Suffizienz an Hochschulen – Eine Good-Practice-Sammlung

Wie wird Suffizienz an Hochschulen bereits umgesetzt? Was lässt sich aus existierenden Projekten lernen und wie könnte man diese noch weiterführen? Diesen Fragen gehen Dr. Michael Flohr und Lucas Markus in ihrer Good-Practice-Sammlung „Suffizienz an Hochschulen im ländlichen Raum“ nach. Indem sie untersuchen, wie Suffizienz an Hochschulen gelingen kann, setzen sie einen Gegenpunkt zur bequemen aber zugleich riskanten Wette auf eine alleinig effiziente Zukunft. 

Übersichtskarte suffizienter Initiativen an Hochschulen, die in der Good-Practice-Sammlung aufgeführt werden, © Dr. Michael Flohr

Suffizienz im ländlichen Raum

In Deutschland ist grundsätzlich auffällig, dass vor allem kleinere und mittlere Hochschulen nachhaltige Maßnahmen umsetzen. Ländliche Räume haben gewisse Merkmale, die Suffizienz befördern können. Überschaubare Sozialgefüge und enge Netzwerke führen beispielsweise dazu, dass solidarische Aktivitäten wie Tauschen leichter umgesetzt werden können, als das in der Anonymität von Großstädten der Fall ist. Außerdem können gerade ländliche Räume zu Reallaboren werden, um gewohnte Wachstumspfade zu verlassen und neue, suffiziente Wege zu erproben. Das geschieht, indem neue Lebens-, Lern- und Arbeitsformen gewagt werden. Ländliche Hochschulen haben daher häufig eine Innovations- und Vorbildfunktion inne.

Suffizienz – Orientierung am rechten Maß

Suffizienz meint, das „richtige“ und „notwendige“ Maß von Ressourcenverbrauch anzustreben, sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene. Häufig werden die 4 E’s nach Wolfgang Sachs genutzt – Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung – um sich am richtigen Maß zu orientieren. 

Bei der Entschleunigung geht es um das richtige Maß an Zeit. Der Rhythmus soll angepasst und damit langsamer und zuverlässiger werden – im Verkehrsbereich, in der Arbeitswelt und in den Produktzyklen von Gütern. So werden Qualität und Langlebigkeit erzielt. Entflechtung meint das richtige Maß für den Raum. Globales und regionales Wirtschaften soll neu aufgeteilt werden, zum Beispiel durch eine Regionalisierung der Lebensmittelproduktion und der Energieversorgung. Entrümpelung bezeichnet das richtige Maß an Besitz hin zu „einfacher“ und „weniger“. Dabei geht es vor allem darum, Gerümpel gar nicht erst entstehen zu lassen, indem zum Beispiel Güter langlebig und reparierbar produziert werden. Das vierte E, die Entkommerzialisierung, betrifft das richtige Maß für den Markt. Der zunehmenden Kommerzialisierung soll entgegengewirkt werden, indem Menschen zu Glück jenseits von Konsum befähigt werden. 

Die vier E‘s wurden im Paper genutzt, um Ansätze und Projekte nach ihrem primären Fokus geordnet darzustellen. Im Folgenden wird zu jedem „E“ ein Beispiel einer Hochschule vorgestellt, welche ein suffizientes Projekt im jeweiligen Bereich umsetzt. 

Entschleunigung

Lebenswelt Campus der Leuphana Universität Lüneburg © Leuphana Universität Lüneburg

Einen Fokus auf Entschleunigung setzt das Projekt „Lebenswelt Campus“ der Leuphana Universität Lüneburg. Studierende, Lehrende, Verwaltungsmitarbeitende und die Hochschulleitung versuchen in diesem Projekt, den Campus so zu gestalten, dass alle sich wohlfühlen, miteinander ins Gespräch kommen und sich unterstützen können. Zunächst wurde dafür der Campus zu einem verkehrsberuhigten Raum gemacht. Nachfolgend sollen die Straßen entsiegelt werden, um einen Campuspark zu gestalten. Diverse Nutzungsanforderungen an den Campus sollen in das neu entwickelte Konzept einbezogen werden. Dazu gehören unter anderem Orte zum Verweilen, Repräsentativität, Biodiversität, Lehre, Lernen, Bewegungen, essbarer Campus und Barrierefreiheit. Der partizipative Prozess und ein langfristiger Blick auf die Gestaltung des Campus zeigen neben dem gemeinsam genutzten Raum, der reduzierten Abgasbelastung und angebautem Obst, Gemüse und Kräutern auf dem Campus die deutlichen Bezüge zur Suffizienz. Das Projekt könnte gut an andere Hochschulen übertragen werden, wobei Themen und Schwerpunkte von der jeweiligen Hochschule selbst gesetzt werden können. Aber auch für die Universität Lüneburg geht es noch weiter mit der Entschleunigung: „Das Projekt Lebenswelt Campus lebt davon, dass sich die Ideen weiterentwickeln und mit allen Stakeholdern abgestimmt realisiert werden. So sind wir gespannt und offen, was in den nächsten Jahren noch kommt.“

