Jahren fortentwickelt, als die Erkenntnis aufkam, dass die aufgebaute Industrie den Planeten übernutzt und Grenzen eingezogen werden müssen. Das Umweltrecht ist also ein Rechtsgebiet, das auch zur Mäßigung geschaffen wurde. Es ist gleichzeitig Teil des wirtschaftlichen Systems, das auf Steigerung angelegt ist. Im Emissionsschutzrecht ist ein zentrales Merkmal die technische Vermeidbarkeit, also ob Industrieanlagen nach dem Stand der Technik in der Lage sind, bestimmte Emissionen zu vermeiden. Diesen Stand der Technik müssen sie erreichen – eingefordert wird nur das technisch machbare. Eine Suffizienzperspektive legt hingegen fest, welche Emissionen durch Industrieanlagen wir uns höchstens leisten wollen/können. Dies gibt es zwar durch die Festlegung von Emissionsgrenzwerten, diese werden in der Regel aber nur zurückhaltend festgelegt.

Ich würde außerdem sagen, dass es ein paar Umweltrechtsgebiete gibt, die der Suffizienz näher stehen als andere, zum Beispiel das Naturschutzrecht. Im Naturschutzrecht werden zum Beispiel Naturschutzgebiete ausgewiesen und dort wird ganz spezifisch begrenzt, welche menschlichen Aktivitäten im Naturschutzgebiet überhaupt zugelassen sind. Man darf Bestandteile des Naturhaushaltes nur in kleinen Mengen entnehmen, was auch dem Suffizienzgedanken der Mäßigung entspricht. Allerdings regelt das Naturschutzrecht einen eher abgegrenzten Bereich, und nimmt wenig Einfluss auf das allgemeine Konsum- und Produktionsverhalten, sodass hiervon keine Breitenwirkung im Sinne eines Suffizienzmainstreamings eintritt.

Ein spannendes Beispiel für Suffizienz ist das Klimaschutzrecht und hier sehen wir gerade sehr viele Rechtsentwicklungen. Das deutsche Klimaschutzgesetz besteht erst seit 2019. Darin wurde sehr spezifisch für die Gesamtgesellschaft festgelegt, wann wir Netto-Null-Emissionen erreichen wollen und wie die entsprechenden Reduktionspfade aussehen sollen, die dann auch bestimmten Sektoren spezifische Emissionsreduktionsmengen zuschreiben. Diese Mengenbegrenzung entspricht von der Gesetzessystematik her Suffizienz in Bezug auf die Gesamtmenge an Treibhausgasen, wenngleich die konkreten Jahresemissionsmengen als zu wenig ambitioniert erscheinen mögen. Auch das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz ist ein Beispiel für verrechtlichte Suffizienzpolitik. Darin wird festgelegt, bis wann „Kohleverstromung“ in Deutschland noch zulässig ist, mithin reduziert dieses Gesetz eine menschliche Aktivität konkret. Mir ist bewusst, dass für alle Umweltaktivist*innen und nach dem wissenschaftlichen Sachstand dieser Kohleausstieg zu spät kommt, aber allein von der Gesetzessystematik her: Es wird eine ganz spezifische menschliche Aktivität – nämlich die Kohleverstromung – beendet und dazu wird ein Auslaufpfad festgelegt. Das sind für mich Suffizienzbeispiele im Umweltrecht.

Suffizienz beinhaltet aber nicht nur das Reduzieren und Begrenzen, sondern auch das Verändern hin zu etwas Anderem. Anschauliche Beispiele zu Suffizienzpolitik finden wir im Städtebaurecht und der Infrastrukturplanung. Hier wird Suffizienz umgesetzt, indem öffentliche Räume mehr öffentlichen Personennahverkehr, mehr Fahrradwege, weniger Platz für Auto- und Flugverkehr bereithalten. Auch hier entsteht ein ambivalentes Bild. Möglichkeiten, dass Kommunen suffiziente Räume schaffen, zum Beispiel autofreie Innenstädte usw., bietet das Recht schon, sie werden aber selten genutzt.

DUS: Es wird also ein Gestaltungsrahmen vorgegeben, anhand dessen politische Entscheidungen getroffen werden können.

U. Jürschik: Genau. Wir sind auf politischen Willen angewiesen, um Suffizienzpolitik stärker durchzusetzen. Sie entspringt nicht per se aus der Rechtsordnung, was natürlich auch logisch ist, da die Rechtsordnung die Folge des politischen Willens ist – und Suffizienz kein politischer Mainstream. 

DUS: Im Rahmen der Ringvorlesung zur Ökologischen Transformation von Gesellschaft und Recht haben Sie einen Vortrag zum Thema Recht und Suffizienz gehalten. Dort haben Sie auch darüber gesprochen, welche verfassungsrechtlichen Fragen möglicherweise durch Suffizienz aufgeworfen werden. Können Sie mir dazu noch etwas erzählen?

