Zukunftsfähig durch nachhaltige Entwicklung – ein Interview mit Vera Rößiger

“Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.” Dieses Sprichwort passt sehr gut zum Projekt N-Scouts. Vor einiger Zeit haben wir in einem Beitrag über das Fachforum Nachhaltigkeit mit dem Thema “Suffizienz und Ernährung” berichtet, in dessen Rahmen auch das Projekt N-Scouts des Landesjugendrings Baden-Württemberg e. V. (kurz: ljrbw) vorgestellt wurde. Wir haben mit Vera Rößiger, Referentin für Nachhaltigkeit und Organisatorin des Projekts gesprochen.

zukunftsfähig durch nachhaltige entwicklung

Deutsche Umweltstiftung: Was sind deine Aufgaben im Fachbereich Nachhaltigkeit beim Landesjugendring Baden-Würtemberg e. V.?

Vera Rößiger: Zur Einordnung hole ich ein bisschen aus: Der Landesjugendring Baden-Württemberg e.V. ist eine Arbeitsgemeinschaft von verschiedenen Jugendverbänden auf Landesebene, sowie der Stadt- und Kreisjugendringe in Baden-Württemberg.

Die Fachbereiche werden von dem höchsten Gremium, der Vollversammlung eingesetzt. Diese wählt außerdem Vorstände, die dem jeweiligen Fachbereich vorstehen. Die Vorstände legen gemeinsam mit den Mitgliedern des geschäftsführenden Vorstands die strategischen Ziele des Landesjugendrings fest. In der Geschäftsstelle gibt es dann jeweils eine*n Referent*in für jeden Fachbereich, welche*r dafür zuständig ist, die Aufgaben praktisch umzusetzen.

Meine Aufgaben für den Fachbereich orientieren sich an den Bedürfnissen unserer Mitgliedverbände. Deren Arbeit wiederum orientiert sich an Interessen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen. Diese haben angesichts der globalen, ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit berechtigte Sorge um die Zukunft der Welt und damit auch um ihre eigene. Für viele Kinder und Jugendliche ist ein sinnvoller Umgang mit Natur und Umwelt sowie ein global gerechtes Miteinander aller Menschen auf dieser Welt sehr wichtig. Und so ist es kein Wunder, dass Projekte der Jugendverbände sich – wenn auch nicht immer explizit – längst auf die Themen der nachhaltigen Entwicklung bzw. der Zukunftsfähigkeit beziehen. Der Fachbereich Nachhaltigkeit möchte diese vernetzen und gleichzeitig drei Schwerpunktthemen inhaltlich bearbeiten: Öko-fair-soziale Beschaffung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Nachhaltige Gesellschaft.

Ganz konkret organisiere ich zum Beispiel AG-Sitzungen unserer AG-Nachhaltigkeit mit Vertreter*innen der Mitgliedsverbände, um unserer Arbeit an deren Interessen auszurichten. Und wir versuchen die Interessen unserer Mitgliedsverbände im Bereich Nachhaltigkeit auf politischer Ebene zu vertreten: So haben wir etwa eine gemeinsame Stellungnahme von verschiedenen Verbänden (u.a. Landjugend und Naturschutzjugend) initiiert, als ein Gesetz zur Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetzes erlassen wurde. Solche Stellungnahmen zeigen den Verantwortlichen die Perspektive engagierter Jugendlicher bzw. der Jugendverbände auf. Und dann gibt es da noch das Projekt „N-Scouts“, welches wir in Kooperation mit RENN.süd (RENN=Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien) umgesetzt haben.

Deutsche Umweltstiftung: Welche Ziele verfolgt ihr mit dem N-Scouts Projekt?

Natürlich möchten wir die Welt verändern! Ein hehres Ziel, dem wir uns mit den N-Scouts annähern wollen. Unser Ziel oder unsere Vision ist es, dass bis zum Jahr 2025 mindestens 25 unserer Mitgliedsorganisationen öko-fair-sozial verantwortlich wirtschaften und dass ihnen suffizientes Handeln ein Begriff ist. Dafür braucht es Menschen, die selbstorganisiert in ihrer Struktur, ihrem Verband oder Ring neue Wege der Beschaffung gehen und jugendorientiert das Thema Suffizienz setzen. Diese Menschen wollen wir als Landesjugendring mit dem Projekt N-Scouts stärken und begleiten, sodass sie die nötigen Veränderungen in ihrem Verband angehen können.

