Mobilitätssuffizienz: Möglichkeiten zur Treibhausgasreduktion – ein Gastbeitrag von Markus Profijt

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Laut Klimaschutzplan will die deutsche Bundesregierung die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 80-95 % bezogen auf 1990 senken (BMUB, 2016, S. 7). Als wesentlicher Verursacher mit einem Anteil von 18,4 % emittiert der Verkehrssektor, diesem Plan konträr, im Jahr 2016 sogar 2 Mio. t Treibhausgase mehr als 1990 (UBA, 2017, S. 1 u. 4). Da technische Errungenschaften der letzten 26 Jahre hier keine Minderung herbeiführen konnten, stellt sich die Frage, ob ein geändertes Konsumverhalten dieses erreichen kann.

Als Nachhaltigkeitsstrategie kann die Suffizienz durch verändertes oder reduziertes Konsumverhalten und einen daraus resultierenden verringerten konsuminduzierten Ressourcen- und Umweltverbrauch die Schädigung der Umwelt vermindern. Als Lösungsbeitrag bisher wenig betrachtet wurde die Anwendung der Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz auf das Mobilitätsverhalten. Eine Literaturrecherche ergab drei Möglichkeiten des suffizienten Mobilitätskonsums, die Inhalt der folgenden Arbeitsdefinition wurden.

Mobilitätssuffizienz ist eine Nachhaltigkeitsstrategie, die durch individuell genügsamen Mobilitätskonsum zu einer reduzierten Schädigung der Umwelt in Form von Ressourcen- und Energieverbrauch führt. Dafür stehen drei Handlungsoptionen zur Verfügung:

  • Wege mit verhaltensbedingt geringerem Emissionsfaktor zurücklegen
  • Wegelänge verkürzen
  • Wegeanzahl verringern

Treibhausgasreduktionspotenzial

Was kann Mobilitätssuffizienz zur Treibhausgasreduktion beitragen? Abbildung 1 zeigt das in der Fallstudie ermittelte Reduktionspotenzial. Im Durchschnitt erreichten die Proband*innen eine Minderung der Treibhausgase um 63,2 % im Vergleich zu Personen gleichen Geschlechts und gleicher Lebensphase. Selbst die sieben Teilnehmer*innen, die als Hauptverkehrsmittel (HV) ein Auto benutzten, schafften im Schnitt eine 41 %-ige Reduktion. Darüber hinaus zeigte das zum Vergleichsmaßstab emissionsniedrigste Proband*innendrittel, dass die Anforderung des Klimaschutzplans der deutschen Bundesregierung für 2050 im Bereich der Mobilität bereits heute zu erreichen ist. Ohne den Einsatz innovativer Effizienz– und Konsistenztechnik verursachten diese elf Proband*innen um 89,9 % geringere CO2eq Emissionen allein durch ihr individuelles Konsumverhalten.

Abb. 1: Mögliche CO2eq Reduktion durch Mobilitätssuffizienz

Quelle: Daten aus MiD 2008 für Kernstädte ohne Flüge (Follmer et al., 2010, TREMOD 5.62 (UBA, 2016) und o.g. Fallstudie; eigene Berechnung und Darstellung

Dass die Proband*innen zur Realisierung der Treibhausgasreduktionen nicht etwa zu Hause geblieben sind und auf Mobilität verzichtet haben, zeigt eine detaillierte Betrachtung der drei Handlungsoptionen aus der obigen Definition. In Abbildung 2 bilden die drei Umweltwirkungsparameter zur Berechnung der Treibhausgasemission gleichzeitig die drei Möglichkeiten zum suffizienten Mobilitätskonsum ab. Da diese in der Formel als Multiplikatoren verbunden sind, multipliziert sich die Wirkung bei kombinierter Nutzung.

Abb. 2: Formel zur Berechnung der Umweltwirkung der Mobilität

Quelle: Formel (Lambrecht et al., 2013, S. 65); eigene Auslegung und Darstellung




Abbildung 3 konkretisiert die Berechnung mit den für eine Probandin erfassten Werten. Der Vergleich mit den Durchschnittswerten von Personen gleichen Geschlechts und gleicher Lebensphase in Deutschland zeigt, dass selbst bei fast doppelt so hohen Mobilitätsaktivitäten (183,7 %) der für 2050 geplante Zielkorridor des Klimaschutzplanes erreicht wird, wenn die Wege mit verhaltensbedingt geringeren Treibhausgasemissionen (17,6 %) zurückgelegt werden und kurz genug sind (18,3 %).

Abbildung 3: Rechenbeispiel Handlungsoptionen der Mobilitätssuffizienz

Quelle: Formel  (Lambrecht et al., 2013, S. 65); eigene Auslegung, eigene Erfassung, Auswertung und Darstellung; Ungenauigkeiten resultieren aus Rundungsdifferenzen; Probandin_06

Handlungsoptionen

Insgesamt machen die Proband*innen von der Handlungsoption weniger Wege kaum Gebrauch, so dass sie die dargestellten Treibhausgasreduktionen ohne Minderung der Mobilitätsaktivitäten erreichen. Wie Abbildung 4 zeigt, war der durchschnittliche Weg der Proband*innen mit 6,3 km um 30 % kürzer als sonst in Wuppertal üblich. Das ist kein Zufall. Knapp die Hälfte der Proband*innen integriert gezielt Einkäufe oder Erledigungen in Wegeketten oder in einen Arbeits- oder Freizeitweg. Über ein Drittel der Proband*innen haben Wohn- oder Arbeitsort bewusst für einen kurzen Weg zur Arbeit und/oder zum Einkaufen gewählt. Von einigen Proband*innen wird der Zeitgewinn als Argument für kurze Wege hervorgehoben.

