Black Friday – same procedure as every year

Klimaaktivistin Greta Thunberg sprach sich in der letzten Woche gegen den alljährlichen Konsumwahnsinn am Black Friday aus: „Kauft kein Zeug, das ihr nicht braucht!“, mahnte die 17-jährige Schwedin in den sozialen Medien und fügte an: „Überkonsum zerstört die gegenwärtigen und künftigen Lebensbedingungen und den Planeten selbst“ [1].

Schriftzug Black Friday

Diese und ähnliche Worte prägen immer mehr die öffentliche Kommunikation – aber wirkt es sich tatsächlich auf unser materielles Konsumverhalten aus? Immerhin stammt ein großer Teil unserer Treibhausgasemissionen unmittelbar oder mittelbar aus der Produktion, dem Transport und der Verwendung von Gütern. Und das betrifft auch vermeintlich „grüne“ Dinge wie E-Autos oder (Lasten-)Fahrräder. 

Unübersehbar bleibt auf jeden Fall der Widerstand der Fridays-for-Future-Bewegungen: Kurz vor der Weltklimakonferenz in Madrid hatten noch Hunderttausende Menschen in Deutschland und weltweit für eine wirksame Politik gegen den Klimawandel demonstriert. Allein in Deutschland waren es nach Angaben von Fridays for Future über 630.000 Menschen [1]. Hinzu kommt die Hoffnung, dass die neue Ampel-Regierung endlich konsequente Klimapolitik umsetzt.

Alles auf die Politik zu schieben, ist aber zu einfach. Was ist mit uns – den Bürger*innen? Folgen wir den Appellen der Wissenschaftler*innen und Klimaaktivist*innen? In der Nachhaltigkeitsblase auf den sozialen Kanälen kann man gar das Gefühl einer heilen Welt bekommen. Ein guter Realitätscheck ist der alljährliche Black Friday.

Online-Shopping und die Auswirkungen auf die Umwelt

Reduzierte Preise, Rabattaktionen und dazu unglaublich viel Verpackungsmüll werden leider auch dieses Jahr wieder das bundesweite Bild prägen. In Deutschland werden hunderte Shops offline – aber vor allem auch online – vermeintliche Schnäppchen anbieten, um Verbrauchende zum Kaufen anzuregen [2]. Der Handelsverband Deutschland (HDE) rechnet mit einem Umsatz von rund 4,9 Milliarden Euro für den diesjährigen Black Friday und Cyber-Monday. Das wäre eine Steigerung von 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Immer mehr Kund*innen nutzen dabei gezielt die Online-Angebote [3]. Das erzeugt nicht nur zusätzlichen Verpackungsmüll, sondern auch immense ökologische Transportkosten. 

Globaler Versand auf Kosten der Ressourcen

Deutschland verschifft den entstandenen Müll dabei überwiegend ins Ausland – so viel wie kein anderes EU-Land. Der Müll landet in Malaysia und – seit dem Importstopp nach China – auch in den Niederlanden, Frankreich, Polen und Bulgarien. Nur ein Teil davon wird auch recycelt und für die wertlosen Reste existieren häufig keine umweltgerechten Entsorgungsstandards. Die Folge: Diese Abfälle werden oft illegal in der Umwelt entsorgt oder verbrannt. Die dabei freigesetzten hochgiftigen Schadstoffe sickern dann in den Boden und ins Grundwasser [4].  Mit dem erhöhten Konsum am Black Friday verschärft sich die Problematik 

Stopp!

Am Black Friday liegt es vor allem in der Hand der Verbraucher*innen. Das heißt nicht, dass niemand konsumieren soll. Vielmehr sollten wir uns hinterfragen, ob die Produkte wirklich neu gekauft werden müssen, oder ob es alternative Erwerbsmodelle wie das Leihen und Teilen gibt. Und ja, manchmal muss etwas gekauft werden. Dann achtet aber auf eine umweltschonende Verpackung und Lieferung sowie sozial-ökologische Produktionsstandards. Let’s make it green!

