#BAUNIX: Suffizientes Bauen und Wohnen – ein Gastbeitrag von Patrick Zimmermann

Die kürzlich entflammte Debatte um Einfamilienhäuser samt Verbots- und Enteignungsvorwürfen ist ein Paradebeispiel für die Ignoranz gegenüber einer bisher oftmals vergessenen Nachhaltigkeitsstrategie: der Suffizienz. Wenn wir die Klima- und Nachhaltigkeitsziele ernst nehmen wollen, müssen wir unsere Konsum- und Verhaltensweisen auch in unserer gebauten Umwelt hinterfragen und endlich die Frage nach dem rechten Maß ins Spiel bringen.

Nachhaltigkeit in Architektur und Bauwesen

Der Gebäudesektor ist in Deutschland für etwa ein Viertel der Treibhausgasemissionen [1], etwa ein Fünftel des Rohstoffverbrauchs [2] und für 32 Hektar Flächeninanspruchnahme pro Tag verantwortlich [3]. Der Handlungsdruck ist also dementsprechend groß. Bisher lag der Fokus jeglicher Bemühungen in Politik, Forschung und Praxis auf besserer Wärmedämmung (Effizienz) und dem Einsatz von erneuerbaren Energien sowie nachwachsenden Rohstoffen (Konsistenz). Diese technologischen Strategien allein reichen jedoch nicht aus, was u. a. an Rebound-Effekten liegt. Bestes Beispiel hierfür ist die seit Jahrzehnten, aufgrund kleiner werdender Haushalte, mehr Eigentum und dem Remanenz-Effekt, steigende Pro-Kopf-Wohnfläche [4], wodurch Einsparungen durch Effizienz und Konsistenz maßgeblich geschmälert werden [5]. Gleichzeitig stieg die Wohnzufriedenheit nicht [6], was verdeutlicht, dass mehr Wohnungsfläche allein nicht zu mehr Lebensqualität führt.

Abbildung 1: Raumwärmebedarf in KWh pro Kopf und Jahr [4]

Suffizienz in Architektur und Bauwesen

Konträr zu den beiden technischen Nachhaltigkeitsstrategien setzt Suffizienz auf Verhaltensänderungen, „die helfen, innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit der Erde zu bleiben, wobei sich Nutzenaspekte des Konsums ändern“ [7]. Sie zielt auf eine absolute, Reduktion der ökologischen Auswirkungen unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebensqualität. Übersetzt auf das Themenfeld Bauen und Wohnen bedeutet dies einen Planungsprozess, der die ökologischen Limits sowie die Befriedigung der persönlichen Wohnbedürfnisse in den Vordergrund stellt. Obgleich sie in der gebauten Praxis bisher kaum eine Rolle spielt, ist die Suffizienz-Debatte in einer Speerspitze der Fachöffentlichkeit bereits im Gange. Das verdeutlichen z. B. die Suffizienz-Kongresse der db bauzeitung [8] oder des BUND und der HCU [9], Veröffentlichungen, wie die Streitschrift „Verbietet das Bauen“ [10], oder die Neubau-kritischen Positionierungen des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) [11] und der Architects for Future [12], sowie diverse Forschungsprojekte [13].

Suffizienz planen

Entscheidende Stellschrauben suffizienten Bauens und Betreibens von Gebäuden werden bereits in der Planungsphase gestellt. Deshalb braucht es, um den Suffizienzbegriff dort greifbarer zu machen, handhabbare Kriterien und konkret anwendbare Maßnahmen. Einen Vorschlag hierzu liefert die „Suffizienz-Bewertungsmethodik für Wohngebäude“ [14], woraus im Folgenden die wichtigsten Aspekte kurz vorgestellt werden sollen.

Projektentwicklung und Planungsprozess

Schon vor der eigentlichen Planungsphase gilt es die Bedürfnisse der Bewohner:innen durch umfangreiche Bedarfsplanungen und möglichst partizipative Einbindungsprozesse mit einzubeziehen. Schon die Standortwahl hat durch die Verkehrsanbindung und alltäglich zurückzulegende Wege zentralen Einfluss auf ein suffizientes Mobilitätsverhalten.

Gebäudestruktur

Nicht zu bauen bzw. nicht neu zu bauen, ist immer noch die ökologischste Form, weshalb aus Suffizienz-Perspektive ganz klar die Nutzung bestehender Gebäude Priorität hat. Zugleich verändern sich Bedürfnisse, sodass (Um-)Bauten zukünftige Anpassungen ermöglichen müssen, auch um die Akzeptanz experimentellerer Wohnformen zu erhöhen.

Architektur

Wie eingangs erwähnt, ist die Pro-Kopf-Wohnfläche ein maßgeblicher Parameter. Aus Suffizienz-Perspektive sollte diese möglichst nicht 35 m2 pro Person überschreiten. Wichtigste Strategie zum Erreichen dieses Ziels sind flächeneffiziente Grundrisse und gemeinschaftliche Wohnformen, wie z. B. Co-Housing oder klassische Wohngemeinschaften.

Baukonstruktion und Gebäudetechnik

Auch auf baukonstruktiver Ebene und bei der technischen Gebäudeausrüstung (TGA) muss das Prinzip der Einfachheit umgesetzt werden. Dies kann baukonstruktiv z. B. durch monolithische Bauweisen oder einen reduzierten Ausbaustandard erfolgen. Minimalistische und robuste Technikkonzepte, die passive Maßnahmen, Selbstregelungsmechanismen und marginale Komforteinbußen gegenüber Redundanz und maßgenauen Temperaturspektren priorisieren, ermöglichen einen wartungsarmen, unkomplizierten und somit suffizienten Gebäudebetrieb.

Mobilitäts-Infrastruktur

Nicht nur der Gebäudestandort, auch dessen Angebote bei der Mobilitäts-Infrastruktur können ein suffizientes Mobilitätsverhalten der Bewohner:innen fördern. Fahrradfreundliche Mobilitätskonzepte erhöhen die Attraktivität dieses suffizienten Fortbewegungsmittels und durch geminderte Stellplatzschlüssel kann der Individualverkehr weiter reduziert werden.