Deutsche Umweltstiftung: Wie wollt ihr diese Vision wahr werden lassen? Welche Herausforderungen siehst du bei der Umsetzung suffizientes Handeln in den Fokus der breiten Gesellschaft zu setzen?

Damit unsere Vision wahr wird, wollen wir (junge) Menschen aus Jugendverbänden dabei stärken, diese Veränderungen anzugehen; ihnen sozusagen „Starthilfe“ geben. Beim Projekt N-Scouts gibt es zwei Wochenendveranstaltungen, die das Problembewusstsein bezüglich Nachhaltigkeit in verschiedenen Bereichen stärken, etwa zum Thema Ernährung, Büromaterialien oder Mobilität – alles im Kontext der Jugend(verbands-)arbeit. Daneben soll es aber auch darum gehen, Handlungswissen zu generieren und zu vermitteln – das heißt, dass die N-Scouts Lösungsansätze und Strategien für ihren Verband entwickeln können – und eine Herangehensweise an nachhaltiges Handeln zu entwickeln. Wir glauben, dass mit einem konkreten Fahrplan solche Veränderungsprozesse angegangen werden können und wir möchten diesen Fahrplan entwickeln helfen.

Um suffizientes Handeln in den Fokus der breiten Gesellschaft zu setzen braucht es genau solche Menschen, wie die N-Scouts, welche Probleme erkennen können und Veränderungen angehen oder auch einfach mal was Neues ausprobieren. Wir brauchen gesamtgesellschaftlich ein größeres Problembewusstsein. Doch das alleine genügt nicht, um suffizientes Handeln in die Breite zu bringen. Es benötigt auch politische Rahmenbedingungen: ob Kommunen, Verwaltung oder Unternehmen, wir brauchen Anreize und Impulse für jede und jeden, damit ressourcenleichteres Leben attraktiver wird und Lebensqualität ohne materiellen Reichtum erreicht werden kann.

Deutsche Umweltstiftung: Wie kann man N-Scout werden?

Um N-Scout zu werden, kann man sich ganz einfach bei mir anmelden.

Du solltest aus Baden-Württemberg kommen und Veränderung in einem Jugendverband oder einer selbstorganisierten Jugendgruppe anstoßen wollen. Dazu benötigst du außerdem ein Mandat deines Verbandes bzw. deiner Gruppe: Wir wollen, dass die Organisation auch bereit ist, Veränderungen umzusetzen und die N-Scouts entsenden.

Coronabedingt werden wir die Wochenendveranstaltungen auf Anfang kommenden Jahres verlegen müssen, genauere Informationen findet ihr dazu auf unserer Homepage: https://ljrbw.de/nachhaltige-entwicklung.

über die interviewpartnerin
© Vera Rößiger

Vera Rößiger ist Referentin beim Langesjugendring Baden-Württemberg e. V. für den Fachbereich Nachhaltigkeit und organisiert in diesem Rahmen das Projekt N-Scouts.

Das Fachforum Nachhaltigkeit: Suffizienz und Ernährung

Das Fachforum Nachhaltigkeit zum Thema „Suffizienz und Ernährung“ wurde am 3. Juli 2020 vom Landesjugendring BW veranstaltet. Es wurden verschiedene Handlungsmöglichkeiten vorgestellt, wie die eigene Ernährung gestaltet werden sollte und welche staatlichen Anreize sinnvoll wären. Dazu wurde begründet, warum diese notwendig und sinnvoll sind, um bestehende Probleme zu lösen. Aktuelle Probleme in Bezug auf Ernährung sind hohe CO2-Emissionen, Flächenverbrauch und Naturzerstörung, Artensterben durch die Landwirtschaft sowie die eigene Gesundheit und Tierwohl.

Ein Beispiel ist die energie- und ressourcenintensive Fleischindustrie. Allein die Tierhaltung ist für rund 20 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich und beansprucht ein Drittel der Erdoberfläche. Den eigenen Fleischkonsum zu reduzieren entschärft diese Problematiken auf individueller Ebene. Auf staatlicher Ebene können das Ende von Subventionen oder Steuervorteile für pflanzliche Produkte eine fleischarme Ernährung attraktiver machen.