Quellenangaben

[1] Spiegel, 2021: »Kauft kein Zeug, das ihr nicht braucht«. https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/greta-thunberg-am-black-friday-kauft-kein-zeug-das-ihr-nicht-braucht-a-aace299f-2eb4-488e-8526-3a22890d1105

[2] Utopia, 2021: Green Friday: Schnäppchen machen mit gutem Gewissen? https://utopia.de/ratgeber/green-friday-alternative-black-friday/

[3] Handelsverband Deutschland, 2021: Black Friday und Cyber Monday. https://einzelhandel.de/blackfriday[4] MDR, 2021: Verbraucher machen in der Corona-Pandemie mehr Müll. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/mehr-verpackungsmuell-durch-corona-100.html

[4] MDR, 2021: Verbraucher machen in der Corona-Pandemie mehr Müll. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/mehr-verpackungsmuell-durch-corona-100.html

Ist UNOWN das neue Haben? – Interview mit Linda Ahrens

Die meisten von uns kennen es: Der Kleiderschrank platzt wieder einmal aus allen Nähten, obwohl wir viele Teile darin oft nur selten tragen. Zudem steht besonders die Modeindustrie häufig in der Kritik, wenn es um nachhaltige Ressourcennutzung, Umweltverschmutzung oder die oft kurze Lebenszeit der Kleidungsstücke geht. Das 2019 gegründete Start-up UNOWN will mit einem Leasingmodel das System Mode revolutionieren. Wir haben eine der beiden Gründerinnen Linda Ahrens zum Thema suffiziente Mode interviewt.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Auf Ihrer Webseite „UNOWN“ werben Sie mit nachhaltigem Fashion-Leasing. Was genau ist das? Und wie funktioniert das Prinzip?

Linda Ahrens (LA): Wir glauben, dass wir nicht alles kaufen und besitzen müssen, was wir tragen. Unser Leasing-Prinzip macht es möglich, Kleidung wochen- und monatsweise zu leihen. Am Ende schickt man sie in unseren wiederverwendbaren Versandtaschen zurück, wir bereiten sie auf und die nächste Person kann sie leasen.

DUS: Wie sind Sie auf diese suffiziente Idee gekommen?

LA: Wir wollten in der Mode endlich eine Lösung für Kopf und Bauch. Der Kopf sagt doch: Ich will weniger und bewusster konsumieren. Und der Bauch sagt: Ich will was Neues und mich inspirieren lassen. Nachhaltige Modelabels sind deshalb nur ein Teil der Lösung. Für uns ist es entscheidend, dass wir auch das Nutzungskonzept überdenken!

DUS: Nach Ihrer Beschreibung ist Ihr Geschäftsmodell auf die Verlängerung der Lebensdauer von Kleidungsstücken ausgerichtet. Haben Sie hierzu schon Erfahrungswerte wie häufig Kleidung bei Ihnen geliehen wird und wie sich dies tatsächlich auf die Lebensdauer auswirkt?

LA: Ja, wir sammeln permanent Daten zu unserem Modell und messen daran nicht zuletzt den Erfolg. Und glücklicherweise konnten wir auf Grundlage dieser Daten unsere ersten Annahmen über die Lebensdauer schon deutlich erhöhen. Es gibt viele Stücke, die seit Herbst 2019 in unserem System verleast werden und noch immer in einem guten Zustand sind! Von Umfragen wissen wir, dass sie geleaste Kleidungsstücke mind. 1-2 Mal pro Woche tragen. Nach 20 Leasing-Zyklen kann ein Stück also locker 150 Mal getragen worden sein. Statistiken zeigen, dass uns das mit den aller wenigsten Kleidungsstücken in unserem Schrank gelingt! Greenpeace 1 hat bspw. geschätzt, dass bis zu 40% eines Kleidungsschranks nur zwei bis drei Mal getragen werden !

DUS: Sie sagen, dabei geht es Ihnen um Nachhaltigkeit. Für viele ist der Begriff immer noch schwammig. Was bedeutet Nachhaltigkeit konkret für Sie?

LA: Für uns ist ein Baustein für nachhaltigen Modekonsum, Kleidung so lange wie möglich im Umlauf zu halten und möglichst viel „Leben“ aus ihnen zu holen. Ein sehr großer Anteil der Emissionen entstehen nämlich bereits in der Produktion. Tragen wir ein Kleidungsstück lange, dann holen wir aus dem bereits produzierten Kleidungsstück mehr „Leben“ raus. Die Realität ist, wie eben beschrieben, aber komplett anders: Viele Kleidungsstücke werden extrem wenig getragen und schnell vergessen oder weggeschmissen. Genau da setzen wir an!

DUS: Wie stellen Sie sicher, dass die Brands auf Ihrer Plattform wirklich nachhaltig sind und bleiben?