Entflechtung

Klimaschutz-Mensa des Studentenwerks Schleswig-Holstein © Studentenwerk Schleswig-Holstein

Das Studentenwerk Schleswig-Holstein wirkt mit einer „Klimaschutz-Mensa“ auf dem Campus Flensburg im Bereich der Entflechtung. Ein wachsendes Angebot an vegetarischen und veganen Gerichten und Maßnahmen zur Energieeinsparung und Müllvermeidung wurden seit 2018 erfolgreich umgesetzt. Auch in diesem Projekt arbeiten Studierende, Hochschulleitung, Lehrende und Verwaltungsmitarbeitende zusammen für eine suffizientere Hochschule. Mitarbeitende der Mensa werden regelmäßig geschult, sodass sich Auswahl und Qualität an vegetarischen und veganen Gerichten vergrößert. Regionale Produkte und kurze Transportwege werden bevorzugt. Außerdem werden mit einem Stand in der Mensa Studierende für das Thema Klimaschutzmanagement sensibilisiert. Durch gute Öffentlichkeitsarbeit rund um das Thema Nachhaltigkeit und ein attraktives Angebot klimagerechter Speisen konnte auf dem Campus Flensburg Genuss verbunden mit Klimaschutz zu moderaten Preisen in die Mensa gebracht werden. Übertragen werden kann das Konzept der Klimamensa auf jede Hochschule mit Mensabetrieb.

Entrümpelung

CREAPOLIS Makerspace der Hochschule Coburg © CREAPOLIS Makerspace

An der Hochschule Coburg wurde von Lehrenden der „CREAPOLIS Makerspace“ geschaffen, eine offene Werkstatt, wo sowohl digitale als auch anaolge Werkzeuge geteilt werden. Dem ganzen liegt die Idee zugrunde eine neue Art von Begegnungsplattform für die Hochschule und Region Coburg zu schaffen. Ein Erfolg zeichnet das Repair Café, welches zweimal im Monat angeboten wird und sich großer Beliebtheit erfreut. Darüber hinaus bietet das Projekt Bürger*innen, Initiativen und Unternehmen Infrastruktur in Form von Räumlichkeiten, um Vorhaben umzusetzen und (in Kooperation) nachhaltige Innovationen entstehen zu lassen. Für die Entwicklung ähnlicher Projekte an anderen Orten wird das Wissen zum Makerspace bereits genutzt. Darüber hinaus ist in Planung, einen Arbeitsbericht zu veröffentlichen, der es neuen Projektstarter*innen noch einfacher macht. 

Entkommerzialisierung

Klimamap der Europa-Universität Flensburg, Quelle: Screenshot KlimaMap Flensburg,  https://klimaschutz.campus-flensburg.de/?page_id=3210

Vom Klimaschutzmanagement der Universität Flensburg wurde die „Klimaschutzmap“ ins Leben gerufen. Diese beschreibt eine Online Karte mit über 250 Einträgen in neun Kategorien. Ziel ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sich in Flensburg für Klimaschutz eingesetzt werden kann. Aufgenommen sind Repair Cafés, Secondhand-Läden, Foodsharing-Angebote, Unverpackt-Läden und vieles mehr. Eine Besonderheit dieses Projektes ist, dass es nicht nur Hochschulmitglieder erreicht, sondern darüber hinaus auch von Interessierten Bürger*innen genutzt werden kann. Eine KlimaMap mit Angeboten zum klimafreundlichen Handeln kann grundsätzlich mit genügend Engagement ganz einfach ins Leben gerufen werden. Wichtig ist, die Klimaschutzmap kontinuierlich zu pflegen, da sich in einigen Kategorien Angaben laufend ändern, wie beispielsweise die Anzahl an Stromtankstellen in der Stadt.