Aufbauend darauf zeigte Gerd Oelsner von den “Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien” (RENN.süd) Methoden auf, die Menschen meist unterbewusst dazu bringen können, sich nachhaltig zu verhalten. Hierzu zählt beispielsweise das Nudging, bei dem kleine “Schubser” größere Gewohnheitsveränderungen anstoßen. Ein erster Schritt ist oft, sich mit dem eigenen Verhalten auseinander zu setzen. Hierzu gab Gerd Oelsner Materialien wie den persönlichen CO2-Rechner oder den nachhaltigen Warenkorb an die Hand.

Der Hauptteil der Veranstaltung bestand aus einer inhaltlichen Einführung in das Thema Suffizienz durch Dr. Lars Brischke, Suffizienzforscher am Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu). Im Anschluss daran erklärte Amany von Oehsen, Umweltberaterin beim BUND Heidelberg warum Suffizienz in der Ernährung eine wichtige Rolle spielt.

Dr. Lars Brischke definiert Suffizienz als Möglichkeit, sich von Besitz & Zeit sowie Markt & Raum zu emanzipieren. Dabei verschiebe Suffizienz den Möglichkeitsraum: Es soll weder einen Mangel an Bedürfnisbefriedigung noch ein Übermaß an Ressourcennutzung bestehen. Für den Bereich Ernährung seien Ressourcen jedoch schon häufig überstrapaziert. Beispiele dafür seien Fleischkonsum, Ferntransport, Dumpingpreisen, Lebensmittelabfällen, Wasserbedarf und dass Nahrungsmittel aus globalisierten Erzeugungs- und Lieferketten kommen. Weitere Probleme im Bereich Ernährung seien die chemische Belastung der Umwelt, Ausbeutung von Arbeitskräften und eine unausgewogene Ernährung der Bevölkerung. Auch die vier E’s aus der Suffizienzforschung, dargestellt in Abbildung 1, helfen beim Thema Ernährung. Der Konsum regionaler Lebensmitteln trägt zur Entflechtung bei und der Konsum saisonaler Lebensmittel entschleunigt die eigene Ernährung, denn natürliche Rhythmen werden beachtet. Lebensmittel nicht zu verschwenden und nicht wegzuwerfen ist Fazit der Entrümpelung und Lebensmittel selbst anzubauen oder Produkte eigens herzustellen entkommerzialisiert den eigenen Konsum.

Abb. 1: Grundsätzlich helfen Entrümpelung, Entschleunigung, Entkommerzialisierung und Entflechtung, die 4 E’s aus der Suffizienzforschung, bei der Gestaltung suffizienter Ernährungsweisen. © Dr. Lars Brischke

Amany von Oehsen erklärt weiter, um suffiziente Ernährungsweisen zu verbreiten, sei es wichtig, diese Probleme ins Bewusstsein der Konsumenten zu rufen und Lösungsansätze und Handlungsoptionen positiv zu kommunizieren. Viele praktische Tipps verdeutlichen, dass eine suffiziente Ernährung für jeden umsetzbar ist. Jedoch müsse auch die Politik falsche Anreize, zum Beispiel durch Subventionen, abbauen oder umkehren und richtige Anreize zum Beispiel durch eine Besteuerung setzen.

Zum Abschluss wurde das Projekt “N-Scouts” durch Erfahrungsberichte anwesender aktiver N-Scouts vorgestellt. Bei diesem Projekt geht es darum, Mitglieder verschiedener Organisationen aus der Jugendarbeit im Bereich Nachhaltigkeit zu schulen. Die verschiedenen Steps auf dem Weg zum N-Scout sind in Abbildung 2 dargestellt. Nach der Schulung tragen die N-Scouts suffiziente Handlungsweisen in ihre Organisationen.

Abb. 2: Das Projekt N-Scouts beinhaltet eine Schulungsphase, in der Teilnehmer zu Experten im Bereich Nachhaltigkeit für ihre Organisation ausgebildet werden. © Vera Rößiger

Das Fachforum Nachhaltigkeit zum Thema “Ernährung und Suffizienz” war eine gute Gelegenheit, um sich die Notwendigkeit einer suffizienten Ernährung ins Bewusstsein zu rufen. Dabei wurde schwerpunktmäßig dargestellt, wie die eigene Ernährung ohne viel Aufwand suffizienter gestaltet werden kann und wie auch Andere zu Änderungen bewegt werden können. Das vorgestellte Projekt N-Scouts ist ein Ansatz, um suffiziente Handlungsweisen auch in Organisationen umzusetzen und vor allem junge Menschen für das Thema zu sensibilisieren.