LA: Wir messen uns an der Nutzungsdauer, hier machen wir den Unterschied. Unsere Aufgabe ist es deshalb nicht, permanent die Nachhaltigkeitsstandards unserer Partnermarken zu überprüfen. Ein nachhaltig und fair produziertes Kleidungsstück ist auch nur dann sinnvoll, wenn es lange getragen wird. 
Nicht alle unsere Partnermarken sind Fair Fashion und das behaupten wir auch nicht. Wir setzen auf qualitativ hochwertige Marken, die entweder bereits etablierte Nachhaltigkeits-Zertifizierungen haben oder auf dem Weg dorthin sind.

DUS: Es ist nicht neu, dass Kleidung viel Wasser in der Produktion verbraucht. Auf Ihrer Webseite machen Sie Angaben dazu, wie viel Wasser durch das Leihen gespart werden konnte. Wie werden die Wasser- oder CO2-Ersparnisse errechnet?

LA: Eine Beispielrechnung: Eine typische Kund:in bleibt bei uns sechs Monate und hat unsere mittlere Membership „Extended“. Damit kann sie vier Teile gleichzeitig zum Festpreis von 69 € leasen. In der Zeit spart sie gegenüber dem Neukauf 83 % an Wasserverbrauch und 76 % an CO2e-Emissionen ein. Wir rechnen dabei immer den Vergleich von Leasing versus Kauf. Die häufigeren Versandwege im Leasing sind natürlich schon einkalkuliert. 

DUS: Sie sprechen gerade den Versand an. Dieser steht ja oft in der Kritik, wenn es um die Nachhaltigkeit geht. Welche Konzepte haben Sie, um den Versand so ökologisch wie möglich zu gestalten? Lohnt es sich z.B. im Vergleich zum Kauf im regionalen Einzelhandel eine Krawatte bei Ihnen zu leihen, wenn wir die Klimabilanz betrachten? Um es konkret zu machen, wie stellen Sie sicher, dass der CO2-Fußabdruck tatsächlich kleiner ist als bei der Neuanschaffung?

LA: Wenn die Krawatte nicht häufig getragen wird, dann ist das Leihen bei uns sicher sinnvoller! Mir ist es wichtig mit einer falschen Annahme zu brechen: Regionale Einzelhandel sind nicht grundsätzlich emissionsärmer als der Onlinehandel! Es fallen ganz andere Fahrtwege, Strom- und Heizkosten, Umschlagzentren etc. ins Gewicht. Das Öko-Institut hat in einer Studie 2 gezeigt: Ein mit dem Auto in der Stadt getätigter Kauf kann einen 3x höheren Fußabdruck haben als ein Online-Kauf inklusive Retoure. Unabhängig von dieser grundsätzlichen Betrachtung setzen wir bei UNOWN aber auch wieder verwendbare Versandtaschen ein, verzichten komplett auf Plastik-Umverpackungen und kompensieren unvermeidbare CO2-Ausstöße. Das spart mindestens 80% an Verpackungsmüll ein! 

DUS: Zum Schluss noch eine Frage zur Zukunft der Mode. Wie soll die Modeindustrie Ihrer Meinung nach in 30 Jahren aussehen? Wird es noch endlos Kleidung zu kaufen geben?

LA: Ich erinnere mich an eine Statistik die besagt, dass wir genug Kleidung für die nächsten 50 Jahre hätten, wenn wir ab sofort nichts mehr produzieren würden. So viel Ware liegt nämlich ungenutzt in Lagerhallen und ist auf den Secondhand-Märkten verfügbar. Trotzdem wachsen die Produktionsraten Jahr für Jahr! Ich bin mir sicher, dass die Modeindustrie in den nächsten Jahren stärker klimabesteuert und reglementiert wird, weil sie einen so großen Fußabdruck hat. Und in 30 Jahren werden Zugangsmodelle wie unseres, aber auch andere Kreislaufmodelle (Cradle-to-Cradle) sowieso Normalität sein. 

[1] Greenpeace: Wegwerfware Kleidung – Repräsentative Greenpeace-Umfrage zu Kaufverhalten,
Tragedauer und der Entsorgung von Mode:  https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20151123_greenpeace_modekonsum_flyer.pdf (Abruf am 26.11.2021)

[2] Süddeutsche Zeitung: Wie klimaschädlich ist der Onlinehandel?: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/online-shopping-co2-klima-laden-1.4429396 (Abruf am 26.11.2021)

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN

© Tomas Engel

Linda Ahrens ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von UNOWN und dort verantwortlich für die Partnerschaften mit Marken und Marketing. Sie studierte an der University of Oxford und Zeppelin Universität Wirtschaft und Soziologie und leitete zuvor als Strategin Innovationsprojekte für die Beauty-, Mode- und Mobilitätsindustrie.