Abbildung 4: Durchschnittliche Wegelänge nach Wegezwecken

Quelle: (Hoppe & Woschei, 2012, S. 7 u. 32), Daten wurden nur für Normalwerktage erhoben; Suffizienzprobanden [Mo.-Fr.] eigene Erfassung, gerundete Werte und gesamt eigene Darstellung

Die Nutzung der Handlungsoption Wege mit verhaltensbedingt geringerem Emissionsfaktor zurücklegen zeigt Abbildung 5. Die Proband*innen sind 2,6 Mal seltener im Kfz unterwegs als der durchschnittliche Wuppertaler, dafür aber 2,7 Mal so häufig im Umweltverbund. Ein Drittel der Studienteilnehmer*innen gibt die Umweltfreundlichkeit des Verkehrsmittels als wesentliches Entscheidungskriterium an.

Abbildung 5: Modal-Split nach Verkehrsaufwand

Quelle: (Hoppe und Woschei 2012, S. 7 u. 29); Daten wurden nur für Normalwerktage erhoben; Kfz Fahrer Wuppertal beinhaltet 0,8 % motorisiertes Zweirad, Fahrrad Suffizienzprobanden beinhaltet 4,1 % Pedelec; Suffizienzprobanden [Mo.-Fr.] eigene Erfassung, gerundete Werte und gesamt eigene Darstellung

Motive

Welche Motivation führt zur Mobilitätssuffizienz? Nur eine Probandin sagt, sie besitze aus Kostengründen kein Auto, 27 Proband*innen haben ein ÖPNV-Abo. Konsumverweigerung und Geldmangel waren nicht als ausschlaggebende Gründe festzustellen. Stattdessen sagen zwei Drittel der Proband*innen, dass sie mit ihrer Art der Mobilität Lebensqualität gewinnen. Knapp ein Drittel der Proband*innen sagt, dass ihnen das Auto nicht fehlt oder sie es gar als Ballast sehen und die Autofreiheit genießen. Zwei Dritteln der Studienteilnehmer*innen bringt dieNutzung des Umweltverbundes Lebensqualität, sie resultiert entweder aus der Bewegung beim Radfahren und Zufußgehen oder aus der Freizeitqualität der Wege bei der ÖPNV Nutzung. Dort werden die Proband*innen chauffiert und können die Zeit nutzen zum Lesen, für Sozialkontakte, Landschaftsbeobachtung und sich „baumeln lassen“.

Wie kann man  den Studienteilnehmer*innen die Mobilitätssuffizienz erleichtern? Während nur 37 % der Deutschen 2010 innerhalb einer Woche mit wechselnden Verkehrsmitteln (Rad, öffentlicher Verkehr und/oder motorisierter Individualverkehr) unterwegs waren (Zumkeller et al., 2011, S. 57), waren dies bei den Proband*innen 81 %. Sie entschieden sich situationsspezifisch je nach Ziel, Wetter, Entfernung, zur Verfügung stehender Zeit oder Transportbedarf für das jeweils passende Verkehrsmittel oder deren Kombination. Zur Reduktion des dabei entstehenden Organisationsaufwandes wünscht sich die Hälfte der Proband*innen ein Verkehrsmittel übergreifendes Mobilitätssystem, das vorhandene Angebote räumlich (Umstiegspunkte) und digital (eine App für alles) zu einer integrierten Dienstleistung (Information, Buchung und Abrechnung) verknüpft. Dazu gehören nach Probandenwunsch auch Carsharing mit Standorten, die ca. 400 m vom Wohnort liegen, sowie ein System, das Mitfahrgelegenheiten vermittelt. Erst dadurch entsteht eine lückenlose Alternative zum eigenen Auto, welches meist die höchste Treibhausgasemission verursacht.

Mobilitätssuffizienz benötigt Angebote, sei es das beschriebene Mobilitätssystem, einen ausgeprägten ÖPNV oder die Infrastruktur von Rad- und Fußwegen. Als positives Beispiel schafft die Nordbahntrasse, eine im Jahr 2014 eröffnete 23 km lange Strecke, die abseits des Autoverkehrs für Radfahrer und Fußgänger quer durch Wuppertal führt, Möglichkeiten zur Mobilitätssuffizienz. Auf Grundlage einer repräsentativen Zählung wurde die Nutzung der Nordbahntrasse durch über 2 Mio. Menschen bereits für das Jahr nach ihrer Eröffnung prognostiziert (Behrens, ohne Jahr), und die Hälfte der Studienteilnehmer*innen schätzt ihren Wert für die eigene Selbstbeweglichkeit.

Fazit

Wie das Vorstehende zeigt, kann Konsumreduktion oder -verlagerung auch im Bereich der Mobilität sofort – ohne weiteres Warten auf technische Innovationen – zur Reduktion des Umweltverbrauches führen. Dabei benötigt suffizientes Verhalten im untersuchten Bereich der Alltagsmobilität keinen Aktivitätsverzicht und kann einen Zuwachs an Lebensqualität mit sich bringen, der nach Linz (2002, S. 13) einen gesellschaftlichen Wandel zu mehr Suffizienz erst ermöglicht.

Es ist an der Zeit, als Beitrag zur Lösung von Umweltproblemen mehr Suffizienz zu nutzen. Dazu benötigt es weitergehende Forschung, die den nicht repräsentativen Geltungsbereich der o.g. Ergebnisse auf breiterer Datengrundlage absichert und weitere Konsumbereiche betrachtet.