Quellen:
Noleppa, Steffen, von Witzke, Harald (2012): Tonnen für die Tonne, Berlin: WWF. URL: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/studie_tonnen_fuer_die_tonne.pdf
Greenpeace (2014): Fleisch – Was kostet das Stück Lebenskraft? URL: https://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/fleischeslust-was-das-stuck-lebenskraft-tatsachlich-kostet

#KaufnixChallenge – ein suffizienter Alltag ist möglich!

In unserer #KaufnixChallenge haben wir viel über ein nachhaltiges Konsumverhalten gelernt und herausgefunden, wie wir unseren Alltag noch suffizienter gestalten können. Die Anti-Verbraucher-Pyramide hat uns dazu inspiriert, Alltagsgegenstände mehrmals zu nutzen, selbst herzustellen, zu tauschen, zu leihen und Gebrauchtes zu kaufen.

Die Anti-Verbraucher-Pyramide

Angefangen mit dem Thema „Nutze, was du hast“ haben wir unseren Fokus auf die Vermeidung von Plastikverpackungen gelegt. Nachdem wir gezeigt haben, wie sich eine Mittagspause möglichst ohne Abfall gestalten lässt, erreichten uns viele weitere Strategien und Tipps zur Plastikvermeidung im Haushalt.

In Anlehnung an die Stufen der Anti-Vebraucher-Pyramide ging es mit dem Vorsatz, etwas selbst zu fertigen, weiter. Für uns und unsere Teilnehmenden war dies einer der originellsten Tage. Wir lernten nicht nur, wie einfach und umweltschonend es ist, ein Waschmittel selbst herzustellen. Darüber hinaus haben wir viele tolle Ideen zum Re- und Upcycling erhalten: eine Lampe verziert mit Muffinförmchen; ein Blumenkübel, hergestellt aus einer Kokosnussschale oder selbstgemachte Hafermilch.

Beiträge von Teilnehmenden

An den folgenden Tagen waren wir im Berliner Stadtleben unterwegs und haben tolle Möglichkeiten zum Tauschen, Leihen und Gebrauchtes kaufen entdeckt. Beispielsweise haben wir mit viel Freude unser aktuelles Jahrbuch Ökologie in einer der zahlreichen Bücherboxen Berlins getauscht und konnten auch weitere Teilnehmende für den Büchertausch anregen. Begeistert hat uns am folgenden Tag das vielseitige Angebot an Gesellschaftsspielen der Ludothek-Spielwiese.Auch das Secondhand-Angebot des Mauerpark Flohmarktes hat uns trotz Regenwetter zum Strahlen gebracht.

Wenn es um das Thema ökologisch, nachhaltig und fair Einkaufen geht, gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten. Das suffiziente Konzept von SirPlus überzeugt uns schon seit langer Zeit, sodass wir das Interview mit Raphael Fellmer noch einmal geteilt haben.

Eigene Challenge-Beiträge

Letztendlich blicken wir dank den positiven Rückmeldungen und kreativen Ideen erfolgreich auf unsere Challenge zurück. Wir nehmen mit, dass das Thema Suffizienz bereits großen Anklang findet und dass das Austauschen von Ideen sehr motivierend ist.

Die Challenge hat mir gezeigt, wie wichtig es ist und wie viel Spaß es machen kann, das alltägliche Leben suffizient zu gestalten.” – Moritz, Gewinner der Challenge

Wir haben uns sehr über Ihre kreativen Einsendungen gefreut und bedanken uns fürs Mitmachen. Auch wenn unsere Challenge nun vorbei ist geht das suffiziente Leben weiter. Denn je weniger und nachhaltiger wir konsumieren, desto schöner ist auch der Blick in die Zukunft!

#kaufnixChallenge

Suffizienz liegt im Trend, ob beim Wohnen, Konsumieren oder im Bereich der Mobilität. Eine wachsende Zahl an Umweltschützer*innen ist sich einig, dass nur ein suffizientes Leben langfristig die nachhaltige Entwicklung auf unserer Erde garantieren kann.