Über den Bücherrand hinaus: Die Bibliothek der Dinge

Jeder kennt es: ob Lexikon für das bevorstehende Schülerreferat, Lehrbuch im Studium oder der heißersehnte Roman der Lieblingsautorin – Literatur braucht es in vielen Lebenslagen. Dabei wird nicht selten bestellt oder brandneu gekauft, und nach kurzem Nutzen verstaubt das teure Exemplar im eigenen Bücherregal. Eine Lösung gegen diesen hohen Kosten- und Ressourcenverbrauch sind Bibliotheken. Wir alle kennen ihr Konzept, bei dem – ganz im Sinne der Nachhaltigkeit – ein einziges Exemplar gleich mehreren Leuten zugutekommen kann.

Doch das Leihkonzept von Bibliotheken geht mittlerweile weit über Bücher hinaus. Neuerdings werden neben Büchern weitere nützliche Dinge verliehen oder getauscht: Nähmaschine, Instrumente, Sportutensilien, Saatgut und vieles mehr. Alltagsgegenstände, die sich nicht jeder leisten kann, oder die von einer einzelnen Person nur selten wirklich genutzt werden 1.

Die sogenannten „Bibliotheken der Dinge“ bieten ein Sammelsurium an wertvollen Gegenständen, die untereinander geteilt und verliehen werden können. So kommen diese nur dann zum Einsatz, wenn sie wirklich gebraucht werden. Im Sinne von Suffizienz haben viele Bibliotheken solche Sammlungen integriert und unterstützen damit das Prinzip der „Sharing Economy“. Gleichzeitig leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung der 17 Nachhaltigkeitsziele „Agenda 2030“ der Vereinten Nationen 2. So verwirklichen Stadtbüchereien, Hochschul-Bibliotheken und andere Büchereizentralen beispielsweise das Ziel zu hochwertiger Bildung, zu Informations- und Kommunikationstechnologie sowie zu Nachhaltigem Konsum und Produktion. Um Ihnen eine Vorstellung zu geben, sind hier zwei Beispiele an Bibliotheken der Dinge kurz zusammengefasst:

Nachhaltiger Konsum – Stadtbibliothek Mülheim an der Ruhr

„Ein buntes Allerlei“ – so bewirbt die Stadtbibliothek Mülheim an der Ruhr ihr breites Angebot an Projekten, Initiativen und Leihgütern. Dabei können nicht nur Saatgut und Regenschirme geteilt werden, sondern es gibt auch Möglichkeiten Carsharing zu nutzen und im Repair-Café kostenfrei alte Haushaltsgegenstände wiederzuverwerten 3.

„Ein buntes Allerlei“ in der Stadtbibliothek Mülheim an der Ruhr

Green Campus Book Corner – Universitätsbibliothek Salzburg

Der „PLUS Green Campus Book Corner“ wurde als Dienstleistungseinrichtung gemeinsam mit der Universitätsbibliothek Salzburg errichtet. Seit 2017 stehen hier eine Bandbreite an Büchern und Medien mit Fokus auf Umweltthemen zur Verfügung. Sie sollen informieren und Bibliotheksnutzer*innen einen fachlichen Überblick über unsere Umweltlage liefern 4.

Auch in deiner Nähe steht vielleicht eine Bibliothek der Dinge. Eine Übersicht und weitere Beispielprojekte sind auf der folgenden Seite zusammengefasst: https://www.biblio2030.de/ 5.

Quellen:

[1] https://www.ideenw3rk.de/bibliothek-der-dinge/

[2]https://www.medienzentrum-biberach.de/-/bibliothek-der-dinge

[3] https://www.biblio2030.de/stadtbibliothek-muelheim-an-der-ruhr/

[4] https://www.biblio2030.de/green-campus-book-corner-universitaetsbibliothek-salzburg/

[5] https://www.biblio2030.de/beispielsammlung/

Wenn dir ein Geschäft „Kauf weniger“ sagt. – Interview mit Maike Gossen

Im Rahmen eines Interviews sprachen wir mit Maike Gossen vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) über die kürzlich veröffentlichte Studie „When your shop says #lessismore. Online Communication interventions for clothing sufficiency“. Digitalisierung verändert unsere Lebensweise und unser Konsumverhalten. Wie man Online-Kommunikation als Tool für Suffizienzmarketing nutzen kann und welche Erkenntnisse aus der Studie hervorgegangen sind, erläutert Maike Gossen im folgenden Interview.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Sie haben die Studie „When your shop says #lessismore. Online Communication interventions for clothing sufficiency“1 im „Journal of Environmental Psychology“ veröffentlicht. Können Sie kurz zusammenfassen, worum es in der experimentellen Studie geht?

