Ästhetik und Suffizienz – Interview mit Alien Spiller

Suffizienz gilt neben Konsistenz und Effizienz als ein wichtiger Bestandteil effektiver Nachhaltigkeitsstrategien[1]. Mittlerweile hält das Konzept Einzug in verschiedene Lebens- und Alltagsbereiche. Unsere Interviewpartnerin Alien Spiller berichtet auf ihrem Blog über die Marke „Your Loving Nature“ (YLN), die Suffizienz im Bereich Kosmetik etabliert. Alien arbeitete im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Nachhaltigkeitsprojekts in ihrem Masterstudium mit YLN zusammen. Die Friseurin Marion Garz entwickelt seit 2018 Haarpflegeprodukte für YLN, die ohne aggressive Waschtenside, synthetische Weichmacher, überflüssige Verpackungen und lange Handelswege auskommen. Das Projekt steht unter dem Motto „Vom minimalistischen Design zu bewusstem Konsum“. Im Jahr 2021 wurde YLN beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis von der Jury ins Finale gewählt und konnte sich gegen eine Vielzahl anderer Unternehmen, Agenturen und Startups durchsetzen.

Im Zuge unseres Interviews sprachen wir mit Alien darüber, was das Produkt so besonders macht und warum die Verbindung von Ästhetik und Suffizienz ein für unsere Gesellschaft relevantes Zukunftskonzept ist.

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Dein Blog trägt den Namen „Ästhetik und Suffizienz“. Wie bist du auf das Thema gekommen? Und wie lassen sich deiner Meinung nach Ästhetik und Suffizienz verbinden oder welcher Zusammenhang besteht bereits?

Alien Spiller (AS): Mich hat grundsätzlich der Ansatz fasziniert, dass die reduzierte Ästhetik eines Produktes Wirkungen erzeugen könnte, die sich schrittweise auf andere Lebensbereiche übertragen lassen, dem Wunsch nach einem nachhaltigeren Lebensstil sozusagen eine Form verleiht. Design und Ästhetik haben ja grundsätzlich die Aufgabe, sich auf eine wesentliche Aussage zu konzentrieren. Und da landen wir auch gleich bei der Suffizienz, die auf ein Genug oder Weniger abzielt und somit ebenso die Frage nach dem Wesentlichen stellt.

DUS: Bevor wir nun zu deinem Thema von Suffizienz und Ästhetik kommen, magst du vielleicht zu Beginn zunächst kurz erläutern, was genau unter dem Suffizienz-Gedanken deiner Ansicht nach zu verstehen ist?

AS: In der Nachhaltigkeitsdebatte leitet sich das Konzept der Suffizienz aus der Annahme der Ressourcengerechtigkeit innerhalb und zwischen den Generationen ab und dass sich das aktuelle Konsumverhalten in der westlichen Welt nicht auf die gesamte Menschheit übertragen lässt, sondern eine Genügsamkeit in den Lebensstilen erfordert. Der Suffizienzgedanke lässt sich dann in verschiedene Strategien übersetzen, die Reduktion, Entschleunigung, Entkommerzialisierung und Regionalisierung umfassen.

DUS: In deinem ersten Blogpost gehst du zum einen auf das Konzept Suffizienz und zum anderen auf deine Zusammenarbeit mit dem Berliner Unternehmen YLN ein. Warum hast du dich für diese Kooperation im Bereich der Kosmetikprodukte entschieden?

AS: Ich bin schon seit vielen Jahren Kundin von Marion Garz, der Inhaberin von YLN, und war im wahrsten Sinne des Wortes hautnah bzw. haarnah bei der Produktentwicklung dabei. Ihr konzeptioneller Ansatz, Ästhetik, Funktion und den Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit in einem Produkt aufeinander zu beziehen, hat mich überzeugt. Dem wollte ich im Rahmen meines Nachhaltigkeitsprojekts auf den Grund gehen und bot dem Unternehmen eine Zusammenarbeit an.

DUS: Inwiefern entspricht die Kosmetikmarke YLN deiner Meinung nach dem Konzept der Suffizienz?