Gebäudemanagement

Schlussendlich muss sichergestellt werden, dass die Suffizienz-Ansätze aus der Planung auch in der Nutzungsphase beibehalten werden. Solche Maßnahmen reichen von Leerstand-Vermeidungs-Strategien bis hin zu Shared Spaces, zum Beispiel Hobby-Werkstätten oder Bibliotheken, welche die geteilte Nutzung von Gütern als Suffizienzpraktik fördern.

Beitrag der Suffizienz zur ökologischen Nachhaltigkeit

Schlussendlich stellt sich die Frage, welchen Beitrag Gebäude-Suffizienz für die Einhaltung der Klima- und anderer Nachhaltigkeitsziele leisten kann. Eine der wenigen Studien zu dieser Frage kommt zu dem Ergebnis, dass eine reduzierte Pro-Kopf-Wohnfläche und suffizientes Nutzer:innen-Verhalten in Betrieb und bei der Mobilität die Treibhausgasemissionen um 45 % reduzieren [15]. Alleine durch das Weglassen von Tiefgaragen lassen sich enorme Einsparungen erzielen, denn je PKW-Stellplatz wird so viel CO2 emittiert, wie ein:e durchschnittliche:r Deutsche:r pro Jahr verursacht [16]. Auch die Nutzung von bestehenden Gebäuden macht sich in den meisten Fällen bezahlt. Unterschiedliche Studien beziffern die Einsparungen auf bis zu 20 % der THG-Emissionen verglichen mit Abriss und Ersatzneubau [14].

Aussichten

Für einen zielkonformen Fortschritt, hinsichtlich Klimaneutralität und Ressourcenschutz, ist in Architektur und Bauwesen endlich auch die Suffizienz in der Planungs- und Baupraxis zu berücksichtigen. Es gilt durch kritisches Hinterfragen von Konventionen u. a. flächenreduzierte, gemeinschaftliche Wohnformen zu entwickeln und damit Neubau überflüssig(er) zu machen. Neben einem Umdenken der Planer:innen bedarf es politisches Handeln, um solche Konzepte im Mainstream zu verankern. Dazu gehört es z. B. endlich die graue Energie der verbauten Materialien in den gesetzlichen Rahmenbedingungen des Gebäudeenergiegesetzes zu berücksichtigen, Umbau bzw. Sanierungen gegenüber Abriss und Neubau zu priorisieren, Umzüge in bedarfsgerechte(re) Wohnungen zu erleichtern und Leerstand effektiv zu verhindern.

Quellen

[1] Bundesregierung (2020): Klimaschutzbericht 2019 zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 der Bundesregierung. https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klimaschutzbericht_2019_kabinettsfassung_bf.pdf

[2] Umweltbundesamt (2018): Die Nutzung natürlicher Ressourcen. Bericht für Deutschland 2018. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/3521/publikationen/deuress18_de_bericht_web_f.pdf

[3] Destatis (2021a): Online-Plattform der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS), Flächeninanspruch-nahme – Indikator 11.1.a: Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche. https://sustainabledevelopment-deutschland.github.io/11-1-a/

[4] Bierwirth, A. (2015): Strategische Entwicklung eines zukunftsfähigen Wohnraumangebots – ein Suffizienz-Szenario. uwf 23, 49–58 (2015). https://doi.org/10.1007/s00550-015-0355-6

[5] Wuppertal Institut (2016): Kommunale Suffizienzpolitik – Ressourcenschutz vor Ort stärken. https://wupperinst.org/a/wi/a/s/ad/3448

[6] DIW SOEP (2015): SOEP 2013 – SOEPmonitor Household 1984-2013 (SOEP v30), S. 33.

[7] Fischer, C., & Grießhammer, R. (2013): Mehr als nur weniger. Suffizienz: Begriff, Begründung und Potentiale. Öko-Institut Working Paper 2/2013, S. 10.

[8] https://www.db-bauzeitung.de/suffizienz/

[9] Seegelke, K. (2019): Suffizientes Wohnen statt Flachenverbrauch – Wege zu einem nachhaltigen Wohnflachenmanagement [Tagungsband]. BUND, HafenCity Universität Hamburg. https://www.bund-hamburg.de/fileadmin/hamburg/Themen/Flaechenschutz/Fachtagung_Flaechenschutz_2019/2019-03-29_Tagungsbericht_Suffizientes_Wohnen.pdf

[10] Fuhrhop, D. (2020): Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß.

[11] BDA (2019): Das Haus der Erde – politisch handeln. Politische Aufforderungen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land. BDA. https://www.bda-bund.de/2019/08/das-haus-der-erde_bda-position/

[12] Architects for Future Deutschland e.V. (2020). Umfrage der Architects for Future an planende Kolleg*innen zu den Hindernissen beim Bauen im Bestand [Bericht über die Ergebnisse]. https://www.architects4future.de/news/a4f-umfrage-bauen-im-bestand

[13] https://www.ifeu.de/projekt/suprastadt/; https://www.wohnen-optimieren.de

[14] Zimmermann, P. (2018): Bewertbarkeit und ökobilanzieller Einfluss von Suffizienz im Gebäudebereich. Masterarbeit, Technische Universität München.

[15] Pfäffli, K., Nipkow, J., Schneider, S., & Hänger, M. (2012). Grundlagen zu einem Suffizienzpfad Energie Das Beispiel Wohnen. Stadt Zürich Amt für Hochbauten Fachstelle nachhaltiges Bauen.

[16] Lang, W., & Schneider, P. (2017): Gemeinschaftlich nachhaltig bauen – Forschungsbericht der ökologischen Untersuchung des genossenschaftlichen Wohnungsbauprojektes wagnisART.

Über den Autor

Patrick Zimmermann studierte “Gebäudeklimatik“ (B. Eng.) und “Energieeffizientes & Nachhaltiges Bauen” (M. Sc.) an der OTH Regensburg bzw. der TU München. Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Studium arbeitete er als Referent für Klimaschutz & Energiepolitik beim WWF Deutschland. Seit September 2020 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der BTU Cottbus-Senftenberg am Fachgebiet „Entwerfen und Energieeffizientes Bauen“. Dort setzt er sich dafür ein, dass Nachhaltigkeit noch viel stärker in die Architektur-Lehre und Planungspraxis einfließt und promoviert zu Suffizienz-Praktiken, -Potentialen und -Barrieren im Gebäudebereich.