Design der Fallstudie

Mit einer gemischt quantitativen und qualitativen explorativen empirischen Forschung mit Fragebogen, Wegetagebuch und Interview wurden das spezifische Mobilitätsverhalten und der Bedarf suffizienz-orientierter Konsument*innen an für sie hilfreicher Infrastruktur und zusätzlichen Mobilitätsangeboten ermittelt. Als mobilitätssuffizient galten die 32 Proband*innen aufgrund ihrer – mit einem einwöchigen Wegetagebuch ermittelten – Alltagsmobilität, die zu unterdurchschnittlichen Treibhausgasemissionen im Vergleich zu Personen gleichen Geschlechts und gleicher Lebensphase führte. Die Vergleichsdaten entstammen der Verkehrsbefragung Wuppertal 2011 (Hoppe & Woschei, 2012) und MiD 2008 für Kernstädte >100.000 Einwohner*innen (Follmer et al., 2010). Ausgewählt wurden nur Proband*innen, die angaben, hauptsächlich Verkehrsmittel des Umweltverbundes zu nutzen. Sie wohnten in Wuppertal mit guter Nahversorgung und einem guten ÖPNV-Angebot. Trotzdem unterschieden sich die Proband*innen im jeweils genutzten Hauptverkehrsmittel: Fuß [7 Teilnehmer], Fahrrad [8 TN], ÖPNV [10 TN] und PKW [7 TN]. Dabei verfügten 27 Studienteilnehmer*innen über ein  ÖPNV-Abo und 20 hatten mindestens einen Pkw im Haushalt zur Verfügung. Auf Nachfrage gab nur eine Teilnehmerin an, aus Kostengründen kein Auto zu besitzen.

Literaturverzeichnis

  • Behrens, D. (econex verkehrsconsult gmbh, Hrsg.). (ohne Jahr). Nordbahntrasse Wuppertal: Rund 90 Millionen Nutzer in 30 Jahren. Zugriff am 16.04.2019. Verfügbar unter https://www.econex.de/index.php/aktuelles-leser/nordbahntrasse-wuppertal-rund-90-millionen-nutzer-in-30-jahren.html
  • BMU. (November 2016). Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung. Zugriff am 16.04.1019. Verfügbar unter https://ec.europa.eu/clima/sites/lts/lts_de_de.pdf
  • Follmer, R., Gruschwitz, D., Jesske, B., Quandt, S., Lenz, B., Nobis, C. et al. (2010). Mobilität in Deutschland 2008 [MiD 2008]. Ergebnisbericht Struktur – Aufkommen – Emissionen – Trends (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Hrsg.). : Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH; Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. Zugriff am 16.04.2019. Verfügbar unter http://www.mobilitaet-in-deutschland.de/pdf/MiD2008_Abschlussbericht_I.pdf
  • Hoppe, R. & Woschei, K. (2012). Verkehrsbefragung 2011. Stadt Wuppertal – Bericht. Verkehrsbefragung zum werktäglichen Verkehrsverhalten der Bevölkerung in Wuppertal 2011 (Stadt Wuppertal, Hrsg.). : Planungsgesellschaft Verkehr Köln. Zugriff am 19.01.2018. Verfügbar unter https://www.wuppertal.de/rathaus/onlinedienste/ris/vo0050.php?__kvonr=14290&voselect=8464
  • Lambrecht, U., Helms, H. & Dünnebeil, F. (2013). Steigende Umweltanforderungen – Was bedeutet dies für den Verkehr? In K. J. Beckmann & A. Klein-Hitpaß (Hrsg.), Nicht weniger unterwegs, sondern intelligenter? Neue Mobilitätskonzepte (S. 59–77). Berlin: Dt. Inst. für Urbanistik.
  • Linz, M. (2002) Warum Suffizienz unentbehrlich ist. In Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH (Hrsg.), Von nichts zu viel: Suffizienz gehört zur Zukunftsfähigkeit (S. 7–14).
  • UBA. (2016, 18. März). Vergleich der Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Personenverkehr – Bezugsjahr: 2014. TREMOD 5.62. Zugriff am 21.03.2016. Verfügbar unter http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/bilder/dateien/vergleich_der_emissionen_einzelner_verkehrsmittel_im_personenverkehr_bezugsjahr_2014.pdf
  • UBA. (2017). Klimabilanz 2016: Verkehr und kühle Witterung lassen Emissionen steigen. Zugriff am 16.04.2019. Verfügbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/dokumente/pm-2017-09_thg-nahzeitprognose_2016.pdf
  • Zumkeller, D., Kagerbauer, M., Streit, T., Vortisch, P., Chlond, B. & Wirtz, M. (2011, 02. Dezember). Deutsches Mobilitätspanel (MOP) wissenschaftliche Begleitung und erste Auswertung. Bericht 2011: Alltagsmobilität & Tankbuch. Zugriff am 16.04.2019. Verfügbar unter http://mobilitaetspanel.ifv.kit.edu/downloads/Bericht_MOP_10_11.pdf
Über den Autor
© Markus Profijt

Markus Profijt studierte Betriebswirtschaftslehre und Umweltwissenschaften und promovierte als externer Doktorand im Forschungsverbund des Wuppertal Instituts mit der Bergischen Universität Wuppertal am Fachzentrum Verkehr zum Doktor der Ingenieurwissenschaften.

Beim vorliegenden Text handelt es sich um Ergebnisse der Dissertation des Autors, die im oekom verlag unter dem Titel „Mobilitätssuffizienz. Grundlagen – Messung – Förderung“ erschienen ist.