AS: Während unserer Kooperation haben wir eine Lebenszyklusanalyse der festen YLN Shampoos im Vergleich zu konventionellen Shampoos in Plastikflaschen durchgeführt. Hier hat sich das Suffizienzkonzept vom Design bis zur Entsorgung durch den gesamten Produktlebenszyklus gezogen. Klar, die Verwendung biologischer statt konventioneller Inhaltsstoffe ist der Konsistenzstrategie zuzuordnen, also Produkte umweltfreundlicher herzustellen. Aber das minimalistische, platzsparende Design, die regionale Produktion mit kurzen Lieferwegen, die Einsparung von Wasser bei der Verwendung (z.B. durch Leave-in Conditioner) sowie der Wegfall von Verpackungsmüll sind Suffizienzstrategien und verursachen weniger Umweltwirkungen als etwa ein konventionelles Shampoo. Auch die bewusste Entscheidung des Unternehmens, das Wachstum zu begrenzen und im Kiez verankert zu bleiben, gehört in den Kontext der Suffizienz.

DUS: Insbesondere im Bereich Kosmetik ist Nachhaltigkeit inzwischen zum absoluten Trendthema geworden. In Drogerien lassen sich neben Zahnbürsten und Abschminktüchern, die nach eigener Angabe Nachhaltigkeitsversprechen erfüllen, seit einiger Zeit auch Produkte wie festes Shampoo und Duschgel von nahezu allen Kosmetikmarken finden. Inwiefern unterscheiden sich die Produkte von YLN von nachhaltigen Haarpflegeprodukten anderer Marken?

AS: Der große Unterschied ist, dass die Marke YLN aus dem Friseursalon heraus entwickelt wurde, basierend auf den Bedürfnissen und Wünschen von Kund*innen. Ich erinnere mich, dass ich vor einigen Jahren mit meiner eigenen Shampooflasche zum Haareschneiden gekommen bin, weil ich die konventionellen Produkte aus dem Salon nicht mehr verwenden wollte. Marion Garz ist dann noch einen Schritt weiter gegangen, einerseits biologische Inhaltsstoffe zu verarbeiten und gleichzeitig auf die Plastikverpackung zu verzichten. Irgendwann stellte sie mir dann ihre ersten festen Shampoos vor. So haben sich die Produkte im direkten Kund*innenkontakt immer weiter entwickelt und 2018 unter dem Label YLN in neuem Produktdesign und mit hochwertigen konzentrierten Inhaltsstoffen einen Relaunch erfahren. YLN ist da dem Boom der festen Kosmetikprodukte immer noch zeitlich voraus gewesen und hat eine echte Produktinnovation geschaffen.

DUS: Inwiefern ist der Ansatz von vielen unterschiedliche Pflegeprodukte (von Spülung, über Öl, bis zur Kur) deiner Meinung nach überhaupt mit dem Suffizienzgedanken und einer suffizienten Lebensweise vereinbar?

AS: Nein, so viele Produkte zu verwenden, hat meiner Meinung nach wenig mit Suffizienz zu tun. In der Kosmetikbranche wurden sicher auch Bedarfe geschaffen, dass für schönes Haar dieses und jenes Produkt benötigt wird. Ich selbst habe über die Jahre gemerkt, dass ich bestimmte Produkte gar nicht oder sehr selten benutze (wie Spülung oder Kur) und dann irgendwann wegschmeiße. Deshalb frage ich mich jetzt vor dem Kauf immer, brauche ich das wirklich?

DUS: In welchen anderen Bereichen des alltäglichen Konsums oder des generellen Konsums denkst du, kann man Suffizienz noch ausweiten und auf Resonanz/ positive Reaktionen in der Gesellschaft treffen? Wie kann man deiner Meinung nach mehr Menschen mit solchen nachhaltigen Produktideen erreichen und überzeugen?