„Jetzt retten wir die Welt“ – ein Gastbeitrag von Ilona Koglin und Marek Rohde

#kaufnix – eine Anleitung

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Seit vielen Jahren zermartern wir uns das Hirn, wie wir Menschen dafür begeistern können, nix zu kaufen und stattdessen ihr Leben zu genießen. Und wir haben eine Idee, die schon hunderten Menschen geholfen hat, alte Gewohnheiten abzulegen und neue bessere befreiende Angewohnheiten anzunehmen.

Es war Ende März, nicht gerade warm, als wir mit hängenden Schultern, einem dicken Kloß im Hals und schwerem Herzen in Hamburgs Shopping-Meile Mönckebergstraße auf einer Bank saßen. Um uns herum Tausende von Menschen mit dicken Einkaufstaschen. Und wir dazwischen. Traurig und fuchsteufelswild. Wir hatten gerade ein Experiment gemacht: Wir waren durch die Kaufhäuser und Schuhläden gezogen und hatten uns Dinge ausgesucht, die uns gefielen – und mal nachgefragt, wie diese hergestellt worden sind. Hatten die Arbeiter*innen einen fairen Lohn bekommen? Enthielten sie genmanipulierte Baumwolle? Wie waren die Tiere gehalten worden, deren Wolle zu Pullovern und Haut zu Schuhen verarbeitet wurden?

Erst fragen, dann (nix) kaufen

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Bei all unseren Fragen nach der Herkunft der Produkte kam nur eine gruselige Erkenntnis heraus: Kein einziger Verkäufer und keine einzige Verkäuferin konnte uns dazu eine Auskunft geben. Im besten Fall wurden wir auf die Website verwiesen. Wo wir auch nichts herausfanden, wie wir später feststellten mussten. Noch schlimmer. Sie waren überrascht. Anscheinend kam also niemand von all diesen Menschen jemals auf die Idee, danach zu fragen. Und so saßen wir da in all dem geschäftigen Trubel und waren wirklich geschockt. Aber das Schlimmste: Wir waren ja nicht anders gewesen – bis zu diesem Tag.

Dieses Erlebnis veränderte in unserem Leben ziemlich viel: Erstens brachte es uns die Erkenntnis, dass wir nicht weiterhin einfach ohne zu Fragen das tun konnten, was scheinbar „alle anderen“ taten. Zweitens erkannten wir, dass Experimente eine super Möglichkeit sind, um mehr über sich, über andere und über die Welt herauszufinden. Ja, noch besser: Sie sind eine super Möglichkeit, um spielerisch das eigene Leben Schritt für Schritt nachhaltiger und fairer zu gestalten.

Veränderungen sind schwierig

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Wir Menschen mögen keine Veränderungen. Das hat ganz einfache physische Ursachen. Das zumindest erklärte uns der Hirnforscher Gerald Hüther in einem Gespräch. Denn unser Gehirn verbraucht schon im Normalbetrieb sehr viel Energie. Wenn wir etwas neu denken oder gar machen wollen, dann bedeutet das also einen unheimlichen Energieaufwand. Und den versucht unser Körper aus überlebenstaktischen Gründen möglichst zu vermeiden.

Deshalb müssen wir Menschen uns schon was einfallen lassen, wenn wir etwas anders machen wollen. Vor allem, wenn es was ist, das anders ist als das, was die meisten Menschen um uns herum tun. Denn das erfordert noch mehr Aufwand, dadurch dass wir zuerst herausfinden müssen, wie es geht – und wir vielleicht auch noch gezwungen sind, uns zu rechtfertigen oder sogar mit Ausgrenzungen zurecht zu kommen.

Experimente machen Spaß

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Wenn es uns also schon rein physisch schwer fällt, unser Leben zu verändern, dann müssen wir die Sache irgendwie spielerisch leicht und mit Freude angehen. Bei diesem Gedankengang angekommen, kam uns die Idee mit den Experimenten. Sie haben aus unserer Sicht einige ganz bedeutende, ja entscheidende Vorteile, die dir Veränderungen erleichtern:

  1. Bei einem Experiment hast du ein konkretes Ziel – du siehst also auch klar deinen Erfolg und deinen Fortschritt. Dadurch dass du möglicherweise einen Endpunkt oder zumindest Etappenziele hast, hast du immer mal wieder Zeitpunkte, an denen du innehalten und über deine Erfahrungen nachdenken kannst. Das motiviert.
  2. Ein Experiment kann zeitlich begrenzt sein. Du kannst dir erst mal einen bestimmten Zeitraum vornehmen. Beispielsweise einen Monat lang mit wenigen Kleidungsstücken auskommen und dann zu sehen, was du wirklich brauchst.
  3. Ein Experiment kann zur richtigen Zeit stattfinden und mit den bestmöglichen Rahmenbedingungen. Wenn du dir also vornimmst, nur noch mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, dann beginnst du damit am besten im Sommer. Wenn du mal einen Monat lang ausprobieren willst, wie es ist, dich vegan zu ernähren, dann mach das am Besten nicht vor Feiertagen oder Familienfesten.

Und die Sache mit den Experimenten funktioniert tatsächlich: Wir haben das nicht nur am eigenen Leib erlebt. Wir haben auch die Online-Akademie „Und jetzt retten WIR die Welt“ gegründet. Hier findest du zu den unterschiedlichsten Themen sogenannte „Aktionen“ (Experimente). Die meisten haben damit zu tun, weniger zu konsumieren!

Aber #kaufnix reicht nicht

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Wer jemals so ein Experiment gemacht hat, wie wir in der Mönckebergstraße bei uns in Hamburg, der weiß: Nix kaufen reicht nicht, so wichtig und wertvoll Konsumkritik auch ist. Wenn es alleine vom mühevollen Veränderungswillen der Menschen abhängt, dann wird es schwierig. Es ist für viele einfach zu schwierig, kompliziert, teuer und zeitaufwendig für jedes Produkte eine unbedenkliche Variante zu finden. In manchen Fällen gibt es diese sogar nicht.