Das Buch ist als kostenlose PDF-Version auch hier erhältlich.

Wie können wir darauf verzichten, die Mitwelt zu zerstören? – ein Gastbeitrag von Maja Göpel

Beim Gedanken an eine suffiziente Wirtschaft ziehen die betroffenen Akteure/Akteurinnen häufig ein saures Gesicht und lästern über Verzichtsrhetorik. Das ist alltäglichem Verhalten und politischen Rahmenbedingungen geschuldet – muss aber nicht so bleiben.

Ein Gutes Leben für alle ist nur im Einklang mit den Regenerationszyklen der Natur möglich. Foto: SplitShire / Pixabay.

Wieso wird es in Wohlstandsgesellschaften mit stabilen Bevölkerungszahlen als naiv oder politisch unrealistisch abgetan, eine Suffizienzwirtschaft zu fordern? Wieso scheint ein Wohlfahrtsmodell mit genug materieller Versorgung für ein glückliches, gesundes und produktives Leben der Bevölkerung utopisch zu sein – selbst wenn die negativen Folgen eines überdrehten Wachstumsmodells der Überproduktion und Müllproblematik bekannt sind?

Diese Fragen sind für Nachhaltigkeitsforscher*innen und -politiker*innen zentral. Denn ein Wohlfahrtsmodell des friedlichen globalen Zusammenlebens kann nur eines sein, das ein Gutes Leben für alle Menschen mit den Logiken der Regeneration unserer Ozeane, Wälder, Böden, Artenvielfalt und Klimastabilität in Einklang bringt. Wie aber kommen wir zu einem solchen Modell?

1. In der Komfortzone sein ist menschlich

Menschen sparen durch Routinen viel Energie. Neurowissenschaftler*innen können abbilden, wie sich eingeschleifte Abläufe mit weniger aktivem Nachdenken und Hinterfragen entspannend auf das Gehirn auswirken. Wir funktionieren dann auf Auto-Pilot. Verhaltensforscher*innen haben durch Beobachtungen festgestellt, dass wir bevorzugen, was uns bekannt vorkommt, gute Assoziationen hervorruft oder schlicht im Geschäft auf Augenhöhe steht.

Neues testen und Routinen durchbrechen bedeutet mehr Anstrengung, selbst wenn es sich spannend anfühlt. Unter dem Schlagwort „Nudging“, dem Versuch der aktiven Beeinflussung von menschlichen Verhaltensweisen, wurden diese Erkenntnisse für Strategien in Richtung Nachhaltigkeit diskutiert. Es hagelte Proteste. Der Staat solle uns nicht bevormunden. Was nicht diskutiert wurde, waren die Effekte der schon jetzt überall vorhandenen Nudges. Auch seltsam unterbelichtet blieb die Tatsache, dass ein riesiger Werbe- und Marketingsektor sich durch den Verkauf erfolgreicher Nudging-Strategien definiert und finanziert.

Die aktuellen Nudges stupsen uns oft gerade nicht in Richtung Nachhaltigkeit, sondern Überkonsum. Diesen „normalen“ Lebensstil kultiviert z.B. die Werbung. Sie nutzt die Forschungsergebnisse der Psychologie, Neurowissenschaften und Soziologie um zu verhindern, dass wir uns für ein anderes Produkt entscheiden oder uns mit dem zufrieden geben, was wir haben.

Nicht die Produktmerkmale, sondern Geschichten über damit verbundene Erlebnisse, also unsere Assoziationen und Emotionen, stehen dabei im Mittelpunkt. Abenteuer, Status, Spaß, Geld sparen. Und je stärker die Geschichten ziehen, desto höher bewerten wir den Vorteil, desto mehr hormonelle Botenstoffe belohnen uns für diese Leistung mit Glücksgefühlen. Dieser biologische Nudge aus Zeiten der Überlebenssicherung wirkt selbst in Übersättigungsgesellschaften – wenn auch nur kurzfristig.

Denn neben der Bequemlichkeit wohnen in der Komfortzone auch Gewöhnung und Sicherheit. Studien zur „Hedonistischen Tretmühle“ zeigen auf, dass Zugewinne sich schnell als Standard anfühlen. Dadurch wächst das, was wir als genug empfinden ständig mit. Insbesondere wenn wir uns mit anderen vergleichen und diese deutlich mehr haben. 

2. Überproduktionsgesellschaften: ständig davonlaufende Komfortzone 

Wir leben in einer Form des Wirtschaftens, die nur eine Richtung kennt: Mehr. Wachstum der produzierten Waren und Dienstleistungen ist und bleibt das übergeordnete Ziel, trotz lange stabiler Bevölkerungszahlen und historisch einzigartigem Wohlstand wie Reichtum. Wieso ist das so?

Befragen wir die traditionelle Ökonomie, ist das schlicht rational. Sie hat ihr ganzes Theoriegebäude um ein Menschenbild gebaut, das egoistische Nutzenmaximierer beschreibt. Die Anteile des Altruismus, der Freude am Teilen und des Nein-Sagens im menschlichen Repertoire kommen in der Theorie nicht vor. Wir bleiben nur dann friedlich und glücklich, wenn unser Konsum und Besitz kontinuierlich ansteigt. 

Nur sind sie in einer Zeit entstanden, in der es etwa 1 Milliarde Menschen gab, wenig materielle Versorgung und keine Ahnung, dass Menschen die Erde in ihrem Metabolismus verändert könnten. Jetzt befinden wir uns mitten im Anthropozän: Die Vorstellung von immer mehr für alle und für immer ist schlicht unrealistisch geworden.