Fazit

Die vier vorgestellten Projekte bilden nur eine kleine Auswahl an Beispielen aus der Good Practice Sammlung zu Suffizienz an Hochschulen. Vom Umweltcampus der Hochschule Trier über Foodsharing an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt bis hin zu einem Fahrradverleihsystem an der Hochschule Emden-Leer gibt es noch viele weitere spannende Projekte zu Suffizienz zu entdecken. Der Projektinitiator vom Fahrradverleihsystem sagt als Tipp für alle, die selbst ein Nachhaltigkeitsprojekt starten wollen: „Einfach loslegen!“ 

Wer gerne erstmal Ideen sammeln, sich inspirieren lassen oder weitere wertvolle Tipps erhalten möchte, findet all dies ausführlich im besagten Paper. Neben der Good Practice Sammlung gibt es noch weitere Beiträge. Zum Beispiel geben zwei Umweltpsychologinnen im Interview Anregungen, wie studentische Initiativen andere Menschen an der Hochschule von einem suffizienten Projekt überzeugen können.

Quellen

https://www.researchgate.net/publication/342991904_Suffizienz_an_Hochschulen_im_landlichen_Raum

Suffizienzpolitik – Praktiken und wie diese gelingen können

Nachhaltigkeit zu wollen, ist leicht. Erwartet wird dabei jedoch häufig, Nachhaltigkeit lasse sich allein durch Innovation erreichen. Die Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz bezeichnet die bewusste Verringerung des Bedarfs und des Verbrauchs an endlichen Rohstoffen und Energie. Dieser wird mit deutlicher Zurückhaltung, häufig sogar mit Empörung und Widerständen, begegnet. Durch verpflichtende und fördernde Maßnahmen der öffentlichen Hand zielt Suffizienzpolitik auf eine Begrenzung von Produktion und Konsum ab. Dadurch greift sie in das persönliche Leben ein und wird schnell als Beeinträchtigung gesehen, vor allem von denjenigen, die ihren eigenen Wohlstand im Vordergrund sehen und diesen beibehalten möchten oder sogar zu verbessern erstreben. In einem Gastbeitrag auf unserer Seite hat Manfred Linz bereits beispielhaft an Politiken erklärt, wie Suffizienz den Weg vom Alltag in die Politik finden kann. Darauf aufbauend wird im Folgenden basierend auf seiner Handreichung „Wie Suffizienzpolitik gelingen kann“ genauer auf verschiedene Herangehensweisen bei der Gestaltung von Suffizienzpolitiken eingegangen, die förderlich oder erschwerend auf die Akzeptanz und Umsetzung einwirken können.

Do’s and Don’ts bei der Gestaltung von Suffizienzpolitiken 

Um Suffizienzpolitik künftig Erfolg bringend gestalten zu können, ist es von großer Bedeutung zu wissen, durch welche Mittel und Methoden diese staatlichen Maßnahmen von der breiten Bevölkerung annehmbar werden. Hierfür hat Dr. Manfred Linz in seiner Handreichung „Wie Suffizienzpolitik gelingen kann“ 8 unterschiedliche Politiken und deren Akzeptanz und Umsetzung durch die Bevölkerung untersucht. Die Auswertung dieser Beispiele – im Folgenden kurz zusammengefasst – zeigt, welche Erkenntnisse daraus gewonnen werden und was wir daraus für die Entwicklung kommender Politiken lernen können.

Merkmale, die das Gelingen von Suffizienzpolitik befördern

  • Leicht einsehbare Ziele aufstellen – staatliche Maßnahmen, die ein klares, leicht einsehbares Ziel haben, werden leichter umgesetzt als Maßnahmen mit unklaren, zusammenhängenden oder komplexeren Zielen
  • Gewinn im Verzicht erkennbar machen – die Bereitschaft zur Annahme von Maßnahmen steigt, wenn neben der Restriktion ein gleichzeitiger Nutzen erkennbar wird
  • Veränderung in mehreren Stufen – es fällt leichter Veränderungen zu akzeptieren, die nicht mit einem Mal eine große Umstellung verlangen, sondern durch mehrere Teilschritte herbeigeführt werden können
  • Gemeinwohl entscheidet – Vorgaben, die im Allgemeinen dazu beitragen, Schaden von der Gemeinschaft abzuwenden, werden eher angenommen
  • Zustimmung mobilisieren – Maßnahmen können leichter akzeptiert werden, wenn mit der Zustimmung des größten Teils der Bevölkerung gerechnet werden kann

Merkmale, die das Gelingen von Suffizienzpolitik erschweren

Damit die Umsetzung von Suffizienzpolitiken erfolgreich gelingen kann, ist es neben den förderlichen Aspekten auch wichtig die Merkmale zu betrachten, die das Gelingen erschweren können. Auch diese sind im Folgenden zusammengefasst. 