Deshalb müssen unsere Experimente auch über den Konsum hinausgehen. Wir brauchen Menschen, die sich zu Solidarischen Gemeinschaften zusammenschließen. Wir brauchen Menschen, die auf die Straße gehen, um sich für die Rechte von Menschen, Tieren und Natur einzusetzen. Und wir brauchen Menschen, die Bürgerinitiativen, öko-soziale Unternehmen und andere Organisationen gründen, die Alternativen fordern und schaffen. Um diese Menschen dabei zu unterstützen, haben wir die Plattform faironomics gegründet. Dort bauen wir in den kommenden Wochen und Monaten ein Informationsarchiv auf, in dem du Methoden, Konzepte und Ideen für eine öko-faire Ökonomie (Faironomics) findest.

Denn wir sind überzeugt: Noch nie standen die Chancen für uns hier in Deutschland so gut wie heute, eine faire und umweltfreundliche Gesellschaft gemeinsam zu schaffen. Das geht nicht von heute auf morgen. Und wir brauchen dazu viele Menschen, die viele kleine oder auch größere Schritte gehen. Das Ganze ist ein Experiment. Ein fraktales Experiment, um genau zu sein. Denn in dem Großen stecken viele kleine Experimente — für jede*n Einzelne*n von uns. Sie warten nur auf deinen Mut und deine Experimentierfreude.

Über die Autoren
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Ilona Koglin und Marek Rohde erforschen als freie Buchautor*innen, Journalist*innen und Medienaktivist*innen seit vielen Jahren, wie es sich anders besser wirtschaften lässt. Dazu befragen sie auch viele Querdenker*innen und Vorreiter*innen – seit 2007 zum Beispiel in ihrem Blog oder der „Konferenz für eine bessere Welt“ (2014, 2018, 2020). Daneben sind Ilona Koglin und Marek Rohde gefragte Projektberater*in und -begleiter*in für öko-soziale Gründungen, Unternehmen, Organisationen und Gemeinschaften. In ihren Büchern verweben sie ihre eigenen Lernerfahrungen mit den Erkenntnissen aus ihren Projektbegleitungen und mehreren Hundert Interviews mit internationalen Change-Makern.

Weiterführende Literatur

Koglin, Ilona/Rohde, Marek: Und jetzt verbessern wir die Welt. Wie du die Veränderung wirst, die du dir wünschst. Stuttgart: Franckh-Kosmos, 2016.

Koglin, Ilona/Rohde, Marek: Faironomics. Ökologisch, fair und frei Wie du in 8 Schritten dein Traumprojekt verwirklichst und damit die Welt veränderst. München: dtv Verlagsgesellschaft, 2019.

Gemeinschaftliches Nachhaltiges Wohnen – ein Gastbeitrag von Raik-Michael Meinshausen

Foto: TheDigitalArtist/Pixabay

Nachdem sich zum Themenbereich „Wohnen“ eine globale Bürgerbewegung bildete, gründeten wir 2018 den Verein „STADTRAUM 5 und 4″. Wir handeln lokal und setzen uns aktiv für die nachhaltige solidarische Entwicklung gemeinwohlorientierter urbaner Lebensräume zum Gemeinschaftlichen Wohnen (Quartiere) ein. Gleichzeitig streben wir globale Vernetzung an.

Denn die Situation auf unserem Planeten scheint zunehmend komplexer: Ressourcen werden immer knapper und qualitativ minderwertiger. Gleichzeitig wachsen jedoch Ökonomie und Ansprüche der Gesellschaft. Zur Wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen scheinen einschneidende Änderungen in Einstellung und Verhalten bei uns Menschen notwendig. Die (Zivil-) Gesellschaft hat sich daher Ziele (z.B. „17 Goals„) gesetzt, um dem zumindest in Teilen zu begegnen.

Zudem lassen sich sogenannte „Megatrends“ weltweit beobachten, die den Rahmen für unsere Zukunft mit zu determinieren scheinen. Hierzu zählen beispielsweise CO2-Äquivalente, das Erreichen eines höheren Alters durch Fortschritte in der Medizin und Versorgung, Wachstum von Städten und eine Steigerung des durchschnittlichen Flächenverbrauches pro Kopf.

Wir nehmen unsere Zukunft in die Hand

Das nehmen wir nicht länger tatenlos hin. Wir wollen selbst Gestalter*innen unserer Zukunft sein und nicht darauf hoffen, dass andere Menschen oder die Politik etwas ändern. Das bedeutet für uns, unter anderem Verantwortung zu übernehmen und der Bedeutsamkeit entsprechend zu handeln. Deshalb wollen wir vor allem an einem Themengebiet wirksam arbeiten, welches für jeden Einzelnen von Relevanz ist: Wohnen.

Wir haben einen sozialreformerischen Anspruch und werten dies als Beitrag zu einer echten Wohnreform. Die Reform zielt neben städtebaulichen und architektonischen Aspekten (z.B. Grundrissverbesserung; Wohnungshygiene etc.) zum Beispiel auch auf neue Rechte und Pflichten der Bewohner*innen ab. Unser Ziel ist es, unter anderem strukturelle Benachteiligungen wie beispielsweise als Mieter*innen aufzuheben. Dazu leisten wir vor allem durch Bildung „Hilfe zur Selbsthilfe“. Des Weiteren entwickeln wir Ideen und unterbreiten diese Politiker*innen, z.B. Konzeptvergaben, Wohnungsgemeinnützigkeit und Gemeinwohl-Immobilien. Der Plan dahinter: der Verein soll ein Ort des Diskurses und der Vernetzung werden.

Wohnungsnot trotz stetigen Wohnungsbaus

In Deutschland werden immer mehr Wohnungen gebaut [1]. Die pro Person beanspruchte Wohnfläche steigt ebenfalls – diese nahm pro Kopf in Deutschland 2017 auf 46,5 Quadratmetern zu und hat sich damit in nur 50 Jahren etwa verdoppelt. Gründe liegen vor allem an einer zunehmenden Zahl der Single-Haushalte und dem Anstieg der Wohnfläche mit zunehmendem Alter. Beispielsweise wenn aus dem elterlichen Haus die Kinder zwar ausgezogen sind, aber die Eltern weiterhin im Haus wohnen bleiben. Diese Entwicklung scheint gravierend und sollte so nicht weiter gehen.