AS: Ich denke, dass sich Suffizienz auf alle Lebensbereiche ausdehnen lässt oder sogar einen Lebensstil prägen kann. Der Gedanke ist meiner Ansicht nach leider nicht so populär, weil er oft mit Verzicht in Verbindung gebracht wird. Wenn man jedoch eine andere Rahmung nutzt, könnte man sich von einem möglichen Verzicht weg und auf die Frage zubewegen, was ein gutes Leben wirklich ausmacht und beim Konsum entsprechend bewusster vorgehen. Wie eingangs bereits angedeutet, lassen Produktideen wie die von YLN eine mögliche Zukunftsvision eines solchen ressourcenschonenden Lebens Realität werden. Sie stärken so die Selbstwirksamkeit der Menschen, ein nachhaltigeres Leben auf unserem Planeten Erde mitzugestalten. Man erreicht die Menschen wahrscheinlich am aller ehesten, wenn sie Teil dieser Geschichte sind und diese mit erzählen können.

[1] Zell-Ziegler, Corinna/Förster, Hannah: Mit Suffizienz mehr Klimaschutz modellieren. Relevanz von Suffizienz in der Modellierung. Übersicht über die aktuelle Modellierungspraxis und Ableitung methodischer Empfehlungen, im Auftrag des Umweltbundesamtes, Berlin 2018, S. 13-14, URL: Mit Suffizienz mehr Klimaschutz modellieren – Relevanz von Suffizienz in der Modellierung, Übersicht über die aktuelle Modellierungspraxis und Ableitung methodischer Empfehlungen – Zwischenbericht (researchgate.net), letzter Zugriff am 28.03.2022.

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN

© Hoffotografen

Alien Spiller ist im Politikumfeld tätig und befindet sich gerade in beruflicher Umorientierung. An der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde studiert sie berufsbegleitend strategisches Nachhaltigkeitsmanagement.  Aktuell schreibt Alien an ihrer Masterarbeit, die sich auch um das Thema Suffizienz  und Ästhetik dreht.

Nachhaltigkeit in der Filmproduktion – ein Interview mit Johannes und Vanouch von „Die Grüne Filmagentur“

Die Filmproduktion Die Grüne Filmagentur verbindet das Filmemachen mit einem umweltbewussten Leben und wurde 2020 von den beiden Filmemachern Johannes Kaczmarczyk und Vanouch Balian gegründet. Im Frühjahr 2019 verfestigte sich deren Idee einer Filmproduktion mit nachhaltiger Positionierung. Zur selben Zeit begann auch die Zusammenarbeit mit der Deutschen Umweltstiftung  mit der #kaufnix-Kampagne und setzte sich im Rahmen des Schulwettbewerbs „Einfach machen! Die Suffizienzdetektive“ fort. Es entstanden vier Lernfilme für den Schulunterricht, die Themen zu Nachhaltigkeit und Suffizienz lebensnah vorstellen.

Wir freuen uns, von Johannes und Vanouch von Die Grüne Filmagentur einen Einblick zu bekommen, was es eigentlich heißt, nachhaltig Filme zu produzieren. 

© Die Grüne Filmagentur

Deutsche Umweltstiftung (DUS): Ihr seid Gründer von Die Grüne Filmagentur – der nachhaltigen Online-Bewegtbildproduktion aus Berlin. Auf eurer Webseite sagt ihr, dass ihr „überzeugt [seid], dass eine bessere Welt möglich ist“. Welche Vision steckt dahinter?

Johannes und Vanouch: Eine bessere Welt ist auf jeden Fall möglich, wenn jeder für sich und in seinem Umfeld Missstände erkennt, diese benennt und sein Verhalten und die eigenen Gewohnheiten ändert. Das beginnt bei der Mülltrennung und der Ernährung bis zu der Frage, welches Fortbewegungsmittel für die nächste Urlaubsreise benutzt wird. Jeder von uns kann einen Unterschied machen und etwas verändern. Und so versuchen wir als Filmproduktion mit den Ressourcen, die wir haben, positive Veränderungen anzustoßen – unsere Stärken und Talente in den Dienst einer guten Sache zu stellen.

DUS: Was bedeutet das konkret für eure Arbeit?