Maike Gossen (MG): Die Studie entstand in unserer Forschungsgruppe zu Digitalisierung und sozial-ökologischer Transformation 2. Wir wollten herausfinden, inwiefern Online-Kommunikation von Unternehmen aus dem Kleidungsbereich, beispielsweise in Social Media, nachhaltige Lebensstile fördern können. Zu diesem Zweck haben wir Online-Kommunikation als Teil von Suffizienzmarketing 3 in zwei experimentellen Studien untersucht.

DUS: Wie sind diese Studien abgelaufen und was sind die zentralen Ergebnisse?

MG: Im ersten Schritt haben wir gemeinsam mit unserem Projektpartner Avocadostore eine Feldstudie konzipiert. Im Rahmen einer Themenwoche auf Social Media und im Newsletter hat der Online-Marktplatz unter dem Motto „lessismore“ auf Alternativen zum Neukauf hingewiesen. Wir haben vor und nach der Themenwoche die Kund*innen von Avocadostore zu ihrem Kaufverhalten und ihren Einstellungen befragt. Das zentrale Ergebnis der Feldstudie ist, dass Suffizienzbotschaften positiv bewertet werden. Jedoch kauften die Kund*innen im Monat nach der lessismore-Woche genauso viel Kleidung wie Kund*innen, die die suffizienzfördernde Kommunikation nicht gesehen hatten. Es scheint also, dass vereinzelte Social Media-Posts eines Unternehmens als Intervention zu schwach sind, um sich langfristig auf das Konsumniveau auszuwirken. In einer daran anschließenden Online-Laborstudie konnten wir hingegen zeigen, dass suffizienzfördernde Social Media-Posts kurzfristig sehr wohl suffiziente Konsumentscheidungen fördern konnten. Dieser Effekt war insbesondere bei Teilnehmenden stärker, die bereits altruistische und umweltorientierte Werte vertraten. 

DUS: Was schließen Sie aus dem Ergebnis, dass Suffizienzbotschaften über Social Media eher eine kurzfristige Wirkung zeigen. Ist Social Media grundsätzlich ungeeignet, um langfristige Verhaltensänderungen zu erzeugen? Was bedeutet das für das Suffizienzmarketing?

MG: Dass wir zwar eine kurzfristige Wirkung im Labor, aber keine langfristige Wirkung im Feld finden konnten, ist ein interessantes Ergebnis, das zu weiterer Forschung einlädt. Wir interpretieren diese Resultate so, dass Suffizienzkommunikation erst wirksam sein kann, wenn sie einen sichtbaren Anteil an der Gesamtkommunikation einnimmt. Gerade in einem ansonsten sehr konsumorientierten Umfeld wie Social Media 4 und dem Internet an sich 5 kann eine einzelne Suffizienzbotschaft oder ein einzelner Instagram-Post im allgemeinen Informationsfluss untergehen. Langfristig wäre es wünschenswert, in der digitalen Kommunikation eine Kultur der Suffizienz zu etablieren und soziale Normen weg von schnelllebigem Konsum hin zu mehr Nachhaltigkeit zu verändern.

DUS: Heute bewerben immer mehr Unternehmen ihr nachhaltiges Angebot und fördern damit grünen Konsum. Worin unterscheidet sich das so genannte Suffizienzmarketing?