U. Jürschik: Ein wichtiges Gegenargument oder etwas, das relativ häufig genannt wird, wenn über Suffizienz oder Suffizienzpolitik gesprochen wird, ist, dass Suffizienz nicht nur eine Verzichts- sondern auch Verbotspolitik erfordert. Es würden bestimmte Aktivitäten verboten und dadurch stark in Grundrechte eingegriffen. Das könnte eigentlich gar nicht gerechtfertigt werden und der Staat würde sich durch diese Direktionierung übernehmen. Zur Auseinandersetzung mit diesem „Verbotsargument“ habe ich mir auch angeschaut, wie Suffizienz in verschiedenen Umweltrechtsinstrumenten verankert werden kann. Eigentlich kann man Suffizienz als Begrenzung, Reduktion oder Änderung durch qualitativ andere Handlungen tendenziell durch ganz verschiedene Instrumente erreichen. Zum Beispiel kann dies durch eine Anreizstruktur, wie Subventionen, Besteuerungen oder das Ordnungsrecht gelingen. Aber es ist natürlich so, dass, wenn man Suffizienzpolitik verfolgt, darauf hinwirken möchte, dass bestimmte Ressourcenverbräuche nicht entstehen, beziehungsweise dass bestimmte Handlungen nicht mehr stattfinden. Das ist aber meines Erachtens bei einer konsequenten Effizienzpolitik auch der Fall, indem bestimmte ineffiziente Produkte vom Markt verschwinden. Auch Bepreisungsmechanismen können bestimmte Verhaltensweisen, insbesondere bei ärmeren Menschen, unterbinden. Wenn man konsequent Umweltpolitik macht, dann verändert sich eben auch etwas. Daher glaube ich, dass das Verbotsargument nicht besonders präzise ist und uns in der Diskussion nicht hilft.

Verfassungsrechtlich kann man sich zur Suffizienz zunächst einmal anschauen, ob die Verfassung selbst irgendwelche Suffizienzmaßnahmen vorgibt, also zum Beispiel aus Art. 20a GG, dem Staatsziel „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“. Da wird man sagen müssen, ja, vielleicht dem Staat, aber nicht den Bürger*innen selbst. Art. 20a GG ist so konzipiert, dass die Gesetzgebung den durch die Verfassung aufgetragenen Umweltschutz  durch einfache Gesetze konkretisieren muss und sich nicht unmittelbar an einzelne Bürger*innen richtet. Wir können dem also eine ökologische Mäßigungspflicht des Staates entnehmen, aber keine Mäßigungspflicht für einzelne Bürger*innen. Und eigentlich besteht ja das Problem darin, dass Bürger*innen und Unternehmer*innen den Ressourcenverbrauch immer weiter vorantreiben. Somit ist also eine Übersetzungsleistung des Staates erforderlich, der Suffizienzpolitik ausgestalten muss. 

Dabei ist der Staat verpflichtet, verschiedene Grundrechte im Verhältnis zueinander zu beachten. Suffizienzpolitik kann, auch wenn sie gewisse Freiheitsräume begrenzt oder umgestaltet, relativ weitreichend gerechtfertigt werden, vor allem aus dem Klimaschutzargument heraus. Dies ist letztes Jahr aus dem wegweisenden Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts und auch noch ein paar nachfolgende Entscheidungen deutlich geworden. Klimaschutzmaßnahmen, die der Staat treffen will, können eigentlich immer verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Denn die Bedrohung durch den Klimawandel ist so groß, dass auch heute schon weitreichend Emissionen eingespart werden müssen. Diese Klimaschutzmaßnahmen des Staates können auch Suffizienzmaßnahmen sein. 

Verfassungsrechtlich diskutieren lässt sich neben Abwehrmöglichkeiten von Suffizienzpolitik aber auch, ob Menschen besonders geschützt sind, die aus einer individuellen Perspektive suffizient leben möchten. Die Frage ist, ob es ein durch die Verfassung verbürgtes Recht auf Suffizienz gibt und was für Rechtspositionen Menschen, die suffizient handeln wollen, zur Seite stehen. Grundrechte sind vorwiegend als Abwehrrechte konzipiert. Der Staat soll „mir nicht zu Nahe kommen“ in meinen Menschenrechten. Die Grundrechte sind dabei zumeist nicht als Schutz- oder Leistungsrechte konzipiert, also so, dass ich ein konkretes Handeln des Staates einfordern kann. Aus einem Recht auf Suffizienz lässt sich staatliches Handeln, das Suffizienz verunmöglicht, überwiegend abwehren, jedoch kein neuer Raum für Suffizienz schaffen. Gleichwohl denke ich, dass es in staatlichen Abwägungsprozessen und Verhältnismäßigkeitsabwägungen durchaus eine Rolle spielen kann, dass es Menschen gibt, die zum Beispiel suffiziente Infrastruktur nutzen und im Sinne des Art. 20a ihr Leben gestalten oder gestalten möchten. Das Recht auf Suffizienz tritt als Abwägungsbelang zu Schutzpflichten gegenüber zukünftigen Generationen zur Minderung des Klimawandels und der Staatszielbestimmung Umwelt- und Klimaschutz hinzu. 