Unser Ziel ist es, Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften, auf den Umweltschutz achten und soziale und ökologische Standards befolgen, bekannter und erfolgreicher zu machen. Mit authentischen Geschichten und ansprechenden Bildern helfen wir Menschen ihre nachhaltigen Visionen nach außen zu tragen. Gleichzeitig gestalten wir die Produktion unserer Filme in jeder Phase möglichst ressourcensparend und versuchen unseren ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten.

DUS: Welche Rolle spielt überhaupt Nachhaltigkeit in der Filmbranche?

Es gibt immer mehr Initiativen und Workshops, die dabei helfen Filmproduktionen nachhaltiger zu gestalten. Das ist nicht immer einfach, weil der Kosten- und Zeitdruck bei Filmproduktionen sehr hoch ist. Manches Filmequipment, wie zum Beispiel mobile Stromgeneratoren, waren bis vor kurzem noch gar nicht in nachhaltigen „Ausführungen“ vorhanden, aber auch da tut sich sehr viel. Zum Beispiel sind herkömmliche Stromgeneratoren sehr umweltschädlich, weil sie mit Diesel betrieben werden und keine Luftfilter haben. Mittlerweile gibt es neue Stromgeneratoren bei einigen Filmgeräteverleihern zur Ausleihe, die mit Akkus, Solarpanels und LPG betrieben werden können. Wenn die Akkus nun noch über erneuerbare Energie geladen werden, ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung.

DUS: Ihr habt mit Die Grüne Filmagentur Lernfilme für den bundesweiten Schulwettbewerb “Einfach Machen! Die Suffizienzdetektive” produziert und seid mit dem Thema Suffizienz in Berührung gekommen. Lässt sich Suffizienz auch in der Filmbranche umsetzen? Habt ihr konkrete Beispiele, wo ihr bereits suffiziente Entscheidungen trefft?

Ja, wir denken schon, dass man Filme suffizient produzieren kann und in unseren Projekten versuchen wir genau das. Zu Beginn und auch im Laufe einer Produktion fragen wir uns immer wieder, wie wir bestimmte Abläufe möglichst ressourcensparend gestalten. Das ist für uns im Prinzip nichts Neues, da es bei einer Film-Produktion auch immer darum geht eine kreative Vision im Spannungsfeld eines begrenzten Geld- und Zeitrahmens umzusetzen. Muss eine Szene bei künstlichem Regen stattfinden, für die viel Wasser benötigt wird oder geht es auch ohne? Ist ein neuer Computer für die Postproduktion (Nachbearbeitung) des Films notwendig, obwohl der alte noch funktioniert? Muss man in ein anderes Land fahren oder gibt es in der Nähe auch einen passenden Drehort für den geplanten Film?

Allerdings darf man nicht vergessen, dass es beim Film um den Aufbau einer Illusion geht. Viele Zuschauer*innen wollen sich in fantastischen Welten verlieren, das Außergewöhnliche sehen, das nichts mit ihrer alltäglichen Realität zu tun hat. Um diese alternativen Realitäten mit wenig Materialeinsatz herzustellen, erfordert es viel Kreativität und Umdenken.

DUS: Was verbindet ihr persönlich, über das Filmemachen hinaus, mit Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit bedeutet für uns bewusst zu konsumieren und darauf zu achten, woher die Konsumgüter kommen. Wir versuchen Dinge nicht einfach wegzuwerfen, sondern überlegen uns wie wir sie reparieren und möglicherweise auch in neuer Funktion weiterverwenden können. Viele unserer Möbel sind 2nd-Hand. Zum Beispiel haben wir ein altes Gewürzregal, das wir auf der Straße gefunden haben, geklebt und es erweist uns nun gute Dienste. Für uns ist Kreativität eben nicht nur im Beruf relevant, sondern auch in der Gestaltung unseres nachhaltigen Alltags.

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNER

Johannes und Vanouch sind die Gründer von Die Grüne Filmagentur. Mit authentischen Werbefilmen unterstützen sie Unternehmen und Organisationen, die nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Ihr Ziel ist es, die Visionen von Menschen nach außen zu tragen und somit die Bekanntheit und den Erfolg solcher Unternehmen zu steigern. Die Produktion ihrer Filme gestaltet das Team dabei möglichst ressourcensparend und suffizient.