Dem lässt sich durch kluges Flächenmanagement, wie Gemeinschaftsflächen entgegenwirken und durch Flächenreduktion pro Kopf dramatisch reduzieren. Auch „tiny house“-Konzepte setzen hier an und versuchen das Problem intelligent zu lösen. Ein Richtwert als Ziel könnten ca. 33 Quadratmeter Wohnfläche im Durchschnitt pro Kopf sein.

Gemeinschaftliche Selbstversorgung von Wohnraum durch genossenschaftliche Selbsthilfe könnte eine sinnvolle Ergänzung zur privaten wirtschaftlichen (Fremd-)Versorgung mit Wohnungen. Jenes würde zumindest eine attraktive Alternative zum rein oft auf Profitmaximierung ausgerichteten Wohnungsmarkt bieten.

Unsere Ziele und Absichten

Besonders im Vordergrund steht in dem Verein das Gemeinwohl. Dies entsteht, wenn das solidarisch organisierte Soziale einerseits und die Nachhaltigkeit, Ökologie und Vielfalt andererseits im Fokus liegen. Vermieter*in und Mieter*in bilden so ein Ganzes. Um Wohnen zu diesen Bedingungen zu ermöglichen, werden wir unternehmerisch tätig und gründen eine neue Genossenschaft zur Realisierung unserer Ziele. Außerdem sorgen wir für Projektentwicklung und die Bestandsverwaltung.

Folgende Punkte sind uns abschießend wichtig:

  • Nachhaltig, Bauen und lebenswert Wohnen (Worth Living Sustainability)
  • Bunt und lebendig wie die Stadtgesellschaft (Diversity)
  • Solidarität als Basis unseres Handelns (Solidarity)
  • Wohnwert und Sicherheit als Alternative zur Rendite (Housingvalue&Safety)
  •  Hochwertige Gemeinschaftsflächen und -einrichtungen (Commons & Sharing)
  • Suffizienz als zentrales Paradigma

[1] 2017 gab es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland rund 42,0 Millionen Wohnungen in Wohn- und Nichtwohn- gebäuden) und immer größere (Wohnfläche je Wohnung betrug 2017 im Durchschnitt 91,8 Quadratmeter; Quelle: Statistisches Bundesamt

Über den Autoren
© Raik-Michael Meinshausen

Raik-Michael Meinshausen, geboren in 1965, ist seit über 20 Jahren erfolgreich als Unternehmer, Berater und Coach tätig. Er interessiert sich insbesondere für die Dynamik zwischen Individualität (Freiheit) und Gesellschaft (Anpassung), sowie für Bildung, Kunst, Politik und Kultur. In der Zivilgesellschaft setzt er auf Eigeninitiative, Verantwortung, Vielfalt und Humanismus. Als Vorstand bei STADTRAUM 5 und 4 e.V. übernimmt er die Verantwortlichkeit für Finanzen. Zudem setzt er sich u.a. für eine nachhaltige Gemeinwohlökonomie ein, insbesondere mit Blick auf Gemeinschaftliches Bauen und Wohnen.

Ist Suffizienpolitik auf EU-Ebene möglich? – ein Gastbeitrag von Leon Leuser

Suffizienz politisch fördern – kann dies auch durch die Europäische Union gelingen?

Foto: hpgruesen/Pixabay

In der Debatte um Suffizienzpolitik wird immer wieder ein Argument laut: Politik dürfe nicht in die individuellen Lebensentscheidungen der Menschen hineinregieren. Dabei gibt es in Europa bereits gute Beispiele dafür, wie erfolgreich Politik suffizientes Konsumverhalten ermöglichen kann.

Kann man suffizientes Handeln politisch fördern? Und: Darf man das überhaupt? Könnte gar eine liberale Wirtschaftsgemeinschaft wie die Europäische Union dies fördern? Schließlich gilt Suffizienz als eine Frage des individuellen Lebensstils. Ein politischer Eingriff in das persönliche Leben, das scheint dem liberalen Gebot der Selbstbestimmung zu widersprechen. Unsere liberale Grundordnung verbietet es, den Menschen Vorschriften zu machen, wie man zu leben habe oder was ein „gutes Leben“ bedeute. Und in der EU stehen der freie Warenverkehr und der Binnenmarkt an erster Stelle. Selbstverständlich: Wie tief die Eingriffe gehen dürfen und wie viel Freiheit der Einzelne hat, das wird insbesondere in den Diskussionen um Suffizienz(-politik) immer eine Gradwanderung bleiben. Liberalismus und Suffizienzpolitik schließen sich jedoch weniger aus, als es in den Diskussionen oft den Eindruck erweckt.

Auch ganz praktisch zeigt sich: Heutige Rahmenbedingungen geben in vielen Situationen zumindest starke Anreize in Richtung bestimmter – heute meist nicht-nachhaltiger – Handlungen. Natürlich kann jede und jeder Einzelne versuchen, nach seinen Überzeugungen zu handeln. Doch niemand kann sich den Einflüssen von Werbung, Preisanreizen und Infrastrukturen entziehen – sie wirken teilweise fast wie Gebote und Verbote.

Hinzu kommt eine unüberschaubare Menge an Einflussfaktoren, die mit (Konsum-)Entscheidungen verbunden ist. Wer eigentlich bewusst und nachhaltig konsumieren will, hat oftmals aufgrund der Informationsfülle nicht die Gewissheit, es richtig zu machen. Ist nun der Fairtrade- oder der Bio-Kaffee besser? Oder doch jener der direkt gehandelt und ganz ohne Label auskommt? Nicht umsonst gibt es Expertinnen und Experten, die versuchen wissenschaftlich mit Öko-Bilanzen diese komplexen Fragen zu untersuchen. Sie erforschen welche Umweltwirkungen mit dem Lebenszyklus eines Produkts verbunden sind. Dies oder auch nur ihre Ergebnisse zu kennen, kann niemand im Supermarkt für alle Produkte und auf die Schnelle eines Einkaufs leisten.