  • Konkurrierende Ziele vermeiden es sollte vermieden werden, komplizierte und inhaltlich nicht zusammenhängende Ziele zu setzen, da diese von der Bevölkerung weniger akzeptiert werden
  • umstrittene Sachverhalte hemmen – schwerer umzusetzen sind Maßnahmen, denen trotz guter Gründe auch berechtigte Einwände entgegenstehen
  • Vermeidung von unmittelbaren Kosten bei erst langfristigem Nutzen – Maßnahmen, die die Betroffenen unmittelbar mit Kosten belasten, jedoch erst über längere Zeit Wirkung zeigen, können die Akzeptanz verringern
  • Bevormundung durch den Staat unerwünscht – Wenn der Staat als Vormund der persönlichen Lebensweise erscheint, ist die Bevölkerung weniger gewillt sich dessen Vorgaben anzunehmen
  • Überforderung vermeiden – politische Maßnahmen, die die Veränderungsbereitschaft der Bürger emotional überfordern sind schwerer umzusetzen
  • Freiheitswünsche bedenken – weniger anerkannt werden Maßnahmen, wenn durch diese persönliche Gefühle, vor allem die der eigenen Unabhängigkeit, als eingeschränkt empfunden werden
  • Wirtschaftliche Interessen einbeziehen – schwerer zu akzeptieren sind Restriktionen, wenn diesen starke ökonomische Interessen entgegenstehen. Besonders hinderlich ist das, wenn diese Interessen von einem Teil der Bürger und bedeutenden Entscheidungsträgern vertreten werden
  • Hindernis Wachstumsglaube – wenn der Glaube gefestigt ist, dass das Wirtschaftswachstum notwendige Voraussetzung für Wohlstand ist, wird es wesentlich schwieriger sein bestimmte Maßnahmen durchzusetzen

Folgerungen für die Gestaltung von Suffizienzpolitik

1. Gemeinwohl ist der ausschließliche Bezugspunkt aller Suffizienzpolitiken

Restriktionen im Rahmen von Suffizienzpolitiken stoßen häufig auf Gegenwehr, da sie mit den persönlichen Wünschen sowie kurzfristigen Gedanken, Gefühlen und Handlungen einzelner Individuen konkurrieren. Um diesen Konflikt auszugleichen, muss das gemeinsame Wohl als langfristiges Ziel in den Vordergrund gestellt werden. Es muss gezeigt werden, dass die Forderungen unverzichtbar sind, um langfristig das Fortbestehen und Wohl der Gesamtgesellschaft zu sichern.

 2. Lokal und regional statt national und europaweit

Die Durchsetzung von neuen Vorgaben gelingt auf regionaler Ebene besser als im nationalen oder europaweiten Raum. Dies resultiert vor allem daraus, dass Probleme auf kleinerer Ebene überschaubarer und greifbarer sind und vieles unmittelbar durch personenbezogene Beziehungen geklärt werden kann. Außerdem sind hierfür lokale Initiatoren entscheidend, die oft durch Engagement und Ausdauer die politische Durchsetzung ermöglichen.

3. Gebote vor Verboten

Ein entscheidender Punkt ist es auch, den Bürgern möglichst viel Wahlfreiheit zu gewährleisten. Diese möchten weitestgehend das Recht behalten, selbst über ihre persönliche Lebensführung entscheiden zu können. Daher ist es von Vorteil, Suffizienzpolitik möglichst durch Vorgaben im Sinne von Begünstigungen, Geboten oder Reglementierungen zu betreiben. Es sollten nur dann Verbote eingesetzt werden, wenn die Ziele nicht auf eine andere Weise zu erreichen sind.

4. Ausgleich für die sozial Schwachen

Einige der Politiken haben zur Folge, dass sie die Lebenskosten erhöhen, was vor allem die sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen übermäßig trifft. Diese Mehrbelastungen für Geringverdienende sollten, beispielsweise durch Ausgleichszahlungen, aufgefangen werden.

5. Neue Gewohnheiten stützen die Suffizienz

Die Bildung von neuen Gewohnheiten, die die Vorgaben in das alltägliche Leben integrieren, können zusätzliche Zustimmung geben. Vor allem ist das der Fall, wenn durch die tatsächliche Umsetzung der gesellschaftliche Nutzen erkennbar wird. Ein Beispiel ist das so umstrittene Tempolimit. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass viele Regelungen sehr schnell von den Meisten akzeptiert und zur Gewohnheit werden, wenn sie erst einmal umgesetzt wurden. 