Glücklicherweise können wir das Wissen darum, dass es v.a. Erlebnisse und Erfahrungen sind, die Wohlergehen ausmachen, auch für material- und emissionsarme Lebensstile nutzen. Denn ist die materielle Versorgung gesichert, stehen Gesundheit, soziale Beziehungen und produktive Teilhabe sowie Anerkennung im Mittelpunkt eines Lebens mit hoher Lebensqualität.

Doch dafür gilt es, die Idee und gesellschaftliche Organisation des Guten Lebens neu auszurichten. Denn aktuell tut die Konsum- und Wettbewerbskultur alles dafür, dass diese Erlebnisse und Erfahrungen direkt mit „mehr haben“ zusammenhängen: Sage mir, was du verdienst, besitzt und bereist und ich sehe, was du wert bist. Dazu kommt die Privatisierung in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge – gute Bildung, Krankenversicherung, Wohnraum, Rente und ökologische Lebensmittel sind im Zweifel nur noch dann sicher zugänglich, wenn ich zuzahlen kann. 

Gleichzeitig ist gerade seit der Finanzkrise 2008 so viel Geld in Umlauf gebracht worden und Zinsen so stark gesenkt worden, dass ungekannte Geldvolumen in privater Hand auf der Suche nach möglichst hoher oder sicherer Rendite die Privatisierung weltweit vorantreiben. Rasante Steigerungen der Mieten und Grundstückspreise sind die Konsequenz. Gekoppelt mit verhältnismäßig geringen Lohnsteigerungen sowie zerschmelzenden Ersparnissen durch Minimal-Zinsen wird ein Teilzeitjob zur Hochrisiko-Strategie. Die vergleichsweise höheren Preise für ökologisch-sozial produzierte Waren und Dienstleistungen werden dagegen zur Barriere für Durchschnittsverdiener*innen. So leben wir heute in Strukturen, in denen ein auf Suffizienz und starke Nachhaltigkeit ausgelegtes Leben genau eins bedeutet: gegen den Strom zu schwimmen.

3. Ein großes Umdenken für unsere gemeinsame Zukunft

Das macht doch keinen Sinn? Finden immer mehr Menschen in Deutschland auch. Und so wird in einigen, meist urbanen Ballungszentren aus dem Gegen-den-Strom Schwimmen ein Trend. Und Trends haben den Vorteil, dass sie die Komfortzonen verändern. Bestelle nicht nur ich die Bio-Kiste, sondern viele andere auch, können wir unsere Informationen und Erfahrungen teilen, uns gegenseitig in der guten Intention bestätigen. Wir können die Kisten von der Lieferstation mitbringen und anderen davon erzählen. Das reduziert den Aufwand und führt im besten Fall zu mehr Anbieter*innen und damit mehr Liefertagen und einem breiteren Spektrum an Produkten – also einfacheren Routinen.

Ist eine bestimmte Anzahl von Menschen in den Trend eingestiegen, verändern sich Normsetzungen und Idealvorstellungen darüber, was angemessen, sinnvoll und erfolgreich ist.  Schritt für Schritt zeigen sich neue Erfolgsdefinitionen, Geschäftsmodelle, Kooperationsformen und Investitionsstrategien. Das Angebot an alternativen Komfortzonen wächst und wir verzichten darauf, die Umwelt zu ruinieren. Bald ist eine kritische Masse erreicht, bei der das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer starken Gruppe entsteht.

Um aber aus der Nische zu kommen und volkswirtschaftlich stabil zu funktionieren, braucht eine Suffizienzwirtschaft zunächst einmal einen anderen Polarstern: das endlose Wachstum ökonomischer Produktion und dessen Absatz, wie im BIP gemessen, steht einem Genug schlicht im Weg. Ein neuer Polarstern könnte Wohlbefinden (Wellbeing) oder eben Gutes Leben sein, was sich nun auch ein global rasant wachsendes Netzwerk mit vielen Initiativen und einige Regierungen auf die Fahnen geschrieben haben. Verbindliche Leitplanken des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen sind ein Anteil, z.B. Konsumbudgets für CO2, ein Steuersystem, das Ressourcenproduktivät anreizt und nicht die noch intensivere Ausbeutung menschlicher Arbeitszeit oder ihren Ersatz durch Roboter.

Die Produktivitätsgewinne und Automatisierungsprozesse durch neue Technologien gilt es mit Arbeitszeit-, Einkommens- und Sozialversicherungssystemen auszubalancieren, die Wertschöpfung wieder bei den daran Beteiligten ankommen lässt und Wertextraktion in Richtung der Investoren reduziert. Verbindliche Reduktion der Arbeitszeit für Alle ließe aus der Hochrisikostrategie den Zeitwohlstand werden, den viele als Wunsch formulieren. 

Und zu guter Letzt gilt es, die massive Konzentration von Reichtum zurückzudrehen. Aktuell gewinnen fast ausschließlich Menschen mit Investitionskapital dazu und viel zu viele Lebensräume – Wohnungen wie Infrastruktur wie Natur – werden in Investitionsobjekte transformiert, also in Renditeträger, deren Preise steigen sollen. Wenn die Angst weniger wird, hinter die anderen und das Gute Leben zurückzufallen, kann sich auch eine Kultur des Miteinanders leichter entfalten.