MG: Beim Suffizienzmarketing geht es darum, keine neuen Konsumwünsche zu schaffen, sondern bestehende Bedürfnisse zu befriedigen. Das kann also entweder ein Produkt sein, dass sich durch langlebige Materialien, Reparierbarkeit oder Zeitlosigkeit auszeichnet, aber genauso können es auch Alternativen zum Neukauf sein. Häufig kann die Lebensdauer von Produkten verlängert werden, indem sie repariert, gut gepflegt oder verliehen werden. Auch durch Secondhand können Ressourcen eingespart werden. Im Outdoorbereich gibt es viele Vorreiterunternehmen, die Suffizienz fördern wollen und nicht nur ihr Sortiment und ihre Services darauf ausgerichtet haben, sondern auch in ihrer Kommunikation ganz offen sagen, dass es nicht immer das neueste Produkt sein muss. Patagonia ist ja für ihre Konsumkritik bekannt, beispielsweise durch Aktionen wie der “Don’t Buy This Jacket”-Kampagne. Zum letzten Black Friday hat das US-Unternehmen mit der “Buy less, demand more”-Kampagne seine Kund*innen nicht nur dazu aufgefordert, weniger zu konsumieren, sondern auch ihrerseits noch mehr von Textilherstellern und der Politik einzufordern. Indem sie politischen Aktivismus fördern wollen sie einen Beitrag dazu leisten, die Bekleidungsindustrie zu verändern. 

DUS: Aber letztendlich stellt sich doch immer die Frage, wie suffizienz-orientierte Unternehmen in einer wachstumsgetriebenen Wirtschaft überleben können. Ist diese Konfliktlinie überhaupt zu überwinden? 

MG: Eine Suffizienzorientierung ändert das Verständnis von unternehmerischer Wertschöpfung, welcher sich nicht mehr an reiner Absatzsteigerung und Wachstum orientiert, sondern am Wohlergehen von Beschäftigten, der Umwelt und der Gesellschaft gleichermaßen. Pioniere der Postwachstumsökonomie positionieren sich daher in Nischen oder skalieren ihre Wirkung durch suffizienz-orientierte Angebote. Manche Unternehmen wachsen weiter und rechtfertigen dies mit der Verdrängung nicht-nachhaltiger Unternehmen. Andere Unternehmen wie Patagonia wollen nicht größer werden, sondern ihre aktuelle Stellung nutzen, um ihren Unternehmenszweck zu erfüllen und ihre Marke an den Werten und der Mission von Patagonia auszurichten. In diesem Sinne geht Suffizienzförderung nur, wenn alle an einem Strang ziehen: in unserer Forschung zeigt sich immer wieder, dass viele Menschen aber auch Unternehmen eine hohe Bereitschaft zur Suffizienz aufweisen. Sie haben verstanden, dass es dabei nicht primär um Verzicht geht, sondern um ein gutes Leben für alle.


[1] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0272494421000487

[2] nachhaltige-digitalisierung.de

[3] https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0276146719866238

[4] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/cb.1855

[5] https://oekologisches-wirtschaften.de/index.php/oew/article/view/1786

Über die Interviewpartnerin
© Gordon Welters

Maike Gossen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und Doktorandin an der TU Berlin in der BMBF-geförderten Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind nachhaltiger Konsum, Suffizienz und Nachhaltigkeitsmarketing.

Buchrezension: „Kauf mich! Auf der Suche nach dem guten Konsum“ von Nunu Kaller

In ihrem neuen Sachbuch „Kauf mich! Auf der Suche nach dem guten Konsum“ – erschienen am 08. März 2021 im Kremayr & Scheriau Verlag – untersucht Bestsellerautorin Nunu Kaller verschiedene Facetten des Konsumierens und wie dies gesteuert werden kann. Wie beeinflusst die Industrie den menschlichen Kaufantreib und inwiefern entscheiden Kund*innen eigentlich noch selbst über ihn? Warum, was und wie kauft der Mensch? Die Autorin widmet sich u. a. dem Dopamin-High, das den Menschen bei der Schnäppchenjagd überfällt, entlarvt die verschiedenen Tricks von Supermärkten, wie sie Konsument*innen zum Kauf überreden und zerlegt die Greenwashing-Versuche der Modeindustrie. Sie tritt energisch dafür ein, dass Kund*innen nicht die Alleinverantwortung für nachhaltiges Konsumieren tragen, sondern die Industrie und der Markt verantwortungsbewusster mit ihrem Einfluss auf die menschliche Kaufpsychologie umgehen müssen. So malt Kaller ein fulminantes Bild rund um die Konsumpolemik mit dem Ausblick, dass zum einen die Politik und Wirtschaft gravierend zu einer Richtungsänderung beitragen müssen und zum anderen auch jede*r Einzelne sein/ihr eigenes Kaufbedürfnis reflektieren sollte. Schließlich könne man ihrer Ansicht nach niemanden in guten Konsum hinein „shamen“.