Häufig führt diese Mischung aus äußeren, meist politisch gesetzten Einflüssen und der Komplexität bei Entscheidungen zu Frustration. Durch zu starke Anreize wird häufig doch gegen die eigenen Überzeugungen nicht-nachhaltig gehandelt – etwa wenn der Flug nicht nur schneller sondern auch günstiger ist als der Zug. Einige versuchen sich auf wenige, abgrenzbare Handlungsbereiche zu konzentrieren. Doch am Ende des Tages ist das (zu) große, kaum gedämmte Einfamilienhaus mit Ölheizung für die Umwelt schädlicher als das alltäglich praktizierte Stromsparen. Viele, ja vielleicht die meisten geben so vermutlich früher oder später gar ganz auf  – im schlimmsten Fall finden sie sich frustriert mit diesen Rahmenbedingungen ab. Doch sind es gerade die Gesetze und Standards, die sich ändern müssen.

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So zeigt sich, es muss heute vor allem politisch gehandelt werden, damit die Suffizienzstrategie zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele zum Tragen kommt – und zwar auf allen Ebenen[1]. Das heißt natürlich nicht, dass wir nun das Handeln allein den Politiker*innen überlassen sollten. Aber zeigt etwa die Bedeutung politischen Engagements. Die zurückliegenden Wahlen zum Europaparlament und der Erfolg der Partei Bündnis90 / Die Grünen sind ein guter Anlass um zu beschreiben, was die EU als liberale Wirtschaftsgemeinschaft tun kann, um Suffizienz zu fördern. Denn entgegen landläufiger Vorstellungen kann die EU nicht nur Suffizienz fördern, sie macht dies in einigen Bereichen sogar schon.

Ein Beispiel ist die Produktpolitik. Sie wurde zwar insbesondere zur Stimulierung der Energieeffizienz eingeführt. Doch wurden in einigen Punkten auch Anreize zur Suffizienz gegeben. So führten Anforderungen an den Stromverbrauch von Staubsaugern schon vor einigen Jahren dazu, dass der Wettbewerb, um den Staubsauger mit dem höchsten Stromverbrauch, gestoppt wurde. Sparsame Produkte können meist genauso gut saugen wie jene mit hohem Verbrauch. Und mit der Angabe der Saugleistung auf dem Energie-Label kann sich nun jeder über das für den Kauf ausschlaggebende Maß informieren. Zudem wurden zu Beginn des Jahres Anforderungen zur Reparierbarkeit und Verfügbarkeit von Ersatzteilen für Produkte wie Kühlschränke eingeführt. So kann die Lebensdauer der Produkte verlängert und damit die Notwendigkeit eines Neukaufs reduziert werden.

Auch in der Mobilität erleichterte das Europäische Parlament im vergangenen Jahr bei der Novellierung der Fahrgastrechte von Bahnreisenden suffizientes Reisen. Seitdem haben Reisende ein Anrecht darauf, ihre Fahrräder im Zug mitzunehmen, auch in Hochgeschwindigkeitszügen. Dadurch wird multimodale Mobilität, das heißt die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel und somit der Verzicht auf den PKW ein weiteres Stück erleichtert.

Diese Beispiele zeigen, dass es auf Ebene der EU durchaus einige Möglichkeiten zur Förderung der Suffizienzstrategie gibt – trotz der (wirtschafts-)liberalen Ausrichtung. Was also könnte oder sollte in Zukunft passieren, damit die Entscheidungen für umweltfreundliches Handeln noch leichter werden?

Foto: stevepb/Pixabay

Voraussetzung dafür ist eine Änderung der Anreize in der Wirtschaft. Das bedeutet: Preise müssen die „wahren“ Kosten darstellen. Eine Bepreisung durch eine Steuer oder auch eine Mengenbegrenzung mit einem Zertifikatsystem ist eine übergreifende Maßnahme. Durch sie werden nicht nur Suffizienz, sondern auch Anreize zur Steigerung der Energieeffizienz und zum Ausbau der Erneuerbaren Energien gegeben. Sie bildet also einen förderlichen Rahmen innerhalb dessen alle drei Nachhaltigkeitsstrategien zum Tragen kommen können.

Es wird somit zuallererst ein funktionierender Emissionshandel und eine CO2-Abgabe in jenen Bereichen benötigt, die nicht vom Emissionshandel abgedeckt sind. In einem weiteren Schritt könnte geprüft werden auf welche weiteren Rohstoffe eine Abgabe oder ein Zertifikathandelssystem eingeführt werden sollten. Betreffen könnte dies insbesondere solche Rohstoffe, die besonders stark zu aktuellen Umweltproblemen wie dem Biodiversitätsverlust oder Klimawandel beitragen. Mit den staatlichen Einnahmen aus diesen Maßnahmen könnten daraufhin die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Dies gäbe beispielsweise gleich in zweifacher Hinsicht einen Anreiz zur Reparatur: ein Neugerät mit alle den notwendigen Rohstoffen würden sich durch die Abgaben vermutlich verteuern und die arbeitsintensivere, aber ressourcenschonende Reparatur würde günstiger.

Abseits dessen kann die EU aber auch auf „bewährte“ Weise weitere Anreize zur Lebensdauerverlängerung von Produkten geben. Smartphones etwa zählen zu den am kürzesten genutzten elektronischen Geräten. Gleichzeitig werden sehr viele Rohstoffe, deren Abbau häufig mit Umweltproblemen einhergeht, darin verbaut. Zur Verlängerung der Lebensdauer könnte die EU daher etwa Anforderungen an die Displays von Smartphones stellen, damit diese weniger leicht brechen. Zudem sollte durchgesetzt werden, dass die Akkus der Geräte schnell und einfach getauscht werden können. Wichtig wäre auch eine Verpflichtung zu Software-, insbesondere Sicherheitsupdates für eine bestimmte Zeitspanne nach Produktionsstopp. Nur so kann ein Gerät auch möglichst lange sicher genutzt werden und  funktionieren Apps bis zum Ende der Lebensdauer.