4. Suffizienzpolitik als Strategie für Gutes Leben im 21. Jahrhundert

Das klingt wie ein System-Update und ist es auch. Historisch betrachtet haben Projekte dieser Größenordnung aber schon stattgefunden. Sie gingen immer mit einem Paradigmenwechsel einher, der auch die geistigen Landkarten zum Verständnis der Welt neu zeichnete. So wie der Umbruch aus feudalen Agrargesellschaften zu kapitalistischen Industriegesellschaften mit neuen philosophischen und polit-ökonomischen Theorien einherging, so brauchen wir diese neuen Landkarten auch heute in Form von Institutionenrevolutionen und Technologiedurchbrüchen.

Solche tiefgreifenden Veränderungen finden längst rund um uns herum statt. Nur sind viele von ihnen nicht auf das Ziel der nachhaltigen Suffizienzwirtschaft ausgerichtet. Daher geht es neben dem Experimentieren, Trend-Setzen und Kommunizieren auch um das politische Einmischen für Suffizienzpolitik. Es geht um die Neukonfiguration von Identitäten, Interessen, Privilegien und Macht.

Suffizienzpolitik steht dafür, qualitativ blindes und zunehmend stressiges und ungerecht verteiltes Wachstum von Produktions- und Konsummengen unter der Diktatur der Finanzmärkte mit einer neuen Idee von Wertschöpfung zu ersetzen, die unter den Bedingungen eines 21. Jahrhunderts mit vielen Menschen und wenig Naturreserven sinnvoll ist. Sinnvoll weil friedens- und wohlfahrtstiftend, Menschen und ihre Mitwelt respektierend. Sinnvoll weil langfristig möglich im Sinne des Genug. Für Alle. Für Immer.

Über die Autorin
© Kai Müller

Als Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) arbeitet Maja Göpel an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zum Thema Nachhaltigkeitstransformationen. Maja Göpel ist Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg, Mitglied des Club of Rome, der Balaton Group und des Deutschen Sustainable Development Solutions Network sowie Beirätin der Generationenstiftung und der Stiftung Entwicklung und Frieden und seit 2019 Policy Fellow beim Progressiven Zentrum. Maja Göpel ist diplomierte Medien-Wirtin, in Politischer Ökonomie promoviert und Mutter zweier großartiger Töchter.

Leihen statt kaufen

Der heutige Beitrag bezieht sich auf die 4. Stufe der Anti-Verbraucher-Pyramide, die das (Ver)leihen von Konsumgütern als Alternative zum Kaufen vorschlägt.

Gerade wenn ein Gegenstand, wie zum Beispiel ein Werkzeug, nur für eine einmalige Benutzung gebraucht wird, macht es bereits aus finanzieller Sicht mehr Sinn, den Gegenstand auszuleihen anstatt diesen zu kaufen. Zudem kommt die ökologische Komponente hinzu, da Ressourcen geschont werden, wenn der Gegenstand nicht neu produziert werden muss.

Quelle: cuncon / Pixabay

Die meisten Menschen kennen das Konzept des Leihens insbesondere im Nachbar*innen-, Freund*innen- oder Bekanntenkreis. Angenommen das eigene Fahrrad hat einen platten Reifen und man bekommt von einer Freundin das Angebot mit ihrem Fahrrad in die Stadt zu fahren. Davon profitieren beide Parteien, da es praktisch ist und die eine Person der anderen eine Freude macht.

Zunehmend findet das Konzept auch im öffentlichen Rahmen Beachtung. Es gibt zahlreiche Internetplattformen, über die Personen entweder für einen geringen Preis oder gänzlich umsonst Dinge ausleihen können.

In Berlin können auf dieser Plattform aus verschiedenen Kategorien umsonst Dinge ausgeliehen werden können, wenn die Nutzenden sich anmeldet haben und selbst drei Dinge zum Ausleihen anbieten. Die Kategorien der Gegenstände, die sich zum Leihen eignen, reichen hierbei von Elektronik, über Haushaltsgeräte bis hin zu Spielen und Werkzeugen.

Für bestimmte Bereiche wie beispielsweise Bücher nutzen viele Personen die Möglichkeit des Ausleihens in der Bibliothek. Dahingegen ist das Ausleihen von Kleidung außerhalb des Familien- Freund*innenkreises eher ungewöhnlich.

©KALEIH

Celin ist Gründerin des Projekts KALEIH. Sie hat auf EcoCrowd, der nachhaltigen Crowdfunding-Plattform der Deutschen Umweltstiftung, im Februar eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne gestartet. In ihrem Projekt KALEIH handelt es sich um einen nachhaltigen Kleidungsverleih, bei dem als Alternative zum neu kaufen Second-Hand-Kleidung verliehen wird.

Durch dieses Konzept muss kein Kleidungsstück unter unfairen, menschenunwürdigen und umweltschädlichen Bedingungen neu produziert werden und die Nutzungs- und Lebensdauer von vorhandenen Kleidungsstücken wird verlängert.

Insgesamt bietet das Leihen Vorteile auf allen Ebenen der Nachhaltigkeit – Soziales, Ökonomie und Ökologie. Geld wird gespart, Ressourcen werden geschont und vorhandene Kontakte gestärkt oder neue Kontakte geknüpft.

Schluss mit unbedachtem COnsum

Wenn wir uns keine Gedanken über unseren CO2-Ausstoß machen, erübrigen sich Flugreisen in wärmere Gefilde bald von selbst. Foto: NickCanon / Pixabay

Fast zwölf Tonnen CO2 verbrauchen Deutsche durchschnittlich jedes Jahr. Um die aktuellen Klimaschutzziele zu erreichen, dürften wir allerdings nur etwa 4 Tonnen verbrauchen – also ein Drittel des aktuellen Werts.