Nunu Kaller, die von 2014 bis 2019 als Konsument*innensprecherin bei Greenpeace arbeitete, möchte die Leser*innen nicht zum Nullkonsum bekehren, sondern ausgehend von der Tatsache, dass der Mensch konsumiert, die psychologische, biologische und wirtschaftliche Perspektive dieses Konsums beleuchten. Anhand ihrer Recherche soll die Leitfrage diskutiert werden, ob es „guten“ Konsum überhaupt gibt und wie dieser gegebenenfalls aussieht. Im Vorwort gelungen hergeleitet begründet sie die eigene Motivation in ihrer Relevanz, zumal die Konsumdebatte in Zeiten der Klimakrise für Viele immer wichtiger wird. Schon mit den ersten Seiten spricht Kaller daher jenen Menschen aus der Seele, die sich bereits mit ökologisch nachhaltigem Konsum auseinandergesetzt haben, durch die Fülle an Informationen im World Wide Web zu diesem Thema jedoch verunsichert sind.

Du bringst Menschen dazu, ihr eigenes umweltschädliches Verhalten zu überdenken, wenn du ihnen zeigst, dass sie möglicherweise selbst, ganz direkt und unmittelbar, gefährdet sind.

Nunu Kaller, S.11

Kaller führt die Leser*innen anhand ihrer eigenen Gedanken durch 236 Seiten und veranschaulicht die gesammelten Fakten durch Anekdoten und Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben sowie aus dem ihres privaten Umfelds. Die insgesamt sechs Kapitel widmen sich jeweils einer übergeordneten Frage und navigieren die Leser*innen anregend durch ihre Recherche. Beginnend mit dem ersten Kapitel „Warum kaufen wir?“ geht die Autorin über zu der Feststellung „Man kann nicht nicht konsumieren“ (Kapiel 2), um danach zu erörtern „Was machen die [Industrie und Werbung] mit uns?“ (Kapitel 3) und „Was macht Konsum eigentlich wirklich mit uns?“ (Kapitel 4). Nachfolgend (Kapitel 5) wird diskutiert, warum Konsum überhaupt schlecht ist, um im abschließenden Kapitel „Was ist denn nun ‚guter Konsum‘?“ alle Resultate zusammenzuführen. Die Überschriften sind aussagekräftig gewählt, jedoch wäre für das Motiv des Buches – die Suche nach „gutem“ Konsum – eine darauf ausgerichtete Kapitelaufteilung sinnvoller. So würde das fünfte Kapitel „Warum ist Konsum eigentlich überhaupt schlecht?“ einen guten Einstieg in die übergeordnete Fragestellung bilden. Durch Unterüberschriften, die die sechs großen Kapitel in thematische Blöcke einteilen, wird dem Buch eine stringente Struktur mit bündigen Überleitungen verliehen. Empfehlenswert wäre allerdings die Aufführung der Unterkapitel im Inhaltsverzeichnis gewesen, damit Fakten und Informationen gezielt nachgelesen oder gesucht werden könnten.

Kaller wirft unabhängig von den Kapitelüberschriften viele (moralische) Fragen auf, deren Beantwortung partiell den Leser*innen überlassen bleiben, wie zum Beispiel warum wir kaufen, obwohl uns die Produktionsbedingungen allgemein bekannt sind. Hierdurch tritt die Hauptfrage „Gibt es guten Konsum?“ teils in den Hintergrund. Der/Die ein oder andere Leser*in wird sich deshalb zwischendurch bei der Suche nach dem Sinn hinter den gelesenen Seiten ertappen, jedoch schnell wieder zum roten Faden zurückfinden. Insgesamt zeigt die Autorin also überwiegend nachvollziehbar und schlüssig die facettenreiche Tragweite der Konsumthematik auf, wobei wenige Passagen, beispielsweise die Psychologie der Industrie, eine noch intensivere Erörterung verlangt hätten. Ihre Argumentation untermauert Kaller durch Quellenangaben verwendeter Artikel und Studien sowie weiterführender Literatur in Fußnoten, die für eine bessere Übersichtlichkeit in einem Quellenverzeichnis am Ende des Buches hätten zusammengetragen werden können.