6. Von den leicht zugänglichen zu den herausfordernden Politiken

Suffizienzpolitiken lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen, die sich in Bezug auf verschiedene Kriterien, wie Kosten oder Schwierigkeitsgrad, unterscheiden. Die Politiken, die mit spürbaren Einschränkungen verbunden sind, können einen größeren Erfolg erzielen, wenn sie mit kleineren Schritten begonnen werden. So können die Anfänge ohne größere Proteste hingenommen, es können neue Gewohnheiten gebildet werden und die weitere Durchführung hat bessere Chancen.

7. Das Verhältnis von Gewinn und Verlust

Für einen Großteil der Menschen ist Suffizienz ein unerwünschter Verzicht, der gegen den Erhalt ihres materiellen Wohlstands gerichtet ist. Die meisten Menschen wollen nicht weniger. Nur ein kleiner Teil der Gesellschaft kann Suffizienz als Gewinn interpretieren und diesen beispielsweise als Befreiung vom Überfluss ansehen. Nach einer These von Daniel Kahneman und Amos Tversky haben jedoch Verluste und Nachteile einen größeren positiven Einfluss auf uns als Gewinne oder Vorteile. Diese Ungleichmäßigkeit von positiver und negativer Erfahrung ist zudem evolutionsbedingt, denn Lebewesen, die Bedrohungen vorzeitlich behandeln, haben höhere Überlebenschancen. Diese Einsicht vermittelt ein neues Bild über die durch Suffizienz entstehenden vermeintlichen Verluste und könnte die Akzeptanz von Suffizienzpolitiken positiv beeinflussen.

Fazit

Ob Suffizienzpolitiken erfolgreich von der Regierung beschlossen, vom Parlament verabschiedet und von der Bevölkerung akzeptiert werden, hängt von vielen Faktoren ab. Suffizienzpolitiken können gegenwärtig nicht in ihrer vollen Ausprägung durchgesetzt werden, da Klimaschäden unser aktives Lebensumfeld sowie unser Bewusstsein nicht spürbar genug erreichen. Das Gelingen und die Bereitschaft zur Akzeptanz kann jedoch gefördert werden, wenn bestimmte Herangehensweisen bei der Gestaltung der Politiken berücksichtigt werden. Damit die Wirksamkeit der staatlichen Vorgaben und damit die vereinbarten Klimaziele erreicht werden können, muss sich vor allem die gesamtgesellschaftliche Erwartung und Einstellung ändern. Wenn wir dies als Gesellschaft nicht von alleine schaffen, werden wir voraussichtlich früher oder später durch die sich zuspitzenden Ereignisse und die daraus resultierenden Folgen dazu gezwungen. Der steigende Protest von Menschen, die ihre besondere Betroffenheit vom Klimawandel nicht mehr hinnehmen, könnte bereits zu einer Veränderungsbereitschaft der Bevölkerung in gemäßigten Zonen führen. Noch haben wir die Möglichkeit unsere Ansichten zu ändern, als Gesellschaft näher zusammenzurücken und auch von uns aus die nationalen Regierungen zum Handeln zu bewegen. Öffentliche Diskussionen und das Werben für leichte Suffizienzpolitiken können die Aufmerksamkeit für dieses Thema vergrößern und es kann ein Umdenken zur vorher oft kritisch betrachteten Suffizienz stattfinden. Dadurch wird es uns in der Gesellschaft vielleicht leichter fallen, den langfristigen und notwendigen Zielen zur Erhaltung und zum Wohl unserer Gemeinschaft Vorrang zu verschaffen und unseren persönlichen Drang nach übermäßigem Konsum und materiellem Wohlstand hinten anzustellen. 

Quellen

Manfred Linz: Suffizienz als politische Praxis . Ein Katalog. Wuppertal 2015, ISBN 978-3-929944-96-9

Manfred Linz: Wie Suffizienzpolitiken gelingen: Eine Handreichung. Wuppertal 2017, ISBN 978-3-946356-02-8 (Wuppertal Spezial Nr. 52)

Link zur Handreichung “Suffizienz als politische Praxis”: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/5735/file/WS49.pdf

Link zur Handreichung “Wie Suffizienzpolitiken gelingen”: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/6611/file/WS52.pdf

Einfach Machen! Die Suffizienzdetektive

Mehr denn je wollen sich junge Menschen für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten einsetzen. Diese Bereitschaft unterstützt die Deutsche Umweltstiftung mit einem aktuellen Projekt, in dem es um eine bewusste Auseinandersetzung mit unseren Konsumgewohnheiten geht.