Aber wie erreichen wir diese Einsparung? Zuallererst, indem jede*r von uns bei sich selbst anfängt! Wissen Sie, wie viel CO2 Sie jedes Jahr verbrauchen? CO2-Rechner wie der vom Umweltbundesamt verraten es Ihnen.

Damit können Sie nicht nur Ihren aktuellen Verbrauch berechnen, sondern auch eine Verlaufskurve Ihres persönlichen Verbrauchs bis 2050. So sehen Sie anschaulich, in welchen Bereichen Sie noch Spielraum für Einsparungen haben und können Ihre Bilanz für die Zukunft optimieren.

Eine Alternative für Quizfans ist der Klimarechner von WWF. Bei dieser Variante machen Sie in 35 Fragen Angaben zu Ihrem persönlichen Konsumverhalten. Daraus wird anschließend ihr CO2-Fußabdruck berechnet:.

Praktisch dabei: Unter jeder Frage finden Sie Tipps, wie Sie ihren CO2-Verbrauch im konkreten Fall vermindern können. Ihr Ergebnis können Sie sich anschließend per E-Mail zusenden lassen.

Eine Alternative speziell für Autofahrer*innen und Flieger*innen sind die CO2-Rechner von Atmosfair und Naturefund: Hier brauchen Sie jeweils nur zwei Angaben zu machen, um die ausgestoßene Menge CO2 für eine bestimmte Fahrt oder einen bestimmten Flug zu berechnen.

Die Angaben dieser beiden Rechner sind zwar weniger detailliert und lassen auch keine Angaben zu künftigen Entwicklungen zu. Dafür können Sie direkt im Anschluss an die Berechnung Bäume pflanzen oder nachhaltige Projekte unterstützen, um ihren CO2-Ausstoß zu kompensieren.

Damit verringern Sie nicht nur Ihren persönlichen ökologischen Fußabdruck – Sie vergrößern auch Ihren ökologischen Handabdruck. Dieser Wert soll ein positives Gegenmodell zum ökologischen Fußabdruck darstellen. Denn nicht die negativen Auswirkungen auf die Umwelt, sondern der gesellschaftliche und nachhaltige Mehrwert von Handlungen und Produkten steht hier im Fokus. In diesem Sinne: Einfach mal die Füße hochlegen, Hand drauf!

Weniger Ressourcenverbrauch, mehr Lebensqualität – ein Gastbeitrag von Christine Wenzl

Für eine nachhaltige Entwicklung müssen wir unser Konsumverhalten umstellen und weniger verbrauchen. Doch um langfristig mehr Suffizienz zu erreichen, muss auch die Kommunal- und Bundespolitik aktiv werden und Umsteuerungsmaßnahmen ergreifen.

Umweltschädliche Subventionen beispielsweise für Dieselkraftstoffe und Kerosin liefern falsche Anreize. Foto: ResoneTIC / Pixabay.

Am 3. Mai 2019 war der deutsche Erdüberlastungstag: An diesem Tag hatte Deutschland – rein rechnerisch – alle für das gesamte Jahr zur Verfügung stehenden erneuerbaren Ressourcen verbraucht. Würden alle Staaten so wirtschaften und alle Menschen auf der Welt so leben wie Deutschland, so bräuchten wir drei Planeten.

Allzu offensichtlich haben wir die Grenzen unseres Planeten erreicht. Die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse sind alarmierend: Sie betreffen die Auswirkungen der Klimakrise, die Verschmutzung der Weltmeere mit Plastikmüll, den weltweiten Verlust der Artenvielfalt. Tatsächlich kalkulieren auch Wirtschaftsunternehmen, Banken und Versicherungen längst mit beträchtlichen Umweltschäden. Auch Ökonomen haben eingesehen: Wirtschaft kann nicht immer weiter wachsen. Zugleich stellen immer mehr Menschen hierzulande die Verheißungen des „immer schneller, immer mehr“ und eines unbegrenzten Konsums in Frage.

Weniger ist mehr: Von Reparaturinitiativen bis Radverkehr

Weniger ist mehr: Dieses Motto bringt immer häufiger Menschen zusammen. Sie setzen Ideen eines nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens praktisch um. Weit über 700 Reparaturinitiativen organisieren deutschlandweit regelmäßige Treffen, um defekte Alltagsgegenstände gemeinschaftlich zu reparieren. Leihläden und Onlineportale ermöglichen weniger Konsum; in Ernährungsräten kommen Landwirte, Einkäuferinnen, Politik und Verwaltung zusammen, um unsere Städte gesund und regional zu ernähren und die bäuerliche Landwirtschaft im Umland zu erhalten.

Auch im eigenen Alltag pflegen immer mehr Menschen nachhaltige Lebensstile – indem sie auf Ökostrom umsteigen, weniger Fleisch essen und weniger Plastik verbrauchen oder Carsharing betreiben, statt selbst ein Auto zu besitzen. Oder indem sie öfter aufs Fahrrad steigen.

Ein Beispiel, das anschaulich zeigt, wie essenziell gute Rahmenbedingungen sind: Zugeparkte Radwege, zu schnell fahrende Autos, keine Abstellmöglichkeiten – dies und anderes mindert vielerorts die Freude am Radfahren. Dabei wünschen sich 79 Prozent der Deutschen bessere Alternativen zum Auto. Laut einer neuen Studie des Umweltbundesamtes ist eine große Mehrheit derer, die hauptsächlich Auto fahren, bereit, auf das Rad oder auf Öffentliche umzusteigen.