Suffizienz in Unternehmen – Die unterschätzte Strategie

Die Anpassung an ökologische und soziale Bedürfnisse fordert eine strukturelle Veränderung in der Wirtschaft. Viele Unternehmen mindern ihren Umwelteinfluss, indem sie effiziente und konsistente Projekte umsetzen. Sie versuchen durch weniger Ressourcen den gleichen Output zu generieren und arbeiten mit geschlossenen Stoffkreisläufen. Diese Strategien sind objektorientiert und stützen sich auf technologische Innovationen. Allerdings haben sie den Nachteil mögliche Rebound-Effekte zu erzeugen, denn Effizienzgewinne können den Konsum von Produkten erhöhen. Um eine ganzheitliche Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt zu schaffen, bedarf es daher die Einbindung aller relevanter Akteur*innen entlang der Wertschöpfungskette. Das ist ein zentraler Punkt in der Strategie der Suffizienz, bei der es um das sinnstiftende Produzieren und Konsumieren geht. Bisher wird Suffizienz im Unternehmenskontext selten angewendet, aufgrund des mangelnden Wissens und der Verständlichkeit.

Das Impulspapier „Suffizienz im Unternehmenskontext“ der Integralen Planung GmbH (Intep) und dem Verband für nachhaltiges Wirtschaften (öbu) hilft dabei, die Prinzipien von unternehmerischer Suffizienz besser zu verstehen.

Quelle: Unsplash, Kleomenis Spyroglou, Utrecht Centraal, Netherlands (letzter Zugriff: 27. Juli 2020)

Suffizienz-Prinzipien für Unternehmen

Unternehmen, die suffizient agieren, arbeiten lösungsorientiert an den Herausforderungen der Gesellschaft und bleiben dabei innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen. Dabei werden Ressourcen wie Material, Finanzen, Produkt oder Dienstleistung, Mensch, Wissen, Raum und Zeit schonend, also weniger, regionaler und langsamer, eingesetzt und an die Nachhaltigkeitsziele angepasst. Das Wissen vermitteln die Unternehmen transparent an alle Stakeholder. Mit dieser Einstellung machen sie sich ihren Auswirkungen bewusst und messen ihren Nutzen an monetäre, soziale und ökologische Variablen. Ihre Arbeit ist sinnstiftend und das steht im Mittelpunkt ihrer Untenrehmenskultur.

Vorteile

Suffizienz wird oft mit Verzicht in Verbindung gebracht und scheint in erster Linie unattraktiv für Unternehmen. Das Impulspapier verweist auf das Gegenteil. Unternehmen, die sich mit Suffizienz positionieren, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil. Wenn Unternehmen die Suffizienz-Prinzipien umsetzen, fördern sie die nachhaltige Entwicklung unserer Wirtschaft und beweisen ihre Relevanz für das System. Die Transparenz von ihren Aktivitäten ist für viele Stakeholder reizvoll. Es schafft Vertrauen und ist insbesondere für Investor*innen ein Zeichen der Risikominderung. Somit können Unternehmen mit Suffizienz als Strategie die Nachhaltigkeitsziele besser erreichen und ihre Attraktivität, Arbeitszufriedenheit und Qualität ihres wirtschaftlichen Schaffens erhöhen.

Fazit

Als komplementäre Strategie zur Effizienz und Konsistenz ist Suffizienz unvermeidbar, wenn Unternehmen ein ganzheitlich nachhaltiges Wirtschaftssystem anstreben. Eine ressourcenschonende und sinnstiftende Arbeitsweise bedeutet in vieler Hinsicht sparsam zu sein. Das zeigt, wie wertvoll ihre Arbeit ist und kann dadurch den Unternehmen verschiedene Vorteile ermöglichen.

Quellen

intep (2020): Suffizienz im Unternehmenskontext – Ein notwendiger Ansatz zu einem verantwortungsvollen Unternehmertum. Impulspapier, Zürich.