Für das Projekt hat die Deutsche Umweltstiftung die Internetplattform suffizienzdetektive.de erstellt und am 07.09.2020 den bundesweiten Schulwettbewerb „Einfach machen! Die Suffizienzdetektive“ gestartet. An ihm können Schulklassen, Schüler- und Arbeitsgruppen der Sekundarstufe 1 teilnehmen.

Projektlogo der Suffizientdetektive

Hintergrund

Mit dem Projekt soll eine kritische Reflexion unserer Lebensgewohnheiten und Konsumbedarfe erreicht werden. Suffizienz steht dabei im Mittelpunkt. Sie ist neben Konsistenz und Effizienz die dritte große Nachhaltigkeitsstrategie. Häufig wird sie in der Öffentlichkeit in einem negativen Verständnis auf den Zwang zum Verzicht reduziert. Diese Interpretation ist fehlgeleitet. Suffizienz lädt vielmehr jeden Einzelnen von uns ein, über die Frage nachzudenken, welche Dinge für ein erfülltes Leben notwendig sind. Es geht nicht nur darum, Ressourcen zu sparen, indem man sich der Auswüchse unserer Wegwerf- und Überschussgesellschaft bewusst wird, sondern auch zu erkennen, dass mit einer suffizienten Lebensweise viele Vorteile verbunden sind: bessere Gesundheit, steigende Fitness, geringere finanzielle Ausgaben, Erschließung neuer Kompetenzen, soziale Anerkennung oder die Stärkung lokaler Gemeinschaft.

Ablauf des Projektes

Interessierte Schulklassen oder Schülergruppen können sich seit dem 07.09.2020 für den Wettbewerb anmelden. Anschließend befassen sie sich im Rahmen des Unterrichts oder als Hausaufgabe mit dem Thema Suffizienz. Sie recherchieren bereits umgesetzte Maßnahmen und Projekten für ressourcenschonendes Ver- halten im Alltag. Aus dem auf diese Weise entstandenen Ideenportfolio wählen sie einen Vorschlag aus, den sie anschließend gemeinsam umsetzen.

Ihre Umsetzung dokumentieren sie in einem Kurzvideo per Smartphone und laden es anschließend auf der Wettbewerbsseite hoch. Die Beiträge müssen bis zum 18.12.2020 eingereicht werden. Anschließend wird eine Jury aus Vorstandsmitgliedern der Deutschen Umwelt- stiftung die kreativsten Umsetzungen prämieren. Alle Videos werden abschließend zu einer mehrminütigen Multimediadokumentation verar- beitet, die auf positive Art und Weise die Bedeutung nachhaltigen Konsums herausstellt und zum Nachahmen der vorgestellten Ideen einlädt.

Mitmachen und suffizienter Leben! Mit dem Projekt möchte die Deutsche Umweltstiftung jungen Menschen versinnbild- lichen, dass ein nachhaltiger Lebensstil keine abstrakte Größe ist. Jede oder jeder kann etwas tun und einen Beitrag dazu leisten, dass unser Planet auch in Zukunft ein lebenswerter Ort ist. Und das wollen wir doch alle! Mehr Informationen zum Projekt und wie Schulen mitmachen können, finden Sie unter suffizienzdetektive.de.

Suffizienz in Unternehmen – Die unterschätzte Strategie

Die Anpassung an ökologische und soziale Bedürfnisse fordert eine strukturelle Veränderung in der Wirtschaft. Viele Unternehmen mindern ihren Umwelteinfluss, indem sie effiziente und konsistente Projekte umsetzen. Sie versuchen durch weniger Ressourcen den gleichen Output zu generieren und arbeiten mit geschlossenen Stoffkreisläufen. Diese Strategien sind objektorientiert und stützen sich auf technologische Innovationen. Allerdings haben sie den Nachteil mögliche Rebound-Effekte zu erzeugen, denn Effizienzgewinne können den Konsum von Produkten erhöhen. Um eine ganzheitliche Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt zu schaffen, bedarf es daher die Einbindung aller relevanter Akteur*innen entlang der Wertschöpfungskette. Das ist ein zentraler Punkt in der Strategie der Suffizienz, bei der es um das sinnstiftende Produzieren und Konsumieren geht. Bisher wird Suffizienz im Unternehmenskontext selten angewendet, aufgrund des mangelnden Wissens und der Verständlichkeit.