In unserer einwöchigen #kaufnixChallenge wollen wir Beispiele suffizienter Lebensweisen vorstellen. Wir laden Sie ein, Ihren suffizienten Alltag mit uns zu teilen. Schauen Sie sich die Stufen der Anti-Verbraucher-Pyramide an und prüfen Sie, welche Gewohnheiten Sie bereits jetzt leben – was leihen, tauschen und fertigen Sie?

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Laden Sie beispielhafte Fotos mit einer kurzen Beschreibung auf Facebook hoch und versehen Sie Ihren Beitrag mit dem Hashtag #kaufnixChallenge. Einsendungen per E-Mail sind natürlich auch herzlich willkommen.

Für alle Teilnehmer*innen gibt es eine kostenlose Leseprobe der “35-Tage-Challenge” von Benjamin und Fabian Eckert, erschienen im oekom Verlag. Darüber hinaus verlosen wir am Ende der Challenge 3×2 Kinotickets für den Film “Vergiftete Wahrheit” und 5×2 Tickets für die NachhaltigkeitsmesseVeggienale&FairGoods.

Wir freuen uns auf Ihre Einsendungen!

Alle Materialien und eine Kurzbeschreibung der Challenge finden Sie hier.

Campen fürs Klima vor dem Bundeskanzleramt

Vom 19. – 27. September fand in Berlin das zweite We4Future Camp statt. Neun Tage campten Klimaaktivist*innen vor dem Bundeskanzleramt und veranstalteten verschiedene Workshops zum Thema Klima- und Umweltschutz. Während des ersten We4Future Camps im Juni wurde der zivile Klimanotstand ausgerufen. Wir von der Deutschen Umweltstiftung haben das Camp besucht und erzählen von unseren Erfahrungen:

Am Dienstag wurde ein Workshop mit anschließender Diskussionsrunde über das Thema “Müssen wir über Verzicht debattieren?” angeboten, in welchem die “Imperiale Lebensweise” des globalen Nordens kritisch beleuchtet wurde. Ausgangspunkt des Vortrags war die Annahme, dass durch die Konsummuster der früh-industrialisierten Länder auf Kosten der Menschen des globalen Südens gelebt wird. Die dadurch entstandene soziale Ungerechtigkeit ist Teil der Klimakrise und hat in einigen Teilen der Bevölkerung eine moralisierende Debatte des Verzichtes im Sinne einer gerechteren Welt mobilisiert. Ziel des Workshops war es zu erarbeiten, wie der Verzicht zu einer positiven und politischen Debatte umgewandelt werden kann, welche alle Milieus erreicht und an den alltäglichen Bedürfnissen der Bevölkerung anknüpft.

Die Teilnehmenden des Workshops waren zum Großteil sehr vertraut mit den Auswirkungen der konsumorientierten westlichen Gesellschaft und dementsprechend in ihren eigenen Verhaltensweisen reflektiert. Menschen, die sich schon sehr ausführlich mit ihren Konsummustern auseinandergesetzt haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass persönliche Kaufentscheidungen nur einen kleinen Beitrag zu einer nachhaltigen und gerechten Welt leisten können. Die Handlungsoptionen beim Einkaufen oder bei der Wahl des Verkehrsmittel sind nur beschränkt und können das Ausmaß der ausbeuterischen Industrienationen nicht grundlegend und vor allem nicht schnell genug verändern. Die Dringlichkeit das System an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen fordert die Politik dazu auf konkrete Maßnahmen für eine global tragbare Lebensweise umzusetzen.

Letztendlich waren sich Teilnehmenden des Workshops einig, dass die Gesellschaft zwar durch ihre persönlichen Handlungsentscheidungen nur wenig bewirken kann, es dennoch wichtig ist, dass weiterhin Druck auf die Politik ausgeübt wird. Hinzukommt, dass ein nachhaltiger Konsum von ökologisch und sozial tragbaren Produkten von der Bevölkerung ein monetärer und zeitlicher Mehraufwand bedeuten würde, welcher aufgrund begrenzter Ressourcen für die meisten sozialen Milieus nicht möglich ist. Die Verantwortung liegt nicht allein bei den Konsumierenden und muss auch von der Politik und anderen “global players” anerkannt werden, damit eine Transformation zu einer sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Gesellschaft entstehen kann.