Link zum Impulspapier: https://www.oebu.ch/admin/data/files/section_asset/file_de/4530/4287_impulspapier_intep_oebu_suffizienz_unternehmen_mai2020-(1).pdf?lm=1592293739

Palzkill, A., Schneidewind, U. Suffizienz und Unternehmen – ein Paradox?. uwf 23, 1–2 (2015). https://doi.org/10.1007/s00550-015-0354-7

Das Schweizer Klimabündnis und die Suffizienz-Toolbox für Gemeinden

Das Klimabündnis Europa wurde 1990 gegründet und ist seitdem zu einem bedeutenden umwelt- und energiepolitischen Akteur herangewachsen, in dem über 1700 europäische Städte und Gemeinden agieren. Ihr Ziel ist es, regionale Antworten auf den globalen Klimawandel zu finden und Suffizienz auf lokaler Ebene zu fördern.

Die Schweizer Mitglieder haben sich 1995 noch einmal gesondert zum Klimabündnis Schweiz zusammengeschlossen, die 18 Mitglieder und 1,3 Millionen Einwohner*innen machen rund 15% der Schweizer Bevölkerung aus. Sie haben sich verpflichtet, zusätzliche klimaschonende Maßnahmen zu ergreifen und möchten sicherstellen, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens in der Schweiz eingehalten werden.

Das Klima- Bündnis Schweiz hat unter anderem das Ziel, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten.

Ein weiteres Ziel ist, mit der öffentlichen Hand Rahmenbedingungen zu schaffen, die ressourceneffiziente und suffiziente Lebensstile begünstigen. Durch ihre Nähe zur Bevölkerung haben Städte und Gemeinden verschiedene Möglichkeiten, eine ökologische Lebens- und Wirtschaftsweisen zu fördern: sie können Initiativen aus der Bevölkerung unterstützen, durch planerische und gesetzliche Vorgaben einen geeigneten Entwicklungsrahmen festlegen und selber eine Vorbildrolle übernehmen.

Dazu wurde zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Pusch, einer Schweizer Stiftung für praxisnahe Umweltbildung, und EBP, einem Unternehmen für Umweltforschung, die Suffizienz-Toolbox ins Leben gerufen. Diese liefert Ideen und Tipps, wie Gemeinden die Weichen für eine ressourcenschonende und lebenswerte Zukunft stellen können. Dies geschieht durch eine Kombination aus Vorschlägen und Beispielen aus der Praxis. So wird zum Beispiel vorgeschlagen, ein Verzeichnis mit Anlaufstellen zur Reparatur alter Elektrogeräte anzulegen und bereits existierende Verzeichnisse zur Inspiration verlinkt. Darüber hinaus gibt es noch die Kategorien Konsumgüter, Raumnutzung, Energie, Ernährung, Mobilität, und Partizipation, die einen umfassenden Überblick über relevante Umweltschutzbereiche bieten. Natürlich soll die Toolbox nicht nur Gemeinden zur Verfügung stehen, sondern auch Bürger*innen einladen, sich zu engagieren und ihre Stadt aktiv mitzugestalten. Neben den verbesserten Rahmenbedingungen für ökologische Lebensweisen werden Einwohner*innen so für das Thema sensibilisiert.

Solche Initiativen sind eine wichtige Brücke, um international beschlossene Klimaschutzmaßnamen lokal zu verankern und die Bevölkerung von ihrer Notwendigkeit zu überzeugen. Durch den Mitmach-Aspekt werden Umweltschutzmaßnamen greifbarer und verdeutlichen, dass auch Einzelpersonen etwas verändern können.

Falls ihr euch selber auch von der Toolbox inspirieren lassen möchtet, findet ihr diese hier, mehr Informationen über das Schweizer Klimabündnis sind hier.