Das Impulspapier „Suffizienz im Unternehmenskontext“ der Integralen Planung GmbH (Intep) und dem Verband für nachhaltiges Wirtschaften (öbu) hilft dabei, die Prinzipien von unternehmerischer Suffizienz besser zu verstehen.

Quelle: Unsplash, Kleomenis Spyroglou, Utrecht Centraal, Netherlands (letzter Zugriff: 27. Juli 2020)

Suffizienz-Prinzipien für Unternehmen

Unternehmen, die suffizient agieren, arbeiten lösungsorientiert an den Herausforderungen der Gesellschaft und bleiben dabei innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen. Dabei werden Ressourcen wie Material, Finanzen, Produkt oder Dienstleistung, Mensch, Wissen, Raum und Zeit schonend, also weniger, regionaler und langsamer, eingesetzt und an die Nachhaltigkeitsziele angepasst. Das Wissen vermitteln die Unternehmen transparent an alle Stakeholder. Mit dieser Einstellung machen sie sich ihren Auswirkungen bewusst und messen ihren Nutzen an monetäre, soziale und ökologische Variablen. Ihre Arbeit ist sinnstiftend und das steht im Mittelpunkt ihrer Untenrehmenskultur.

Vorteile

Suffizienz wird oft mit Verzicht in Verbindung gebracht und scheint in erster Linie unattraktiv für Unternehmen. Das Impulspapier verweist auf das Gegenteil. Unternehmen, die sich mit Suffizienz positionieren, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil. Wenn Unternehmen die Suffizienz-Prinzipien umsetzen, fördern sie die nachhaltige Entwicklung unserer Wirtschaft und beweisen ihre Relevanz für das System. Die Transparenz von ihren Aktivitäten ist für viele Stakeholder reizvoll. Es schafft Vertrauen und ist insbesondere für Investor*innen ein Zeichen der Risikominderung. Somit können Unternehmen mit Suffizienz als Strategie die Nachhaltigkeitsziele besser erreichen und ihre Attraktivität, Arbeitszufriedenheit und Qualität ihres wirtschaftlichen Schaffens erhöhen.

Fazit

Als komplementäre Strategie zur Effizienz und Konsistenz ist Suffizienz unvermeidbar, wenn Unternehmen ein ganzheitlich nachhaltiges Wirtschaftssystem anstreben. Eine ressourcenschonende und sinnstiftende Arbeitsweise bedeutet in vieler Hinsicht sparsam zu sein. Das zeigt, wie wertvoll ihre Arbeit ist und kann dadurch den Unternehmen verschiedene Vorteile ermöglichen.

Quellen

intep (2020): Suffizienz im Unternehmenskontext – Ein notwendiger Ansatz zu einem verantwortungsvollen Unternehmertum. Impulspapier, Zürich.

Link zum Impulspapier: https://www.oebu.ch/admin/data/files/section_asset/file_de/4530/4287_impulspapier_intep_oebu_suffizienz_unternehmen_mai2020-(1).pdf?lm=1592293739

Palzkill, A., Schneidewind, U. Suffizienz und Unternehmen – ein Paradox?. uwf 23, 1–2 (2015). https://doi.org/10.1007/s00550-015-0354-7

Forschungsprojekt „Digitale Suffizienz“

Die Schnelllebigkeit unserer Konsumgesellschaft spiegelt sich heutzutage deutlich in der Smartphone-Nutzung wider. Ständig kommen neue Modelle auf den Markt, die ältere Versionen ersetzen sollen. In der Folge tauschen die Deutschen ihr Smartphone durchschnittlich nach nur zwei Jahren gegen ein neueres Modell aus. Laut Verbraucherzentrale befinden sich deshalb rund 124 Millionen Altgeräte in deutschen Haushalten. Die in ihnen verbauten Rohstoffe sind knapp und wertvoll. Außerdem gilt ihr Abbau als umweltschädlich. Und nicht nur das: Auch die Nutzung und Entsorgung von elektronischen Geräten können schlecht für die Umwelt sein.