Die offengelegten Fakten und Rechercheergebnisse unterstreicht die Autorin mit Humor und befreit sich durch ihre eher alltagssprachlich gehaltene Langage vom Stereotypen des anstrengenden Sachbuchs. Dass Nunu Kaller sich als leidenschaftliche Wienerin beschreibt, spiegelt ihre Schreibart wider: Als deutsche*r Leser*in stolpert man über österreichische Ausdrücke und schmunzelt über Begriffe wie „Sackerl“ oder „Packerlsuppe“. Nur selten bleibt man an langen Sätzen hängen, deren Sinn sich jedoch nach erneutem Lesen zu entfalten weiß. Stilistisch liest sich das Buch flüssig, Rechtschreibfehler, die den Gesamteindruck trüben könnten, finden sich kaum. Kaller bedient sich dem Binnen-I, um mit ihrer Sprache Geschlechtergleichheit zu generieren. Dies ist für den Sprachwandel zu begrüßen, da das Gendern für weite Teile der Bevölkerung leider noch nicht selbstverständlich und nachvollziehbar geworden ist.

„Wir dürfen auch nicht zu streng mit uns sein. Ja, natürlich darf man hin und wieder sinnlosen Konsum genießen.“

Nunu Kaller, S. 224

Ihre Überzeugung, man könne niemanden in guten Konsum hinein „shamen“, führt insgesamt zu einem selbstkritischen und offenen Blick auf die Thematik, ausgehend von ihrer Person und ihrem Leben. Sie betont authentisch, dass sie sich von ihrer eigenen Konsumkritik nicht ausnehmen möchte und spielt ohne erhobenen Zeigefinger die Rolle des Vorbilds. Erfahrungsberichte, wie sie oder Freund*innen sich sinnlosem Konsum hingaben, rufen Sympathie für die Autorin hervor und führen zu einer größeren Identifikation mit dem Gelesenen. „Wenn Nunu Kaller es schafft, für sich die Bedeutung von ‚gutem‘ Konsum zu erörtern und ihr Kaufbedürfnis demnach anzupassen, wieso ich nicht auch?“ So schafft sie es, die Leser*innen zum Überdenken des eigenen Handelns anzuregen. Hierfür wäre am Ende des Buches eine Zusammenfassung der Möglichkeiten, wie man das eigene Konsumverhalten reflektieren könnte, als Wegweiser nützlich gewesen.

Im Gesamteindruck gewinnt Nunu Kaller die Leser*innen mit ihrem Charme und ihrer Authentizität. Revolutionäre Erkenntnisse bleiben aus, doch scheint dies auch nicht der Anspruch der Autorin zu sein. Viel mehr gibt sie verwirrten Konsument*innen, die sich weiter in Richtung Nachhaltigkeit orientieren möchten, eine Stütze im Informationswirrwarr. Erfrischenderweise begann Kaller ihre Recherchen vor der Corona-Pandemie und geht in ihrem Buch nur kurz auf die Veränderungen, die die Krisenzeit auf unseren Konsum ausübt, ein. Natürlich wäre die Erörterung im Lichte des Online-Shopping-Hochs überaus interessant, doch stellt ihre Forschung dadurch eine angenehme Abwechslung zur aktuellen Berichtserstattung dar.

„Kauf mich! Auf der Suche nach gutem Konsum“ ist eine Erinnerung für diejenigen, die bereits reflektiert und nachhaltig konsumieren, wieso sie dies tun und eine Aufforderung an diejenigen, die bereits „grün affin“ sind, sich aktiv mit ihrem Konsum zu beschäftigen. Ihr Plädoyer für weniger Konsum und mehr Verantwortung mit dem nachhaltigen Grundgedanken im Hinterkopf, weiß angesichts der ausgeprägten Stärken und wenigen Schwächen zu beeindrucken. Mit der richtigen Mischung aus Emotion, Sachlichkeit und Witz hält sie die Lesenden bei Laune und zeichnet ein Bild der Realität, bei dem man nicht sicher ist, ob man lachen oder lieber weinen möchte.

Über die Autorin

Copyright: Julius Hirtzberger

Nunu Kaller, geboren 1981 und seither leidenschaftliche Wienerin, absolvierte ein Studium der Publizistik, Anglistik und Zeitgeschichte. Nach zwei Jahren bei diepresse.com wechselte sie in die NGO-Welt. 2014 bis 2019 arbeitete sie als Konsument*innensprecherin bei Greenpeace. Seit Ende 2019 ist sie selbstständig als Autorin, Speaker, Beraterin und Initiatorin von nunukaller.com, einer Plattform, die heimischen Unternehmen im Corona-Lockdown zu Sichtbarkeit verhalf. Bei KiWi erschienen von ihr die Bestseller „Ich kauf nix!“ und „Fuck Beauty!“.