Im Bereich der Mobilität geht es darum, möglichst nachhaltige Mobilitätsformen zu fördern. Wichtig dafür ist ihre Verknüpfung zu erleichtern. Eine Möglichkeit dafür sind Mobilitätsplattformen über die nicht nur Tickets für den Nahverkehr gekauft, sondern auch Leihfahrräder, Carsharing-Autos oder Tickets für den Fernverkehr gebucht werden können. Erste Ansätze dazu gibt es schon in einzelnen Städten. In Vilnius gibt es schon seit Herbst 2017 die App Trafi, und in Berlin geht die BVG mit der Plattform-App Jelbi an den Start. Damit man in Zukunft aber auch die komplette Strecke von Zuhause bis zum Haus von Freund*innen in Frankreich buchen kann, müssen noch einige Schritte gegangen werden. Wichtig dafür ist die Verpflichtung der Mobilitätsdienstleister zu offenen Schnittstellen. Diese ermöglicht externen Plattformanbietern die Verbindungsauskunft und Buchungsprozesse. Zudem muss durch Fahrgastrechte sichergestellt sein, dass bei einem verpassten Anschlusszug zwischen zwei Bahnunternehmen die Weiterfahrt mit dem nächsten Zug möglich ist.

Foto: minka2507/Pixabay

Diese Vorschläge sind erste Ideen dafür wie Suffizienzpolitik auf der EU-Ebene aussehen könnte. Sicherlich gibt es noch viele weitere Möglichkeiten, die es gilt in Zukunft zu entwickeln. Denn die aktuellen Berichte zur Klima- und Biodiversitätskrise zeigen deutlich, dass eine sozial-ökologische Transformation unserer Wirtschaft und unseres Lebens notwendig ist. Eine Förderung der Suffizienz steht dabei nicht zwangsläufig im Widerspruch zu unserer liberalen Ordnung, sondern ist sogar durch die liberale Wirtschaftsunion EU möglich und nötig.

[1] Ausführlicher zu den Möglichkeiten der kommunalen Suffizienzpolitik: Leuser, Leon; Lars-Arvid Brischke: „Suffizienz im kommunalen Klimaschutz.“ In: Knoblauch, D., Rupp, J. .Hrsg. Klimaschutz kommunal umsetzen. Wie Klimahandeln in Städten und Gemeinden gelingen kann. Oekom: München

Über den Autor
© Leon Leuser

Leon Leuser arbeitet aktuell bei adelphi als Projektmanger für Grundsatzfragen der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Zuvor beschäftigte er sich mit Fragen der Suffizienz im Rahmen von Forschungsprojekten an der Universität Flensburg und dem Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu). Er studierte Energie- und Umwelttechnik (B.Sc.) an der TU Hamburg-Harburg und Socio-Ecological Economics and Policy (M.Sc.) an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Suffizienz: Der Weg vom Alltag in die Politik – ein Gastbeitrag von Manfred Linz

Foto: clareich/Pixabay

Lange Zeit hindurch gehörte Suffizienz allein in die Sphäre der Lebenskunst. Ihre Ratschläge und Mahnungen waren an die Einzelnen gerichtet. Ihnen galt die Empfehlung der Genügsamkeit: Von nichts zu viel! Diese Herkunft hat die Suffizienz nicht aufgegeben; aber sie ist weit darüber hinaus gewachsen. Von einem Antrieb zur persönlichen Lebensgestaltung ist sie zu einer Strategie der Zukunftsfähigkeit geworden.

Wie kann sie in der Gesellschaft Wurzeln schlagen? Da ist zunächst die Hoffnung auf einen kulturellen Wandel. Einige beginnen damit, zukunftsfähig zu produzieren und zu leben, andere schließen sich an, die Zahlen werden größer, eine Bewegung entsteht und schließlich wird die kritische Masse erreicht, die eine dauerhafte gesellschaftliche Veränderung in Gang setzt. Das ist eine sympathische Vorstellung; aber sie ist weder aus der sozialwissenschaftlichen Forschung noch aus den Erfahrungen zivilgesellschaftlicher Aktionen ableitbar und eine Überschätzung des Handelns von Einzelnen und Gruppen in seiner Wirkung auf das Ganze.

Richtig ist: Persönliche Initiativen und die Impulse aus der Zivilgesellschaft,  bleiben unentbehrlich – als Anreger, Treiber, Mutmacher. Nur ist ihre Reichweite begrenzt. Sie erreichen lediglich den kleineren Teil der Gesellschaft. Die wichtigen Entscheidungen zur Zukunftsfähigkeit erreichen die Breite der Gesellschaft erst, wenn sie politisch durchgesetzt werden. Wirksame Suffizienz, also die ausreichende Verringerung des Bedarfes an Energie und Rohstoffen, setzt voraus, dass die Einsparungen für alle verpflichtend werden.

Ein Fächer an Suffizienzpolitiken

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Suffizienz lässt sich politisch auf vielfältige Weise gestalten. Sie lässt sich fördern, sie lässt sich durch Regulierung ermutigen wie auch entmutigen, sie lässt sich durch Abgaben und Steuern erreichen, und sie lässt sich durch Gesetze und Verordnungen vorschreiben. Dabei geht es immer darum, nur soviel Verpflichtung wie unentbehrlich aufzulegen und soviel Wahlfreiheit wie möglich zu lassen.

Suffizienzpolitiken greifen unterschiedlich tief in Wirtschaft und Leben ein. Sie lassen sich in drei Schichten einteilen. Die erste Schicht erleichtert das Leben oder beschwert es kaum und findet darum schnell Zustimmung. Ihr Ertrag für den Klimaschutz und die Ressourcenschonung ist freilich gering. 

Die Politiken der zweiten Schicht bedeuten einen spürbaren Eingriff in das Gängige und gern Gewählte, für sie müssen Routinen gewechselt und neue Gewohnheiten gefunden werden; sie haben darum schon mit Zurückhaltung und Widerspruch zu rechnen. Ihr Beitrag zur Erhaltung der Natur fällt durchaus ins Gewicht.

Erst die Politiken der dritten Kategorie leisten einen entscheidenden Beitrag zum Schutz unserer Lebensgrundlagen. Sie greifen in das gewohnte Leben und Wirtschaften ein, sie fordern Umdenken und auch Verzichte und werden darum Widerstand hervorrufen.

Für alle drei Kategorien folgen jeweils zwei Beispiele, die so weit als möglich aus der kommunalen, regionalen und bundesweiten Ebene gewählt sind:

Erste Kategorie

Häuser der Eigenarbeit

Menschen lernen unter Anleitung von Fachpersonal, Dinge selbst zu bauen oder zu reparieren. Erarbeiten statt kaufen ist ihr Prinzip, Recycling und Upcycling gehören zu ihren Techniken. Kommunen können ihre Träger sein oder sie unterstützen.