Mit dieser Problematik befasst sich das Forschungsprojekt „Digitale Suffizienz“ der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZAHW). Ziel des Projektes war es, herauszufinden, wie die Digitalisierung zum Erreichen der Umweltziele beitragen kann. Vordergründig war die Förderung des suffizienten Smartphone-Konsums bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Im ersten Schritt des Forschungsprojektes wurde eine repräsentative Befragung sogenannter „Digital Natives“ zwischen 12 und 25 Jahren durchgeführt. Dabei kam heraus, dass nahezu alle Befragten ein Smartphone besaßen und Dreiviertel von ihnen es alle zwei Jahre gegen ein neues Modell austauschten. Durchschnittlich verbrachten die Befragten täglich drei Stunden mit ihrem Smartphone, doch nur wenige waren sich den ökologischen Folgen ihres Konsumverhaltens bewusst.

Daraufhin untersuchte die Forschungsgruppe „Ökobilanz“ der ZAHW die Umweltfolgen von Herstellung und Nutzung von Smartphones. Sie kamen zu dem Schluss, dass insbesondere die Herstellung und die kurze Lebensdauer der Geräte der Umwelt schaden. Die Kurzlebigkeit verschwende nämlich wertvolle Ressourcen wie Kobalt, Silber und Gold. Die tatsächliche Nutzung des Smartphones sei zwar etwas weniger schädlich, doch insbesondere das Streamen von Filmen und Serien habe einen hohen Energieverbrauch. Bewusstere und längerfristige Nutzung von Geräten sei daher nötig, um die Umweltbelastungen zu reduzieren.

In diesem Zusammenhang stellten sich die Forscher*innen die Frage, wie Jugendliche und junge Erwachsene zu einem suffizienten Smartphone-Konsum angeregt werden können. Dazu entwickelten sie die Online-Kampagne „ugphone“ (Abbildung 1), die über eine eigene Webseite, soziale Netzwerke und mit Unterstützung von Influencern verbreitet wurde. Im Rahmen der Kampagne wurde das gleichnamige, nachhaltige Smartphone vorgestellt. Es besteht aus recyceltem Aluminium und Bio-Kautschuk und ist mit nur einer Taste sowie einem kleinen Bildschirm ausgestattet. Dies soll potenzielle Schäden minimieren. Außerdem bietet es die Möglichkeit mit einer Kurbel eigenen Ökostrom zu generieren. Das „ugphone“ erweist sich zwar als umweltfreundliche Alternative, ist in der Nutzung aber als extrem unpraktisch.

Abbildung 1: Das nachhaltige „ugphone“. Quelle: Spinas Civil Voices / ZHAW / myblueplanet.

Das „ugphone“ als humorvolle „Drohkulisse“ sollte die Jugendlichen dazu ermutigen die Lebensdauer ihres Smartphones zu verlängern, damit die tatsächliche Einführung des „ugphones“ nicht nötig ist. Auf der Kampagnenwebsite konnten sie das Versprechen abgeben ihr Handy mindestens drei Jahre lang zu nutzen.

Die abschließende Evaluation des Forschungsprojektes ergab, dass die Kampagne einen insgesamt positiven Effekt auf die Teilnehmenden hatte und Aufmerksamkeit für das Thema digitale Suffizienz erzeugen konnte. Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie durch die Kampagne zum Nachdenken über die Umweltfolgen ihres Konsum- und Nutzungsverhaltens angeregt wurden. Außerdem gaben über 200 Personen das Versprechen ab, ihr Smartphone mindestens drei Jahre zu verwenden.

Im Rahmen weiterführender Forschungen entwickeln die Forscher*innen der ZAHW aktuell Konzepte zur Lebenszeitverlängerung von mobilen Endgeräten. Mit Lösungen, die sowohl für Konsumenten als auch für Produzenten attraktiv sind, wollen sie den Lebenszyklus von Smartphones nachhaltiger gestalten.

Quellen:
Stiftung Mercator Schweiz (2018): Digitale Suffizienz. URL: https://www.stiftung-mercator.ch/de/projekte/digitale-suffizienz/.
Verbraucherzentrale (2020): Handy und Smartphone reparieren, verkaufen oder spenden. URL: https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/umwelt-haushalt/nachhaltigkeit/handy-und-smartphone-reparieren-verkaufen-oder-spenden-8198.
Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (2018): Forschungsdatenbank: Digitale Suffizienz – Förderung einer öko-suffizienten und -effizienten Nutzung digitaler Medien. URL: https://www.zhaw.ch/no_cache/de/forschung/forschungsdatenbank/projektdetail/projektid/1389/.
Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (2018): Digitale Suffizienz: Ressourcenleichter mit digitalen Medien umgehen. URL: https://projektdaten.zhaw.ch/Research/Projekt-00001389/DigiSuff_Summary.pdf.