An diese Bereitschaft müssen Städte und Gemeinden stärker anknüpfen. Sie haben es in der Hand, die Nahversorgung zu verbessern, für einen preiswerten öffentlichen Verkehr mit guter Anbindung zu sorgen und mehr und bessere Radwege auszuweisen. Doch auch die Bundespolitik ist gefragt: Sie muss die Kommunen unterstützen. Man stelle sich vor, sie streiche die (jährlich!) 28,6 Milliarden Euro umweltschädlicher Verkehrssubventionen – und beschließe stattdessen, eine klimaschonende Mobilität zu fördern: mit einer Investitionsoffensive für den Rad- und Fußverkehr und einer Politik, die für deutlich weniger Autos in unseren Städten sorgt. All das würde unsere Lebensqualität spürbar erhöhen.

Klare Regeln, gute Angebote: Politik ist gefragt

Politische Maßnahmen, Anreize und Impulse sind auch in anderen Bereichen sind gefordert – und auch hier setzt der BUND mit seinem Engagement an.

Zum Beispiel Reparatur. Ein erster Schritt: In ihrer neuen Richtlinie für Ökodesign hat die EU z.B. für Waschmaschinen, Fernsehgeräte und Leuchten Vorgaben festgelegt, um die Reparatur zu erleichtern. So müssen Produkte zerlegbar sein und Ersatzteile verfügbar. Jetzt ist die Bundesregierung am Zug. Sie muss national dafür sorgen, dass Reparaturen für Verbraucher*innen tatsächlich leichter möglich werden.

Zum Beispiel Fleischkonsum. Durchschnittlich rund 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf verspeisten die Deutschen im Jahr 2017; als gesund gilt höchstens die Hälfte. Es ist Zeit für ökologische und vegetarische Alternativen auf den Speiseplänen von Kitas, Schulen, öffentlichen Kantinen. Und: Die Bundesregierung muss eine verbindliche Haltungskennzeichnung für Fleisch schaffen. Damit wir beim Einkauf erkennen können, wie die Tiere gehalten wurden.

Denn bislang wird die Verantwortung für einen Lebensstil, der weniger Ressourcen verbraucht, noch allzu oft als rein persönliche Entscheidung angesehen. Tatsächlich ist aber die Politik gefragt. Der BUND plädiert daher für Suffizienzpolitik. Sie muss den Rahmen setzen für zukunftsfähige Lebensstile und Suffizienz. Mehr Effizienz und technische Lösungen allein reichen nicht, um unseren Energie-, Material- und Flächenverbrauch absolut zu begrenzen. Auch wenn in der Gebäudesanierung, in effizienteren Geräten und Autos enormes Potenzial liegt: Unsere Klimaschutzziele bleiben außer Reichweite, wenn zugleich die Zahl der Autos, ihre Größe und Leistungsstärke weiter ungebremst wachsen. Oder wenn immer neue Wohn- und Gewerbegebiete entstehen, selbst bei sinkender Einwohnerzahl.

Umweltschädliche Subventionen streichen – Nachhaltigkeitsziele umsetzen

Die Bundesregierung muss politisch mutig und konsequent gegensteuern. Vor allem aber wird immer offensichtlicher, dass ein wirksamer Ressourcenschutz mit ungebremstem Wirtschaftswachstum nicht vereinbar ist. Es gilt, Alternativen aufzuzeigen. Für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit – statt Wachstum um jeden Preis!

Ein erster konsequenter Schritt wäre, endlich alle umweltschädlichen Subventionen abzuschaffen. Die Subventionen – u.a. Steuervergünstigungen für Kohle, Dieselkraftstoffe und Kerosin – belaufen sich auf über 57 Milliarden Euro im Jahr. Sie belasten den Staatshaushalt doppelt: Zunächst durch Mehrausgaben und Mindereinnahmen des Staates, später durch erhöhte Kosten, um die  Schäden an Umwelt und Gesundheit zu beseitigen.

Einen guten Rahmen für eine nachhaltige Politikwende bilden die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Bis zum Jahr 2030 will die Weltgemeinschaft Hunger und Armut beenden, die weltweite Ungleichheit verringern, allen Menschen Zugang zu nachhaltiger Energie verschaffen, den Klimawandel bekämpfen, den Artenverlust stoppen. Die Ziele machen Hoffnung, sie gelten für alle Länder der Welt und vereinen soziale und Umweltziele miteinander.

Höchste Zeit für die Bundesregierung, diese Agenda zur politischen Priorität zu erklären und umzusetzen. Seit 2016 orientiert sie ihre Nachhaltigkeitsstrategie an der globalen Agenda, doch bislang sind wesentliche Ziele wie das Klimaschutzziel 2020 fern davon, erreicht zu werden. Auch im Verkehr, in der Landwirtschaft, beim Artenschutz und im Umgang mit Böden und Flächen gilt es dringend umzusteuern. Nachhaltige Entwicklung bedeutet, verantwortungsbewusst mit unseren Lebensgrundlagen umzugehen. Nur so werden heutige und zukünftige Generationen weltweit ein Leben in Würde führen können, gemäß ihren Bedürfnissen. Ohne grundlegende Veränderungen in unserer Wirtschafts- und Lebensweise wird dies nicht gelingen. Denn aktuell ist unser westlicher Lebensstil von globaler Gerechtigkeit weit entfernt.

Über die Autorin
© Christine Wenzl

Christine Wenzl ist die Leiterin der Stabsstelle Nachhaltigkeit beim Bund für Umwelt und Naturschutz e.V. (BUND).