DUS: Anknüpfend an die gesellschaftliche Wahrnehmung schließt sich für mich nun noch die Frage an, inwiefern die aktuelle Situation, in der wir uns befinden, dazu beitragen kann, dass der Suffizienzgedanke stärker verankert werden kann und zu mehr Akzeptanz führt. Was denken Sie dazu und wie verfolgen Sie die aktuelle Debatte?

In der aktuellen Lage wird sich die Gesellschaft, Grenzen für Ressourcenverbrauch bewusst. Die aktuelle Gasknappheit hilft, um zu merken, dass wir nicht von allem immer mehr haben können, sei es aufgrund von geopolitischen oder anderen Gründen. Ein Anerkennen dieser Endlichkeit ist meines Erachtens Grundvoraussetzung für Suffizienzpolitik. Suffizienz ist jedoch eher so zu verstehen, dass wir nicht erst in eine solche Krise, wie wir sie gerade erleben, geraten, die uns dann zwingt, enthaltsam zu sein. Es geht vielmehr darum, uns bewusst gemeinsam zu entscheiden, jetzt weniger zu verbrauchen, damit wir und nachfolgende Generationen langfristig besser leben können. Von daher drängt uns jetzt die Krise in eine Art Suffizienz, was die Diskussion bestimmt auch voranbringen kann. Suffizienz entfaltet ihr Potenzial aber viel mehr als präventive und vorsorgende Strategie des Übergangs in eine nachhaltigere Gesellschaft, nicht als Notfallmaßnahme. 

Insgesamt denke ich, dass man Suffizienz eher moderat oder auch radikal verfolgen kann. Man kann Suffizienz als eine Teilstrategie miteinbeziehen, die dann nur an kleinen Stellen wirkt, wie aktuell bei den Gaseinsparungen. Die Industrie und Haushalte werden jetzt als Möglichkeit thematisiert, um Gas zu sparen und es ist schon mal schön, dass es nicht nur die Haushalte sind, sondern die Industrie gleichermaßen thematisiert wird. 

DUS: Was würde Sie sich denn konkret von dem Gesetzgeber wünschen, wie der Suffizienzgedanke rechtlich besser verankert werden könnte?

Ich würde aus meiner Definition einerseits die Begrenzung und Reduktion als Maßgabe für Politik stärker im Recht verankert sehen wollen: eine explizite Verankerung, dass nicht nur die Effizienz gesteigert, sondern dass noch öfter bestimmte Ressourcenverbräuche absolut gedeckelt werden. Und das kann sich nicht nur auf einzelne Emissionen beziehen, sondern auch auf spezifische Verhaltensweisen, von denen wir wissen, dass wir sie uns nicht in dem heute bestehenden Ausmaß leisten können, z. B. Tierhaltung oder Flugkapazitäten. 

Dann ist aber noch ein anderer Bereich für mehr Suffizienz ganz wichtig – und das ist der Aufbau von Alternativen: Nach welchen Leitbildern gestalte ich eigentlich Städte und Infrastruktur. Ein einfacher Weg wäre es erst mal, die Verkehrssysteme im Hinblick auf nachhaltige Mobilität (elektrisch, geteilt, weniger Individualverkehr, mehr Fahrradverkehr für Nahdistanzen) zu verändern.

Zudem ist zu erwägen, im Planungsrecht Wege zu finden, um die Menge an Industrieanlagen zu steuern. Dies greift sehr weit und ist schwierig politisch abzuwägen. Aber im Prinzip müssen wir langfristig in die Richtung kommen, dass es begrenzte Ressourcen für Industrie- und Produktionskapazitäten gibt, und die müssen nach einem gerechten Maßstab auf die verschiedenen Inanspruchnehmer*innen verteilt werden. 

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN

Ulrike Jürschik hat in Münster und auf Martinique (Frankreich) Rechtswissenschaften studiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Energie-, Umwelt- und Seerecht der Universität Greifswald und arbeitet derzeit an ihrer Doktorarbeit zum Thema „Suffizienz und Recht“.

© Ulrike Jürschik