An drei Tagen luden Vertreter*innen von Fridays for Future zu der Veranstaltung “Politiker*innen fragen – Fridays for Future antwortet” ein. Dazu wurden Einladungen an alle im Bundestag vertretenen Parteien geschickt, nur von der AfD kam keine Rückmeldung. Als wir am Donnerstag das Klimacamp besuchten, bereiteten sich Vertreter*innen von Fridays for Future auf die Diskussion mit den Politiker*innen vor. Wie kann man Politiker*innen davon überzeugen, Klimaschutz zu priorisieren, wenn sie es selbst nicht als wichtiges Thema empfinden? Wie solle man auf Ausweichfragen reagieren, z.B wenn die Aktivist*innen gefragt werden, was sie persönlich für den Klimaschutz machen? Diese Fragen wurden diskutiert, während die Aktivist*innen auf das Eintreffen der Politiker*innen warteten. Während unseres Besuches erschien nur Isabel Mackensen, Bundestagsabgeordnete der SPD, die zunächst allgemeine Fragen über das Klimacamp und die Motivation der Fridays for Future Aktivist*innen stellte.

Außerdem fragte Isabel Mackensen, wie Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander vereinbar seien. Denn von den Klimaschutzmaßnahmen seien vorwiegend Menschen niedrigeren Einkommens betroffen, so die Politikerin. Diese Behauptung wurde von einem Aktivisten zurückgewiesen. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit seien keine Gegensätze: Man könne ihn sozial gerecht gestalten, indem man zum Beispiel die CO2 Steuer gemeinsam mit einer Klimadividende einführt. Das bedeutet, das jegliche Einnahmen aus der CO2 Steuer gleichmäßig an alle Bürger*innen zurückgezahlt werden. Dementsprechend müssten nur Menschen, die sehr klimaschädlich leben (das sind hauptsächlich reiche Menschen) höhere Abgaben durch die CO2 Steuer zahlen. Menschen, die weniger CO2 Emissionen verursachen als die Durchschnittsbevölkerung (das sind meistens Menschen mit niedrigem Einkommen) profitieren sogar von dieser CO2 Steuer. Von diesem Konzept hat die Politikerin zuvor noch nicht gehört, versprach aber, sich über die Klimadividende zu informieren. Die Aktivist*innen betonten außerdem, fass es ihnen um Klimagerechtigkeit ginge. Von den Folgen eines Klimawandels sind die Menschen am stärksten betroffen, die ihn am wenigsten verursacht haben. Diese Ungerechtigkeit wolle Fridays for Future bekämpfen. Selbst wenn wenige Menschen von Klimaschutzmaßnahmen negativ betroffen seinen, müsse man das Klima trotzdem schützen, da es keine Alternative dazu gibt.

Zum Abschluss stellten die Aktivist*innen Fragen an Isabel Mackensen. Warum setze sich die Politik nicht stärker für Klimaschutz ein, obwohl ihnen die Konsequenzen eines Klimawandels bewusst seien? Die Politikerin antwortete, die Politik müsse auch die Menschen mitnehmen, die z.B. nicht an Erneuerbare Energien glauben. Wenn man zu radikalen Klimaschutz betreibe, würden die Menschen abgeschreckt und schlössen sich rechten Parteien an. Sie habe Angst davor, dass durch einen Rechtsruck Parteien an die Macht kommen, die Freiheiten einschränken. Davor habe sie mehr Angst als vor einem Klimawandel. Dass jedoch durch einen starken Klimawandel sehr viele Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen und soziale Ungerechtigkeiten verstärkt werden, was wiederum zu einem starken Rechtsruck führen kann, bedachte die Politikerin nicht. Das Klimaschutzpaket sei ihrer Meinung nach bereits ein Schritt in die richtige Richtung und sie hoffe darauf, dass dieses Paket in den nächsten Monaten ausgeweitet wird.

Insgesamt verlief die Diskussion sehr konstruktiv. Trotz der teils verschiedenen Positionen zeigte die Politikerin Verständnis für die Positionen von Fridays For Future. Außerdem war sie offen für die Vorschläge der Jugendlichen. Es bleibt zwar fraglich, ob solche Gespräche zu politischer Veränderung führen, allerdings schadet es nie, Diskussionen mit Menschen außerhalb der eigenen “Blase” zu führen. 1