Unternehmerische Suffizienzstrategien am Beispiel von Premium Cola

Der deutsche Alt-Bundeskanzler Ludwig Erhard oder auch der englische Ökonom John Stuart Mill vertraten bereits vor gut 50 Jahren die Position, dass es eine Ära nach dem wirtschaftlichen Wachstum geben wird. Obwohl zu der Zeit Themen wie die Ressourcenknappheit, Umweltverschmutzung und Überproduktion noch nicht dieselbe Dringlichkeit hatten wie heute, waren sich beide Vordenker darin einig, dass das menschliche Miteinander, sowie soziale und geistige Werte eine Art Renaissance erleben würden und Wohlstand nicht mehr durch materielle, sondern vorrangig durch immaterielle Werte erreicht wird. Schon damals sahen sie als große Schwäche im Wirtschaftssystem, dass die Menschen intrinsisch andere Bedürfnisse haben als die, die Werbung uns zu verkaufen versucht, was früher oder später zu der Erkenntnis führt, dass Konsum uns nicht langfristig glücklich machen kann.

Photo: RikaC auf Pixabay

Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, daß zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoller ist, unter Verzichtleistung auf diesen „Fortschritt“ mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.“
(Erhard, 1957, S. 233)

Sich mit weniger zufrieden zu geben scheint tatsächlich zurzeit im öffentlichen Diskurs stärker denn je in den Fokus zu rücken. Ausdrücke wie „Minimalismus“, „Cult of Less“ oder „Voluntary Simplicity“ werden immer häufiger in den Medien besprochen. Gemeint ist ein bewusster Konsum, Verzicht auf Übermäßigkeit und ein kritisches Hinterfragen der eigenen Verhaltensweisen. Immer mehr Menschen kehren dem „Feindbild homo-consumicus“, wie der Postwachstums-Ökonom Niko Paech es ausdrückt, den Rücken zu.

Angesichts dieser Tatsachen stehen Unternehmen im Zugzwang, um weiterhin überleben zu können. Die Forderungen an Unternehmen werden lauter, die Umweltbelastungen zu senken. Bisher war in dem Zusammenhang aber vor allem von Effizienz und Naturverträglichkeit die Rede (Palzkill-Vorbeck & Schneidewind, 2011). Doch nun, da die ökonomische Effizienz und Wachstum zunehmend an ökologische und soziale Grenzen stößt, wird die Rolle der Suffizienz in unternehmerischen Strategien immer größer.

Im Gegensatz zu einer ökologisch orientierten Effizienzstrategie, die einige Unternehmen im Zuge des Nachhaltigkeitsmanagements bereits implementiert haben und darauf abzielt, Umweltverbräuche bei der Produktion zu verringern, geht es bei Suffizienz primär um weniger Produkte. Diese Strategie beinhaltet immer zwei Seiten: erstens wird in der Tat weniger produziert und abgesetzt und zweitens werden diejenigen Produkte hergestellt, welche die Konsumierenden zu einem suffizienteren Lebensstil verhelfen sollen. Außerdem sollten sie das Potenzial haben, andere Produkte vom Markt zu verdrängen um so eine materielle Entlastung zu realisieren und den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Das Konzept der Sharing-Economy liefert einen wichtigen Beitrag, um Produkte unternehmerisch zu entwickeln, die die individuelle Suffizienz unterstützen. „Die Entlastung vom Besitz von Produkten und die damit einhergehende „Entrümpelung“ der eigenen Konsumverhältnisse kann ein Beitrag für mehr Zeitwohlstand sein, den sich Unternehmen dann auch entlohnen lassen können“(vgl. Reichel, 2013).

Photo: Premium-Kollektiv

Die ökonomische Tauglichkeit von Suffizienzstrategien in Unternehmen wird von dem Getränkehersteller „Premium“ bewiesen. Das Unternehmen hat sich seit der Gründung 1999 selbst keine ökonomischen Ziele gesteckt, was ein langsames Wachstum ohne Druck zur Folge hatte. Statt, wie sonst in der Branche üblich, für ihr Produkt zu werben, hat sich „Premium“ auf die „word-to-mouth“ Werbung verlassen, durch welche die Konsumierenden durch den Mehrwert des Produktes über den Kauf entscheiden sollen. Hinzukommt, dass eine Verhandlung auf Augenhöhe stattfindet, welche die Partizipation der Geschäftspartner*innen fördert und durch die Integration aller Stakeholder Transparenz ermöglicht (Haß, 2014). Ein gemäßigtes Wachstum, welches nicht wie sonst in der Nachhaltigkeitsdebatte auf Effizienz ausgelegt ist, sondern Suffizienz anstrebt, wird von den vier E’s: Entrümpelung, Entschleunigung, Entkommerzialiserung und Entflechtung begleitet (Schneidewind & Palzkill-Vorbeck, 2011).