Lebensmittelverderb verringern

Das ist eine dringende Aufgabe hier und zugleich eine der Grundstrategien gegen den Welthunger. Produzentinnen, Händler, Verbraucher und Amtsträgerinnen können sich zu gemeinsamem Handeln vereinen. Sie brauchen jedoch öffentliche Organisation und Moderation. Frankreich hat sogar 2017 den großen Supermärkten per Gesetz verboten, Lebensmittel wegzuwerfen.

Zweite Kategorie

Fleischkonsum besteuern

Fleisch belastet in seiner Massenproduktion die Umwelt in hohem Maße. Da in Deutschland die große Mehrheit der  Bevölkerung noch immer zu den „unbekümmerten Fleischessern“ gehört, wird erst eine Besteuerung die Nachfrage und damit die industrielle Produktion von Fleisch wirksam senken. Ein Anfang ist, in Kantinen, Kitas, Schulen den Fleischanteil zu halbieren und auf Fleisch den vollen Satz der Mehrwertsteuer zu legen.

Tempolimit

In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten Streit um ein Tempolimit. Es ist das einzige industrialisierte Land der Welt, in dem es auf Autobahnen keine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung gibt. Die Gegenwehr hat viel mit den Wirtschaftsinteressen der Automobilindustrie und den Geschwindigkeitswünschen vieler Fahrer und Fahrerinnen zu tun. Da aber die Klimakrise zunimmt, und da nicht zu bestreiten ist, dass der CO2-Ausstoß durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung sinkt, da auch Deutschland sich mit der Verweigerung der Begrenzung international isoliert, werden die vielfältigen Vorstöße zur Durchsetzung eines Tempolimits aussichtsreicher.

Dritte Kategorie

Umweltschädigende Subventionen abbauen

In Deutschland werden ökologisch schädliche Finanzhilfen und Steuerbefreiungen vor allem für Energie, Verkehr und Landwirtschaft ausgegeben. Das Umweltbundesamt hat sie aufgelistet. Für die Europäische Union sind es die Befreiung des Flugverkehrs von der Kerosinsteuer und in der Landwirtschaft die Flächenprämie pro Hektar, die unabhängig von ökologischen Kriterien gezahlt wird. Mit ihnen wird wieder abgerissen, was auf anderen Gebieten mit Mühe an Klimaschutz aufgebaut wird. Sie alle sind schwer zu überwinden, weil sie von starken Lobby-Interessen geschützt werden.

CO2-Steuer

Die Klimaschutzziele für das Jahr 2020 wird Deutschland nicht erreichen, vermutlich auch nicht die für 2030. Und dann drohen diesem Land milliardenschwere Strafzahlungen, während sich die Klimakrise verschärft. Es sei denn, sehr bald geschehen entscheidende Schritte.

Ein solcher ist die intensiv diskutierte Steuer auf CO2 und andere Treibhausgase. Ihre Gestaltung ist noch offen. Entscheidend wichtig sind zwei Faktoren: einmal, dass sie progressiv angelegt wird, also jedes Jahr um einen bestimmten Satz steigt und so einen ökonomischen Anreiz zur Verringerung des Verbrauches schafft. Und zweitens, dass sie nicht den allgemeinen Finanzen des Staates zugeschlagen sondern zweckbestimmt erhoben wird: strikt für Maßnahmen zum Klimaschutz oder aber zum finanziellen Ausgleich für Einkommensschwache, die von dieser Steuer besonders belastet werden – am Besten wohl für Beides.

Aussichten

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Suffizienzpolitiken rufen unterschiedliche Reaktionen auf – von Zustimmung bis zu vehementer Ablehnung. Gerade die wirksamen Suffizienzpolitiken stoßen gegen manifeste Geschäftsinteressen und Privilegien oder sind mit der Aufgabe lieber Gewohnheiten und der Einbuße an  Bequemlichkeiten verbunden.

Können verpflichtende Suffizienzpolitiken in Deutschland Mehrheiten finden? Die leichteren durchaus, weil sie erkennbare Vorteile haben und kaum sensible Bereiche berühren. Die tiefer eingreifenden Politiken sind gegenwärtig noch nicht durchzusetzen. Die Klimabedrohung hat einstweilen weder unser Territorium noch unser Bewusstsein spürbar genug erreicht. Aber der Wind der Veränderung ist spürbar. Die Fridays-for-Future-Bewegung, auch die ernsthafte Diskussion um ein Gesetz zur Reduzierung der Treibhausgase sind Anzeichen des Wachwerdens. Die Einsicht wächst, wenn auch langsam, dass ein weltweiter Klimasturz, dass die gefährdete Ernährung einer weiter wachsenden Weltbevölkerung, und dass der durch Beides zu erwartende Unfrieden  uns nicht verschonen wird. Dieses beginnende Verstehen unserer eigenen Betroffenheit kann einer weitsichtigen Regierung oder Opposition einen Bewegungsspielraum geben.

Und dann mag sich zeigen: Was als notwendig oder doch als unausweichlich erkannt wird, darauf stellen sich die allermeisten Menschen ohne größere Widerstände ein –  unter zwei Voraussetzungen: Was ihnen abgefordert wird, muss überzeugend begründet sein; und es muss alle treffen, je nach ihrer Leistungsfähigkeit.Dann werden sie, so ist zu hoffen, die Konsequenzen einer die Natur erhaltenden und den Frieden ermöglichenden Politik hinnehmen, nicht wenige werden eine solche Politik als begründet annehmen oder sogar fordern.

Über den Autor
© Manfred Linz

Manfred Linz studierte Evangelischen Theologie und Sozialwissenschaften. Nachdem erfolgreich abgeschlossenen Studium arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Hamburg. Später wechselte Linz zum NDR und dann zum WDR als Redakteur und Leiter einer Programmgruppe. Nach seiner Pensionierung betätigte Manfred Linz sich ehrenamtlich im Wuppertal Institut für Klima Umwelt Energie mit dem Schwerpunkt Suffizienz und Soziales Lernen.

Weiterführende Literatur
  • Linz, Manfred (2015): „Suffizienz als politische Praxis“. In: Wuppertal Spezial.Nr. 49