Die Entrümpelung ist eine Vereinfachungsstrategie, welche die Reduktion auf weniger umfängliche Produktpaletten vorsieht und im Fall „Premium“ zum Beispiel aufgrund von Kosten- und Umweltgründen die Flaschenetikettierung auf ein einziges Stück Papier in schlichtem Design reduziert. Außerdem besteht eine fast vollständige Ressourcenunabhängigkeit, da das Unternehmen nur aus Telefon und Laptop besteht und keine Investition in Bürofläche, Fahrzeuge oder Maschinen notwendig ist. Stattdessen werden für Logistik, Handel und Produktion selbständige Auftragnehmende engagiert, welche die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen ohne dass neue gekauft werden müssen.

Langsamer aber zuverlässiger, durch eine Entschleunigung des Wachstums kann sorgfältiger ausgewählt werden, mit wem gearbeitet wird. Der nächsthöhere Gewinn ist nicht das Ziel, „Premium“ hat sich sogar eine jährliche Wachstumsgrenze von 10% gesetzt, was Pionierfehler vermeidet, da die Märkte langsamer erschlossen werden und somit negative Auswirkungen auf die Umwelt reduziert werden.

Die Entkommerzialisierung der Marke beinhaltet auch, dass negative Aspekte des Produktes, wie gesundheitliche Auswirkungen von einem zu hohem Cola- oder Bierkonsum, kommuniziert werden. Dadurch sollen zwei Effekte erzielt werden: Zum einen ein Verkleinerung des Gesamtmarktvolumens und eine gleichzeitige Vergrößerung des eigenen Anteils im Markt, was sowohl ökologische als auch ökonomische Vorteile bringt. Hinzukommt, dass alle Preise, also auch die Gehälter der Akteure in der Wertschöpfungskette in den Preis des Produktes einfließen und somit Konkurrenzdenken innerhalb der Kette vermieden werden.

Eine Entflechtung durch die Regionalisierung der Produktion, hat kürzere Transportwege zufolge, was nicht nur ökologische Vorteile hat sondern auch ökonomische. So würde sich der Transport von Glasflaschen bei längeren Strecken über 600 Kilometern nicht mehr lohnen.

Wie der Getränkehersteller „Premium“ zeigt, lassen sich Suffizienzstrategien in den Kern eines Unternehmens integrieren und beweist somit, dass sich Wirtschaft und Moral nicht ausschließen. Letztendlich liegt ein Großteil der Verantwortung bei den Unternehmen, welche uns durch gezieltes Marketing davon überzeugen, Dinge zu konsumieren, um Bedürfnisse zu erfüllen, welche vielleicht nicht einmal vorhanden sind. Wenn ein Wandel der Gesellschaft zu einem Wohlstand durch immaterielle Dinge entstehen soll, dann reichen Effizienzstrategien nicht aus, sondern müssen mit Suffizienzstrategien ergänzt werden. Die gesamte Marktgröße kann durch Suffizienzansätze verringert werden und somit einen Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung leisten.

Quellen

Erhard, L. (1957). Wohlstand für alle. Econ-Verlag
Haß, M. (2014). Unternehmerische Suffizienzstrategien im Spannungsfeld kompetitiver Wachstumsmärkte und Postwachstums-Debatten. Nürnberg.
Jackson, T. (2011). Wohlstand ohne Wachstum: Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt. Oekom-Verlag.
Reichel, A. (2013). Maß haltendes Wirtschaften in Betrieben: Das Geschäftsmodell des Weniger.
Schneidewind, U. & Palzkill-Vorbeck, A. (2011). Suffizienz als Business Case : nachhaltiges Ressourcenmanagement als Gegenstand einer transdisziplinäre Betriebswirtschaftslehre (Working Paper). Wuppertal: Wuppertal Inst. für Klima, Umwelt, Energie.